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Für individualisierbare Massenware wird mehr gezahlt, sie fördert die Marken- und Kundenbindung und bleibt dank günstiger Onlinekonfiguratoren und den Möglichkeiten des 3-D-Drucks auch bei den Herstellungskosten im Rahmen. Die folgenden Anwenderbeispiele zeigen, wie Mass Customization in der Praxis funktioniert.

Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt: Das Motto der Kinderbuchheldin Pippi Langstrumpf fasst treffend zusammen, wie Millionen Verbraucher heute ticken. Sie wünschen sich Produkte, die funktionell und günstig sind – und doch möglichst individuell auf sie zugeschnitten. Ein Widerspruch? Nicht unbedingt: „Gefragt sind Produkte, welche die preislichen Vorzüge von Massenproduktion mit der Möglichkeit von persönlicher Anpassung vereinen“, sagt Prof. Frank Huber von der Uni Mainz, der zu innovativen Produktionsmethoden forscht.

Das beginnt schon mit der eigenen Müslisorte, der individualisierten Tafel Schokolade oder dem komplexen Ersatzteil für den Bastler. Der Fantasie der Kunden – und damit auch der Anbieter – sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Immer mehr Hersteller greifen daher zu „Mass Customization“ – einer Fertigungsmethode, bei der ein Produkt vom Kunden mittels Modulbauweise individualisiert und dennoch zum Preis eines vergleichbaren Standardprodukts angeboten wird. Viele Anbieter aus dem Mittelstand begreifen diese individuelle Massenproduktion als Chance, um sich angesichts von zunehmendem Preisdruck, Marktsättigung und homogenen Produktportfolios von der Konkurrenz abzuheben.

Die Pionierarbeit hierfür kam aus der Modebranche. „Denken Sie nur an Abi-Shirts oder bedruckte Junggesellen-Outfits“, sagt Daniel Wild. Der Internetunternehmer ist Chef der Ecommerce Alliance, einer Finanzierungsgesellschaft, die sich unter anderem an der Shirtinator AG beteiligt. „Menschen wollten sich schon immer durch Mode unterscheiden“, begründet Wild sein Investment. Auch die Großkonzerne haben das längst erkannt: Was bei Shirtinator mit den namensgebenden T-Shirts begann, wird längst auch bei Handtaschen, Jeans und Schuhen nachgefragt. Adidas hat mit „mi adidas“ individuelle Schuhdesigns im Angebot, US-Konkurrent Nike wirbt für das vergleichbare „Nike ID“. Für Daniel Wild als Investor besonders spannend: Die Kunden zahlen für ein individualisiertes Produkt zwischen 20 und 100 Prozent mehr als für ein herkömmliches Kleidungsstück.

Mass Customization schafft Marken

Doch die Chancen von Mass Customization liegen seiner Erfahrung nach nicht nur in besagtem Umsatzplus, sondern auch in besserer Kundenbindung sowie einem „nachhaltigen Branding“, sobald die Individualisierungsmöglichkeiten in Verbindung mit Promotion genutzt werden. So hat Shirtinator kürzlich gemeinsam mit Bitburger eine Kampagne durchgeführt mit dem Ziel, die Bitburger-Marke Stubbi zu stärken und im persönlichen Umfeld der bisherigen Kunden zu platzieren. Hierfür durften Bitburger-Fans nach dem Kauf von drei Kästen ein gebrandetes Stubbi-Shirt mit ihrem Namen individualisieren und bekamen dieses innerhalb weniger Tage zugeschickt. „Mit der Brand-Customization-Aktion konnte Bitburger nicht nur einen signifikanten Absatz-Push im Aktionszeitraum erreichen, sondern auch langfristige Markenbotschafter in einem attraktiven Umfeld gewinnen“, erzählt Manuel Apitzsch von Shirtinator.

Was der Kunde will

Ihm einfach mehr Auswahl anzubieten, ist für sich allein keine Strategie. „Grundsätzlich muss zuerst der Wunsch des Kunden ermittelt werden – Mass Customization heißt nicht Massenauswahl“, stellt Daniel Wild klar. Natürlich führe der beste Weg über einen ständigen Wechsel von Testen und Optimieren. Für Erfolg sorgen seiner Erfahrung nach die Erfüllung der folgenden Kundenbedürfnisse:

• Selbstdarstellung und Selbstinszenierung (etwa über individualisierte Mode)
• Selbsterweiterung (indem das Produkt Teil des eigenen Lebensstils wird wie etwa die eigene Schokoladensorte)
• psychologisches Eigentum (Identifikation mit einem selbsterstellten Produkt wie etwa einer einzigartigen 3-D-Figur)

Der Oberbegriff dafür: „I designed it myself“. Unternehmer Wild: „Wo diese Bedürfnisse angesprochen werden, da floriert die individuelle Massenproduktion.“

Investor Daniel Wild geht sogar so weit, Mass Customization als „Muss für das gesamte produzierende Gewerbe“ zu bezeichnen. Längst sei es kein Randphänomen mehr. Viele Märkte sind mit Massenprodukten gesättigt – und Waren und Incentives damit austauschbar geworden. „Die Kunden werden wählerischer, und wer ihnen keine Wahl lässt, hat es künftig schwer“, ist Wild überzeugt. Prof. Frank Huber begründet es wissenschaftlich: „Die Freude an einem individuellen Produkt und der Spaß, den der Kunde bei der Konfiguration erlebt, sind maßgeblich für den ihm zugemessenen Wert.“

Auch die über die Individualisierung entstehende Funktionalität und die Möglichkeit zur Selbstdarstellung tragen seiner Forschung nach zum wahrgenommenen Wert des Produkts bei. Die erhöhte Zahlungsbereitschaft der Shirtinator-Kunden überrascht Huber ebenfalls nicht: „Wir konnten nachweisen, dass ein hoher wahrgenommener Produktwert zu erhöhter Preisbereitschaft und gesteigerter Kaufabsicht führt.“ Dieses Konsumpotenzial gelte es auch für Mittelständler bei ihrer Kundschaft freizusetzen.

Ein Anbieter, der diesen Rat längst erfolgreich umsetzt, ist die Schmuckmanufaktur Ehinger-Schwarz. Sie bietet unter anderem eine Produktserie nach dem Baukastenprinzip: Kunden kaufen ein Basisringset und können dieses nachträglich mit weiteren Edelsteinen verändern, veredeln und umgestalten. Individualisierung funktioniert also nicht nur bei einem jungen und internetaffinen Publikum, sondern auch bei den zahlungskräftigen Mittvierzigern.

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