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Creditreform

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In der Wirtschaft braucht es wie auch anderswo Regeln und Vorschriften. Doch viele Mittelständler klagen über einen Wust an Bürokratie. Allein Tausende Informationspflichten machen KMU das Leben schwer.

 

Ob Mindestlohn, Einkommensteuerrecht oder Bauvorschriften: Hartmut Meyer fallen viele Problemfälle ein, wenn es um die Bürokratie in Deutschland und die Belastung für kleine und mittlere Unternehmen geht. Meyer, 57 Jahre, beschäftigt sich tagaus, tagein mit diesen Vorschriften, Regeln und Dokumentationspflichten.

Er ist Vorstandsmitglied des Verbands „Die KMU-Berater“ und hilft Firmen aus allen Branchen bei Fragen rund um ihr Geschäft.

Ächzt der gesamte Mittelstand wirklich unter der Last der Bürokratie? Wie schlimm steht es um Papierkram und Vorschriften? Welche Berichte und Zahlen müssen Mittelständler vorlegen, was kostet sie die Bewältigung der Vorgaben? Und was ließe sich verbessern?

Zumeist nennen Unternehmer, wenn sie über Bürokratie klagen, Steuervorschriften und Bauauflagen. Diese Themengebiete haben 95 Prozent der Befragten in der Studie „Bürokratie im deutschen Mittelstand“ des Softwareherstellers Sage im Jahr 2015 angegeben.

Auf den weiteren Plätzen folgten Sozialversicherung mit 91 Prozent und Arbeitsschutz mit 89 Prozent. Ebenfalls sehr hohe Belastungswerte entstehen durch Statistik- und Dokumentationspflichten sowie Außenwirtschaft/Zoll (jeweils 86 Prozent).

 

Überstunden für Papierkram

Für das Gastgewerbe rechnet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) vor, dass die Bürokratiekosten bei einem typischen Unternehmen aus der Branche jedes Jahr im Schnitt 2,5 Prozent des Umsatzes ausmachen.

Das Spektrum liegt dabei zwischen 1,2 Prozent und sechs Prozent des Umsatzes. Für einen Gasthof mit einem Umsatz von rund einer Million Euro entspricht dies 12.000 bis 60.000 Euro pro Jahr. Bei durchschnittlichen Margen und hohen Arbeits­belastungen kann das laut DIHK Betriebe in ihrer Existenz und Nachfolge gefährden.

Laut der Studie leisten die Unternehmen der Branche durchschnittlich 14 Überstunden pro Woche, um 100 bis 125 komplexe Vorschriften etwa zur Kassenrichtlinie, Hygieneüberwachung oder Datenschutz-Grundverordnung zu erfüllen.

Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW), rechnete im vergangenen Jahr vor: „Allein aus Bundesgesetzen resultieren 10.000 Informationspflichten.“

 

Ein Gesetz rein, eins raus

Der Staat hat das Problem längst erkannt. Die Bürokratiebelastung wird gemessen, Anstrengungen werden unternommen, sie zu senken.

Eine Geschäftsstelle Bürokratieabbau der Bundesregierung soll darauf achten, dass neue Gesetze im besten Fall genau das leisten, was sie leisten sollen und dabei keine vermeidbaren Bürokratie- und Dokumentationsaufwände verursachen.

Eine sogenannte Bürokratiebremse soll seit 2015 dafür sorgen, dass für jedes neue Gesetz ein anderes weichen muss. Dieses Prinzip heißt „One in, one out“ und soll die Folgekosten für die Wirtschaft senken. Laut dem Jahresbericht „Bessere Rechtsetzung 2018“ gelingt das. Um 405 Millionen Euro sei der laufende Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft gesunken, schreibt die Bundesregierung darin.

Nicht zuletzt versucht der Staat mit sogenannten Bürokratieentlastungsgesetzen gegenzusteuern. Von den Rechtsakten gibt es bis zum heutigen Tage drei. Das neueste Gesetz stammt vom November vergangenen Jahres und enthielt unter anderem eine Anhebung der umsatzsteuerlichen Kleinunternehmergrenze und eine Steuerbefreiung für betriebliche Gesundheitsförderung.

Das erste Bürokratieentlastungsgesetz war im Januar 2016 in Kraft getreten und hatte unter anderem zum Inhalt, dass Grenzbeträge angehoben wurden, um mehr Kleinunternehmen als bisher von Buchführungspflichten zu befreien.

Ist die Belastung der Unternehmen also geringer geworden? Zumindest Zweifel sind erlaubt. So kommt der Nationale Normenkontrollrat (NKR), ein Beratergremium der Regierung, das schon seit 2011 Gesetze auf ihre Folgekosten für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung prüft, zu einem anderen Ergebnis.

Laut NKR sind die Bürokratiekosten im Jahr 2018 deutlich gestiegen – auf 831 Millionen Euro. Damit seien die Entlastungen des Vorjahres, die sich auf 880 Millionen Euro beliefen, „nahezu wieder ausgeglichen“. In früheren Jahren gelang es dagegen, zeitweise die Bürokratiekosten zu senken.

 

KMU-Beauftragter der EU

Die EU-Kommission reagiert ebenfalls auf die Kritik, ihre Arbeit verursache übermäßige Bürokratie in Betrieben. Mitte März stellte sie ihre Mittelstandsstrategie vor. Ein wichtiger Baustein darin ist ein hochrangiger KMU-Beauftragter, der künftig dafür sorgen soll, dass die Belange kleinerer Unternehmen bei Regulierungsvorschlägen der Behörden berücksichtigt werden.

Bei den Interessensorganisationen der KMU stoßen die Maßnahmen auf ein gemischtes Echo. „Wir brauchen in der EU-Kommission einen zentralen Ansprechpartner, der die Mittelstandsbelange in allen Generaldirektionen durchsetzt“, sagt etwa der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Holger Schwannecke.

Erkenntnissen des ZDH zufolge hat die bürokratische Belastung für die Betriebe inzwischen ein kritisches Niveau erreicht.

Auch KMU-Berater Meyer befürwortet die Schaffung des KMU-Beauftragten, „allerdings gibt es schon an verschiedenen Stellen einen Beauftragten“. Beispielhaft nennt er die örtlichen Industrie- und Handelskammern, das Bundeswirtschaftsministerium und die lokalen Wirtschaftsförderungsgesellschaften.

„Diese Personen sollten auch gehört und mit mehr Kompetenz ausgestattet werden.“ Allzu oft erscheine diese Position als kosmetische Maßnahme, ohne dabei durchschlagende Effekte zu produzieren. Der Deutsche Mittelstands-Bund hätte sich von der EU-Mittelstandsstrategie konkretere Ankündigungen gewünscht.

Hilfreich wäre laut dem Verband etwa das Prinzip „One in, two out“ gewesen, mit dem bei jeder neuen Regulierung zwei alte entfernt würden, sowie eine Ausweitung des „KMU-Tests“ für neue Gesetze. Momentan müssen nur 30 Prozent aller EU-Regulierungen auf Auswirkungen für KMU geprüft werden.

 

Komplexität besser meistern

Keineswegs aber muss nur der Staat an sich arbeiten, wenn es um Bürokratie geht. Auch in der Unternehmenslandschaft besteht Verbesserungsbedarf.

Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) kommt in ihrer Studie „Mastering Complexity“ zu dem Ergebnis, dass sich 70 Prozent der deutschen Unternehmen durch ihre eigenen komplizierten Prozesse selbst im Weg stehen.

„Sie brauchen deutlich länger als die Konkurrenz, um neue Produkte auf den Markt zu bringen, es dauert lange, bis Entscheidungen gefällt werden, und die schlechte Zusammenarbeit einzelner Abteilungen lähmt das ganze Unternehmen“, heißt es dort.

Die Kritik scheint berechtigt. So manches Unternehmen schafft sich die Bürokratie im Hause selbst – durch komplizierte Urlaubsanträge, Reisekostenabrechnungen oder Beschaffungsformulare, die wohlgemerkt noch auf Papier auszufüllen sind.

Wenn dann der Antrag noch durch mehrere Hände gehen muss, immer wieder abzuzeichnen ist, dann ist das alles andere als effizient.

BCG wirbt auch in diesem Zusammenhang für eine weitergehende Digitalisierung im Mittelstand, die helfe, komplizierte Prozesse zu vereinfachen. Das Abzeichnen des Urlaubs­antrags ist dann per Mausklick zu erledigen und erfordert keinen Laufzettel aus Papier.

Häufig hilft es, Hierarchien abzubauen. Weniger Ebenen im Unternehmen versprechen weniger Silodenken. Auch hier hilft Software: Sie richtet sich an den tatsächlichen betrieblichen Erfordernissen aus und macht nicht Halt vor Abteilungsgrenzen.

KMU-Experte Meyer sieht den Ball dennoch deutlich im Feld des Staates liegen – denn auch die Verwaltung muss digitaler werden. Schließlich werde der Papierberg nicht kleiner, wenn Unternehmen Anträge bei Kommunen, Bund und Ländern digital einreichten und die Antwort wiederum per Post bekämen.

 

Drei Tipps für weniger Bürokratie im eigenen Unternehmen

1. Prozesse per Software erledigen

Mit webbasierten Komplettlösungen lassen sich Prozesse optimieren und automatisieren, etwa in der Buchhaltung. Alle Daten, Rechnungen und Angebote werden dann in einer Cloud gespeichert.

 

Aber auch für Bestellprozesse im Einkauf oder die Urlaubsplanung gibt es Programme, die helfen, Daten zu erfassen, zu archivieren oder zu teilen. Bei der Urlaubsplanung sind etwa Clockodo und Timeout gebräuchliche Programme.

 

2. E-Mails durch Slack & Co. ersetzen

In der Kommunikation mit Kunden und Lieferanten dürften E-Mails auf längere Zeit unverzichtbar sein. Weil die meisten Mails im Postfach allerdings von Mitarbeitern stammen, lässt sich hier problemlos auf zeitgemäßere Tools umsteigen.

 

Zu diesen Kollaborationsplattformen zählen Messengerdienste wie Teams oder Slack. Darüber können sich Mitarbeiter direkt und unkompliziert austauschen und Gruppen zum Beispiel für Themenschwerpunkte bilden.

 

3. Silodenken bekämpfen

Immer noch verbreitet ist das Eingrenzen von Wissen auf Abteilungsebene. Hier hilft es, Strukturen aufzubrechen und Hierarchien zu dezimieren.

 

Ein probates organisatorisches Mittel ist eine Jobrotation, bei der Mitarbeiter für eine begrenzte Zeit in anderen Abteilungen und Positionen arbeiten.

 

Auch die Digitalisierung hilft, Silos aufzubrechen. Wikis oder Social-Intranet-Lösungen wie Yammer oder Coyo machen Wissen und Ideen für alle verfügbar.