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Creditreform

Ein neues Gesetz bestimmt: Bei Ärger mit defekten Geräten oder mangelhaften Dienstleistungen sollen Verbraucher bald flächendeckend Schlichter einschalten können. Das Creditreform-Magazin klärt über die Folgen für Unternehmen auf.

Rauschen. Aus dem Lautsprecher kommt nichts als Rauschen – das neue Autoradio funktioniert einfach nicht. „Von Beginn an keinen Radiosender empfangen. Zigfachen Support vom Verkäufer mittels E-Mail geholt. Anschlüsse mit Elektriker überprüft und allen ‚Anweisungen‘ des Verkäufers gefolgt“, wendet sich der Besitzer hilfesuchend an die Verbraucherzentrale (VZ) Bayern. „Mit solchen schwierigen Sachlagen haben wir häufig zu tun“, sagt Tatjana Halm, Referatsleiterin Markt und Recht bei der VZ Bayern. Das Problem bei diesem Beispiel: „Es kann rechtlich nicht geklärt werden, warum das Autoradio beim Verbraucher keinen Empfang hat, die Überprüfung beim Händler aber keinen Mangel zeigt“, so Halm. Der Verkäufer sieht – im Gegensatz zu seinem Kunden – keinen Mangel und will daher das Gerät weder austauschen noch den Kaufpreis erstatten.

Schlichtung: EU-Richtlinie stärkt Verbraucherrechte

Ob es nun um rauschende Radios, um hohe Handwerkerrechnungen oder um eine möglicherweise fehlerhafte Finanzberatung, die die Altersvorsorge ruiniert hat, geht – bisher blieb in solchen Fällen dem Verbraucher nur eine Maßnahme, um sein Recht zu bekommen: der Gang vor das Gericht. Doch der kostet Zeit, Kraft, Nerven und Geld – bei unklaren Erfolgsaussichten. Kein Wunder also, dass viele diesen Weg scheuen. Dabei sind sie in zahlreicher Gesellschaft: Jeder fünfte europäische Konsument hatte im Jahr 2010 Probleme beim Erwerb von Waren und Dienstleistungen, das haben Erhebungen des EU-Verbraucherbarometers ergeben. Eine neue EU-Richtlinie soll nun die Rechte der Verbraucher stärken – das wirkt sich unmittelbar auf all jene Unternehmen aus, deren Angebot sich an private Endkunden richtet. Nach diversen Debatten und Anhörungen von Sachverständigen hat der Bundestag Anfang Dezember 2015 das sogenannte Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) beschlossen, das nun zum 1. April 2016 in Kraft getreten ist.

Kern der EU-Richtlinie und somit auch des deutschen Gesetzes: Die Verbraucher sollen besser zu ihrem Recht kommen, und zwar außergerichtlich – per Schlichtung. Künftig sollen also Lösungen angestrebt werden, die für alle Beteiligten tragbar sind. Zudem sollen die Schlichtungsverfahren relativ schnell und kostengünstig sein. Als Vorbilder dienen die bisherigen Ombudsstellen.

Die Schlichtungsstellen

Verbraucherschlichtungsstelle auf Grundlage des VSBG können nur behördliche oder staatliche anerkannte Einrichtungen sein, die von einem Verein getragen werden. Bereits vorhandene Institutionen sollen laut Gesetz bestehen bleiben – sie haben sechs Monate Zeit, um sich dem neuen Gesetz anzupassen. Schlichter gibt es vor allem im Bereich der Finanzdienstleistungen, im Kfz-Gewerbe und in der Energiewirtschaft.

Es ist möglich, dass eine Verbandssatzung eine Teilnahme für Firmen vorsieht. Andernfalls können diese frei entscheiden, ob sie an Schlichtungsverfahren teilnehmen. Ist keine verbandsgetragene oder private Schlichtungsstelle in einer Branche vorhanden, kann der Verbraucher sich an die Universalschlichtungsstelle wenden, die beim Bundesamt für Justiz angesiedelt werden soll.

Übrigens: Onlinehändler und -dienstleister sind schon seit Januar 2016 verpflichtet, in ihren AGBs und auf ihren Websites auf die neue Online-Streitbeilegungsplattform der EU zu verweisen.

Zu den Voraussetzungen für eine Schlichtung gehört, dass der Konsument die gesetzliche Verjährungsfrist einhält, die drei Jahre beträgt (§ 195 BGB). Zum anderen muss ein Einigungsversuch vorangegangen sein. Diesen erfolglosen Versuch muss der Kunde nachweisen. Eine Schlichtung ist jedoch nicht möglich, wenn der Fall bereits vor Gericht liegt oder gar dort entschieden wurde. Läuft das Schlichtungsverfahren, so wird die Verjährung angehalten. Alle Beteiligten – Verbraucher und auch Unternehmer – können zudem das Prozedere jederzeit abbrechen.

Firmen übernehmen die Kosten der Schlichtung

Für den Konsumenten ist die Schlichtung gebührenfrei, er trägt nur Kosten für Auslagen und Porto. Lediglich bei Missbrauch ist eine Gebühr von maximal 30 Euro vorgesehen. Für ihn ist also der Anreiz hoch, die Schlichtung auszuprobieren. Auf Unternehmerseite sieht die Sachlage dagegen anders aus: Die Firmen müssen die finanzielle Last der jeweiligen Verfahren übernehmen. So sieht das neue Gesetz beispielsweise bei der Universalschlichtungsstelle eine Gebühr vor, deren Höhe sowohl die Kosten decken als auch die Höhe des Streitwerts berücksichtigen soll. Dies bedeutet im Einzelnen:

• 190 Euro bei Streitwerten bis einschließlich 100 Euro,
• 250 Euro bei Streitwerten von mehr als 100 Euro bis einschließlich 500 Euro sowie
• 300 Euro bei Streitwerten in Höhe von 500 Euro bis einschließlich 2.000 Euro.

Auf den ersten Blick recht niedrige Beträge, aber auch diese können ganz schön ins Geld gehen: Der Haushaltsausschuss des Bundestags geht davon aus, dass für die deutsche Wirtschaft jährliche Kosten von insgesamt rund 25 Millionen Euro sowie einmalige Umstellungskosten von rund 3,6 Millionen Euro entstehen werden. Letztere vor allem für die Einhaltung der vorgeschriebenen Publikations- und Hinweispflichten.

Unternehmen sind nicht zu Schlichtung verpflichtet

Doch das sind lediglich Schätzungen. So betont Professor Martin Schmidt-Kessel von der Universität Bayreuth, dass es sich beim VSBG um „eine Reise ins Ungewisse“ handele. Insbesondere in Handel und Handwerk ist derzeit noch vollkommen unklar, wie sich die neu zu etablierenden Verfahren auswirken. Auch ist ungewiss, wie viele Unternehmen überhaupt mitmachen werden. Denn – ein ganz wichtiger Punkt: Für Unternehmen ist die Teilnahme am Schlichtungsverfahren freiwillig. Sie sind jedoch verpflichtet, in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen und auf ihrer Homepage festzuhalten, ob sie den Weg der außergerichtlichen Einigungen akzeptieren oder nicht und im positiven Fall die zuständige Schlichtungsstelle zu nennen (§§ 36 und 37 VSBG). Diese Pflicht tritt aber erst am ersten Tag des zwölften Monats in Kraft, der auf die Verkündigung des Gesetzes folgt – also frühestens am 1. Februar 2017. „Daher rate ich Unternehmen erst einmal, genau zu beobachten, welche Auswirkungen das Gesetz in der Praxis hat, bevor sich sich für oder gegen Schlichtungsverfahren entscheiden“, sagt Marion Kenklies, die sich als Unternehmensberaterin mit Rechtsfragen rund um das VSBG beschäftigt. Verändern wird sich die Streitkultur hierzulande auf jeden Fall – und wohl auch das unternehmens- oder verbandseigene Beschwerdemanagement.