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Die Lust am Verkleiden ist ein rheinisches Karnevalsphänomen? Großer Irrtum. Der Kostümhändler Deiters verkauft das ganze Jahr über prächtig – und expandiert mit zunehmendem Tempo auch in narrenfreie Zonen.

Im Dezember war es in Frechen bei Köln mal wieder so weit: Fertigmachen zur Mottoparty. Herbert Geiss wollte seine Belegschaft zur Weihnachtsfeier nicht steif im Anzug herumstehen sehen. „Man kommt über das Kostüm ja viel leichter ins Gespräch“, sagt der Unternehmer. „Außerdem haben unsere Leute zu Karneval ja selbst kaum Zeit zum Feiern.“ Also gab die Geschäftsführung des Kostümhändlers Deiters die Parole aus: „Sei, wer Du schon immer sein wolltest.“

Vom Lagerarbeiter bis zu den Chefs wurde es entsprechend bunt. Die Co-Geschäftsführer Dirk Strohmenger und Björn Lindert entschieden sich für Winnetou und Old Shatterhand. Theoretisch hätten die Chefs auch als Party-Römer gehen können mit ledernen Latschen und Goldgürtel, als Lappenclowns oder als Drag Queens auf Plateauschuhen. Denn sie sitzen an der Quelle.

Wenn Herbert Geiss aus dem unverputzten Betongang seines Bürotrakts tritt und die Glastür zum Verkaufsraum aufstößt, läuft er in ein Jeckenparadies. Zwei Stockwerke voller falscher Identitäten. 2.500 Kostüme hängen zur Auswahl, dazu passend bietet Deiters 20.000 Accessoires an. Jede erdenkliche Metamorphose ist möglich im „größten Karnevalskaufhaus der Welt“.

Ohne falsche Bescheidenheit reklamiert der Familienbetrieb nicht nur diesen Superlativ. Man sei „die Nr. 1 im Karneval“ – so steht es schon auf Geiss’ Visitenkarte, von der ein Clown lacht. Stimmungsmusik beschallt die 5.000 Quadratmeter große Halle, die er vor den Toren Kölns errichtet hat. In der integrierten Cafeteria schöpfen Käufer frische Kraft vor dem nächsten Kabinengang. Hier führt Geiss gerne seine Interviews, deren Häufigkeit unausweichlich in Richtung Rosenmontag zunimmt.

Stylish statt nur verkleidet

Wer denkt, ein Unternehmer im Auftrag des Frohsinns komme zwangsläufig salopp daher, der irrt. Eleganter Zwirn, Gelfrisur, auffälliger Chronograf, verbindliches Lächeln. Der 33-Jährige will keinen Zweifel aufkommen lassen: Hier ist ein Textilunternehmer am Werk, der für Qualität steht. Nähte und Knopfleisten seiner Produkte werden im Kneipenkarneval harten Belastungsproben unterzogen. Im Zweifel landet ein biergetränktes Deiters-Kostüm nach einer einzigen rauschenden Nacht auch mal im Müll. Doch dafür kann ja Geiss nichts.

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„Die Scham dem Kostüm gegenüber ist nicht besonders hoch“, klagte er einmal im „Handelsblatt“. Andererseits beobachtet Geiss aktuell einen weiteren Trend, der gegen den Einwegcharakter läuft: „Der Karnevalsartikel an sich gewinnt an Bedeutung. Die Leute wollen top gestylt aus dem Haus gehen, da muss heute alles auf Figur sitzen. Die meisten geben sich mit ihrer Verkleidung mehr Mühe als früher.“ Wer sich für 250 Euro den Rokoko-Marquis leistet, der will ihn lange tragen. Mit der einfachen Clownslatzhose für 9,95 Euro, wenngleich waschbar, sei das vielleicht anders. Am Ende egal: Diese Kunden kommen eben eine Session später wieder. Ein durchschnittliches Kostüm kostet bei Deiters meist um die 30 Euro. Dazu die Perücke „Judy mittelblond“ für 23 Euro oder ein saftiger Latex-Kehlenschnitt mit Filmblut – ausgehfertig.

Herbert Geiss, der 2003 den Familienbetrieb im Alter von lediglich 20 Jahren übernahm, hat binnen 13 Jahren ein schnell wachsendes Verkleidungsunternehmen geschaffen. Seine Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann hatte er noch nicht einmal abgeschlossen, als er plötzlich die Chance bekam, seinem Onkel sämtliche Unternehmensanteile abzukaufen. Er griff zu, nahm Bankkredite auf, auch sein Vater half. „Ich hatte zwar keine Zeit mehr, in die Berufsschule zu gehen, aber meine Prüfung habe ich noch abgelegt.“ Damals bestand Deiters aus einem einzigen Geschäft im Gewerbegebiet Köln-Marsdorf. Ein Spezialladen in einem Nischenmarkt, wie es schien. Auch mit kleinen Teddybären und Kunstrosen für Schießbuden handelte Deiters damals noch.

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