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Creditreform

© Stephan Hermannsdörfer/EyeEm/Getty Images

Deutschland ist als Gründerstandort beliebt, doch Fachkräftemangel, Bürokratie und geringe Risikobereitschaft von Investoren mindern die Strahlkraft. Warum also nicht einfach dort gründen, wo das Gras grüner scheint: im Ausland? Weil es dort anders, aber auch nicht einfacher ist.

 

Die Deutschen lieben Elch und Rentier“, sagt Tim Schulz. Die Geschmacksrichtung Hirsch hat der Gründer auch im Sortiment. Schulz kommt aus Prohn bei Stralsund. Sein Unternehmen hat der 28-Jährige aber auf der anderen Seite der Ostsee gegründet, in Schweden. Renjer stellt Streifen aus Trockenfleisch her, bewirbt diese als nachhaltige Protein-Snacks. Vor allem Touristen sollen sie schmecken.

Schulz ist Gründer aus Überzeugung. Sein Job als Finanzbeamter in der Heimat war ihm keine Erfüllung. Im südschwedischen Lund, 20 Kilometer von Malmö entfernt, schrieb er sich daher 2016 für den Masterstudiengang „Entrepreneurship and Innovation“ ein. Hier lernte er den Österreicher Alex und den Finnen Anton kennen.

Die Gründeridee wurde dem internationalen Trio von Schulz’ Vater serviert, der früher eine deutsche Bäckerei in Nordschweden betrieb – und leidenschaftlich gerne Jerky knabberte, wie das Trockenfleisch genannt wird. Die Mitstreiter hoben den Daumen, 2017 war Renjer geboren.

Renjer ist eine Aktiebolag (AB). Die Rechtsform ist vergleichbar mit der deutschen GmbH. Mit einem wichtigen Unterschied: Mehr als 50.000 schwedische Kronen Stammkapital müssen Gründer nicht aufbringen. Umgerechnet entspricht das momentan knapp 4.700 Euro. Jeder der drei Gründer zweigte also gut 1.500 Euro von seinen Ersparnissen ab – selbst für Studenten machbar. Für die Gründung einer deutschen GmbH hätten die drei insgesamt 25.000 Euro Stammkapital einbringen müssen.

 

Schweden: Traumland für Gründer?

Ist Schweden also ein Traumland für Gründer, die dem bürokratischen Irrgarten Deutschlands entfliehen wollen? Im Doing-Business-Index der Weltbank, der die Rahmenbedingungen für Unternehmer vergleicht, rangiert Schweden auf Platz 12 von 190 Ländern. Deutschland steht auf Rang 24. Die Skandinavier haben Startups von Weltrang hervorgebracht wie den Musikstreaming-Dienst Spotify oder den Bezahl-Service Klarna. 29 Prozent aller 66.750 Unternehmen, die 2018 in Schweden aus der Taufe gehoben wurden, gehen auf einen Gründer mit ausländischen Wurzeln zurück.

 

Auch andere können Bürokratie

Manchmal aber wird es ihnen auch im Pipi-Langstrumpf-Land zu kunterbunt. Mit Grauen erinnert sich Tim Schulz an seinen Antragsmarathon für die schwedische Personennummer. Schweden bekommen sie von Geburt an, Ausländer müssen sie beantragen und dafür etliche Voraussetzungen erfüllen, etwa ein Aufenthaltsrecht vorweisen und die Absicht dokumentieren, mindestens ein Jahr in Schweden zu wohnen. „Wenn man eine Nummer hat, ist alles super einfach“, sagt Schulz.

Dann können Gründer ihr Unternehmen ganz einfach online anmelden und alle Steuerangelegenheiten im Netz erledigen; ohne Nummer müssen sie Formulare ausdrucken, ausfüllen, abschicken. So unverblümt schreiben es sogar die schwedischen Behörden auf ihrer Homepage. „Es wäre ein großer Vorteil gewesen, einen Schweden dabeigehabt zu haben“, sagt Schulz rückblickend. Kollege Alex aus Österreich habe geschlagene zwei Jahre auf seine Personennummer warten müssen.

 

Ein Ostwestfale in San Francisco

Der Schritt von Deutschland ins EU-Land Schweden ist vergleichsweise klein – im Vergleich zum Sprung über den Atlantik. Robin Sommer hat ihn gewagt. Als Doktorand der TU München war der gebürtige Herforder 2005 nach Berkeley gekommen. An der Elite-Uni arbeitete er in einer Forschungsgruppe an einer Open-Source-Software namens Zeek mit. Diese sollte die Basis für die Security-Lösung von Corelight werden. 2013 gründete Sommer mit zwei Kollegen das IT-Security-Startup in San Francisco. „Wir haben gemerkt, dass es eine Nachfrage für unser Produkt gab“, erinnert sich Sommer. Geplant war das nicht, der Ostwestfale war ein Gründer wider Willen. „Ich bin im Herzen Wissenschaftler“, sagt er noch heute über sich.

Die Firma war mithilfe von Anwälten schnell als Limited Liability Company (LLC) aufgesetzt, Stammkapital war keines notwendig. Mit Support-Verträgen für ihre Software hielten sich die IT-Experten die ersten Monate und Jahre über Wasser – ohne Finanzierung, ohne Investoren. Heute überwacht Corelight Netzwerke für große Unternehmen, die sich Sorgen um ihre Datensicherheit machen. Zu den Kunden sollen acht der 50 umsatzstärksten US-Unternehmen zählen. Vor zwei Jahren sammelte Corelight erstmals Geld von Investoren ein: 9,2 Millionen Dollar. Jetzt stehen die Zeichen auf Expansion. In London haben die Security-Spezialisten ihr Europa-Büro bezogen. Von hier aus wollen sie auch den deutschen Markt angreifen.

Die Statistik spricht für Sommer. Bereits vier Deutsche haben vor ihm in den USA ein Unicorn gegründet, also ein Startup mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar. Peter Thiel steckt hinter dem Software-Behemoth Palantir, Sebastian Thrun hinter E-Learning-Anbieter Udacity, Oliver Kharraz gründete Zocdoc und Mario Schlosser Oscar Health, beides Gesundheits-Startups. Nur Kanadier, Israelis, Inder, Briten und Chinesen stehen in der US-Unicorn-Tabelle vor den Deutschen.
Sehnsuchtsort für Gründer

 

USA: Noch immer ein Sehnsuchtsort für Gründer

Erfolgsgeschichten wie diese machen die USA noch immer zum Sehnsuchtsort für Gründer, trotz eines Donald Trump und seiner rigiden Einwanderungspolitik. Oder gerade deswegen? Das Interesse an seinen Dienstleistungen sei in letzter Zeit eher gestiegen als gesunken, sagt Carl Christian Thier von der auf US-Geschäfte spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei Urban, Thier und Federer. „Der Andrang von Ausländern, die in den USA Geschäfte machen wollen, ist nach wie vor sehr groß.“ Interessenten empfiehlt Thier zwei Wege: das E-Visum für Investoren und das L-Visum für Mitarbeitertransfers.

Nur mit einer guten Idee, aber ohne Geld in der Tasche ist die Einreise aber nahezu unmöglich. Und leichter wird sie vorerst nicht. 2019 wurden 32 Prozent aller Anträge auf ein H-1B-Arbeitsvisum für ausländische Arbeitskräfte von den Behörden abgelehnt. Auch stocken seit Jahren die Bemühungen, ein vereinfachtes Startup-Visum für Gründer durch den US-Kongress zu bringen. „Das Visumsrecht muss schon seit langem erheblich überarbeitet werden“, sagt Thier. Hoffnungen auf eine Einigung macht er sich keine.

 

Eintrittskarte ins Silicon Valley

„In den USA zu gründen, ist sehr viel einfacher als in Deutschland, sehr viel schneller und sehr viel preiswerter.“

Christian Thier, Rechtsanwalt

Robin Sommer beantragte nach einigen Jahren in den USA eine Green Card – seine endgültige Eintrittskarte in die Glitzerwelt des Silicon Valley. Mittlerweile ist Corelight keine LLC mehr, sondern eine Corporation, vergleichen mit einer GmbH „In den USA zu gründen, ist sehr viel einfacher als in Deutschland, sehr viel schneller und sehr viel preiswerter“, sagt Rechtsanwalt Thier. Insgesamt sollten Gründer 5.000 US-Dollar einplanen, schätzt er, um das Unternehmen professionell aufzusetzen, Registrierung inklusive. Ein bis zwei Wochen nach der Registrierung könne man loslegen – je nach US-Bundesstaat. In Kalifornien etwa würden die bürokratischen Mühlen sehr viel langsamer mahlen als in Florida.

Über das Silicon Valley sagt Robin Sommer: „Der größte Vorteil ist das Networking.“ Unternehmer, Investoren, IT-Leute sind hier auf engstem Raum versammelt. Das sei aber gleichzeitig auch das Manko des Standorts. „Man muss sich bewusst machen, dass man in eine Community hineinkommt, von der man noch kein Teil ist. Das ist ein Problem.“ Auch die Mitarbeitersuche ist ein neuralgischer Punkt. Softwareentwickler etwa haben im Valley die freie Auswahl an Arbeitgebern. „Startups müssen eine Menge tun, um sichtbar zu werden und zu bleiben“, sagt Sommer. Neue Mitarbeiter stellt Corelight mittlerweile dort ein, wo es sie findet – in Ohio, Georgia oder direkt im Ausland.

 

„Können nicht unendlich wachsen“

Die Renjer-Gründer kommen indes noch ohne weitere Mitarbeiter aus. Vielleicht ist das auch besser so. So gewährt Schweden allen Beschäftigten via Gesetz sechs Monate Auszeit, um einem eigenen Business nachzugehen. Nicht jedem Arbeitgeber dürfte das schmecken. Auch liegen die Arbeitskosten in Schweden bei durchschnittlich 36,60 Euro pro Stunde. Innerhalb der EU sind sie nur in Dänemark, Luxemburg und Belgien höher. Deutschland liegt mit 34,60 Euro knapp dahinter. Ihr Wildfleisch lassen sich Schulz und Co. von den Jägern im Norden Schwedens anliefern. Von dort geht es direkt an den Trockenfleischproduzenten in Estland. Bald soll ein tschechischer Produzent übernehmen. In Estland wie in Tschechien liegen die Arbeitskosten nur bei rund zwölf Euro pro Stunde.

Von allen schwedischen Startups überleben nur acht Prozent die ersten fünf Jahre. Ob ausgerechnet Renjer dazugehören wird? Das Geschäftsmodell ist limitiert. „Wir sind keine Firma, die unendlich wachsen kann“, räumt Schulz ein. Renjer kann nur so viele Jerky-Snacks vertreiben, wie es Wildfleisch von den Jägern aufkaufen kann. Zu allem Überfluss haben schwedische Forscher jüngst herausgefunden, dass die heimischen Elche infolge des Klimawandels immer kleiner werden – und aus Teilen des Landes bald komplett verschwinden könnten. Ralf Dümmel glaubt dennoch an den Erfolg, der Promi-Unternehmer schlug den Gründern in der Vox-Show „Die Höhle der Löwen“ einen Millionen-Deal vor. Mit dem frischen Geld will das Unternehmen speziell in Deutschland wachsen.

Für das Renjer-Team fängt die Geschichte gerade erst an. Robin Sommer ist schon 14 Jahre im Zentrum der Gründerkultur. Das reicht ihm. Gerade ist er mit seiner Familie nach Deutschland zurückgezogen, von San Francisco nach München. „Es war Zeit für eine Veränderung. Die Bay Area ist in jeder Hinsicht sehr extrem geworden“, sagt er. Sommer arbeitet zwar weiter als Chief Technology Officer (CTO) für Corelight, neuerdings aber im Homeoffice. Das ist das Schöne am Gründen: Man kann es fast überall tun – und trotzdem jederzeit wieder nach Hause kommen.

China: Neue Chancen für ausländische Gründer?

Das Reich der Mitte ist die ultimative Herausforderung für Gründer. Politik, Kultur, Mentalität – grundverschieden von der deutschen. Wer sich hier auf eigene Faust in die Selbstständigkeit wagt, muss schon aus sehr widerstandsfähigem Holz geschnitzt sein.

 

Weniger Beschränkungen für Ausländer

Nach Angaben von Germany Trade and Invest (GTAI), der deutschen Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing, gibt es in China mittlerweile 5.200 deutsche Unternehmen. Viele werden als Limited Liability Company (LLC) gegründet. Dabei handelt es sich um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, in der man auch ohne chinesischen Partner agieren kann. Das ist entgegen landläufiger Meinung durchaus möglich – zumindest manchmal.

Von entscheidender Bedeutung sind die Negativlisten, in denen die chinesische Regierung Marktzugänge und Investitionsverbote für Ausländer festlegt. „Sofern das konkrete Projekt oder die Industrie nicht gelistet ist, ist grundsätzlich von einer Zulässigkeit der Gründung auszugehen“, sagt Ralph Koppitz von der Kanzlei Taylor Wessing, der in Shanghai deutsche Unternehmen beim China-Geschäft berät. Im Juni 2019 wurden die Beschränkungen für Ausländer abermals zurückgefahren. Ausländische Investitionen sind jetzt in mehr Wirtschaftsbereichen erlaubt als zuvor – zum Beispiel dürfen Ausländer in Eigenregie Kinos bauen und Callcenter betreiben. „Die überwiegende Mehrheit der Gründungen erfolgt inzwischen als rein ausländisch investiertes Unternehmen“, schreibt GTAI in einer Standortanalyse.

 

Neue Reformen ab 2020

Die nächste Reform steht bereits an. Am 1. Januar 2020 tritt das Foreign Investment Law in Kraft, das – zumindest in der Theorie – eine stärkere Gleichbehandlung ausländischer Unternehmen mit chinesischen vorsieht und den Schutz geistigen Eigentums vorantreibt. Ab 2020 wird auch das berüchtigte Sozialkreditsystem für Unternehmen landesweit ausgerollt. Dass Personen und Unternehmen für ihr Verhalten nach einem Punktesystem belohnt oder sanktioniert werden, klingt befremdlich. In der Praxis könnte es für deutsche Unternehmen aber auch handfeste Vorteile haben – und beispielsweise die Zahlungsmoral von Lieferanten und Kunden verbessern. Denn um die ist es in China nicht immer gut bestellt.