In Konzernen wie Henkel oder Allianz, Bosch oder Siemens gehört Deutsch zu den Sprachen, die nur noch in der Heimatregion gesprochen werden, nicht aber in der internationalen Kommunikation. Das ist keineswegs als Herablassung gegenüber der deutschen Sprache oder gar als Abgesang auf den deutschen Konzernsitz zu begreifen, sondern als Einsicht in die Realität: Englisch hat sich weltweit zur führenden Fremdsprache gemausert und ist deshalb formal oder mindestens informell Konzernsprache. Wie im Münchener Weltkonzern Siemens: Für ihn arbeiten 367.000 Mitarbeiter in 190 Ländern. Die Zentrale in München und die anderen deutschen Standorte kommen auf 119.000 Mitarbeiter, im restlichen Europa, den GUS-Staaten, Afrika und im mittleren Osten sind es 101.000. Die Staaten Amerikas, Asiens und Australien komplettieren den internationalen Mix mit weiteren 147.000 Beschäftigten. Da muss man sich auf eine gemeinsame Sprache einigen, um im Wettbewerb erfolgreich zu sein. Immerhin: Im November vergangenen Jahres konnte Siemens eines der besten Geschäftsjahre seiner Geschichte verkünden. Zwar liegt das nicht allein an den Englischkenntnissen und der interkulturellen Kompetenz der Manager und Mitarbeiter. Aber das gegenseitige Verstehen des gesprochenen und geschriebenen Wortes und das Verständnis für unterschiedliche Verhaltensweisen und Entscheidungsusancen legt eine notwendige Basis für die Arbeitsfähigkeit internationaler Teams.
Nachholbedarf in Deutschland
Da halten nicht alle Arbeitnehmer mit. Denn Englisch kann noch lange nicht jeder Berufstätige, jedenfalls nicht mit der wortstarken Sicherheit, die im Job verlangt wird. Eine aktuelle Studie des internationalen Sprachanbieters EF Corporate Language Learning Solutions mit Sitz in London zeigt, dass Erwerbstätige in vielen Ländern schlechter Englisch sprechen und schreiben als der Bevölkerungsdurchschnitt. Deutschland steht bei den Sprachkenntnissen an zehnter Stelle, noch vor China, aber weit abgeschlagen hinter den Niederlanden und immerhin noch hinter Polen und Spanien.
Der Vergleich basiert auf zwei Studien: dem English Proficiency Index for Companies (EF EPIc), für den von 2009 bis 2011 weltweit über 100.000 Berufstätige aus Unternehmen und Regierungsinstitutionen getestet und befragt wurden, und dem English Proficiency Index (EF EPI), für den im gleichen Zeitraum weltweit rund 1,7 Millionen Menschen getestet wurden. In Ländern mit einer Auswertung aller Hierarchiestufen schnitten meist die Abteilungsleiter am besten ab, manchmal aber auch die Mitarbeiter. Das Sprachniveau der deutschen Arbeitnehmer und Manager entspricht der in Europa allgemein anerkannten und zum Beispiel von den Goethe-Instituten genutzten CEFR-Stufe B1, also einer Mittelstufe, während die Erwerbstätigen der besten sieben Länder auf B2 parlieren, also der oberen Mittelstufe. Eine weitere aufschlussreiche Perspektive ergibt die Auswertung nach Branchen. So liegen die Autoindustrie und die Fertigungsindustrie weit hinter dem zwangsläufig internationalen Tourismus und den Unternehmensberatungen. Das weist möglicherweise darauf hin, dass die in diesen Branchen starken mittelständischen Unternehmen einigen Nachholbedarf haben.
Verständnis ist Trumpf
Doch gerade weil Englisch inzwischen zur Allgemeinbildung gehört, mag kaum jemand zugeben, dass er nur rudimentäre Kenntnisse hat. Andreas Bittner, Geschäftsführer des Instituts für Interkulturelles Management (IFIM) im rheinland-pfälzischen Rheinbreitbach, fordert denn auch im ersten Schritt auf dem Weg zu einer gelungeneren Kommunikation unter internationalen Kollegen: „Man muss schlechtes Englisch enttabuisieren.“ Seiner Erfahrung nach sind die Hemmungen vor anderen Deutschen größer als die vor ausländischen Kollegen, wenn einer nicht mitkommt. Das Motto, für das Bittner ficht: „Wir haben Sie nicht eingestellt, weil Sie Englisch sprechen sondern wegen Ihres Fachwissens.“
Im zweiten Schritt legt Psychologe Andreas Bittner mit 22 Jahren IFIM-Erfahrung den Firmen nahe, das Fachenglisch nicht zum alleinigen Maßstab zu machen: „Unterschätzt werden Alltagsgespräche, die in anderen Kulturen essenziell für eine gute Arbeitsbeziehung sind.“ Wenn im japanischen Restaurant der Lärmpegel steigt und die Themen vom Garten zum Sport und vom Sport zur Mode wechseln, wird es für die meisten eng beim Englischen. Hinzu komme, dass Sprache Inhalte befördert und, so der Spezialist für Kulturunterschiede, „bestes Englisch auch dazu führen kann, dass man präziser ins Fettnäpfchen tritt“.
Er rät zu einer Firmenvariante wie Globish, einer konstruierten Sprache, die auf dem Englischen basiert und vor einigen Jahren die Verständigung ins Zentrum der internationalen Sprache stellte. „Abgemagertes Englisch muss zur Regel werden“, sagt Andreas Bittner. „Denn alle auf korrektes Business English zu bringen, das ist einfach zu teuer.“ Kurz und simpel kann das Verstehen funktionieren, 1.000 bis 2.000 Wörter plus der Fachvokabeln reichen zumeist aus. Und die Muttersprachler müssen sich auch auf die Vereinfachung einlassen.
Der Siemens-Konzern macht genau das: Er setzt auf ein allgemein verständliches Englisch. Denn es kann „viel verloren gehen und Missverständnisse können teuer werden“, so Gerhard Niedermair, der Business Languages im Siemens Global Learning Campus verantwortet. Sprache ist das Transportmittel für einen effizienten Arbeitsablauf. Deshalb lernen bei Siemens alle Mitarbeiter nahe an ihrem Job: Die Mitarbeiterinnen in der Telefonzentrale wie die Ingenieure in multinationalen Forscherteams oder die Managerinnen im Controlling.
Allen gemeinsam ist eines: das Bewusstsein, dass Englisch für rund 80 Prozent der Siemensmannschaft eine Fremdsprache ist. Ob Chinesen oder Inder, Brasilianer oder Franzosen, Niederländer oder Deutsche, Briten oder US-Amerikaner, Niedermair bezieht alle ein: „Die Spielregeln für den Siemens-Talk gelten für die, für die Englisch eine Fremdsprache ist, aber vor allem auch für die Muttersprachler.“ Die Native Speaker werden dafür sensibilisiert, dass sie manchmal schneller ans Ziel kommen, wenn sie mit ihren japanischen oder deutschen Kollegen langsam, prononciert und einfach sprechen, auf verspielte Idiome und Shakespeare-reifes Hochenglisch verzichten.
Der Konzern steckt viel Energie in die Sprachbildung, weil sich das gekonnte Miteinander rechnet. „Die Teilnehmer in den Trainings sollen schnell genau das tun können, was sie in der Zusammenarbeit mit ihren Kollegen und der Kommunikation mit den Kunden brauchen“, so Sprachprofi Niedermair. Die einen schreiben englische Mails, die anderen müssen sich zwingend nach dem Basketball-Fortschritt des Sohnes erkundigen, wieder andere hochkomplexe technische Verbindungen erläutern. Englischunterricht nach dem Gießkannenprinzip hilft da nicht weiter. Der Siemens-Mann: „Es geht nicht um ein hohes Level, sondern um verlustarmes Kommunizieren.“
Ruth Lemmer