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Creditreform

Ein repräsentatives Chefbüro, das den eigenen Status unterstreicht? Was für viele Führungskräfte nach wie vor erstrebenswert klingt, ist nicht effizient. Neue Konzepte bringen nicht nur Unternehmen voran, sondern auch Benefits für alle Mitarbeiter. Ein Blick in die Arbeitswelt von Steelcase-Vorstand Stephan Derr.

Der Rucksack ist vielleicht das erste Indiz: Stephan Derr ist ein Arbeitsnomade. Schon nach dem Frühstück wird er geschultert. Kommt der Vorstand des Büroeinrichtungsunternehmens Steelcase dann ins Büro, macht er zuerst halt bei seiner Assistentin. Bei ihr laufen unter anderem der gesamte Papierkram und seine Termine zusammen. Im Unterschied zu ihrem Chef sitzt sie deshalb jeden Arbeitstag am selben Ort – an ihrem Schreibtisch.

Immer in Bewegung

Derr steht kein eigenes Möbel zu. Braucht er auch nicht: „In der Regel bin ich den ganzen Tag im Haus unterwegs“, sagt der 44-Jährige. Anhand der anstehenden Tätigkeiten entscheidet sich, wo Derr gerade arbeitet. Telefonate führt er in einem der kleinen separaten Bereiche, die extra für solche Gespräche eingerichtet worden sind. Jeder Mitarbeiter kann sich bei Bedarf dorthin zurückziehen. Hier lässt sich in Ruhe und vertraulich sprechen. Umgekehrt arbeiten andere Kollegen – ohne Redefluss im Hintergrund – ungestört in anderen Nischen und Ecken. Ruhe und Konzentration findet man auch in speziellen Rückzugsräumen.

Zu den zentralen Tätigkeiten in wohl fast jedem Betrieb gehört die persönliche Kommunikation. Dafür gibt es bei Steelcase viele unterschiedliche Umgebungen: im Stehen oder Sitzen, klassische Besprechungsräume mit Tischen und Stühlen, Sitzecken mit bequemen Sofas und Sesseln. „Je nach Anlass entscheide ich, ob der Raum eher formell sein soll oder etwas lässiger“, erläutert Derr. „Auch die Lage des Orts ist bei solch einer Frage relevant – unterhält man sich im vorderen Bereich der Geschäftsräume, wo andere vorbeikommen, oder lieber weiter hinten, wo man nicht gesehen wird?“

Bei Steelcase haben nicht nur der Chef, sondern auch seine Mitarbeiter eine große Auswahl an Arbeitsumgebungen, die auf die jeweilige Tätigkeit genau abgestimmt sind. Einige Räume sollten rechtzeitig im Voraus reserviert werden, andere kann man spontan nutzen. Was Derr sich jedoch nicht vorstellen kann: ein klassisches Chefbüro zu beziehen. „Den Boss unterscheidet von seinen Mitarbeitern, dass er gewichtigere Entscheidungen trifft und größere Verantwortung trägt“, sagt er und ergänzt: „Aber im konkreten Arbeitsalltag sind die Tätigkeiten im Büro und der daraus resultierende Bedarf an einer geeigneten Umgebung sehr ähnlich.“

Der Führungsstil prägt den Raum

Hinzu komme, dass sich in den letzten Jahrzehnten die soziale Rolle eines Chefs verändert habe: „Autorität, die vor allem auf hierarchischer Abgrenzung basiert, funktioniert heute nicht mehr“, betont Derr. Stattdessen gilt: „Kommunikation mit den Mitarbeitern und deren Motivation erlangen eine immer größere Bedeutung, der Chef sollte auch ein guter Coach sein.“ Er ist sicher: Das repräsentative Chefbüro baut Barrieren auf – dabei sollte der Boss doch für seine Mitarbeiter greifbar sein.

Über Jahrzehnte orientierte die Gestaltung von Büros sich an Hierarchie und Repräsentation, nun geht es in die Gegenrichtung. „Informelle Räume fördern den sozialen Austausch, stimulieren das Gehirn und regen die Kreativität an“, weiß Derr. Laut dem Steelcase Global Report, einer weltweiten Studie zu Mitarbeiterengagement und Arbeitsplatzzufriedenheit, verfügt jedoch ein Viertel der Arbeitnehmer weltweit nicht über geeignete Räumlichkeiten, beispielsweise um zwanglose Gespräche mit Kollegen zu führen oder sich zu vernetzen.

Was es braucht, sind vielfältige Raum- und Einrichtungsoptionen im Hinblick auf Größe, Form, Muster und Textur, die Abwechslung an den Arbeitsplatz bringen. Steelcase gestaltet das Büro der Zukunft für solche veränderten Anforderungen der Arbeitswelt. „Und wir tun das nicht nur für andere, sondern leben es auch selbst“, betont Derr. „Wir analysieren regelmäßig, wie sich unsere Arbeitsorganisation verändert, die Struktur der Teams und die konkreten Anwendungen.“ Etwa alle fünf Jahre heißt es bei Steelcase dann: umbauen. Dann wird die Arbeitsumgebung samt technischer Unterstützung den gewandelten Strukturen und Bedürfnissen angepasst.

Einen großen Schritt wagt Steelcase mit seinem Learning + Innovation Center in München. Dort werden rund 250 Mitarbeiter aus so unterschiedlichen Bereichen wie Forschung, Design, Produktentwicklung, Marketing oder Finance arbeiten. In den neuen Räumen sollen Architekten, Designer, Kunden, Händler und andere Partner des Unternehmens gemeinsam an Innovationen arbeiten und testen, wie Raum in Zukunft genutzt werden wird. Zudem bietet das neue Center für das Management eine Plattform für den Austausch mit Kunden, um so zusätzlich den Innovationsprozess zu unterstützen. „Bei der Ausgestaltung der neuen Räumlichkeiten nutzen wir unsere Erkenntnisse darüber, wie aktives Lernen funktioniert und sich physischer Raum mit virtuellen Räumen dazu am besten kombinieren lässt“, erläutert Derr.

Persönliche Kontakte zählen

Virtuelle Räume? Kommt das Büro in Zukunft tatsächlich ohne physische Nähe von Mitarbeitern und Geschäftspartnern aus? Mitnichten. Trotz Smartphones, Laptops & Co., die das Arbeiten an fast jedem beliebigen Ort ermöglichen, steht für Derr nämlich fest: „Auch in Zukunft wird das Büro als Zentrum eines Unternehmens eine enorme Rolle spielen.“ Selbst wenn die Stunden im Homeoffice noch zunähmen und Mitarbeiter extern viel erledigen könnten – „die Face-to-Face-Kommunikation lässt sich auch durch Videokonferenzen nicht ersetzen“. Schließlich sind es oft die informellen, nicht geplanten Begegnungen, die neue Ideen anstoßen. Die Aufenthaltsqualität spielt dabei eine große Rolle. Für welche Situation ist welcher Raum mit welcher Einrichtung am besten geeignet? Forciert wird das Bewusstsein durch den zunehmenden Kampf um Fachkräfte: Um die besten Talente zu gewinnen und an sich zu binden, gestalten Firmen ihre Räumlichkeiten wesentlich stärker als bisher unter dem Aspekt des Wohlbefindens.

Innovative Office-Konzepte überwinden so den Gegensatz zwischen flächeneffizientem Großraum- und repräsentativem Chefbüro. Unterstützend wirkt dabei der Einsatz von Technologien, der in den kommenden Jahren noch weit über bisherige Möglichkeiten hinausgehen wird: „Die Vernetzung von Mensch, Arbeitsort und Technologie wird dank Sensoren oder dem Internet der Dinge noch enger werden“, prognostiziert der Steelcase-Vorstand.

Seine Vision für die Zukunft: „Irgendwann ist das gesamte Unternehmen verknüpft und vernetzt, jeder einzelne Mitarbeiter, vom Terminkalender über die Möbel, das Raumbuchungssystem bis hin zum Konferenzraum.“ Fest steht aber auch: Egal, wie das smarte Büro im Detail aussehen wird, den Rucksack mit seinen persönlichen Sachen wird Derr auch dann noch dabei haben – egal, wo er gerade arbeitet.

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