Das Unternehmermagazin aus der Handelsblatt Media Group

Creditreform

Soziale Medien wie Facebook, Linkedin oder Xing haben die Personalsuche und das Marketing von Unternehmen nachhaltig verändert. Jetzt ist der Vertrieb dran.

Keine Woche ohne Facebook: Am Donnerstag schießt Stefan Wolf ein Selfie von sich und seiner Mitarbeiterin in seiner Lieblingseisdiele. Anschließend stellt der Inhaber der Allianz Hauptvertretung in dem altmärkischen Städtchen Kalbe (Milde) das Foto online. Am Samstag zuvor hat der 32-Jährige einen Zeitungsartikel über den digitalen Wandel in der Versicherungswirtschaft gepostet. Und auch sein selbst gedrehtes Video zur neuen „Online-Beratung mit Stefan“, bei der er Kunden statt am Küchentisch per Video-Chat berät, bekam viele Likes.

Stefan Wolf ist Social Seller. Von Twitter, Facebook über Linkedin bis Xing – mehr als jeder dritte Vertriebler nutzt mittlerweile Social-Media-Kanäle, um mit Kunden in Kontakt zu kommen. Das fand das Marktforschungsinstitut Market Cube in einer Umfrage unter 500 Vertriebsmitarbeitern heraus. Die Idee dahinter: „Ein Vertriebler, der mit Know-how, Insiderwissen, Esprit und Kontinuität überzeugt, wird im Idealfall mehr als kundiger und vertrauenswürdiger Berater denn als lästiger Verkäufer wahrgenommen“, sagt Anton Klees von der Online-Agentur Active Value. „Wer jedoch direkt auf große Abverkäufe hofft, hat Social Selling missverstanden“, warnt Felix Beilharz, Autor des Ratgebers „Social Media Marketing im B2B“. Vielmehr gehe es darum, als Vertriebler langfristig mit überzeugenden Inhalten zu punkten. Immer mit dem Ziel, sogenannte Leads zu generieren, also den Kontakt zu potenziellen Interessenten anzubahnen.

So sieht das auch Sören Bröker. Seit 2013 ist er als Vertriebler für die Online Marketing-Agentur Fairrank im Münsterland unterwegs. Die Produkte, die Bröker vermittelt, sind erklärungsbedürftig. Am Telefon, per E-Mail oder auch vor Ort in Unternehmen potenzielle Kunden für Suchmaschinenoptimierung und Suchmaschinenwerbung zu begeistern, erfordert viel Geschick und langen Atem. „Im Büroalltag hat kaum noch jemand Zeit für lange Gespräche“, sagt Bröker.

Der Vollblutverkäufer hat sich deshalb ein ehrgeiziges Ziel gesteckt: Er will zum führenden Experten für Online-Marketing im Münsterland avancieren. Und so hält der 35-jährige Vertriebsprofi nicht nur in seiner Region regelmäßig Vorträge, er postet auch auf Facebook und Xing Beiträge zum Thema. „Über Xing kann ich sehr gezielt Unternehmen aus meiner Region identifizieren. Ich erfahre über die Profile und die Beiträge in den Diskussionsforen, wer sich gerade mit welchem Thema beschäftigt, und kann etwa einen Geschäftsführerwechsel zum Anlass nehmen, Kontakt aufzunehmen“, sagt Bröker.

Hoher Zeitaufwand

In der Market-Cube-Umfrage gaben 33 Prozent der befragten Social Seller an, mindestens ein bis drei Stunden pro Woche im Social Web unterwegs zu sein. 22 Prozent kommen sogar auf fünf bis zehn Stunden. „Gerade am Anfang fordert Social Selling Vertriebsmitarbeitern sehr viel Engagement ab und bindet Zeit“, sagt Malin Lidén, Vizepräsidentin bei SAP und verantwortlich für Innovation im digitalen Marketing. Vor vier Jahren startete der Konzern mit Social Selling. Heute sind weltweit 9.000 Vertriebsfachkräfte mit dem Sales Navigator des Business-Netzwerks Linkedin ausgestattet. Ähnlich wie auf Facebook können sie Nachrichten posten, liken, miteinander teilen und neben Texten auch Fotos und Videos einstellen. Um regelmäßig nutzwertige Inhalte liefern zu können, erhalten die SAP-Vertriebler Rückendeckung.

Lidén: „Die Profile unserer Vertriebsmitarbeiter sind sehr persönlich gehalten. Aber wir unterstützen die Kommunikation regelmäßig mit spannenden Studienergebnissen oder auch praktischen Nutzwerttexten, die SAP-Geschäftskunden interessieren könnten.“ Sie ist überzeugt: „In fünf Jahren werden wir über Social Selling im Vertrieb kein Wort mehr verlieren – spätestens dann wird es Normalität sein.“

Nicolas Bell von der Unternehmensberatung Mücke Sturm & Company ist da skeptisch: „Es ist unbestritten ein Trend, der den Vertrieb nachhaltig verändern wird. Wie schnell sich dieser Trend aber in der Praxis durchsetzt, wird von Branche zu Branche und von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich sein. IT- und Technologieanbieter sind hier mal wieder die Vorreiter.“

Auch der Düsseldorfer Social-Media-Experte Anton Klees sieht deutsche Unternehmen noch am Anfang: „Auf Geschäftsführerebene gelten Social Media-Aktivitäten speziell der Vertriebsmitarbeiter bislang nicht als Thema von strategischer Bedeutung.“ Im Moment befänden sich die Firmen eher noch im Experimentierstadium, bestätigt Berater Bell. Immer mehr Vertriebler sind zwar in sozialen Netzwerken mit eigenen Profilen vertreten. Aber zu den aktiven Social Sellern, die eine treue Fangemeinde aufbauen wollen, zählen noch die wenigsten. Zu groß ist vielerorts die Angst vor einer Bauchlandung. Die erlebte die Führungsriege der BSH Hausgeräte: Im Video schwärmten vier BSH-Topmanager von ihren „Lieblingsanwendungen in Home Connect“, also von vernetzten Küchengeräten. Leider warfen die Münchner mit Anglizismen um sich, wirkten wie ferngesteuerte Marketing-Phrasendrescher und ernteten wegen des konsequenten Verzichts auf Authentizität viel Hohn und Spott.

Immerhin reagierte das Unternehmen professionell: „Liebe Community, wir sind auch gerade ganz geflashed von den vielen Kommentaren. Okay, wir haben verstanden ;-).“

++++++++++

FÜNF GEBOTE FÜRS SOCIAL SELLING
Online-Marketing-Experte Felix Beilharz gibt Tipps für Vertriebsprofis, die Social Seller werden wollen:

Strategie festlegen. Social Selling bietet Mitarbeitern die Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit stärker einzubringen und sich als Experte zu positionieren. Noch bevor sie in sozialen Medien an den Start gehen, sollten Firmen die Ziele und die Zielgruppen analysieren: Welche Bedürfnisse, Probleme, Wünsche und Ängste haben die Kunden? Und wie können Betriebe sie auf welcher Plattform am besten mit wertvollen Inhalten unterstützen?

Authentisch bleiben. Ein professionelles Porträtfoto ist ein Muss. Zudem ist zu überlegen, welche Angaben zur Person, zur Vita und zu den Spezialgebieten ins Internet gehören. Die richtige Mischung aus professionellem Auftritt und angenehmer Lockerheit hinzubekommen, ist nicht ganz einfach. Wichtig ist es, authentisch zu bleiben. Fake-Auftritte werden abgestraft. Den richtigen Ton treffen. Mit dem gesprochenen Wort zu überzeugen, ist etwas anderes, als mit digitaler Kommunikation zu punkten. Schulungen zum Schreiben von Posts, Blog- Beiträgen und zum Erstellen von Videos sind wichtig. Ebenso Maßnahmen zur Lead-Gewinnung, etwa Gewinnspiele, Whitepapers oder E-Books. Der Inhalt muss hilfreich und nutzwertig sein sowie den Vertriebsprozess anstoßen.

Anwärmen reicht. Je erklärungsbedürftiger und hochpreisiger ein Produkt ist, desto größer ist die Bedeutung der sozialen Medien zur Unterstützung. Aber: Die Chancen, tatsächlich über Social Media zu verkaufen, sinken. Der Fokus sollte dann eher auf der Anbahnung von Kundenkontakten liegen.

Mit Bedacht vorgehen. Soziale Medien machen aus einem schlechten Verkäufer keinen guten und aus einem miesen Produkt kein tolles. Sie wirken wie ein Verstärker. Wer zu direkt vorgeht, hat beim Social Selling schon verspielt und kassiert womöglich noch einen Shitstorm.