Das Startup Lytt hat einen digitalen Kummerkasten entwickelt. Aber nicht für Petitessen, sondern für handfeste Vorwürfe. Per digitalem Assistenten wollen die Gründer Angestellten in Unternehmen ermöglichen, schwierige Themen ohne Angst vor Benachteiligung anonym und sicher anzusprechen.

© Lytt/Christian Protte
Mobbing am Arbeitsplatz, Diskriminierung, unlautere Geschäftspraktiken – Mitarbeiter zögern oft, Missstände im Unternehmen anzusprechen.
Beispiel Sexismus: Jede vierte Frau in Deutschland erlebte bei der Arbeit schon sexistisches Verhalten oder wurde sogar sexuell belästigt.
Die meisten trauen sich aber nicht, dagegen vorzugehen. Eine solche Angstkultur nährt Konflikte, die Firmen teuer zu stehen kommen: Sie erschweren die Arbeit im Team, erhöhen Fehlzeiten, im schlimmsten Fall verlassen rare Fachkräfte das Unternehmen.
Um Angestellte zu ermutigen, Missstände zu melden, hat sogar die EU ein entsprechendes Gesetz erlassen (Whistleblower-Richtlinie).
Es sieht unter anderem vor, dass Firmen mit mehr als 50 Mitarbeitern bis April 2021 Kanäle einrichten, die es Beschäftigten ermöglichen, Verstöße gegen EU-Recht anonym zu melden.
Matchmaker
Problem trifft Lösung: Digitale Services machen Mittelständlern das Geschäftsleben leichter. Ab sofort stellt das Creditreform-Magazin jeden Monat eine clevere Dienstleistung vor, deren Einsatz sich wirklich lohnt.
Die Lösung
Das Startup Lytt will es Mitarbeitern einfacher machen, Bedenken und Fehlverhalten anzusprechen. Das Team um Gründerin Lara von Petersdorff-Campen hat ein digitales Beschwerdesystem entwickelt, mit dem Beschäftigte Missstände DSGVO-konform und anonym melden können und erste Hilfestellungen erhalten.
„Mitarbeiter, die etwa von ihrem Vorgesetzten gemobbt wurden, wollen häufig ganz grundsätzliche Fragen klären“, sagt von Petersdorff-Campen. „Sie wollen wissen, ob es sich bei dem Erlebten um eine Bagatelle handelt, was mit der Führungskraft passiert, wenn der Fall öffentlich wird, und wie der rechtliche Rahmen aussieht.“
Bei dem digitalen Assistenten von Lytt handelt es sich um einen Chatbot. Der nimmt das Anliegen mithilfe von acht bis zehn Fragen auf.
Betroffene erhalten eine Fallnummer und eine PIN, mit der sie sich jederzeit wieder einloggen können, um ihr Vorhaben voranzutreiben – zum Beispiel, einen Termin mit einer Vertrauensperson vereinbaren.
Die wird entweder im Unternehmen bestimmt, kann aber auch von Lytt gestellt werden. Die Personalabteilung wiederum gewinnt über ein Dashboard Erkenntnisse und erfährt etwa, aus welcher Abteilung die meisten Beschwerden kommen.
Die technische Integration ist einfach: Firmen können online auf den Dienst verlinken und ihn als App anbieten.
Das Kundenfeedback
Die Meeressterne GmbH ist ein familiengeführter Tourismusbetrieb, der mehrere Hotels, Ferienanlagen und Restaurants auf der Insel Usedom betreibt.
Das Unternehmen nutzt Lytt seit März 2019 mit dem Ziel, Zufriedenheit und Gesundheit im Betrieb zu steigern.
Geschäftsführer Sven-Olaf Gerdt will so das Problem der Personalgewinnung im Gastgewerbe aktiv angehen und hofft, damit als Arbeitgeber attraktiver zu werden.
Technische Probleme bei der Einführung hatte er keine. „Die Schwierigkeit liegt in der richtigen Kommunikation.“
Zum Beispiel müsse klargestellt werden, für welche Themen Lytt verwendet werden soll und warum der Geschäftsführung ein anonymer Kanal wichtig sei, sagt Gerdt – und beobachtet seitdem erste Erfolge.
Der Geschäftsführer erhält spürbar mehr konstruktive Kritik: „Wir stellen fest, dass dort, wo Feedback ausgesprochen wurde, Teams besser zusammenarbeiten und wir Konflikte schnell und angemessen lösen.“
Grundsätzlich ist das natürlich eine super Sache! Mobbing & sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gibt es leider noch immer viel zu häufig. Anonymität ist dahingehend wichtig, aber nur solange die Anonymität lediglich für die Klärung von Unklarheiten genutzt wird. Sonst könnte das System auch zur Verbreitung von falschen Anschuldigungen genutzt werden.
Auch die Tatsache, dass es sich bei dem hier vorgestellten System um einen Chatbot handelt finde ich befremdlich. Grade bei solchen unangenehmen Themen ist menschliches Verhalten hilfreicher, meiner Meinung nach.
Schwierig. Seeeeeehr schwierig. Ich habe das Gefühl, dass hier echt ein riesiges Dilemma aufgezeigt wird. Auf der einen Seite ist es super wichtig, dass Schritte gegen Mobbing unternommen werden, auf der anderen Seite sieht man aber auch an einem Kommentar wie hier, dass trotzdem immer ein gewissen Grundmisstrauen mitschwingt (nichts gegen die Kommentatorin Fr. Frommann). Da haben wir als Gesellschaft echt noch einen weiten Weg vor uns.