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Nicht nur bei seinen Produkten ist der Sonderanlagenbauer Münstermann höchst innovativ. Auch im Recruiting, bei der Mitarbeitermotivation und der Weiterbildung geht das Unternehmen erfolgreich neue Wege. Das von Münstermann initiierte „Telgter Modell“ für Schüler und Auszubildende wird inzwischen vielfach kopiert.

Für das Jahresprojekt der Auszubildenden zeigte sich die Geschäftsführung spendabel. 3.000 Euro bekamen sie, um ihren Plan umzusetzen: den Bau eines Offroad-Gokarts. Dabei bewiesen die Einsteiger durchaus Kreativität. Ein ausrangiertes Motorrad etwa lieferte die Radaufhängung und den Antrieb für das sportliche Gefährt. Auch ein Schrottplatz in der Nähe lieferte Teile. Aus Alt mach Neu. Nach intensiver Bastelarbeit bestand der Flitzer die Testfahrt.

Mit dem Kerngeschäft hat das nichts zu tun. Maßgeschneiderte Öfen und Trocknungsanlagen für Industrieunternehmen fertigt Münstermann am Standort Telgte. BASF, Knauf und Heidelberg Cement zählen zur Kundschaft. Dass die Lehrlinge nur zum Spaß ein Gokart bauen, dient vor allem dem Teambuilding. Abteilungsübergreifend kommen sie alle 14 Tage dafür zusammen. „Da treffen sich Azubis aus allen Schulformen und Bereichen auf Augehöhe“, sagt Geschäftsführer und Inhaber Frank Münstermann – auch die kaufmännische Abteilung ist dabei. „Mögliche Vorurteile werden schnell abgebaut.“ Erwünschter Nebeneffekt: „Die anderen Mitarbeiter gehen schneller auf die Auszubildenden zu und fragen, wie ihr Projekt läuft. Das beschleunigt die Integration.“

Einstieg leicht gemacht

Wie können Arbeitskräfte optimal gefördert werden? Münstermann zeigt sich vorbildlich bei dieser Frage, gerade wenn es um den Einstieg geht. Der Familienbetrieb hat das „Telgter Modell“ initiiert, das Unternehmen und Schüler schon lange vor deren Abschluss zusammenbringt. „Manche Firmen klagen über Defizite bei Schulabsolventen“, sagt der Chef. „Wir packen das Problem an.“ Mehr als 100 Unternehmen machen inzwischen in Telgte mit. Andere Städte der Region haben das Modell kopiert, das reihenweise Wirtschafts­preise eingesammelt hat. Dabei handelt der Maschinenbauer auch im eigenen Interesse: Das Unternehmen wächst und braucht neue Mitarbeiter – zehn Prozent beträgt der Anteil der Auszubildenden an der Belegschaft. „Wir haben bislang keine Probleme, genug Nachwuchs zu finden“, sagt Münstermann, auch weil das Angebot stimmt. So ist ein mindestens vierwöchigess Auslandspraktikum Teil der Ausbildung. „Beispielhafte und zukunftsweisende Arbeit“ für die Auszubildenden bescheinigte die Jury des Feinwerkmechanikpreises 2015 dem Sieger Münstermann.

»Ich wollte das Unternehmen erst kennenlernen bevor der Generationswechsel umgesetzt wird. «
Frank Münstermann, Geschäftsführer

Die Idee für das Telgter Modell stammt von Franks Münstermanns Mutter Magdalena, Prokuristin des Betriebs. Eine Diskussionsveranstaltung im nahe gelegenen Münster vor einigen Jahren habe den Anstoß gegeben. „Da stand der Chef einer Firma auf und sagte: Nur noch Abiturienten hätten bei ihm eine Chance“, erinnert sie sich. Bei Haupt- und Realschülern reiche es nicht einmal mehr für eine Lehre. „Wie können Sie nur so negativ sein“, habe sie ihn gefragt – und beschlossen, ein Zeichen zu setzen. Tags darauf telefonierte sie mit anderen Unternehmern vor Ort. Man verabredete, Betriebsbesuche für Schüler zu organisieren, abhängig von deren Interessen: im Gartenbau, einem Modehaus oder einer Schreinerei. Das war im Jahr 2008, die Geburtsstunde des Telgter Modells.
Schon bei Grundschülern wollen die Unternehmen der Stadt heute Talente wecken und fördern, etwa mit Handwerkskursen. In weiterführenden Schulen stehen auch Übungen zu Verkaufspsychologie auf dem Lehrplan – Fachleute aus den Betrieben kommen in die Schulen, um ihr Know-how im Klassenzimmer weiterzugeben. Eine Azubi-Börse unterstützt online bei der Suche nach einer Lehrstelle. „Ich wurde von Eltern angesprochen, die berichteten, dass ihr Sohn oder ihre Tochter begeistert von der Praxisnähe sind“, sagt Magdalena Münstermann. Auch die Politik war schnell überzeugt. Nur zwei Jahre nach dem Start des Telgter Modells 2008 stellte die Bezirksregierung in Münster ein Informationsportal „Wirtschaft und Schule als Partner“ ins Netz, das auch in anderen Kommunen Verbindungen zwischen Schulen und Unternehmen knüpft. Ihre Idee sei zum „Exportschlager“ geworden, stellen die Initiatoren in Telgte stolz fest.

Freiräume für Entfaltung

Früh vorgezeichnet war der Karriereweg für Frank Münstermann, der nun als Chef von der Pionierarbeit seiner Eltern profitiert. „Ich habe schon als Schüler gewusst, dass das Familienunternehmen für mich eine Option ist“, sagt er. Als Jugendlicher besserte er mit einfachen Jobs in der Fertigung das Taschengeld auf. „Löcher bohren“, beschreibt er knapp. Nach dem Abitur studierte er Physik, spezialisierte sich auf die Thermoprozesstechnik, eine Kerndisziplin im elterlichen Betrieb. Beim Berufseinstieg aber entschied sich Münstermann zunächst für die Konzernwelt. Der erste Arbeitgeber war Saint-Gobain, ein internationaler Baustoffproduzent mit französischen Wurzeln. „Als Berufseinsteiger wollte ich erste Erfahrungen gerne in einem Großkonzern machen“, sagt Münstermann. Nach zwei Jahren in der Forschung und Entwicklung zog es ihn dann doch zurück in die Heimat: 2008 wechselte er als Projektleiter nach Telgte – in Sachen Firmenkultur eine ganz andere Welt.

Nicht nur dem Nachwuchs gewährt das Unternehmen viel Freiraum, um sich zu entfalten. „Hier wird nicht hierarchisch geführt, jeder Einzelne hat viel Verantwortung“, beschreibt Frank Münstermann das Arbeitsklima. Behutsam wurde er zum Nachfolger seines Vaters Bernd aufgebaut, „ganz bewusst zunächst in der zweiten Reihe“, sagt er. „Ich wollte das Unternehmen erst kennenlernen bevor der Generationswechsel umgesetzt wird.“ Eine Drei-Jahres-Phase wurde für den Einstieg verabredet. Neben dem Job machte Frank Münstermann noch einen MBA, um auch kaufmännisch gewappnet zu sein. 2010 startete er als Geschäftsführer Vertrieb. Sein Vater kümmerte sich weiter um die Abwicklung vor Ort – bis zum Ausstieg 2013, den er mit der gleichen Konsequenz handhabte wie den Umbau des handwerklichen Schmiedebetriebs in einen international operierenden Sondermaschinenbauer. Die Weihnachtsfeier 2012: Bernd Münstermann tritt vor die Belegschaft und kündigt an, dass sein Sohn Frank nun die alleinige Führung des Betriebs übernimmt. Er selbst werde vom 1. Januar bis zum 30. Juni die Firma nicht betreten. „In dieser Zeit stand er mir wirklich nur beratend zur Verfügung“, erinnert sich Frank Münstermann. Trotz der mehrjährigen Vorbereitung sei es für ihn ein Sprung in „ganz schön kaltes Wasser“ gewesen. Doch das Signal an Mitarbeiter und Kunden, dass jetzt der Sohn allein das Sagen habe, sei richtig gewesen.

Wandel und Wachstum

Auch die Mehrheit am Unternehmen hält Frank Münstermann seit dem Wechsel an die Spitze. Sein Bruder Dirk ist als Ausbildungskoordinator und Projektleiter im Unternehmen tätig. Die beiden Schwestern sind aus dem Münsterland weggezogen. Den Betrieb übernehmen wollte keiner der drei. „Als es um die Frage der Nachfolge ging, kamen wir alle zusammen und jeder sagte: Frank, du wärst der Richtige“, erinnert sich Magdalena Münstermann. Das Unternehmen habe sich in den vergangenen Jahren durchaus verändert, sagt der heutige Geschäftsführer. Das Management-Team etwa sei mit mehr Kompetenzen ausgestattet – auch eine Reaktion auf das zuletzt starke Wachstum. Um 50 Prozent habe das Unternehmen seit seinem Einstieg vor zehn Jahren zugelegt, berichtet Frank Münstermann. 240 Mitarbeiter beschäftigt es inzwischen, der Umsatz liegt bei rund 50 Millionen Euro.

Mächtige Anlagen entstehen in den Telgter Werkhallen: Trockner und Öfen im XXL-Format für die globale Industrie. 70 Prozent beträgt die Exportquote. An einer Wand im Verwaltungstrakt sind die Produkte ausgestellt, die mit Hilfe der Kolosse aus Telgte verarbeitet werden: Graphit, Glaswolle, Tabak. Eine zentrale Rolle dabei spielt die Fördertechnik, die die Materialien durch die Maschinen transportiert. Das Know-how hilft, neue Geschäftsfelder zu erschließen. So hat Münstermann für einen Kabelhersteller eine Drehscheibe gebaut, Turntable genannt, mit deren Hilfe Seekabel für Offshore-Windkraftanlagen gelagert und verlegt werden. Bis zu 7.000 Tonnen beträgt die Kapazität.

Jedes Produkt ein Unikat

In der Regel wird individuell gefertigt. „Unsere Anlagen sind Unikate“, sagt Frank Münstermann. In enger Abstimmung mit den Kunden entwickelt der Vertrieb Konzepte. Alle Außendienstler bringen als Ingenieure oder Industriemeister das nötige Know-how mit. Ein durchaus fordernder Job: „Wer einen Groß­ofen plant, ist zwei Monate komplett ausgelastet“, sagt Münstermann. „Die Verkaufsmannschaften sind so aufgestellt, dass sie ihre Projekte sehr selbstständig durchführen können.“

Zentral für den Geschäftserfolg ist laut Münstermann die Pflege von Bestandskunden. „Das ist unser oberstes Gebot. Sie müssen wir betreuen und entwickeln, damit sie wiederkommen und auch weitere Standorte mit unseren Maschinen ausrüsten“, etwa bei der Expansion in andere Länder. Parallel dazu setzt Münstermann auf Kaltakquise. „Wir gehen gezielt auf Messen, um potenzielle Kunden auf uns aufmerksam zu machen.“ Das Vertriebskonzept greift: 2017 habe der Auftragseingang ein Rekordniveau erreicht. Auch 2018 laufe es „ordentlich“. Doch der Chef bleibt vorsichtig, was die Zukunft angeht. „Wir müssen uns jetzt so aufstellen, dass wir die Nachfrage im Boom bedienen können, aber auch bei einer normalen Auslastung wettbewerbsfähig bleiben.“

In sechster Generation führt der 38-Jährige nun den Betrieb. Wenige Kilometer von der Firma entfernt lebt er mit seiner Frau und drei Kindern. Bis sie sich für einen Beruf entscheiden müssen, dauert es zwar noch Jahre. Doch die siebte Generation zeigt schon Interesse. „Mein Sohn will Gabelstaplerfahrer werden und eine Tochter Maschinenbau-Ingenieurin“, sagt Münstermann. So funktioniert das Telgter Modell auch in der Familie.