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Creditreform

An der Hochschule Furtwangen gibt Jochen Baier, Professor für Logistik und Supply Chain Management, seinen Studierenden das Thema für ihre nächste Projektarbeit: Sie sollen die Vergaberichtlinien für einen Award an Speditionen erarbeiten, die mustergültige Arbeitsverhältnisse mit ihren Berufskraftfahrern pflegen. Als Einstimmung hat er ihnen einen Film über die harten Arbeitsbedingungen von Lastwagenlenkern in manchen Unternehmen gezeigt: unregelmäßige Arbeitszeiten, bis zu 70 Stunden pro Woche, schlechte Entlohnung, chronisch verstopfte Straßen, permanenter Zeitdruck, Probleme bei der gesetzlich vorgeschriebenen Einhaltung von Lenk- und Ruhezeiten aufgrund von Parkplatznot, kaum Zeit für Familie und Freunde. Zu alldem komme die geringe gesellschaftliche Anerkennung. Vorbei die Zeiten, in denen sich die Lenker noch als Straßenkapitäne fühlten. Oder als die Bundeswehr noch etwa 15.000 Kraftfahrer jährlich ausbildete, die nach dem Wehrdienst erst einmal als Brummi-Chauffeure arbeiteten.

Kein Wunder, dass sich die Logistikbranche inzwischen gegen das negative Image des Berufs stemmt und „schwarze Schafe“ unter den Transportfirmen verantwortlich macht. Aber auch die Lkw-Fahrer selbst gehen mancherorts auf die Barrikaden. In Brandenburg haben drei Berufsfahrer ihren Arbeitgeber, eine Spedition, wegen Arbeitsüberlastung verklagt. Das Gericht gab ihnen Recht, zumal es aufgrund der langen Arbeitszeiten eine Gefährdung der allgemeinen Verkehrssicherheit sah. Die richterliche Auffassung bestätigt der TÜV Rheinland, dafür sprächen Ergebnisse aus Feldversuchen. Im Deutschen Bundestag ist eine Petition für einen Mindestlohn für Lkw-Fahrer anhängig – eingereicht von Berufskraftfahrern.

Fachkräftemangel voraus

„Berichte über Arbeitsbedingungen, die nicht überall vorherrschen, schrecken junge Menschen schon von vornherein ab, sich für die Ausbildung als Berufskraftfahrer zu interessieren“, bestätigt Prof. Baier. Und dies sei aufgrund des demografischen Wandels und des Geburtenrückgangs „besonders dramatisch“. In der Tat: Der Sachverständigenorganisation Dekra zufolge werden spätestens 2020 rund 150.000 Lkw-Fahrer bundesweit fehlen, das sind etwa 25 Prozent aller Fahrer. Sie scheiden altersbedingt aus. Auf der anderen Seite steigt der Straßentransport weiter an, weil immer mehr Firmen und Haushalte online einkaufen. Dozent Baier sieht den geplanten Award daher auch als flankierende Maßnahme zu den Bemühungen des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). Die berufsständische Interessenvertretung von rund 10.000 Unternehmen will stärker gegen „schwarze Schafe“ vorgehen und fördert parallel dazu Initiativen für ein besseres Image des Kraftfahrerberufs und für mehr Nachwuchs. „Mit dem Award wollen wir die guten Speditionen und ihre Auftraggeber, die ebenfalls faire Abläufe in der Logistik wollen, dafür eventuell auch höhere Kosten in Kauf nehmen, auszeichnen“, informiert der Hochschullehrer. Die Auszeichnungen dürften für die Firmen imagefördernd sein und zeigen, dass deren Nachhaltigkeitsaktivitäten – etwa vorbildiche Arbeitsbedingungen – sich durchaus lohnen. Noch vor den kommenden Sommersemesterferien soll das Vergabeverfahren stehen.

Krisensicherer Job

Zu den förderungswürdigen Maßnahmen zählt der BGL den Ausbau von Ausbildungsplätzen und Aufklärung darüber, was während der Ausbildung vermittelt wird. Denn nur Führerschein und Fahren reichen längst nicht mehr – auch technische Kenntnisse und Computerwissen stehen auf dem Bildungsplan. Technische Kenntnisse im Umgang mit dem Lkw und der Ladung, die sorgfältig und nach Vorschrift gesichert sein muss. Computerkenntnisse werden unter anderem im Umgang mit elektronischen Frachtpapieren benötigt. Dass die Komplexitität der Lerninhalte unterschätzt wird, zeigt laut BGL die immer noch hohe Abbrecherquote. Als Gegenmaßnahme rät der Verband zu mehr „qualifizierter Betreuung während der Ausbildungszeit“. Ebenso gelte es, die Vor- und Nachteile des Berufs von Anfang an klar zu benennen. Angehende Berufskraftfahrer müssten wissen und akzeptieren, dass sie nicht an allen Freizeitaktivitäten ihrer privaten Freunde teilnehmen können. Bei den Arbeitszeiten ist der Furtwangener Professor überzeugt, dass sie sich in nicht allzu ferner Zeit denen von Piloten annähern könnten: nach jeweils vier bis fünf Tagen Arbeit folgen zwei Tage Ruhe.

Sein Rat an Logistikunternehmen: verstärkt ausbilden, eine eigene Stammmannschaft auf- und ausbauen, nicht nur auf die Anwerbung von fertig ausgebildeten Berufskraftfahrern konzentrieren. Ein zugkräftiges Argument sei zudem, dass der Beruf krisensicher ist und eine wichtige Bedeutung für ein funktionierendes logistisches System hat. Über Ausbildungsangebote könnten auch Schulklassen, Messebesucher und eventuelle Quereinsteiger, die neu durchstarten wollen, besser angesprochen werden. Zudem böten sie hervorragende Chancen, sich allgemein als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren. Der Dekra empfiehlt Logistikunternehmen, die Ausbildung zum Berufskraftfahrer nicht als notwendiges Übel anzusehen, sondern zur Chefsache zu machen. Dies würden Auszubildende als eine hohe Wertschätzung erleben. Laut BGL könnte innerhalb einer ganzen Region durch einen Zusammenschluss von mehreren Betrieben zu einer Ausbildungsgemeinschaft für das Transportgewerbe das Berufsinteresse gehoben werden. Solch eine Allianz gibt es beispielsweise in Ostwestfalen, sechs Speditionsunternehmen aus Minden und Porta Westfalica üben dort den Schulterschluss. Weitere Tipps vom BGL oder der Dekra lauten: gezielte Einladungen zur kostenlosen Teilnahme an Fahrtrainings, wie sie unter anderem der ADAC veranstaltet. Anbieten von Schnuppertagen und Praktika. Das Nordthüringer Netzwerk für Transport, Verkehr und Logistik führte zwei Berufsaktionstage durch, unter der Schirmherrschaft des Thüringer Verkehrsministers Christian Carius. Andere Firmenvereinigungen setzen zusätzlich auf Kampagnen. In Niedersachsen zum Beispiel läuft die Nachwuchskampagne „Mit Bock aufn Bock“.

Arbeitgeber sollten alle Kosten für Führerschein und weitere Qualifizierungen übernehmen, denn die Ausgaben für Bildungsmaßnahmen steigen: Von 2014 an ist für Berufskraftfahrer der Nachweis von Weiterbildungen erforderlich. Von befristeten Arbeitsverträgen wird abgeraten. Empfehlenswert seien ebenso Online-Suchanzeigen: auf der eigenen Website, auf den Seiten von Jobvermittlungsagenturen, wie „lkw-fahrer-gesucht.com – Der Kraftfahrer-Stellenmarkt“, oder als Google-Anzeige. Letzteres macht zum Beispiel der Lebensmittelkonzern Edeka. Zudem wären Aktivitäten in der Web-Welt hilfreich, beispielsweise die Teilnahme an Blogs wie „Hallo Zukunft – Deine Zukunft in der Logistik“. Auch Videobotschaften, auf der eigenen Website, auf einem Branchenportal oder auf You Tube platziert, seien ein gutes Mittel bei der Personalsuche zur Besetzung von Ausbildungsplätzen oder offenen Stellen. Im Video könnte der Chef dann unter anderem über seine modernen, leistungsstarken Fahrzeuge, über die komfortablen Fahrerkabinen und über die Ausbildungschancen von Frauen sprechen. Schließlich sind bislang nur vier Prozent der Berufskraftfahrer weiblich.

Gerd Zimmermann