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© Cellex

Der Stammzell-Experte Gerhard Ehninger gibt Schwerstkranken Hoffnung mit einer patentierten Immuntherapie „Made in Germany“. Geht der Plan auf, könnten Patienten ihr Krebsmedikament in der Apotheke bekommen – und sein Pharmaunternehmen Cellex die Wall Street erobern.

 

Aufgeräumte Ruhe im Gewerbegebiet in Köln-Ossendorf. Haus­nummer 140, rote Klinkersteine. Nichts deutet darauf hin, dass die Angestellten im Inneren des Zweckbaus gerade um ein Leben kämpfen. Nicht abstrakt, ganz konkret.

„Meist kennen wir Alter und Geschlecht des Patienten“, sagt Ingrid Seidel. „Das motiviert. Wer hier arbeitet, weiß: Fast immer sind wir die letzte ­Hoffnung.“

Eine Frau werkelt in einem verglasten Labor, überall Apparate, Schläuche, Pipetten. „Da ist gerade ein Patient reingekommen“, sagt Seidel und deutet auf einen kleinen Blutbeutel. Der Patient freilich liegt gerade irgendwo auf der Welt, doch seine aus dem Blut entnommenen Blutzellen sind hier.

Bereit, in Ossendorf auf einen cleveren Angriff gegen den Krebs trainiert zu werden. Durch eine Schleuse wird der Beutel zugeführt ins Reinraum­labor. Den Ort der Hoffnung.

Seidel leitet die „Cell Manufacturing Plant“ der Biotech-Firma Cellex. Das vom Dresdner Mediziner Gerhard Ehninger 2001 gegründete Unternehmen bietet Krebspatienten mithilfe innovativer Zelltherapien erstaunliche Heilungschancen.

 

Cellex: Kontrollierter Kampf gegen Krebszellen

Das Produkt: eine Dosis Killerzellen, zunächst im Patientenkörper gewonnen, von Cellex in Ossendorf in mehreren Tagen gentechnisch so präpariert, dass sie nach einer Re-Injektion zielgenau, effektiv und doch kontrolliert den Kampf gegen die Krebszellen antreten.

Heruntergekühlt auf bis zu minus 196 Grad verlassen am Ende 25 bis 100 Milliliter der potenziell lebensrettenden Lösung die Fabrik. Um die Kühltransporte in alle Welt bis zum Krankenbett kümmert sich eine Cellex-Logistiktochter.

Im Kölner Klinkerbau blickt man aus dem Bürotrakt durch Fensterscharten hinab auf ein Gewirr metallglänzender Rohre und Kabelzuführungen. Alles mündet in die Labore ein Stockwerk tiefer: Dort sind auf Turnhallengröße zwölf Reinraum-Suiten installiert.

Keimfreiheit ist oberstes Gebot. Einige Suiten sind zertifiziert mit der strengsten Kategorie A. Strikt nach Vier-Augen-Prinzip bedienen stets zwei Fachkräfte die sterilen Apparate: Penibel wird jeder Griff dokumentiert.

Äußerst zeitintensiv ist die Entwicklung des Zelltherapeutikums. „Ein Reinraum ist für mindestens 14 Tage für nur einen Patienten belegt“, sagt die gelernte Apothekerin Seidel.

 

„Die Zukunft der Immuntherapie mitgestalten“

Ihr Chef, Gerhard Ehninger, ist seit 40 Jahren Arzt. Außerdem Forscher, Netzwerker, Unternehmer, ein Macher und Menschenfreund. Der 68-Jährige sitzt in Dresden, dem zweiten und ursprünglichen Unternehmens­standort.

Der emeritierte Professor schließt das Fenster, Ehninger will nicht gegen den Rasenmäher des Nachbarn anschreien. Mit ruhiger Stimme versprüht Ehninger Optimismus: „Wir können die Zukunft der Immuntherapie wesentlich mitgestalten, mit dem, was wir in der Pipeline haben.“

Seit Jahrzehnten steht er im Dienst der Krebstherapie: An der Dresdner Uniklinik war Ehninger bis vor gut zwei Jahren Direktor für Innere Medizin, er hat das Universitäts KrebsCentrum (UCC) aufgebaut und dort mehreren Tausend Blutkrebspatienten das Leben gerettet.

Auch war er Mitgründer und Stiftungsratsvorsitzender der DKMS, der weltgrößten Knochenmarkspenderdatei mit über zehn Millionen registrierten Spendern. Verdienste, die für einen zufriedenen Ruhestand reichen könnten.

Nun aber, in Pension, geht es offenbar erst richtig los bei Ehninger. Seine Vision ist nichts weniger als ein Zell-Medikament gegen Krebs, das in der Apotheke zu kaufen ist.

 

Erstes Anwendungsgebiet: Leukämie

Solch ein Blockbuster ist kein Traum: „Wir sind dabei, eine universelle Zelle herzustellen, die als einzige Funktion nur noch die Anti-Tumor-Aktivität hat.“ Leukämie ist das erste, naheliegende Anwendungsgebiet, aber auch andere Tumorarten wären wahlweise anzugreifen.

Durch neue, patentgesicherte Methoden schaffen es Ehningers Leute, die lebensbedrohlichen Abstoßungsreaktionen zu minimieren. „Die von uns gentechnologisch veränderte Killerzelle erkennt der Körper des Patienten nicht mehr als fremd. Die Ärzte schalten sie einfach mit einem Eiweiß-Adaptermolekül kurzfristig an- und ab.“

Der nächste Schritt ist klar: „Wir wollen ein führendes biopharmazeutisches Unternehmen werden“, sagt Ehninger. „Wir wollen nicht durch fremde Bottlenecks gebremst werden, daher halten wir von Herstellung bis Vertrieb die Dinge in den eigenen Händen und fahren eigene Kapazitäten konsequent hoch.“

Die Fläche des Herstellungszentrums in Ossendorf wird in Kürze auf 3.000 Quadratmeter verdoppelt. Mitarbeiter werden gesucht und allesamt unbefristet eingestellt – es geht um wertvolles Wissen.

Ehninger will auch nicht die spektakulären Patente für viel Geld an Pharmariesen verkaufen und jede Mitsprache einbüßen. Oder gar aus taktischem Kalkül kaltgestellt werden. Selber machen – das ist der Plan.

Neben Cellex, die vollständig im Besitz der Familie Ehninger ist, hat er gemeinsam mit dem Dresdner Immunologen Michael Bachmann die GEMoaB gegründet, die heute beiden zu gleichen Teilen gehört. In dieser Gesellschaft sind die vielversprechenden Forschungen gebündelt, drei Medikamente seien in klinischen Studien, ein viertes soll im Oktober folgen.

 

Klinische Studien finanzieren

„Als Firma sind wir längere Zeit unter dem Radar geflogen, weil wir keine Fremdfinanzierung gehabt haben“, sagt Ehninger. Die Idee der schaltbaren, genveränderten Zelle, die auch gegen Prostatakarzinome oder Lungenkarzinome antreten soll, nennt er selbst „eine total verrückte Entwicklung“ – so groß sei der Innovationssprung in der Immuntherapie.

„Solche Dinge können wir künftig nur mit starken Partnern machen“, sagt Ehninger. Neben strategischen Kooperationen und Lizenzvergaben gehe es jetzt erstmals auch um das Beschaffen von Fremdkapital, um die klinischen Studien zu finanzieren, deren Kosten in die Millionen gehen.

„Um einen einzigen Patienten im Rahmen einer klinischen Studie zu behandeln, rechnen wir mit rund 500.000 Euro“, sagt Ehninger. Wenn Sicherheit und Wirksamkeit an 100 bis 150 onkologischen Patienten bewiesen sind, könne es in einem „Fast-Track-Verfahren“ rasch klappen mit der Zulassung durch die Arzneimittelbehörden in den USA und Europa.

„Wir möchten schnellen Marktzugang erreichen und hoffen auf entsprechende Gespräche im Jahr 2022.“

Viele Millionen Euro habe die Familie Ehninger bisher aus ihrem Privatvermögen in die Entwicklung investiert. „Wir sind überzeugt und werfen ja unser Geld nicht grob fahrlässig aus dem Fenster.“

 

Gespräche mit Private-Equity-Investoren

Für die erste Finanzierungsrunde sei man im Gespräch mit Family Offices und Private-Equity-Investoren, „allerdings nicht mit Big Pharma“. Das Schaulaufen mit Zahlen und Verteidigen von Visionen sei eine „faszinierende neue Erfahrung“, sagt Ehninger.

„Als Mediziner ist man nicht gewohnt, sich so grundsätzlich infrage stellen zu lassen wie gerade jetzt von den Investoren. Aber es macht ungeheuer Spaß, dem standzuhalten.“

Eine im Juli verkündete Zusammenarbeit mit dem US-Gentechnikkonzern Intellia sei bereits „sehr nervös am Markt aufgenommen worden“, sagt Ehninger. Noch kosten individuelle Krebstherapien pro Person heute 300.000 bis 350.000 Euro.

„Firmen wie Novartis oder Gilead gestalten die Immuntherapie mit einem aufwendigen manufakturartigen Ansatz, wir setzen auf einen hohen Grad der Automatisierung, was die Behandlungskosten senken wird.“ Zum einen wegen der Mengeneffekte.

„Außerdem ist unser Ansatz mit der schaltbaren Zelle geradezu maßgeschneidert für eine ambulante Therapie“, sagt Ehninger. Auch teure Krankenhausaufenthalte könnten entfallen.

„Die Behandlung eines Krebspatienten könnte mit uns unter 100.000 Euro kosten“, nennt er das Ziel.

 

„Wir streben einen Börsengang in den USA an“

Die nächste Zündstufe soll 2022 oder 2023 folgen: „Wir streben einen Börsengang in den USA an“, sagt er. Grund: Das Zutrauen von Kapitalgebern in Biotechnologie sei dort größer als in Europa.

„Entsprechend ist die Bewertung in den USA drei- bis viermal so hoch“. In Europa sei mehr Mut für Risikoprojekte nötig, fordert er. Die neue Aktien­gesellschaft solle geformt werden aus der Cellex Patient Treatment und der GEMoaB.

Dass Ehninger das große Rad dreht, zeigt auch ein Blick aufs Personaltableau: Als operativen Chef hat er Michael Pehl engagiert, zuvor beim US-Pharmakonzern Celgene verantwortlich für Hämatologie und Onkologie.

Auch der Beirat ist hochkarätig besetzt: Ex-Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der mit Ehninger befreundet ist, steht für Compliance-Themen.

Außerdem sind mit der Leukämie-Koryphäe Bob Löwenberg und der texanischen Onkologin Katy Rezvani Mediziner von Weltruf an Bord. „Wir haben die Besten reingeholt“, sagt Ehninger stolz.

Medizinischer Auftrag und Unternehmertum gehen für ihn Hand in Hand: „Wenn Sie das Ziel haben, erkrankten Menschen wieder mehr Hoffnung auf Heilung zu geben, dann dürfte es keinen großen Zielkonflikt geben“, sagt er.

Dass dabei auch betriebswirtschaftliche Gewinne erzielt werden, dürfe nicht verteufelt werden. „Gewinn ist ein hoher Motivator und setzt viele Energien frei. Wo werden die innovativsten Therapien entwickelt? Das sind nicht die Länder, in denen der Staat die Forschung in der Hand hat.“

 

Der Mutmacher

Nach seinem Medizinstudium in Tübingen spezialisierte sich Gerhard Ehninger auf Blutkrebs und leistete an der dortigen Uniklinik Pionierarbeit in der Knochenmark­transplantation und der Übertragung von Blutstammzellen. 1991 baute er mit Peter Harf und Claudia Rutt die DKMS Deutsche Knochenmarkspenderdatei auf und unterstützte sie bis 2014 als Stiftungsrat. Von 1994 bis 2018 war er Lehrstuhlinhaber für Innere Medizin an der Dresdner Universitätsklinik, wo er ein interdisziplinäres Spitzenzentrum zur Behandlung von Tumorerkrankungen aufbaute. Parallel zur ärztlichen Tätigkeit gründete er 2001 in Dresden die Firma Cellex, 2007 eröffnete die Zweigniederlassung in Köln mit mehreren operativen Standbeinen. Das „Cellex Collection Center“ ist mit 4.000 Blutstammzell-Entnahmen im Jahr die weltgrößte Einrichtung dieser Art. In der 2018 eröffneten „Cell Manufacturing Plant“ in Köln-Ossendorf werden Zellen gentechnisch verändert. Zum einen ist Cellex dort Dienstleister für internationale Firmen, aber auch eigene patentgeschützte Immuntherapeutika stellt Cellex dort her. 2011 gründete Ehninger gemeinsam mit Michael Bachmann in Dresden die forschungsintensive Firma GEMoaB Monoclonals, die künftig in ein vollintegriertes Pharmaunternehmen überführt werden soll. Cellex machte zuletzt mit gut 250 Mitarbeitern rund 26 Millionen Euro Umsatz, GEMoaB setzte mit 15 Mitarbeitern rund 25 Millionen Euro um.