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Creditreform

Abfalleimer, Gießkannen, Trichter – seit vier Generationen produzieren die Metallwerke Renner in Ahlen Gebrauchs­gegenstände für Betriebe und Haushalte. Eine breite Produktpalette soll vor Krisen schützen. Jürgen Henke führt das vielfach ausgezeichnete Unternehmen mit großem sozialen Einsatz. 

Es ist ein starker Auftritt im Berliner Regierungsviertel. Im Großen Kabinettsaal des Kanzleramts soll Jürgen Henke die Bundeskanzlerin interviewen. Der geschäftsführende Gesellschafter der Metallwerke Renner aus Ahlen macht sich bereit für sein exklusives Gespräch mit Angela Merkel. Anlass ist der siebte Integrationsgipfel Ende 2014, die Fragen hatte Henke vorab eingereicht. Keine Schminke, kein Puder – ganz natürlich soll der Manager aus dem Mittelstand für ein Video-Format der Regierungschefin gegenübertreten. Nun heißt es warten, die Nervosität steigt. „Ich habe mich schon gefragt, ob es Make-up gibt. Aber es hat wohl auch so gereicht“, sagt er. 20 Minuten verspätet sich Merkel wegen dringender Regierungsgeschäfte. „Das kam mir vor wie eine Ewigkeit“, erinnert sich Henke. „Wirklich nervenaufreibend.“

Ein kurzer Plausch, als die Kanzlerin erscheint, dann darf Henke loslegen. Vor dem Gemälde „Sonntag der Bergbauern“ des Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner stellt er seine Fragen: Was raten Sie Bewerbern mit Migrationshintergrund, die Diskriminierung erleben? Wie können Firmen darauf reagieren, dass Fähigkeiten von Schülern und Anforderungen des Berufs immer weiter auseinanderklaffen? Gewohnt souverän antwortet Merkel. Sie verweist auf Regierungsprogramme, ihre Rolle als Schirmherrin der Charta der Vielfalt. „Unser Ziel muss sein, jeden jungen Menschen so fit zu machen, dass er für eine Berufsausbildung geeignet ist“, sagt die Kanzlerin. Man müsse „Übergänge managen“.

Die Lokalpresse berichtet ausführlich über Henkes Vieraugengespräch, noch heute wird er darauf angesprochen. „Es bleibt im Hinterkopf“, sagt er. Auf ihn aufmerksam geworden war das Presseamt der Regierung auch wegen seines ausgeprägten sozialen Engagements. Im Jahr 2008 startete Henke Lernpartnerschaften mit Hauptschulen vor Ort – im Jahr darauf zeichnete die Landesregierung NRW sein Unternehmen aus. Seitdem sammeln die Metallwerke Auszeichnungen. Im vergangenen Herbst erhielten sie den renommierten „Großen Preis des Mittelstands“ – für Henke selbst etwas überraschend: „Bei den Finalisten waren so viele größere und bekanntere Unternehmen dabei.“ Doch jetzt steht die Trophäe auf seinem Schreibtisch und er ist durchaus stolz darauf.

Erfolg mit Nostalgie

68 Mitarbeiter, 5,7 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2017 – das sind die Eckdaten der Metallwerke Renner. Gegenüber 2014 wuchs das Geschäft um gut 50 Prozent. In vierter Generation führt Henke den 1923 gegründeten Familienbetrieb, bald 100 Jahre wird am selben Ort gefertigt. „Wir sind Relikte der hiesigen Metall- und Emailindustrie“, sagt er. Von einst zahlreichen Unternehmen der Branche am Standort seien nur wenige übrig geblieben – darunter der Wannenspezialist Kaldewei sowie der Automobilzulieferer und Heizungshersteller Winkelmann. Deren hoher Innovationskraft zollt Henke offen Respekt. Sein Erfolgsrezept aber sieht anders aus. „Wir sind Meister der Nischen“, sagt der 56-Jährige.

» Wir sind Meister der Nischen. Viele Produkte sind über Jahrzehnte bewährt und unverändert im Programm. «
Jürgen Henke, Metallwerke Renner

Viele der Produkte sind über Jahrzehnte bewährt und unverändert im Programm. Sie stammen aus der Zeit, bevor der Siegeszug der Kunststoffe das Design von Alltagsgegenständen veränderte. Eimer, Wannen oder Mülltonnen werden in Ahlen noch aus Stahlblechen gefertigt, die verzinkte Oberfläche glänzt. „Die Gießkanne neu erfinden, das geht nicht“, sagt Henke. Es ist auch Koketterie dabei. Denn das Werkstück aus dem Hause Renner mit gut sichtbarer Schweißnaht wendet sich ganz offensichtlich an Nostalgiker, die ihre Geranien eben nicht mit der Plastikkanne wässern wollen. Im firmeneigenen Onlineshop werden sie als „unverwüstlich, zeitlos und robust“ angepriesen. Parallel dazu liefern die Metallwerke an Betriebseinrichter und Einkaufsverbände. In seinem Büro nimmt Henke die Kataloge zweier Anbieter und blättert, bis er zu Stahlblechtonnen und Standaschenbechern in verschiedenen Formen gelangt. Dann tippt er auf die Produkte: „Das ist von uns. Das hier auch.“ Teils sichern über Jahrzehnte bewährte Partnerschaften den Umsatz.

So liefert Renner einem Straßenbauunternehmen ex­klusiv die Gießkannen, um Bitumen an den Randbereichen aufzutragen – dort, wo die mächtigen Maschinen nicht hinkommen. Eine Vielzahl von Kannen, Trichtern und Tonnen findet sich im eigenen Katalog für Industrieprodukte. Hinzu kommen diverse Mülleimer-Varianten für Innenstädte und sogenannte Hundetoiletten für öffentliche Parks: Beutelspender sind mit Sammelbehältern kombiniert. Mehrere Industriepreise haben die Metallwerke für ihre Designs erhalten. Auch europaweit wird das Sortiment über eigene Stützpunkthändler verkauft.

Transportkörbe und Mexikanerhut

Für den zuletzt größten Schub sorgte die Verzinkerei. Ein Raum mit Neonlicht und Wänden, auf denen sich eine zentimeterdicke graue Schicht abgelagert hat. In der Mitte stehen aus Ziegelsteinen gemauerte Becken. Mithilfe schwerer Zangen tauchen die Arbeiter die Bleche zur Veredelung ein. Ein Industriekunde lässt hier Transportkörbe für seine Produkte verzinken. Jüngst wurde die Arbeit von einer auf drei Schichten ausgeweitet – gut 20 neue Mitarbeiter hat Henke dafür eingestellt, darunter auch zwei Flüchtlinge.

Auch stählerne Tränken für Geflügelzüchter, intern Mexikanerhut genannt, gibt es beim Ahlener Betrieb. Rustikal wirken die Produktionshallen mit ihren teils hölzernen Decken, den Metallschränken und Maschinen. Körbeweise stapeln sich Werkstücke vor der Bearbeitung. Erst seit fünf Jahren sind hier Computer im Einsatz und ersetzen die vormals papierbasierte Produktionssteuerung. Die Vielzahl von Produkten schafft Stabilität, wenn es in einem Bereich mal nicht so gut läuft und der Rest die sinkende Nachfrage auffangen kann. „Ein Berater würde vielleicht sagen: Das raus, das raus, das raus“, sagt Henke. „Aber ich halte an vielem fest, auch aus nostalgischer Verbundenheit. Ein Artikel kommt nicht gleich weg, wenn die Stückzahlen mal nachlassen.“ Eine komfortable Position: „Selbst wenn ein Geschäft abstirbt, fürchten wir nicht gleich, dass das Unternehmen gefährdet ist.“

Eine echte Krise aber mussten die Metallwerke kurz vor der Jahrtausendwende meistern. Seit 1990 ist Jürgen Henke im Betrieb. Er wollte nach dem Abschluss seines Produktionstechnik-Studiums in Iserlohn nicht direkt in den elterlichen Betrieb einsteigen und arbeitete bewusst in zwei fremden, renommierten Unternehmen, bevor er an der Seite seines Vaters Werner die Metallwerke Renner leitete. Die beiden teilten sich ein Büro, arbeiteten Schreibtisch an Schreibtisch. „Das hat super funktioniert“, erinnert sich Jürgen Henke. Doch die 1989 vom Herforder Unternehmen Sulo übernommene Tiefbausparte, die Kanalartikel fertigte, brachte die Metallwerke ins Schlingern. „Osteuropäische Konkurrenten haben uns das Leben schwer gemacht. Die Preise gingen in den Keller.“ Im Zuge der Sanierung überließ der Vater seinem Sohn die Geschäftsführung und ging in den Ruhestand. Unterstützt von Beratern, brachte Jürgen Henke den Betrieb wieder auf Kurs. Der Einkauf wurde gestrafft, die Konzentration auf Entsorgungsprodukte beschlossen. „Wir wollten hier einer der Top-3-Anbieter in Deutschland sein.“ Heute sei man sogar auf einem der ersten beiden Plätze angekommen.

Chef mit Bodenhaftung

Auch wenn das Kaufmännische die Domäne von Jürgen Henke ist – er ist alles andere als ein klassischer Büromensch. Vielseitigkeit ist ihm wichtig. Passioniert spielt er Volleyball, in der Halle und im Sand. Zuletzt war er mit seinem Spielpartner Siebter bei den Deutschen Meisterschaften in der Altersklasse Ü53. Bestens vernetzt ist er als Vorsitzender des Ahlener Industrie- und Wirtschaftsclubs. Schon seit 18 Jahren hat Henke das Amt inne. Sogar für ehrenamtliche Arbeit als Richter am Sozialgericht nimmt er sich Zeit. Täglich ist er in der Produktion unterwegs. „Ich will präsent sein“, sagt er. Die Nähe zu den Leuten sei wichtig. Leitende Funktionen besetzt er überwiegend mit Eigengewächsen aus der Belegschaft. Grundsätzlich sei der Einstieg leichter als etwa im Anlagenbau: „Die Leute hier müssen keine komplexen CNC-­Maschinen bedienen“. Auch Angelernte sind gefragt, weil der Handarbeitsanteil vergleichsweise hoch ist. Wer dazu bereit sei, könne sich gut entwickeln „Man kann hier alles erreichen“, sagt Henke.

» Ein Berater würde vielleicht sagen: Das raus, das raus, das raus. Aber ich halte an vielem fest, auch aus nostalgischer Verbundenheit. «
Jürgen Henke, Metallwerke Renner

Einen schweren Schicksalsschlag musste Henke Mitte 2016 verkraften. Sein Bruder Matthias, der den Vertrieb leitete, verstarb völlig überraschend an einem Herzinfarkt während der Arbeit. Der Rettungsarzt konnte nicht mehr helfen. „Es herrschte Schockstarre im Betrieb“, erinnert sich Jürgen Henke an die folgenden Wochen. Für Anteilnahme und das Zusammenstehen in der schweren Zeit habe er sich bei den Beschäftigten bedankt. Seinem Bruder widmete er den großen Preis des Mittelstands – und schrieb ein Gedicht über seinen Tod: „Warum?“ lautet der Titel.

Gedichte schreibt Jürgen Henke, seit er 14 Jahre alt ist. Regelmäßig veröffentlicht er sie in Anthologien. Eine davon schenkte er auch Angela Merkel nach dem Interview in Berlin. Das Video von 2014, sechs Minuten und 31 Sekunden lang, ist noch bei Youtube zu sehen. Tatsächlich sprachen die beiden länger. Aber die Passage über das sogenannte Telgter Modell, das junge Menschen mit Förder- oder Integrationsbedarf beim Berufseinstieg unterstützt, wurde herausgeschnitten. „Das ist schade, weil es gerade persönlich wurde“, sagt Henke. „Aber es sollte wohl rein faktisch bleiben.“
95 Jahre Blechbearbeitung
Erfolgreicher Mittelstand in vierter Generation

1923 Josef Renner gründet in Ahlen die Westfälischen Metallwerke für verzinkte Haushaltswaren.
1935 Umfirmierung in Metallwerke Renner & Co.
1945 Fertigung unter anderem von Ofenrohren, Kohlenfüllern und Mörteleimern.
1950 Verzinkte System-Mülleimer kommen ins Programm.
1965 Mit den neuen Gesellschafterinnen Eva Kammerzell und Gertrud Henke tritt die zweite Generation in das Unternehmen ein.
1973 Werner Henke übernimmt die Anteile von seiner Mutter Gertrud und führt nun die Metallwerke.
1974 Vertrieb von Futterautomaten sowie Stalleinrichtungen für Schweine.
1989 Kauf der Tiefbausparte von Sulo – Produktion von verzinkten Kanalartikeln.
1990 Mit Jürgen Henke tritt die vierte Generation in die Betriebsleitung ein.
1994 Gründung der Handelsgesellschaft für Tiefbauprodukte (HfT).
2000 Der geschäftsführende Gesellschafter Werner Henke geht in den
Ruhestand – Jürgen Henke übernimmt die Firmenleitung mit Andreas Schulze Beerhorst.
2003 Übernahme der E. Kinzel KG – Öl- und Schmiergeräte kommen ins Sortiment.
2008 Lernpartnerschaft mit drei Ahlener Hauptschulen.
2009 Auszeichnung mit dem Interkulturellen Wirtschaftspreis.
2012 Jürgen Henke wird alleiniger geschäftsführender Gesellschafter.
2015 Erster Industriepreis für einen neuen Abfallbehälter. Weitere Auszeichnungen folgen.
2016 Die Feuerverzinkerei fährt in drei Schichten.
2017 Der Privatkundenshop www.renner-shop.eu geht online.
2017 Gewinner beim Großen Preis des Mittelstandes 2017.