Wie geht Erfolg? Wenn es nach dem Sensorikhersteller ifm electronic geht, mit viel Unkonventionalität, mehr als einem Ohr an der Kundschaft – und einem Schuss Chaos.
ifm wer? Wer nicht Maschinenbauingenieur ist, dürfte den Essener Mittelstandskonzern mit den drei Buchstaben kaum kennen – profitiert aber trotzdem täglich von seinen Produkten. Beispiel Einkaufszentrum: Optische Sensoren von ifm sorgen dafür, dass die Parkplatzschranke nicht das Autodach ruiniert. Seine Sicherheitslichtschranken garantieren, dass niemand in den automatischen Eingangs- oder Aufzugtüren eingeklemmt wird. Und seine Drucksensoren machen die Liftfahrt erst sicher.
Vor allem aber wären die Läden ohne ifm gähnend leer: Ohne Sensoren, Steuerungen und Systeme für die industrielle Automatisierung ist die moderne Massenproduktion nicht vorstellbar. ifm entwickelt und liefert sie. Mehr als 9.000 Produkte listet das Portfolio auf: Positions- und Prozesssensoren, Sensoren für Bewegungskontrolle und Sicherheitstechnik, für die industrielle Bildverarbeitung und Kommunikation sowie für Identifikationssysteme und die Steuerung mobiler Arbeitsmaschinen.
Klingt abstrakt. Ist es aber nicht. Siehe Einkaufszentrum. Oder Windräder: ifm-Vibrationsmesser sorgen dafür, dass sie bei Sturm nicht aus dem Wind gedreht werden müssen, dass sie nicht schwanken oder gar umkippen. Oder in der Landwirtschaft: 3-D-Kamerasysteme von ifm helfen nicht nur den Fahrern von Mähdreschern, dank Schnittkantenerkennung die optimale Spur zu finden und somit enorm Zeit zu sparen – sie sorgen sogar für eine absolut unbedenkliche Milchqualität: Das Kamerasystem identifiziert, welche Kuh in den Melkstand kommt, zeigt dem Melkroboter die exakte Position ihrer Euterzitzen und scannt ihr Hinterteil auf verdächtige Dellen. Denn: Ist die Kuh gesund, ist ihr Rücken rund. Ist er es nicht, wird zwar noch gemolken, die Milch aber automatisch ausgeschleust und sofort der Bauer informiert.
Von der Automobilbranche bis zur Landwirtschaft
Hightech, versteckt im Kuhstall. Das passt zu einem echten Hidden Champion. ifm zählt weltweit zu den Top 5 der Sensorikhersteller. Skurril findet es selbst der geschäftsführende Vorsitzende Michael Marhofer trotzdem, ausgerechnet auf Äckern und in Kuhställen unverzichtbar geworden zu sein: „Dass die Landwirtschaft der größte Abnehmer unseres Kamerasystems wurde, verblüfft selbst uns.“ Zumal es eigentlich für die Automobilindustrie entwickelt wurde: Als Fahrerassistenzsystem, das Fußgänger auf der Straße erkennt und den Wagen selbstständig und sicher abbremst. „Tja, statt dem Autofahrer hilft es jetzt eben dem Bauern“, sagt Marhofer. „So seltsam sich das anhört: Ohne es zu wollen, haben wir einen ganz neuen Markt geschaffen.“
Kann schon mal passieren. Jedenfalls dann, wenn man wie ifm Innovation nicht nur in der eigenen Imagebroschüre großschreibt. Statt der industrieüblichen sieben oder acht Prozent, arbeiten 13 Prozent der Mitarbeiter in der Entwicklung. Gute Ideen werden zudem durch den betriebseigenen Venture-Fonds gefördert. „Wir üben keinen Druck aus. Neue Wege brauchen Zeit. Deshalb muss man Querdenken zulassen“, sagt Marhofer. Vor allem aber habe ifm umgedacht: „Wir sind dabei, alle internen Prozesse in der Entwicklung dramatisch zurückzuschneiden“, sagt der ifm-Chef und erläutert: „Keine Frage, in der Produktion sind Prozesse das A und O. Aber in der Entwicklung töten sie jegliche Kreativität.“ Wenn die Leute nur noch an irgendwelche Häkchen in ihren Ablaufdiagrammen denken, geht jede Begeisterung verloren. Dann geht es nur noch nach Schema F. Stattdessen gilt bei ifm das Motto: Mach – und komm wieder, wenn du was hast.
„Andere sagen, sie wollen gute Ideen organisieren – was für ein Schwachsinn!“, erregt sich Marhofer. „Gute Ideen kommen einfach. Wer sie per Prozess organisieren will, bekommt bestenfalls Mittelmaß. Man muss ausprobieren und Fehler machen dürfen. Und es beim nächsten Mal anders machen.“ Natürlich achte auch ifm auf die Entwicklungskosten. „Aber zunächst geben wir Zeit. Entscheidend ist, wie viel Umsatz wir mit einem neuen Produkt pro Entwickler machen. Das messen wir sehr genau. Nicht aber die Zeit, die er dafür braucht.“
Maximale Freiheit? Das riecht nach Chaos. „Na und?“, zuckt Marhofer mit den Schultern. „Ein bisschen Chaos muss man eben zulassen.“ Das funktioniert offensichtlich: ifm hat mehr als 600 Patente hervorgebracht und allein im vergangenen Jahr 70 neue angemeldet. „Wir sind als relativ kleines Unternehmen unter den Top 50 der deutschen Patentanmelder“, ist er stolz.
Und das wird gewürdigt: ifm ist nicht nur das einzige Unternehmen, das bereits zweimal für den renommierten Hermes-Award nominiert war und den weltweit höchstdotierten Technologie-Innovations-Preis 2005 auch gewann. Jüngst adelte das Beratungsunternehmen EY Michael Marhofer auch zum Entrepreneur des Jahres 2013. Die Innovationskraft von ifm hat die Jury des Preises, der in über 50 Ländern verliehen wird, zwar am stärksten beeindruckt. Aber nicht nur. „Uns hat imponiert, wie Herr Marhofer bei ifm seine Geschäftsstrategie umsetzt. Dass er sich als Eigentümer zurücknimmt und stattdessen die Teams und deren Kreativität und Know-how in den Fokus stellt. Bei ifm zählt keine Hierarchie, sondern allein Kompetenz“, begründet Peter Englisch, Partner von EY und verantwortlicher Leiter des Wettbewerbs in Deutschland, die Auszeichnung. Und, ach ja: „Die Zahlen sprechen natürlich auch für sich.“
Das tun sie. Als Marhofer und sein Co-Geschäftsführungsvorsitzender Martin Buck 2001 die Nachfolge ihrer Väter antraten, machte ifm 250 Millionen Euro Jahresumsatz. Heute sind es 630 Millionen Euro. Abgesehen vom Krisenjahr 2009 wächst ifm jedes Jahr fast immer zweistellig. Und immer aus eigener Kraft, ohne Fremdkapital oder große Übernahmen. „Wir haben bewiesen, dass wir es können, auch wenn wir nicht die Buchlehre verfolgen“, sagt Marhofer.
Tatsächlich geht ifm unkonventionelle Wege. Nicht nur in der Entwicklung. Ein weiteres Beispiel ist die Kundennähe: Ein Viertel der gut 5.000 Mitarbeiter arbeitet im direkten Kundenkontakt. Zehn Prozent gelten sonst schon als überdurchschnittlich. Das ist nicht nur der außerordentlich breiten Kundschaft geschuldet. ifm verzichtet konsequent auf Zwischenhändler, auch in Ländern wie den USA oder Russland, in denen Repräsentanten und Distributoren die Regel sind. „Unser Slogan lautet nicht zufällig ‚Close to you'“, sagt Marhofer. „Das meinen wir auch so.“
Und dann ist da noch die Qualität. „Wir liefern nicht nur Qualität, wir liefern Perfektion“, betont Marhofer ganz unbescheiden und handelt: Ab April 2014 wird ifm auf das gesamte Produktportfolio fünf Jahre Gewährleistung geben. Ein im Markt bisher einmaliges Versprechen. „Das macht sonst kein Mensch für ein Teil, das mitten in der Suppe steckt“, sagt Marhofer. Tatsächlich sind ifm-Produkte oft erheblichem Stress ausgesetzt: Sie arbeiten in ungemütlichsten Umgebungen, müssen bei minus 40 oder plus 120 Grad und täglich 16 oder gar 24 Stunden verlässlich funktionieren. Trotzdem liegen die Rücklaufquoten im 0,001-Prozentbereich. Als Beleg für die Hausqualität – pardon: für die Hausperfektion – zitiert Marhofer einen Kunden. Der setzt ifm-Drucksensoren, die für 100 bar ausgelegt sind, in einem Wasserhydraulikaggregat ein – in dem sie jedoch bei jedem Ventilschlag bis zu 1.000 bar aushalten müssen. „Der Mann war hellauf begeistert: Ihre Sensoren, sagte er mir, tauschen wir erst nach sieben Monaten aus – die der Konkurrenz schon nach ein bis zwei Wochen.“
Moralischer Ansatz statt Umsatzstreben
Mit Abstand am unkonventionellsten ist aber ein anderer Schritt: ifm verzichtet freiwillig auf Millionen Euro Umsatz. Die Essener liefern aus Prinzip nicht an die Waffenindustrie. Warum? Ganz einfach: „Ich persönlich möchte nicht auf eine Mine laufen“, begründet Marhofer. „Also trage ich auch nicht dazu bei, dass dies anderen passiert.
Punkt.“ In der Unternehmensphilosophie steht explizit, dass ifm ein „moralisches Unternehmen“ ist. Bei Mischunternehmen, die für zivile und militärische Hersteller arbeiten, lässt sich die Firma schriftlich garantieren, dass ihre Produkte ausschließlich in den zivilen Bereich gehen. Und kontrolliert das auch. „Jeder kann sich darauf verlassen: Auch wenn er nur versehentlich an Waffenproduzenten liefert, kündigen wir die Geschäftsbeziehung fristlos“, so Marhofer. Dass lukrative Geschäfte platzen, weil ein potenzieller Partner diese Garantie gar nicht geben kann, nimmt er in Kauf. „Das ist einer der Vorteile des Unternehmerseins: Entscheidungsfreiheiten zu haben – auch die Freiheit, um seiner Überzeugung willen auf Umsatz zu verzichten.“
Erfolg kann ganz einfach sein, ist sich Michael Marhofer sicher. „Hören Sie den Kunden zu“, rät er. „Hören Sie ihnen wirklich zu!“ Häufig begleitet er seine Außenmitarbeiter und stellt immer wieder fest: Sie wollen dem Kunden neue Produkte zeigen, auf die ifm selbst stolz ist. Der Kunde staunt auch meistens – braucht aber etwas ganz anderes. Kurzum: Ein netter Besuch, aber eine vertane Chance. „Wer sich von seiner eigenen Begeisterung löst und einfach nur zuhört, ist erfolgreicher“, lautet Marhofers Credo.
ifm steht für eine Erfolgsstory par excellence. Das Kürzel steht eigentlich für „Ingenieurbüro für Messtechnik“: Die Existenzgründung von Gerd Marhofer und Robert Buck aus dem Jahr 1969 entwickelte sich in nur vier Jahrzehnten zum Global Player mit jährlich zweistelligen Wachstumsraten. Seit 2001 leiten die Gründersöhne Michael Marhofer und Martin Buck das Unternehmen in zweiter Generation.
Inzwischen ist die ifm electronic GmbH weltweit einer der Branchenführer für Automatisierungstechnik. Das Familienunternehmen mit Hauptsitz in Essen beschäftigt rund 5.000 Mitarbeiter, ist in mehr als 70 Ländern aktiv und liefert aktuell an 115.000 Industriekunden. ifm versteht sich als Inbegriff von Qualität „Made in Germany“: Fast 90 Prozent des Portfolios werden an fünf Standorten am Bodensee entwickelt und produziert.