Europas größtes Hutfachgeschäft befindet sich in München. Bei Breiter kaufen Showstars und Größen der internationalen Politik. Das in fünfter Generation geführte Traditionsunternehmen produziert noch in Handarbeit – und wehrt sich erfolgreich gegen Billiganbieter aus dem Internet. Text: Thomas Mersch
Der Besucher glaubte wohl, ein Angebot zu machen, das man nicht ablehnen kann. Ein internationaler Pop-Superstar war auf Tour in München – sein Manager schlug im Hutgeschäft Breiter auf. Er wolle einen Hut für den Sänger und einen für sich selbst, teilte er knapp mit. Bezahlen allerdings werde er dafür nicht. Im Laden sah man das anders: Kein Geld – keine Ware, stellten die Eigentümer persönlich klar. Der nächste Versuch: Der Künstler werde zahlen, aber er selber nicht. Geduldig klärte man ihn ein weiteres Mal auf: Man lebe vom Verkauf, nicht vom Verschenken. Am Ende knickte der Kunde ein: Er nehme die zwei Hüte. Der Star zahle den doppelten Preis, aber seiner sei umsonst. Man wurde sich einig – und ein wenig zumindest wahrte der Musikmanager sein Gesicht.
Alexander Breiter (Foto oben) erzählt von dem eigenwilligen Deal, während er durch das Stammgeschäft in der Münchner Einkaufsmeile, der Kaufingerstraße, führt. In fünfter Generation ist der 30-Jährige Geschäftsführer des Traditionsbetriebs. Fotos von berühmten Kunden zieren eine ganze Wand: Der frühere Landesvater Franz Josef Strauß zählt ebenso dazu wie der Ex-Staatschef der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, die Schauspieler-Brüder Fritz und Elmar Wepper und Box-Weltmeister Vitali Klitschko. Selbst Papst Benedikt XVI. hat einen Panamahut aus dem Hause Breiter. Und der sowjetische Außenminister Andrei Gromyko ließ in den 1980er-Jahren gar mitten im Weihnachtsgeschäft von seiner Wachmannschaft den gesamten Laden sperren, um eine Zobelmütze zu erstehen.
Ein Traditionsbetrieb soll digital werden
Die Kunden soll das beeindrucken. Doch allein die Werbung mit der prominenten Klientel reicht nicht, um das Unternehmen in Schwung zu halten. Nicht in Zeiten von globalen Einzelhandelsketten, die die großen Einkaufsstraßen längst erobert haben. Und schon gar nicht in Zeiten des wachsenden Online-Handels. Das weiß Alexander Breiter ganz genau. Und er will das von seinem Ururgroßvater im Jahr 1863, damals noch in Rott am Inn, gegründete Geschäft auch in eine digitale Zukunft führen.
In der Dachauer Straße, zwei S-Bahn-Stationen vom Vorzeigeladen entfernt in der Nähe des Stachus gelegen, hat das Unternehmen A. Breiter seinen Verwaltungssitz. Erst 1962 baute die Familie das im Krieg zerstörte Gebäude wieder auf. Seitdem hat sich wenig verändert. Alexander Breiter führt die Geschäfte von demselben schweren Holzschreibtisch aus, an dem schon sein Großvater saß. Allein den Stuhl hat er gegen eine bequemere Variante auf Rollen getauscht. Der Juniorchef trägt Hut – auch bei der Arbeit. „Ich bin Enthusiast“, sagt er. Eine ganze Sammlung habe er zu Hause und wechsele regelmäßig.
Trotz aller Hutbegeisterung gibt Alexander Breiter ganz offen zu: „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich in die Firma eintrete.“ Dass es doch dazu kam, war das Ergebnis von Skype-Konferenzen mit sieben Cousins und zwei Geschwistern, die auf diversen Kontinenten leben. Er selbst habe sich um drei Uhr morgens aus China zugeschaltet. Über Monate zogen sich die Diskussionen. „Aber alle anderen hatten einen wichtigeren Grund, warum sie es nicht machen konnten.“ Am Ende habe er sein Interesse bekundet, das im Zuge der nachfolgenden Gespräche gewachsen sei. „Es hat einen starken Reiz entwickelt“, so Breiter.
»Diana war unser bestes Model.«
Brigitte Schönauer, Modistin
Eigentlich hatte er ganz andere Pläne. Schon das BWL-Studium schloss Breiter in Shanghai ab. Anschließend arbeitete er im Vertrieb eines deutschen Elektronikherstellers, der sich nahe der Metropole in Taicang angesiedelt hatte. „Ich wollte was erleben“, sagt er. „Und China ist super dynamisch.“ Für eine Rückkehr stellte er zwei Bedingungen: Die Gesellschafter mussten Investitionen tätigen und eine Online-Strategie mittragen. „Ich mache nicht bloß den Verwalter“ – das habe er deutlich gemacht, sagt Breiter. Während seine Mutter Marion weiter für Einkauf, Personal und die Herrenkollektion zuständig ist, kümmert sich der Sohn um Damenhüte, Finanzen, IT und Marketing. „Die Verantwortlichkeiten sind recht klar abgegrenzt“, sagt er. Schritt für Schritt modernisiert der Juniorchef nun den Betrieb. Das Hauptgeschäft hat eine neue Einrichtung bekommen, die noch junge E-Commerce-Abteilung beschäftigt schon drei Mitarbeiter und trägt zehn Prozent zum Umsatz bei.
Sechsstellige Investitionen seien geflossen – auch, um das Warenwirtschaftssystem ins Zeitalter des E-Commerce zu überführen. „Das ist für uns eine Menge Geld“, sagt Breiter – doch es gebe keine Alternative. „Der Mode-Einzelhandel steckt in der Krise“, so Breiter. „Und schon mehrere Lieferanten von uns sind zugrunde gegangen.“ Seinem Betrieb soll das nicht passieren. Im Hutgeschäft hätten sich spezialisierte Konkurrenten längst positioniert – als reine Online-Anbieter. Breiter will den Fachhandelscharakter auch im Internet pflegen. „Wir schicken nicht nur Schachteln rum“, sagt er. Beratung gibt es immer auch telefonisch.
Zu jedem Outfit der passende Hut
Bei seiner Modellpolitik fährt der Betrieb schon lange zweigleisig. Herrenhüte kauft man zu – große Namen wie Mayser und Stetson finden sich in den Regalen. Damenhüte gibt es aus eigener Fertigung. „Herren sind konservativ“, sagt Breiter. „Selbst Hipster tragen meist schwarz und höchstens mal anthrazit mit schwarzem Band.“ Damen dagegen hätten mehr Anspruch: „Jede Braut etwa will einzigartig sein. Und wir können zu jedem Kleid den passenden Hut fertigen.“ Zwischen 90 und 200 Euro kostet die maßgeschneiderte Kopfbedeckung. Ortswechsel: Alexander Breiter empfängt im Vorführraum. An den Wänden ragen Reihen von dünnen Metallstangen auf, die oben mit kleinen Scheiben versehen sind. Hier präsentieren die Herrenhutproduzenten ihre Neuware zur Begutachtung. Eine Etage tiefer befindet sich das Meisteratelier. Drei Mitarbeiter fertigen hier die Damenhüte. Schon seit Jahrzehnten sind die Werkzeuge im Einsatz, die dafür nötig sind: schwere Singer-Nähmaschinen und kompakte Bügeleisen. Aus einem Filzstück, dem Stumpen, werden die Hüte unter heißem Dampf per Hand geformt und dann zur weiteren Bearbeitung auf kugelige Formen aus massivem Holz gezogen.
Vor seinem Dienstantritt lernte Alexander Breiter das Handwerk beim Hersteller Zapf in Österreich kennen, der noch die gleichen Methoden nutzt. Er erinnert sich schmerzhaft daran, wie seine Fingerkuppen von der Hitze mit Brandblasen überzogen waren. „Es gibt keine Maschinen, um solche Hüte in Masse zu produzieren“, sagt Breiter. Hutmacher, Putzmacher, Garniteur, Modist – einst waren vier Gewerke nötig, um Hüte zu fertigen.
Ein hoch aufwendiger Prozess: Ganze 150 Arbeitsschritte umfasst die Produktion eines Zylinders. Heute sind bei Breiter nur noch Modisten beschäftigt. Eine von ihnen ist Brigitte Schönauer. Vor 40 Jahren ging sie bei A. Breiter in die Lehre – und hat bis heute den Arbeitgeber nie gewechselt. Als wichtigste Werbebotschafter nennt sie die englische Königsfamilie. „Diana war unser bestes Model.“ Heute setze Herzogin Kate Trends, die auch eine breitere Zielgruppe erreichen. „Sie trägt auch mal leger“, sagt sie.
Im Hutgeschäft hängt viel von Konventionen ab. Ohne Hut ist wie ohne Hose, habe es noch in der Generation seiner Großeltern geheißen, sagt Breiter. In den späten 1960ern und den 1970ern sei der Hut aus der Mode gekommen. Stabilisiert wurde der Absatz damals vor allem, weil der Hut als Teil der bayerischen Tracht unverzichtbar blieb. Inzwischen ist die Kopfbedeckung auch abseits von Oktoberfesten wieder chic. Sänger Justin Timberlake oder Schauspieler Johnny Depp sind bekennende Fans – das hat den Verkauf bei jüngeren Zielgruppen gestärkt. „Wir leben in einer Zeit, in der alles gleicher wird“, sagt Breiter. „Individualisierung funktioniert auch über den Hut.“ Zwar erkennt Breiter eine Renaissance der individuellen Hutproduktion in Boutiquen – hier wirken
Modisten als Handwerker und Verkäufer in Personalunion. Als Fachhändler mit insgesamt 600 Quadratmeter Verkaufsfläche und knapp 70 Beschäftigten sieht er sich in Europa konkurrenzlos. Die eigene Fertigung bedeutet für ihn auch einen Vorsprung im modischen Wettlauf. „Wir können Trends sofort umsetzen“, sagt Breiter. Parallel zur Online-Expansion will der Juniorchef das nahe der Frauenkirche gelegene Stammhaus in der Kaufingerstraße bekannter machen – vor allem bei den Touristen. „Es soll eine Attraktion werden, wir müssen einen internationalen Ruf aufbauen.“
Dazu sollen auch soziale Medien beitragen, die Breiter bislang vernachlässigte: „Wir haben nicht einmal eine Facebook-Seite“, sagt der Chef. „Außerdem wollen wir in jedem Reiseführer über München auftauchen – gleichrangig mit den Sehenswürdigkeiten.“ Das Handwerk als Erlebnis: Kleinere Hutreparaturen werden neuerdings direkt neben der Verkaufstheke mit traditionellem Werkzeug erledigt. „Wir haben schon viel gemacht“, sagt Breiter. „Und wir haben doch noch unglaublich viel zu tun.“
DIE HISTORIE
Mehr als 150 Jahre Firmengeschichte auf einen Blick:1863 Gründung der Schnitt- und Spezerei-Handlung A. Breiter in Rott am Inn.
1897 Umsiedlung der Hutmacherei nach Rosenheim.
1911 Adalbert Breiter, der den Betrieb mit seinem älteren Bruder Simon geerbt hat, zieht nach München.
1918 Anmietung eines Ladenlokals in der Kaufingerstraße 23 – bis heute das Stammgeschäft.
1938 Das Unternehmen hat 180 Mitarbeiter und unterhält sechs Geschäfte.
1945 Alle Breiter-Häuser und -Läden sind nach Luftangriffen zerstört.
1962 Nach dem Wiederaufbau mehrerer Geschäfte werden auch Atelier und Büros in der Dachauer Straße neu errichtet – bis heute der Verwaltungssitz der Firma.
1980er-Jahre Die vierte Generation übernimmt die Firmenleitung.
1990er-Jahre Eröffnung von zwei Geschäften in Einkaufszentren.
2009 Start des eigenen Online-Shops.
2014 Mit Alexander Breiter tritt ein Vertreter der fünften Familiengeneration in die Geschäftsleitung ein – er führt das Unternehmen mit seiner Mutter Marion Breiter.
Der richtige Weg für ein Fachgeschäft im Zeitalter des Internets. Vielleicht sollte das Stammgeschäft in der Kaufingerstr. auffällig geschmückt werden, damit die Touristen aufmerken! Printwerbung in Hotels und Gaststätten auflegen. Nur Mut!