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Wer innovativ sein will, muss Neues wagen. Doch nicht jedes neue Projekt wird ein Erfolg. Deshalb brauchen Unternehmen eine gesunde Fehlerkultur.
Der Einband war nicht hochwertig genug, die Farben zu blass, das Papier zu dünn. Gründer Niklas Heinen war schockiert, als er das erste Produkt seines Unternehmens, einen Kalender, in den Händen hielt. „Wenn man auf dem Papier etwas geschrieben hat, konnte man fünf Seiten weiter noch den Abdruck des Stiftes sehen“, sagt der 30-Jährige.
Sein Fehler: Er hatte sich kein Freigabemuster von der Druckerei zeigen lassen. Das Problem: Die Kalender waren bereits an 1.200 Kunden verkauft. Was also tun?
Seine Geschäftspartnerin und Ehefrau Joana Heinen, welche Mitgründerin des Unternehmens ist, entschied spontan: „Diese Kalender schicken wir nicht an die Kunden. Wir müssen das erklären und uns entschuldigen.“ Schließlich hatte die junge Deko- und Accessoires-Marke „odernichtoderdoch“ einen Ruf zu verlieren.
Entschuldigungspost
Und so kam es, dass die Gründer das gesamte Team zusammentrommelten. Statt frisch gedruckte Kalender zur Post zu bringen, nutzten sie das Wochenende, um 1.200 Briefe per Hand an die Kunden zu schreiben, in denen sie den Fehler nicht nur ehrlich eingestanden.
Nein, sie legten den Briefen witzig gestaltete Postkarten bei und ergänzten die Aktion mit einem Post auf dem Instagram-Kanal ihres Shops, mit dem sie über die Briefe informierten und sich nochmals entschuldigten.
„Mit der Reaktion unserer Kunden hatten wir nicht gerechnet“, erinnert sich Heinen. „Die Community postete unsere Entschuldigungspost auf ihren eigenen Kanälen. So wurde der zweiten Charge des Jahreskalenders, die wir so schnell wie es ging nachfertigen ließen, eine unfreiwillige virale Werbekampagne zuteil“ – was den Verkauf steigerte.
Seltene Offenheit
So viel Transparenz und Offenheit im Umgang mit Fehlern ist selten.
Laut einer Studie von Ernst & Young (EY) aus dem Jahr 2018 geben zwar 80 Prozent der Führungskräfte an, dass ihnen in den vorherigen beiden Jahren Fehler unterlaufen sind, die den Betriebsablauf gestört, Projekte verzögert, finanziellen Schaden verursacht oder dem Ansehen ihrer Abteilung geschadet haben.
Eingestehen mochte das aber längst nicht jeder. So erklärten lediglich 45 Prozent der Angestellten, dass ihr Vorgesetzter seine Fehler offenlege – und nur 40 Prozent der Angestellten teilten mit, dass Vorstand und Geschäftsleitung über Fehler in ihrem Zuständigkeitsbereich sprechen würden.
Die Hälfte aller Angestellten sieht laut EY-Studie in ihrem eigenen Unternehmen zudem keine konkreten Ansätze, den Umgang mit Fehlschlägen zu verbessern.
Unerschrocken handeln
Diese braucht es jedoch dringend, sagt Tanja Peters: Die 46-Jährige nennt sich Mut-Trainerin und berät Unternehmen und Selbstständige darüber, wie sie im Geschäftsleben unerschrockener handeln. Für eine gesunde Fehlerkultur gibt Peters hilfreiche Tipps (siehe Kasten).
Auch Niklas Heinen sucht die Bühne. Sein großer Fehlschlag liegt mittlerweile fünf Jahre zurück, neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer gibt der Unternehmensgründer Workshops und Seminare und hält Vorträge.
Seine Themen lauten beispielsweise: „Persönliche Entwicklung – die Macht der Gefühle“ oder „Was kann ich und was kann ich nicht?“ Die Antwort darauf ist der Beginn für eine gesunde Fehlerkultur.
Zutaten für eine gesunde Fehlerkultur
1. Prüfen Sie, wie Sie selbst über Fehler denken. „Diese Aufgabe geht im ersten Schritt an die Führungskraft“, erklärt Tanja Peters. Nur so könne Mitarbeitern ein gesunder Umgang mit Fehlern vorgelebt werden.
2. Grenzen Sie Fehler voneinander ab. Peters rät Führungskräften, gemeinsam mit ihrem Team festzulegen, welche Fehler stärker und welche weniger stark abgesichert werden müssen – und zwar so, dass jeder versteht, wer in welchem Bereich des Unternehmens wie agieren darf.
3. Löschen Sie das Feuer schnell und besonnen. „Es ist wichtig, die Mitarbeiter dazu zu ermuntern, schnell Bescheid zu sagen, wenn ein Fehler passiert“, sagt Peters. Eine Aufgabe, die besonders viel Mut erfordere, aber ohne die Transparenz nicht möglich sei.
4. Würdigen Sie den Prozess. In einer gesunden Fehlerkultur ist es wichtig, jeden einzelnen Schritt zu feiern: „Genauso wichtig wie die Erfolge sind die Fehler. Und diese dürfen dann da sein, wenn man sie nicht abwertet.“
5. Lernen Sie aus Fehlern. Peters rät zum Besuch sogenannter Fuck-up-Nights, bei denen sich Führungskräfte auf die Bühne stellen und von ihren Niederlagen berichten.