Klatsch und Tratsch, Getuschel und Lästereien gibt es in jedem Unternehmen. Je schwieriger die wirtschaftliche Lage einer Firma ist, desto heißer laufen Flurfunk und Gerüchte-Küche. Selbst mit gesteuerter Kommunikation – etwa der regelmäßigen betriebsinternen Bekanntgabe der Zahlen – gelingt es Unternehmensleitungen nur schwer, dem Verbreiten von Gerüchten beizukommen. Was ist zu tun, wenn üble Nachrede, Schmähungen und falsche Tatsachenbehauptungen überhandnehmen?
Gerüchte: Frust ablassen statt Ärger aufstauen
Manchmal kann Offenheit des Managements auch missverstanden werden. „Versucht die Firmenleitung, Gerüchte durch Gegendarstellungen zu entkräften, heizt das meist die Lästerei nur noch weiter an“, sagt Daniela Rastetter, Professorin für Personal und Gender an der Universität Hamburg. Die Expertin für Mikropolitik rät Unternehmern, mit Bedacht vorzugehen und sich dabei zunächst einmal zu vergegenwärtigen, dass Gerede unter Kollegen etwas ganz Normales ist. „Wer im Arbeitsleben steht, muss oft eine Rolle spielen und soll dabei immer funktionieren. Beim Klatsch mit den Kollegen mal so richtig Dampf ablassen zu können, hat da oft eine reinigende Wirkung.“ Auch Tim Hagemann, Professor für Arbeits-, Organisations- und Gesundheitspsychologie der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld, betont: „Eine Firma, in der es keinen Klatsch und Tratsch gibt, lebt nicht.“ Schließlich verbringen viele fast so viel Zeit am Arbeitsplatz wie zu Hause – mit Kollegen, die sie sich nicht aussuchen können.
Experte Hagemann weiß: „Für die Kommunikation am Arbeitsplatz gelten besondere Maßstäbe.“ Einerseits ist das Unternehmen verpflichtet, für ein gesundes Betriebsklima zu sorgen und auf die Einhaltung bestimmter Regeln zu achten, insbesondere der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer, etwa wenn jemand systematisch gemobbt wird. Der Idealfall ist da eine Firmenkultur, in der jeder auf den anderen Rücksicht nimmt. „Auf der anderen Seite aber darf im Alltag auch nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden“, sagt Hagemann.
Harte Kritiken erlaubt, Schmähungen verboten
So wie der Psychologe sehen das auch die meisten Arbeitsgerichte. „In der Praxis räumen die Richter dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit einen hohen Stellenwert ein“, sagt Jan Tibor Lelley, Fachanwalt für Arbeitsrecht von der Kanzlei Buse Heberer Fromm. Seine Beobachtungen: „Arbeitnehmer dürfen – auch öffentlich im Betrieb – Kritik am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen äußern. Sie dürfen dies sogar überspitzt und polemisch tun“, so Lelley. Wenn Arbeitnehmer jedoch ihren Vorgesetzten oder einen Kollegen grob beleidigen, ihn mit Schmähkritik überziehen oder schlicht unwahre Tatsachen behaupten, bietet ihnen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit keinen Schutz.
Feste Regeln, die darüber entscheiden, ob Gerede harmlos oder arbeitsrechtlich relevant ist, gibt es jedoch nicht. Ob ein Mitarbeiter für seine Äußerungen tatsächlich am Ende auch juristisch belangt und im Extremfall vom Arbeitgeber dafür gekündigt werden kann, hängt stets vom jeweiligen Einzelfall ab. „Selbst ehrverletzende Äußerungen rechtfertigen per se noch nicht unbedingt eine Kündigung, zum Beispiel wenn sie im vertraulichen Gespräch mit Kollegen geäußert wurden, bei denen der schimpfende Mitarbeiter davon ausgehen durfte, dass sie nicht weitergetragen würden“, so Arbeitsrechtler Lelley. „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die vertrauliche Kommunikation auch am Arbeitsplatz, zumindest solange der Betroffene die Vertraulichkeit nicht selber bricht.“
Gerüchte über Beleidigung rechtfertigen keine Kündigung
Das zeigt der Fall einer Mitarbeiterin, die nach einer Firmenübernahme vom neuen Geschäftsführer das Angebot erhalten hatte, unter unveränderten Arbeitsbedingungen in einer anderen Gesellschaft der Firmengruppe zu arbeiten. Zeitgleich hatte der neue Chef die Frau freigestellt und ihr Hausverbot erteilt. Sie galt als Vertraute der alten Geschäftsführung. Rund einen Monat später erhielt die Arbeitnehmerin jedoch eine fristlose Kündigung. In mehreren Telefonaten mit verschiedenen Kollegen sollte sie angeblich eine Kollegin als „Schleimscheißer“ und „Dreckstück“ und den neuen Geschäftsführer als „Fuzzi“, „Heini“ und mit weiteren unflätigen Ausdrücken beschimpft haben. Die Mitarbeiterin bestritt jedoch die Vorwürfe und zog erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage vors Arbeitsgericht Essen. Das befand, dass selbst wenn man davon ausginge, dass die Vorwürfe wahr wären, sie dennoch keine Kündigung rechtfertigten. Denn die Ehrverletzung einer Beleidigung setze voraus, dass der Beleidigte von ihr erfahren muss. Die Arbeitnehmerin hatte aber – so die Essener Richter – mit der Verschwiegenheit ihrer langjährigen und teilweise sogar befreundeten Kollegen rechnen dürfen (Az.: 2 CA 3550/12).
„Die Pflicht einzuschreiten, haben Unternehmen spätestens dann, wenn ein Arbeitnehmer die Grenze zur unerlaubten Handlung oder sogar Straftat überschreitet“, sagt Fenimore von Bredow, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Domernicht von Bredow Wölke. Das Problem dabei: Da Gerüchte, Klatsch und Tratsch häufig im Verborgenen stattfinden, fällt es Arbeitgebern meist schwer, erstens Kenntnis über Rechtsverstöße zu erlangen und zweitens sie dann auch noch zu beweisen. „So haben Arbeitgeber die Fürsorgepflicht gegen Mobbing vorzugehen“, so von Bredow. „In der Praxis jedoch nachzuweisen, dass ein Arbeitnehmer von Kollegen oder seinem Vorgesetzten systematisch angefeindet, schikaniert oder diskriminiert wird, ist extrem aufwendig. Geht es doch darum zu beweisen, dass es sich um aufeinander aufbauende und ineinander übergreifende Verhaltensweisen handelt.“
Vor der Kündigung kommt die Abmahnung
Kein Fall von Mobbing liegt jedenfalls nach der Rechtsprechung vor, wenn es sich lediglich um einen rauen Umgangston handelt oder beispielsweise nach Ansicht eines Arbeitnehmers der Vorgesetzte nicht höflich ist. „Auch wenn Unternehmer das Gefühl haben, dass Maß sei gestrichen voll und eine Kündigung fällig, müssen sie stets damit rechnen, dass ein Gericht am Ende zu dem Schluss kommt, dass vor der Kündigung erst einmal eine Abmahnung hätte stehen müssen“, so Experte Lelley. Das Arbeitsrecht gibt Beschäftigten gleich eine ganze Reihe von Instrumenten zur Deeskalation an die Hand. „In einem ersten Schritt sollten die Betroffenen zum Gespräch gebeten werden“, rät von Bredow und ergänzt: „So kann der Arbeitgeber sich informieren und die verschiedenen Sichtweisen kennenlernen. An zweiter Stelle steht die Ermahnung, dann die Abmahnung und als letztes Mittel erst die Kündigung.“
Interview: Gerüchte sind „der soziale Kitt einer Firma“
Tim Hagemann, Professor für Arbeits-, Organisations- und Gesundheitspsychologie der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld, über die Grenzen von Klatsch und Tratsch im Unternehmen.
Professor Hagemann, schadet das Gerede zwischen Kollegen dem Unternehmen?
Nein, Klatsch und Tratsch ist der soziale Kitt für jede Firma. Menschen nehmen Anteil aneinander. Wenn ich erfahre, dass mein Kollege einen schweren Krankheitsfall in der Familie hat, kann ich mich besser auf ihn einstellen. Sobald jemand allerdings private Dinge benutzt, um Kollegen gezielt zu diskreditieren, wird aus dem sozialen Kitt sozialer Sprengstoff.
Aber wo liegen die Grenzen?
Die Grenzen sind fließend. Wenn es etwa bei einer Besprechung darum geht, die Leitung für ein neues Projekt festzulegen, und jemand die Geschäftsführung darauf hinweist, dass der Mitarbeiter X wegen der Erkrankung seiner Ehefrau wohl nicht voll leistungsfähig sein dürfte, ist die Grenze eindeutig überschritten. Dasselbe gilt, wenn Mitarbeitende in aller Öffentlichkeit abfällig über Kollegen herziehen und sich auf Kosten anderer, zum Beispiel wegen ihres Geschlechts oder ihrer Religion, amüsieren. Geschieht das im Beisein einer Führungskraft, muss diese sofort einschreiten.

Tim Hagemann erforscht, wie Unternehmen ticken und welche Rolle die Gerüchte-Küche spielt . © privat
Haben die Diskussionen um politisch korrektes Verhalten nicht schon für Verbesserung gesorgt?
Eindeutig ja, aber abfällige Bemerkungen, die dazu dienen, sich über den anderen zu erheben, sind auch heute noch an der Tagesordnung. Um die jeweils Betroffenen, aber auch das Betriebsklima insgesamt zu schützen, müssen hier die Führungskräfte sensibel reagieren und sofort gegenlenken: Sie dürfen nicht mitlachen, sondern müssen klar Gegenposition beziehen. Sie müssen formulieren, dass das Gesagte nicht lustig ist und vom Unternehmen nicht toleriert wird.
Kann Klatsch auch eine positive Seite haben?
In vielen Unternehmen sind Tratschtanten sogar äußerst beliebt und erfüllen eine wichtige Wohlfühlfunktion. Eine rheinische Frohnatur, bei der sich alle ausheulen oder die neuesten Infos abschöpfen, in die Schranken zu weisen, kann schnell nach hinten losgehen. Solche Mitarbeitenden sind zwar vielleicht nicht immer die produktivsten. Ihre Bedeutung für ein gutes Unternehmensklima sollte man jedoch nicht unterschätzen. Möglicherweise kommen viele Kollegen und Kolleginnen gerade wegen ihr so gerne zur Arbeit, weil sie ein menschliches Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit und Wärme bietet.