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Creditreform

Das digitale Marketing bietet neue Möglichkeiten der Vernetzung von Live- und virtueller Kommunikation im Rahmen der Messestrategie. Die Veranstalter unterstützen die Unternehmen – und machen aus der punktuellen Veranstaltung ein Dauerevent.

Wie führt man einen neuen Kühlschmierstoff in den Markt ein? Anzeigen- und Onlinekampagnen fallen wegen der hohen Streuverluste aus. Ebenso Mailings, weil es schwer ist, die richtigen Personen in den Unternehmen ausfindig zu machen. „Dafür trifft man die Zielgruppe auf den Messen und kann sie dort direkt ansprechen“, sagt Ulrike Müßigbrodt, Marketingmanagerin bei Henkel. Einzige Crux: Das Budget ist schmal. Also muss eine auffällige Aktion her. Im September 2010 hat das Produkt Multan, das heute unter der Marke Bonderite L-MR vertrieben wird, seinen ersten großen Auftritt, auf der Internationalen Ausstellung für Metallbearbeitung (AMB) der Messe Stuttgart. An der Glasfront zum Eingang kleben pinkfarbene igelförmige Gummikugeln – Bakterien, mit einem schmalen Zettel dran: „Bacteria have to stay outside!“ Um mehr über dieses mysteriöse Bakterium zu erfahren, müssen Neugierige auf die Internetseite Henkelmultan.com (jetzt: Bonderite-lubricants.com) gehen. Dort wird das Produkt erklärt und eine Probe kann angefordert werden. Gleichzeitig startet eine Google-Kampagne, welche Messebesucher, die mehr über das Produkt erfahren wollen, zu einer speziellen Website führt. Das Ergebnis der Guerilla-Kampagne kann sich auf jeden Fall sehen lassen: Bei einem Marketingbudget von lediglich 1,5 Prozent des Umsatzes wächst das Produkt in einem stagnierenden Markt gegen den Trend.

Das Bonderite-L-MR-Beispiel ist nicht nur das Bilderbuchbeispiel einer erfolgreichen Einführungsaktion, sondern spiegelt auch den Trend zum „Live-Campaigning“ wider: Weg von einem rein punktuellen Einsatz auf Messen, hin zu einer zeitlich und inhaltlich integrierten Kampagnenplanung, wie sie im klassischen Marketing üblich ist. Das bedeutet, dass das Kommunikationsinstrument Messe nicht mehr isoliert, sondern vernetzt mit anderen Maßnahmen eingesetzt wird. Dabei kommt den digitalen Medien eine kontinuierlich wachsende Bedeutung zu, doch ersetzen werden sie die Veranstaltungen nicht. „Messen haben gerade in der B2B-Kommunikation eine sehr hohe Wertschätzung als Instrument des direkten Dialogs“, argumentiert Walter Mennekes, Vorsitzender des Auma Ausstellungs- und Messe-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft e. V. und Inhaber des gleichnamigen mittelständischen Steckerherstellers. „Die Face-to-Face-Kommunikation in Verbindung mit der realen Produktpräsentation ermöglicht Überzeugung und Vertrauensbildung beim Kunden – etwas, was andere Instrumente nur eingeschränkt leisten können, analoge wie digitale“, so Mennekes. Er ist deshalb überzeugt: „Messen stehen – in absehbarer Zeit jedenfalls – nicht unmittelbar im Spannungsfeld zwischen analoger und digitaler Welt.“

Ergänzende Marketingaktion

Dieser Ansicht ist man auch beim Grillspezialisten Weber: „Messen sind ein wichtiger Baustein unserer 360-Grad-Kommunikation“, sagt Marc André Palm, Marketing Director Central Europe der Weber- Stephen Deutschland GmbH. „Neben Print, Online, Fernsehen, dem Point of Sale und den Social-Media-Kanälen bieten sie die Möglichkeit, sich mit dem Handel auszutauschen“, betont er.

Auf der Messe selbst bietet der Grillhersteller, der auf der internationalen Gartenmesse Spoga + Gafa in Köln und auf etwa zehn weiteren regionalen Veranstaltungen präsent ist, verschiedene Touchpoints mit Point-of-Sale-App, TV-Sreens und interaktiven Präsentationen. Die digitalen Medien bieten dem Ingelheimer Unternehmen Raum für Interaktion und die Möglichkeit zu mehr als der reinen Warenpräsentation. Die Technik ist aber nur Mittel zum Zweck. „Anders als auf unserer Internetseite oder den Social-Media-Kanälen steht bei den Messen das haptische Erlebnis im Vordergrund“, macht Palm deutlich. Ein zentrales Element bei einem vor allem bei den Deutschen so beliebten Hobby wie dem Grillen. „Wir bieten den Kunden eine emotionale Markenerlebniswelt für alle Sinne und probieren neue Verkaufstrends aus“, formuliert Palm die Ziele einer Ausstellungsteilnahmen. Die erfolgreichsten Konzepte für den stationären Handel werden adaptiert und in die nationalen Handelskonzepte übertragen.

Diese Auffassung teilt auch Kai Hattendorf, Bereichsleiter Digital Business der Frankfurter Messe: „Die Leitmesse ist und bleibt das Lagerfeuer der Industrie, um das sich die Unternehmer scharen.“ Doch der Digitalexperte sieht auch eine Veränderung in der Funktion der Veranstaltungen auf sich zukommen. „Die Kommunikation, der Dialog sowie die Wettbewerbsbeobachtung und letztendlich auch das Thema Kongresse und Wissensvermittlung nehmen zu“, fasst er seine Beobachtungen zusammen.

Auf welcher Messe soll Ihr Unternehmen ausstellen? Eine Entscheidungshilfe sowie den Weg zum Messekalender 2015 finden Sie in der App oder auf creditreform-magazin.de/messe2015.

Aufmerksame Beobachter machen noch einen weiteren Trend aus: den Abschied von der Messe als punktuellem Ereignis. „Wir wollen den Wert einer Beteiligung auf das ganze Jahr ausdehnen“, sagt beispielsweise Klaus Dittrich, Geschäftsführer der Messe München. Dazu haben die Bayern vielfältige Angebote entwickelt wie etwa Awards, Matchmaking, Jobs, Cards, Communitys oder Academies.

Wie die digitale Kommunikation das Messeerlebnis ergänzen kann, zeigen zwei zukunftsweisende Projekte. Zum einen die Open-Innovation-Plattform bei der Ispo. Dort können Unternehmen mit Unterstützung von Kunden oder Entwicklungspartnern ein neues Produkt entwickeln oder ein technisches Problem lösen. Zum anderen wurde eine neue Onlineplattform zum Thema „intelligent urbanization“ ins Leben gerufen. Diese führt die Branchennetzwerke von fünf international führenden Infrastrukturmessen zusammen und setzt sich auf der realen Messe etwa in Sonderveranstaltungen fort.

Auch die Aussteller und die Besucher der Messe Düsseldorf kommunizieren zwischen den Veranstaltungen via Onlineportale und soziale Netzwerke. Zudem erhalten ausstellende Unternehmer Unterstützung von der Messegesellschaft, wenn sie Beratung bei der Auswahl der optimalen Werbeform oder der Internetdarstellung der Firma beziehungsweise ihrer Produkte benötigen. „Damit erhält jeder Aussteller die Möglichkeit, sein Portfolio auf einer Webplattform darzustellen, die von uns international vermarktet wird und die die Aufmerksamkeit der gesamten Branche auf sich zieht“, sagt Werner M. Dornscheidt, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Düsseldorf.

Fans werden zu Besuchern

Dass die sozialen Netzwerke eine viel stärkere Interaktivität mit potenziellen Interessenten ermöglichen, davon ist auch Martin Buhl-Wagner, Sprecher der Geschäftsführung der Leipziger Messe, überzeugt: „Ziel dabei ist, die Aufmerksamkeit der Besucher und Aussteller auf die Veranstaltung zu lenken, die Fans der Seite als Besucher zu gewinnen und die Kundenbindung zu intensivieren.“ Darüber hinaus werden Marketingaktionen der Aussteller mit der eigenen Besucheransprache etwa über Facebook vernetzt.

Durch Dialog, Diskussion und Hinweise in den sozialen Netzwerken bietet sich aber auch die Chance, neue Trends aufzuspüren oder Themen weiterzuentwickeln. Dabei nutzt die Leipziger Messe verschiedene Social-Media-Plattformen wie Facebook, Xing, Twitter oder Youtube je nach Zielgruppe und jeweiliger Verbraucher- oder Fachmesse. Die Aktionen sind integraler Bestandteil der Gesamtkommunikation.

»Die interaktiven Kommunikationsformen im Netz und damit die differenzierte Ansprache von Ausstellern und Besuchern wird in Zukunft zunehmen.« Martin Buhl-Wagner, Leipziger Messe

Insgesamt werden die interaktiven Kommunikationsformen im Netz und damit die differenzierte Ansprache von Ausstellern und Besuchern in Zukunft zunehmen. Weitere digitale Angebote werden hinzukommen wie Apps und Business Matching, was die ‚analogen Messeauftritte‘ unterstützen und erweitern wird“, so Buhl-Wagner.

Hausmesse schlägt Messe

Einen ganz anderen Weg geht dagegen Robert Häußler. Zwar nutzt auch der geschäftsführende Gesellschafter der Manz Backtechnik Messen, um neue Produkte vorzustellen und Kunden zu gewinnen. Doch waren es früher 30 bis 35 Termine, auf denen das mittelständische Unternehmen ausstellte, sind es heute nur noch rund 15 im Jahr – im Wesentlichen die internationalen Leitmessen der Branche. Grund dafür sind ausgerechnet die neuen Medien – und da helfen auch nicht die digitalen Angebote der Messegesellschaften. „Denn“, so Häußler, „wer ein Produkt sucht, der geht nicht auf die Messewebseite, sondern googelt.“ Und nicht zuletzt führen auch die in den vergangenen Jahren deutlich gestiegenen Kosten dazu, die Zahl der jährlichen Ausstellungen auf den Prüfstand zu stellen.

Einen größeren Stellenwert haben dagegen für den Hersteller von Backgeräten seine Hausmessen. Jährlich finden derzeit drei Veranstaltungen in Creglingen statt – mit kontinuierlich steigenden Besucherzahlen. „Die Besucher kommen gezielt wegen unserer Produkte“, hebt Häußler hervor, „und wir können auf 3.000 Quadratmetern die breite Palette unserer Produkte präsentieren – statt uns auf einen Stand von etwa 40 Quadratmetern beschränken zu müssen.“

© Messe Frankfurt, Creditreform-Magazin 01/2015

© Messe Frankfurt, Creditreform-Magazin 01/2015

Ulrike Müßigbrodt von Henkel bereut ihren Einsatz zur Markteinführung des Kühlschmierstoffes jedenfalls nicht. Denn ihre Marketingaktionen erzielten sogar langfristig Wirkung: Noch Jahre später kommen die pinkfarbenen Gummibakterien zum Einsatz und mutierten inzwischen zum Erkennungszeichen der Marke. Die Kampagne, mehrfach international ausgezeichnet und für sämtliche europäischen Länder weiterentwickelt, wird mittlerweile auf allen Kanälen mit viralen Spots und auf einer Microsite gespielt und findet sich in den Marketingmaterialien wieder. „Der Vertrieb hat nun eine Geschichte zu erzählen, was die Verkäufer motiviert, das Produkt verstärkt anzubieten“, so Müßigbrodt.

WANN DIE MESSETEILNAHME LOHNT

Unternehmen, die überlegen, auf Messen auszustellen, sollten sich zuvor grundlegende Fragen stellen. Die wichtigsten sind:

Welches Ziel soll mit einer Messebeteiligung erreicht werden?

Welche Veranstaltungen kommen für die Firma überhaupt infrage?

Wie kann eine Teilnahme realisiert werden, zum Beispiel mit einer eigenen Präsentation oder über die Beteiligung an einem Gemeinschaftsstand mit Betrieben aus der Region beziehungsweise der Branche?

Welche Kosten – sowohl für die Vorbereitung (Messestand, Infomaterial, Ausstellungsstücke etc.) als auch für die Präsenz vor Ort (etwa Personal- und Übernachtungskosten) und für die Nachbereitung (Kontaktaufnahme mit potenziellen Neukunden) – kommen auf das Unternehmen zu?

Aufgrund der hohen Kosten einer Messebeteiligung kommt der Auswahl der richtigen Veranstaltung eine hohe Bedeutung zu. Folgende Aspekte sind zu berücksichtigen:

Wie weit passt das eigene Angebot zum Leitthema der Messe?

Welche Bedeutung wird der Messe in der Branche beigemessen?

Bietet die Veranstaltung einen repräsentativen Querschnitt der Branche?

In welchem Umfang können aktuelle beziehungsweise neue Kunden erreicht werden?

Stimmen Veranstaltungsumfeld und eigene Beteiligungsziele überein?

Existieren Überschneidungen zu anderen Messen?