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Die Brauerei zur Malzmühle ist ein Kleinod unter den Kölsch-Brauereien. Melanie Schwartz führt das Familienunternehmen in fünfter Generation. Frisch von der Uni, musste sie jedoch den elterlichen Betrieb erstmal retten – es gelang mit einem originellen Spagat zwischen Innovation und Tradition.

 

© Brauerei zur Malzmühle

Melanie Schwartz muss sich manchmal vorkommen wie eine Lottogewinnerin, die etwas zu laut geplaudert hat. „Man hat sehr viele potenzielle Freunde, wenn man eine Brauerei hat“, sagt die 35-Jährige schmunzelnd. „Ich könnte die ganze Stadt mit Freibier versorgen.“ Doch die große, blonde Frau hat gelernt, Nein zu sagen. Auf falsche Freunde verzichtet sie gerne.

Chefin einer Familienbrauerei zu sein, ist zweifellos eine starke Sache. Aber keine einfache. Die 160 Jahre alte Kölsch-Brauerei zur Malzmühle ist zwar eine Institution in Köln, zentral gelegen im nördlichen Teil der Altstadt und von vielen geschätzt für das beste und teuerste Kölsch, das man in der Domstadt bekommen kann. Allerdings war es eine arg sanierungsbedürftige Institution, wie sich für Melanie Schwartz im Jahr 2009 überraschend herausstellte.

Aber der Reihe nach. Frau Schwartz bittet an einen Holztisch im Brauhaus, holt eine Flasche Sprudel und erzählt. „Schon als Kind wusste ich, dass ich die elterliche Brauerei übernehmen würde. Irgendwann mal“, sagt sie.

In der zehnten Klasse machte sie ein Betriebspraktikum bei einer anderen Kölsch-Brauerei. Doch nach dem Abitur entschied sie, zunächst ihr Hobby Reiten zu intensivieren und eine Ausbildung zur Reitlehrerin zu absolvieren. Ein Umweg, aber ein sehr nützlicher: „In den Reitkursen legte ich meine Scheu ab, die ich in jungen Jahren noch hatte. Ich musste plötzlich vor Leuten stehen und Dinge vermitteln. Das war sehr hilfreich.“

2009 wurde es plötzlich ernst für die älteste Tochter der Familie Schwartz. „Mein Vater konnte aus gesundheitlichen Gründen den Betrieb nicht mehr führen. Der damalige Geschäftsführer war überfordert, das Unternehmen war in eine tiefe Krise gerutscht.“ Schwartz war inzwischen BWL-Studentin in Köln.

Doch nun musste sie viel früher ran als gedacht. Als Interimsmanager wurde der Unternehmensberater Michael Rosenbaum geholt. Ihm zur Seite gestellt: die 26-jährige Studentin. „Auf dem Papier war ich Aushilfe auf 450-Euro-Basis, hatte offiziell nichts zu sagen. Doch tatsächlich arbeitete ich 40 Stunden – und es ging um tiefgreifende Entscheidungen, die ich mitzutragen hatte.“

Von 80 Mitarbeitern mussten 20 gehen, einige in Rente, die Stellen wurden zunächst nicht neu besetzt. Eine harte Zeit: Nebenbei schrieb die junge Frau ihre Diplomarbeit, im Hauptberuf half sie beim Turnaround. „Ich hatte mir den Einstieg ins Berufsleben schöner vorgestellt. Dass es um die Firma so schlecht stand, war mir nicht bewusst“, sagt Schwartz.

Das Problem: Den verschärften Wettbewerb auf dem Biermarkt hatte die Brauerei zur Malzmühle lange unterschätzt, viele Signale zu spät gehört. „Im Handel waren wir regelrecht versteckt. Es ging darum, schleunigst den Vertrieb breiter aufzustellen“, sagt Melanie Schwartz. „Die Zeiten waren eben vorbei, in denen die Stammkunden noch mit dem Siphon ihr Bier aus dem Brauhaus holten.“ Getränkemultis platzierten auch in Köln ihre Pilsmarken mit Nachdruck im schrumpfenden Biermarkt.

Das handgemachte „Mühlen Kölsch“ hingegen wurde in Kiosken und Supermärkten buchstäblich verdrängt. Zudem genoss die lokale Konkurrenz längst Kostenvorteile, weil sie ihre Braustätten auf die grüne Wiese verlagert hatte. „Dieser Schritt aber kam und kommt für uns nicht infrage“, sagt Schwartz. „Hausgebraut aus der Kölner Altstadt – unser Markenversprechen steht.“ Nur noch eine weitere der zehn Kölsch-Brauereien mit ihren fast 30 Marken braut bis heute am Stammsitz.

Kölsch seit 160 Jahren

Bewegte Geschichte: Die Brauerei zur Malzmühle ist die zweitälteste Brauerei Kölns.

1858 Braumeister Hubert Koch gründete das Unternehmen.
1912 Der Sohn des Gründers ließ sich das Koch´sche Malzbier patentieren und verkaufte dann den Betrieb an seinen Neffen, Gottfried-Josef Schwartz.
2011 Meist stand eine Frau an der Spitze der Brauerei. Mittlerweile führt Melanie Schwartz die Firma in der fünften Generation.
2016 Die Brauerei stellt 45.600 Hektoliter Kölsch her und belegt damit den sechsten Platz der Kölsch-Brauereien.
2018 Gebraut werden rund 50.000 Hektoliter am historischen Standort am Kölner Heumarkt.

Flucht nach vorn

Die Wende gelang durch eine Flucht nach vorn: Schwartz und Rosenbaum, seit 2011 gemeinsame Geschäftsführer, packten den Umbau zu einer Konzeptbrauerei an: mit schicker Bar, einem Eventsaal und neuem Hotel. Frisches Kapital legte auch Rosenbaums Firma ein – aus einem Feuerwehrjob wurde für den Berater eine Teilhaberschaft.

„Am Heumarkt hatten wir bei laufendem Brau-Betrieb eine Großbaustelle. Es war gespenstisch: Wo ich früher wohnte, stand nach der Entkernung nur noch ein Skelett“, erinnert sich Schwartz. „Die ehemalige Flaschenabfüllung warfen wir raus, um Platz zu schaffen.“ Ein Lohnabfüller in Krefeld erledigt heute diese Aufgabe.

Melanie Schwartz führt stolz durch die neu entstandenen Räume. Ein Highlight ist der Eventsaal „Höhnerstall“, benannt nach der Kölner Stimmungskapelle, die in dem über fünf ­Meter hohen Raum ihre Band-Devotionalien dauerhaft ausstellt. Auch das neu entstandene Hotel mit Domblick trägt mit 80 Prozent Auslastung zum positiven Ergebnis bei.

Beliebtes Gimmick: In einigen der 37 Zimmer fließt frisches Kölsch aus einem dritten Hahn am Waschtisch. „Allerdings nicht als Flatrate“, sagt ­Melanie Schwartz lächelnd. Ein Fünfliterfass im Unterbau ist das Geheimnis. Die Früchte der Arbeit zeigten sich schon in der Bilanz 2016, als die Malzmühle 11,6 Millionen Euro umsetzte – gut sechs Prozent Wachstum in einem schrumpfenden Gesamtmarkt.

Die ausgewiesene Umsatzrendite von 6,6 Prozent kann sich sehen lassen. Die Personalstärke liegt bei aktuell 150, mehr als vor dem Sozialplan. „Bei uns arbeiten Menschen aus 20 Nationen“, sagt Schwartz. Als vis-à-vis im Maritim-Hotel die AfD im April 2017 ihren umstrittenen Parteitag abhielt, zeigte die Malzmühle Flagge: „Kein Kölsch für Nazis“ hängte Schwartz als rotes Banner groß sichtbar an die Fassade. Und daneben: „Wir lieben Vielfalt“. Unternehmertum und politische Haltung schließen sich nicht aus.

„2017 konnten wir unser Geschäft stabilisieren, 2018 sieht noch besser aus“, sagt Schwartz. Vorteil der erweiterten Wertschöpfung durch Hotel und Höhnerstall: Die Einnahmen aus der Gastronomie und dem Flaschenverkauf liegen etwa gleichauf – und sie können einander ausgleichen bei Schlechtwetter oder auch einer vergeigten Fußball-WM, die auf den Durst drückt.

Manufaktur statt Massenware Auch ein neuer Vertriebschef und bessere Marktforschung gaben Schub. „Unser typischer Käufer ist 35 bis 50 Jahre alt, alle zehn Tage leistet er sich eine neue Kiste“, weiß Melanie Schwartz. „Wir entziehen uns dem Preiskampf im oberen Mittelfeld, indem wir uns einfach darübersetzen.“

 

Manufaktur statt Massenware

Hand- und hausgebraut ist für Mühlen Kölsch die Rechtfertigung für die Premiumpolitik. Allerdings: Man platzt an historischer Stätte aus den Nähten. „Unser Plan für das Jahr 2020 war eine Absatzmenge von 50.000 Hektolitern. Die erreichen wir dank guter Nachfrage schon 2018. Und damit haben wir unsere Kapazitätsgrenze erreicht.“

Produktionsleiter Andree Vrana steigt im Hintergebäude die Treppen hoch zum Allerheiligsten: Im grün gekachelten Raum mit breiter Fensterfront stehen zwei große Kupferkessel: eine Sudpfanne für 170 Hektoliter – umgerechnet 85.000 Gläser Kölsch – sowie ein Läuterbottich. Ausschließlich hier entsteht das Mühlen Kölsch, in der gebotenen Ruhe.

„Wir geben etwas mehr Energie und Zeit rein als andere“, sagt der 49-jährige Braumeister. Drei Tage Gärung, 21 Tage Lagerung. Das ist viel in einem Geschäft, wo Zeit gleich Geld ist. „Wettbewerber nutzen forcierte Gär- und Lagerverfahren, wir da­gegen arbeiten klassisch, was man auch schmeckt“, sagt Vrana. Die Brauerei zur Malzmühle verwendet nur den teureren Naturhopfen. „Komplett und nicht nur Auszüge.“ Solcher Mehraufwand lässt sich am Kioskpreis ablesen: Die Halbliterflasche Mühlen ist mit 1,60 Euro mindestens zehn Cent teurer als die nächste Marke.

 

Bauchige Pulle als Alleinstellungsmerkmal

Die Brauerei probt erfolgreich den Spagat: Luxus und Spektakel hier, Bodenständigkeit dort. So nutzt Mühlen als einzige Kölsch-Brauerei noch die alten, bauchigen Euroflaschen. Einst als Halbliter-Maurerbomben verpönt, sind sie heute schon wieder cool. Als die Konkurrenz auf Longneck-Flaschen umrüstete, fehlte der Malzmühle das Geld.

Heute ist die Pulle ein Alleinstellungsmerkmal. Die Hipster am Brüsseler Platz in Kölns angesagtem Belgischen Viertel schwören drauf. Auch die alte Braustube folgt noch dem rustikalen Begriff von Gemütlichkeit: Lampen auf metallenen Wagenrädern werfen gedämpftes Licht, die Gäste rutschen auf harten Holzbänken zusammen, während der Blick durch Butzenscheiben erahnen lässt, dass es in der unvertäfelten Außenwelt noch Tag ist.

„Alles stimmig?“, fragt der redselige Kellner, der in Köln stets Köbes heißt. Und aus dem Handgelenk stellt er das nächste Bier hin, selbstverständlich ungefragt, selbstverständlich in der nur 0,2 Liter fassenden, dünnwandigen Kölschen Stange. Nicht fehlen darf das Kontor in dunklem Holz, genannt Beichtstuhl – die gefürchtete Abrechnungsstelle für die Köbesse.

Nur etwas für Mutige ist der Stehtisch gegenüber dem Minibüro mitten in der Kneipe. Ein Warnschild verweist auf ältere Rechte: „Hee stonn diejinnige, die immer hee stonn.“ Die Chefin des Hauses war „hee“ schon immer, sie ist eine von „diejinnige welche“.

Die Brauerei ist ihre Heimat. „Mein Kinderbett stand im ersten Stock direkt über dem Lautsprecher“, sagt sie. „Es war immer was los, für ein Kind unheimlich spannend, ich konnte immer runtergehen in den Betrieb.“ Am Kölsch nippte sie erstmals mit fünf Jahren – versehentlich. „Ich dachte, im Glas meiner Oma sei Apfelsaft.“