
Paul Falke leitet zusammen mit seinem Cousin Franz-Peter seit 1990 das Familienunternehmen. © FALKE
In vierter Generation strickt Falke mitten in der Provinz hochwertige Strümpfe. Zwei Cousins führen das Unternehmen prinzipienfest. Während ringsum die Bekleidungsindustrie darbt, bleiben sie dem Standort Deutschland treu – und setzen konsequent auf Qualität und Innovation. Text: Stefan Merx
Schmallenberg im Sauerland hält für Sockenkäufer einen bizarren Gegensatz bereit. Direkt neben dem Entree zum Unternehmen Falke, dem Marktführer für hochwertige Beinbekleidung, lockt ein Billigheimer mit Wühltischware: Zehn Paar schwarze Socken für vier Euro – „vor dem Tragen waschen!“, wird noch gewarnt. Verschifft aus China, die Produktionsbedingungen möchte man nicht kennen. Einen Steinwurf entfernt sitzt Paul Falke im „Showroom Damen“. Bronzefarbene Beine in extravaganten Strumpfhosen um ihn herum, die neueste Kollektion balanciert auf der Fensterbank. Die teuren Stücke um die 199 Euro. Paul Falke hat ein gewisses Verständnis von Qualität – und er schreibt es auf jede Banderole, die seine Produkte begleitet: „In der Welt des Überflusses und der Massenproduktion sind
Qualität und Design entscheidende Faktoren.“ Unterschrieben von ihm und seinem sieben Jahre älteren Cousin Franz-Peter Falke, mit dem er den Familienbetrieb seit 1990 führt und zu gleichen Teilen besitzt. Was sich fast wie ein konsumkritisches Manifest des Club of Rome liest, ist bei Falke Teil der Unternehmensidentität: Alle Falke-Waren, die sich über die engen Mittelgebirgsstraßen in Richtung Weltmarkt schlängeln, sollen mehr sein als nur kurzlebige Gebrauchsgegenstände. Die Zehennaht nicht spürbar, bei Sportlern extra Platz für den großen Zeh dank des asymmetrischen Schnitts, Bündchen ohne Druckstellen, Runterrutschen trotzdem kein Thema.
Fehler als Chance
„Wir müssen versuchen, Perfektionisten zu sein in allem, was wir anbieten“, sagt Falke. „Ich bin froh über jede Reklamation. Sie hilft uns, dem Ziel wieder einen Schritt näher zu kommen.“ In der Regel aber bekomme er Dankesbriefe. Teilweise handgeschrieben. Das beeindruckt auch den stolzesten Fabrikanten: „Ich glaube nicht, dass ich jemals wegen eines Produkts einen Brief geschrieben habe.“
Paul Falke, 58 Jahre, wirkt mit seinem Stoppelbart einigermaßen seebärig an diesem Tag. Er verkörpert beides: Da ist er der smarte Weltenbummler mit Apple-Watch und Wochenend-Apartment in Paris. „Dort lasse ich mich vom Flair der Stadt inspirieren.“ Und hier der bodenständige Sauerländer, der für Firmenpräsentationen ein Schützenzelt mietet. Letztes Wochenende ritt seine Tochter Turnier, folglich blieb er daheim. Die Straße, die hinab zur Stadthalle führt, trägt Paul Falkes Namen. Freilich ist sie seinem Vater gewidmet, der als Unternehmer und nebenbei Bürgermeister viel für die Heimat bewegt hat. „Es gibt eben Landmenschen“, sagt Falke. Und er selbst, zählt er sich dazu? „Ehrlich gesagt nein. Im Grunde bin ich gerne anonym. In Schmallenberg geht das nicht.“
Aus dem Sauerland in die Welt
In ihm stecke ein Entdecker, sagt er. „In meinem Fall hat sich das so ausgewirkt, dass ich mit 15 Jahren aus Schmallenberg weggegangen bin.“ Ebenso wie sein Cousin Franz-Peter hat Paul Falke den elterlichen Betrieb erst übernommen, nachdem er in der Schweiz im Internat war. Später studierte er in München BWL. „Wir wollen Teil des Modemilieus sein. Also müssen wir unsere Antennen weit über das Sauerland hinaus ausrichten“, sagt Falke. 2014 habe man ein kleines, sehr kreatives Team von Produktentwicklern und Designern in Cremona übernommen. Er saugt Impulse von außen dankbar auf. Ob von Lohnfertigern in Tunesien, dem Maschinenführer in Serbien oder vom chinesischen Kunden im Zürcher Flagship Store.

Eine alte Strickmaschine produziert einen roten Strickschlauch. Der wird später in bestimmten Längen aufgetrennt – daraus entstehen einzelne Strümpfe. © FALKE
Ob er will oder nicht: Eine Sonderrolle spielt Falke als bedeutender Arbeitgeber in Schmallenberg zwangsläufig. Rund 900 der weltweit mehr als 3.200 Mitarbeiter sind hier tätig. „Wir wollen unser Knowhow an dieser Stelle poolen.“ Die Maxime: Im Stammhaus – gleichsam dem teuersten Standort der Gruppe – will Falke in der Lage sein, jederzeit jedes Produkt zu fertigen. Teil dieser Strategie ist es, langgediente Fachkräfte zu binden – und diese vorbildlich zu behandeln. „Unsere Qualität ist unser größtes Kapital.“
Gleich nebenan in den Produktionssälen wird deutlich, was Falke meint. Auf gut geöltem Industrieparkett surren mehr als 150 Strickmaschinen. Von dicken Garnspulen laufen bunte Fäden von oben in die feinmotorischen Wunderwerke, drinnen tanzen die Gestänge. Erste Überraschung: Viele Maschinen sehen aus, als wären sie eine Leihgabe aus dem Industriemuseum. Auf einem japanischen Apparat aus den 1980er-Jahren liegt eine Musikkassette – sie ist das Speichermedium für das Strickprogramm. Die moderneren Maschinen aus Italien besitzen schon einen USB-Anschluss, auch können sie bereits die Zehennaht automatisch verketteln. Alle vier Minuten fällt ein fertiger Strumpf heraus. Weiter hinten rasseln noch Maschinen britischer Bauart, wahre Oldtimer. Der Hersteller, die Bentley Engineering Company aus Leicester, hat schon 1988 aufgegeben. Doch die grünen Bentleys in Schmallenberg, sie stricken unbeirrt Tag und Nacht – und das in höchster Güte.
„Dass wir auf teilweise so alten Maschinen arbeiten, funktioniert nur dank unserer Mechatroniker, die wir dreieinhalb Jahre ausbilden“, sagt Lothar Heinrich, ein Mann mit stets gut gelauntem Blick. „Auch auf die patentierte Idee, zwei unterschiedlich geformte Socken für rechts und links zu stricken, kam ein Mechatroniker.“ Kaum jemand kennt die Produktion und die Belegschaft so gut wie er. 1956 hat Heinrich bei Falke begonnen. Heute, mit 72 Jahren, betreut er die Werksführung.
Überraschung Nummer zwei: Das Strumpfbusiness ist ungeahnt personalintensiv. So nähen fingerfertige Mitarbeiterinnen jede Feinstrumpfhose aus linkem und rechtem Bein zusammen, und etliche Strümpfe werden an der Spitze mit einer Kettelnaht verschlossen – echte Handarbeit. Heinrich öffnet gut gelaunt jede Tür: zur Qualitätskontrolle, wo Querdehnung und Längsdehnung per Stichprobe geprüft werden. Ins Labor, wo Mitarbeiterinnen die angelieferten Garnpartien testen. In der Produktentwicklung überführen die Experten noch per DOS-Programm die Designs von Papier in Maschinensprache und prüfen zugleich, ob bestimmtes Material so zu verarbeiten ist wie geplant. Auch Strümpfe der 2008 erworbenen Marke Burlington sowie Lizenzprodukte für Esprit laufen über die Falke-Maschinen. Färben, waschen, nähen, formen, kontrollieren, verpacken – jeder Strumpf geht durch viele Hände. Eine Mitarbeiterin prüft jede Feinstrumpfhose auf einem Leuchttisch, bevor sie sie mit Seidenpapier in die Verpackung faltet. Heinrich kann sich begeistern am Anblick einer platt auf dem Tisch liegenden Socke: „Sehen Sie, wie glatt die ist? Keine Falte, keine Tüte.“
Neues Geschäftsfeld
Ein Wachstumsfeld sieht Falke bei funktioneller Sportbekleidung, die gemeinsam mit Sportstrümpfen ein Fünftel des Geschäfts ausmacht. Eine patentierte Innovation: 4 Grip – eine Sportsocke, die dank Silikonnoppen für den perfekten Halt im Schuh sorgen soll. „Jeder Richtungswechsel, jeder schnelle Antritt wird so unterstützt“, sagt Falke. Eine Kompressionszone am Knöchel soll zudem Umknicken entgegenwirken. Die Idee dazu? Entstand spontan unter Mitarbeitern, so heißt es. Paul Falke weiß: „Sie finden solche Mitarbeiter, die sich in unserem Metier auskennen, nicht einfach auf der Straße.“
Auch nicht in Schmallenberg, wo das Unternehmen vor 121 Jahren vom Dachdecker Franz Falke-Rohen als kleine Lohnstrickerei gegründet wurde. Die Werte blieben über Jahrzehnte identisch: „Keine Familienquerelen, keine fremden Finanzherren“, so formulierte es Franz-Otto Falke, Co-Chef der dritten Generation. Die heutigen Gesellschafter teilen sich zwar kein Büro wie noch ihre Väter, aber das Zusammenspiel funktioniert. „Eine klare Aufgabenteilung gibt es nicht“, sagt Paul Falke schmunzelnd. „Haben wir versucht, klappt nicht, wir machen beide alles.“
Das Auslandsgeschäft geht Falke streng werteorientiert an: Sourcing und Produktion in Billiglohnländern kommen nicht infrage. „Sie finden bei uns kein einziges Produkt, das aus Fernost kommt“, sagt Paul Falke. Mit Bedacht wurden Fertigungen dort errichtet, wo das Lohnkostenniveau niedrig war, es aber zugleich Knowhow in der Bekleidungsindustrie gab. „Das war ein wesentlicher Grund für uns, in Südserbien eine Fabrik zu bauen.“ Falke hofft, dass die Serben nicht in die EU eintreten, die Wettbewerbsfähigkeit des Landes würde leiden. „Auch Portugal hat der Beitritt eher geschadet als genutzt“, ist Falke überzeugt.
Egal, wo die Produkte gefertigt werden: Sie kommen zunächst ins Zentrallager in Schmallenberg – und gehen erst von dort in den Handel. Die Komplexität ist hoch. Allein der Top-Seller-Strumpf „Airport“ existiert in 40 Farben, sieben Größen und zwei Längen. 560 Varianten sind so möglich. „Über das gesamte Sortiment rechnen wir mit 18.000 Stock Keeping Units, die wir vorhalten“, sagt Falke.

Vieles ist und bleibt Handarbeit: Hier wird ein Etikett angenäht – einer der letzten Schritte, bevor die Strümpfe in den Handel kommen. © FALKE
Über 30 Millionen Paar Strümpfe hat Falke im Jahr 2015 hergestellt – und damit 225 Millionen Euro umgesetzt, fast die Hälfte im Ausland. Den Marktanteil, den Falke für Beinbekleidung in Deutschland hält, bezeichnet Paul Falke als „sehr anständig“. Als unangefochtener Marktführer im Fachhandel könnte er auch deutlicher werden: Der einst dreimal so große Platzhirsch Kunert ist nach einer Insolvenz gerade erst dabei, sich wieder aufzurappeln. Andere Marken wie Ergee sind ins Discount-Segment gerutscht, etliche Hersteller sind untergegangen.
Qualität hat ihren Preis
Grund ist die Preiserosion und auch das Schwächeln des Fachhandels: „Im Schnitt geben die Deutschen leider nur noch zwei Euro für ein Paar Strümpfe aus.“ Falke verlangt über zehn Euro. Und bleibt dabei.
Wenn der Kunde die Qualität erst auf dem Fuß spürt, wird er treu bleiben. Auch in einem weiteren Punkt ist Paul Falke gerne Missionar: Er kämpft für den Kniestrumpf, ein Muss für Anzugträger. „Es geht um das gute Gefühl. Wer einmal knielang getragen hat, weiß gar nicht, wie er früher ohne konnte“, das Urteil höre er öfter. Manchen Aha-Effekt erzielt Falke, indem er einem Kurzsocken tragenden TV-Moderator ungefragt Kniestrümpfe schickt. Zu warm? Den Vorwand lässt er nicht gelten – und verweist auf die viel stilbewussteren Italiener: „Zu 90 Prozent tragen die knielang.“
„Ich finde es unverständlich, wie Modehäuser ihre Kunden einkleiden nach dem Motto oben hui, unten pfui“, echauffiert sich Falke. „Die lassen sie im Brioni-Anzug mit kurzen Socken rauslaufen.“
Um der mitunter mangelnden Beratung in Sachen Beinkleid nachzuhelfen, setzt der Traditionalist auf durchgestylte Falke-Stores, die in Eigenregie oder von Partnern betrieben werden. Dazu kommen zahlreiche Shop-in-Shop-Systeme. „Sie sind die zentrale Bühne unserer Marke“, sagt Falke.
Ganz großer Luxus zur Markeninszenierung darf es auch mal sein. So werden für bestimmte Strümpfe 40 Gramm der empfindlichen Flaumhaare der seltenen Vikunja-Kamele aus den peruanischen Anden versponnen. Manch anderer steht eher auf das Unterhaar mongolischer Kaschmirziegen. Solche Preziosen kommen dann „auf individuelle Anfrage“ in edler Holzbox samt Begleitbuch. Kostenpunkt der exquisiten Story: knapp 900 Euro. Und die Vorzeigestrümpfe liegen natürlich auch bei, so gut wie geschenkt.
QUALITÄT AUS DEM SAUERLAND
Vom Dachdecker zur Weltmarke – die bewegte Falke-Geschichte im Zeitraffer: Der Dachdecker Franz Falke-Rohen, der in den kalten Wintermonaten als Saisonstricker tätig war, gründet 1895 seine eigene Strickerei. 1902 übernimmt Franz junior die Geschäfte und kauft 1918 die Woll- und Haargarnspinnerei Carl Meisenburg in Schmallenberg. 1920 wird die neue Fabrik errichtet, heute noch Hauptsitz. Das Industrieunternehmen mit Filialbetrieben in ganz Deutschland hat 1928 bereits 800 Beschäftigte. 1947 wird das Markenzeichen kreiert – ein rotes Quadrat mit einem Falken. 1951 übernimmt die dritte Generation, der Export gerät ins Blickfeld. 1958 werden die ersten Falke-Nylonstrümpfe auf Cottonmaschinen gewirkt. 1974 beginnt die Produktionsverlagerung nach Portugal, Österreich, Ungarn und Südafrika, Falke schließt Lizenzpartnerschaften mit Dior, Armani oder YSL. 1990 übernehmen die Cousins Paul und Franz-Peter Falke und treiben das Shop-in-Shop-System voran. 2005 wird Falke zum Komplettanbieter bei funktioneller Sportbekleidung. 2008 wird die Modemarke Burlington gekauft, 2012 eröffnet die Produktionsstätte im serbischen Leskovac.