Karl Peter Born setzt als Chef des Schneidwarenherstellers Güde am Traditionsstandort Solingen ganz auf Handwerkskunst. Mit vielen technischen Innovationen und einem geschickten Marketing für seine Messer hat er den 25-Mitarbeiter-Betrieb aus der Nische heraus zum Global Player gemacht.
Sein Prunkstück hat Karl Peter Born selbst in der Küche. Ein Brotmesser, fast einen halben Meter lang, mit einer gemaserten Klinge aus Damaststahl und einem Griff aus bis zu 1.500 Jahre altem Wüsteneisenholz aus dem US-Bundesstaat Arizona. Zwei Tage dauert es allein, die 300 Lagen des Stahls zu schmieden. Viel Aufwand für ein Messer – und das hat seinen Preis. 4.600 Euro kostet das nach Borns Großvater Franz Güde benannte Schneidwerkzeug. Der hat vor fast 80 Jahren den speziellen Güde-Wellenschliff mit spitzen Zähnen erfunden. Gerne führt Born vor, wie die Damastklinge damit eine formvollendete Scheibe produziert: dünn, mit gleichmäßiger Stärke und vor allem ohne Löcher. „Brot muss man sägen, nicht quetschen“, rezitiert er einen Spruch seines Opas.
Gleich um die Ecke von der Küche hat Born sein Büro, aus dem er sein Unternehmen lenkt: die Solinger Messermanufaktur Franz Güde GmbH. Nicht mal einen Kilometer entfernt ist der Sitz des globalen Schneidwarengiganten Zwilling J.A. Henckels, als dessen Gegenentwurf Born sich positioniert. Bei Güde wird allein vor Ort noch Handarbeit geleistet. Messer 1.0 eben. Gerade mal gut 20 Beschäftigte schleifen, schärfen, polieren und verpacken die Ware in denselben Werkstätten, die Franz Güde bereits im Jahr 1933 bezogen hat – Tür an Tür mit der Villa des Firmenchefs. Dort sind auch der Empfang und ein Showroom untergebracht, die Flurwände schmücken Fotos der Belegschaft verschiedener Generationen. Freizeit und Arbeit verschmelzen: ein echter Familienbetrieb, der sich im umkämpften Messergeschäft mit hochwertiger Ware behauptet. Karl Peter Born hat daraus den Firmenslogan gemacht: „Kompromisslose Qualität“.
“Brot muss man sägen, nicht quetschen.“
Franz Güde, Erfinder des Güde-Wellenschliffs für Brotmesser
Die Fahrt zu Güde offenbart den Strukturwandel, der die Klingenstadt im Bergischen Land längst erfasst hat. Regelmäßig finden sich kleine Betriebe am Straßenrand, Firmenschilder weisen sie als Schmieden oder Schleifereien aus. Doch oft sind sie stillgelegt. 9.000 Schneidwarenhersteller gab es in Solingen vor gut 100 Jahren, als Borns Urgroßvater Karl Güde den Betrieb gründete. Heute ist nur noch ein Bruchteil davon aktiv. Besonders in den 1980er Jahren, als Born in vierter Generation an die Spitze des Unternehmens rückte, habe es eine Reihe von Konkurrenten erwischt. „Zu Anfang ist jedes Jahr einer hopsgegangen“, sagt Born. „Es sind auch Firmen vom Markt verschwunden, bei denen es mich sehr überrascht hat.“
Handarbeit als Alleinstellungsmerkmal
Eine Antwort der Hersteller: Automatisierung. Auch bei Wüsthof, einem weiteren großen Namen der Solinger Messerindustrie, haben Roboter inzwischen an vielen Stellen die Arbeit übernommen. Born beweist, dass ein wirtschaftliches Überleben auch mit traditioneller Fertigung und ohne Verlagerung in Billiglohnländer gelingen kann. Zwar hilft inzwischen Computertechnik dabei, die Maschinen einzustellen, in denen die Messer mikromillimetergenau blankgeschliffen werden – Pliesten heißt das im Fachjargon. Doch immer steht ein Arbeiter an der Anlage, der sie mit den Rohlingen bestückt und das Ergebnis penibel kontrolliert. Ein Plädoyer für die Vielfalt: „Wer mit Robotern arbeitet, braucht sehr, sehr gleiche Teile“, sagt Born. Eine Einschränkung, die er seinem Betrieb nicht auferlegen will.
Messer aus einem durchgehenden Stück Metall zu fertigen, das ist der Anspruch der ambitionierten Hersteller. Güde hat stets an diesem Verfahren festgehalten. Nur so hat das Produkt die nötige Balance, die Köche schätzen. Faustgroße Spaltstücke des Stahls werden dazu bis zum Glühen erhitzt und dann von einem tonnenschweren Metallblock mit Urgewalt in Form gebracht. Gesenk heißt die Form, die die Umrisse des Messers vorzeichnet. Diesen Prozess hat Güde ausgelagert. Schwarzgraue Rohlinge kommen in verbeulten Metallkisten zur Veredelung. Zweimal werden sie auf bis 1.050 Grad erhitzt, damit das Material die gewünschte Form und Härte erhält, einmal im Ölbad gekühlt. Schwarze Schlieren und Schmutzbröckchen kleben an den Maschinen. „Messerherstellung ist eine richtige Schweinerei“, sagt Born.
Gegen den Strom
Bis zu 50 Arbeitsschritte sind nötig auf dem Weg zum verpackten Messer. Wenn die Maschinen den ersten Schliff erledigt und die Löcher für die Griffe in das Metall gestanzt haben, folgt reine Handarbeit – bis hin zum abschließenden Schärfen, dem Abziehen. Genau prüft eine Mitarbeiterin die in Säcken gelieferten Holzstücke für die Griffe, bis sie ein Paar mit möglichst gleicher Maserung gefunden hat. Birne, Eiche, Olive – eine Vielzahl von Hölzern kommt zum Einsatz. Selbst ausgemusterte Stützpfosten aus den Kanälen Venedigs verarbeitet Güde zu einer Spezialedition. Eine Steilvorlage für die Werbung, die Karl Peter Born persönlich steuert. „Wir suchen gerade da unsere Chance, wo die Großen kein Interesse haben.“
Den Aufbau eines professionellen Marketings sieht Born als einen seiner wichtigsten Beiträge nach dem Einstieg ins Unternehmen seines Onkels Franz D. Güde, der keine Kinder hatte. Er heuerte einen Marketingberater aus Düsseldorf an. „Der war teuer, aber sehr gut“, sagt Born. Gemeinsam definierte man die Werte von Güde. Hohe Qualität, Tradition, Familienunternehmen, Innovation, nennt er als Schlagworte. Abgeleitet davon entstand ein einheitliches Corporate Design. „Die Messer“ steht nun selbstbewusst als Zusatz unter dem Firmennamen. Offensiv tauft Born seine Modelle: „The Knife“ und „Shark“ heißen zwei Serien mit ausladender Klinge. Doch die starken Namen sind unterfüttert mit Innovation. Beim „The Knife“ etwa zwingt der kurze Griff Benutzer, das Messer wie ein Profikoch zu greifen: Daumen und Zeigefinger liegen auf der Klinge. Das Schneiden fällt tatsächlich leichter.
27 Jahre alt war Born, als er nach Solingen kam. Er wuchs auf in Kaiserslautern, wo der Vater einen Installationsbetrieb führte. „Ich habe schon immer eine Affinität zu Technik und Schrauben gehabt.“ Nach der Schule zog Born für ein Jahr nach San Francisco, der Hauptstadt der Hippie-Bewegung. Doch er suchte sich einen regelmäßigen Job als Installateur. „Ich habe richtig viel Geld verdient“, erinnert er sich. Zurück in Deutschland studierte Born Maschinenbau in Berlin. Doch noch bevor er sich eine Stelle suchen konnte, warb ihn der Onkel an. Sie vereinbarten ein Probejahr – Born wollte sicher sein, dass die Messerfertigung zu ihm passt. Und eine weitere Bedingung stellte er: Der Onkel musste weitermachen, bis der Neffe seine Doktorarbeit fertig hatte. „Drei, vier Jahre hieß es: vormittags Messer in Solingen und nachmittags Promotion in Wuppertal.“
Kleiner Global Player
Die große aktuelle Herausforderung ist der Export. 200 Messervarianten hat Güde im Angebot – im mittel- und hochpreisigen Segment. Mit dem kleinen Universalmesser für 20 Euro geht es los, dann aber geht es rasch in Richtung 100-Euro-Marke. Island, Israel und die Schweiz zählen zu den Märkten, in denen Güde Vertriebspartner hat. „Wohlhabende Länder“ nennt Born als wichtiges Ziel. Doch auch in die aufstrebende Volkswirtschaft China liefert er. Mit dem „Chai Dao“ ist ein chinesisches Kochmesser im Programm. Mit seiner Exportquote von 35 Prozent am Umsatz von 2,3 Millionen Euro ist Born allerdings noch nicht zufrieden. „Das ist zu wenig.“ 100.000 Messer fertigt Güde im Jahr. 50.000 mehr könnten es bei der aktuellen Kapazität sein. Die würde Born gerne allesamt ins Ausland liefern. In Deutschland dagegen sieht er derzeit keine überdurchschnittlichen Wachstumschancen: „Es läuft gut“, der Umsatz steigt langsam, aber stetig.
Neuerdings herrscht im Dezember Hochkonjunktur. „Es ist der stärkste Monat, obwohl er für uns nur drei Wochen dauert“, sagt Born. In Zeiten der medial allgegenwärtigen Starköche wird das Messer zum beliebten Präsent, die entsprechende Verpackung liefert Güde gleich mit. „Das Weihnachtsgeschäft wird jedes Jahr schlimmer“, sagt Born. Doch er mischt selbst mit als Ausstatter des Sternekochs Harald Rüssel vom Landhaus St. Urban. Im Gegenzug sinkt der Stress im Oktober, in dem sich früher der Handel bevorratete. Doch auch das bedeutet für Güde eher neue Lasten. „Heute gilt just in time, es legt sich keiner mehr fest und die Lagerhaltung wird auf die Hersteller zurückgeschoben.“
61 Jahre alt ist Karl Peter Born. Beim Einstieg habe er nicht gedacht, so lange im Betrieb zu bleiben. „Ich wollte mal mit 50 aufhören“, sagt er. Doch die Leidenschaft hält an. Auch in der Produktion ist Born dabei – er kümmert sich um das Gerät, mit dem die drei Palmen auf die Klingen der Messer geätzt werden – das Markenzeichen von Güde. Sein Ziel nennt Born augenzwinkernd: „Den Betrieb möglichst weit weg vom Abgrund einer möglichen Insolvenz zu halten.“ Eine Weile wird er das noch selbst erledigen müssen. Seine Tochter Carla ist erst zwölf – frühestens in ein paar Jahren könnte sie den Betrieb übernehmen. Das Interesse ist offenbar schon geweckt. „Sie hat schon eine eigene Messerserie gestaltet“, berichtet Born. Durchaus mutig: „Mit einem Filzgriff.“
Die Messermanufaktur Franz Güde GmbH
1910: Karl Güde gründet seine Messermanufaktur in Solingen. Von Beginn an setzt er auf hochwertige Produkte, die aus einem Stück Stahl geschmiedet und von Hand geschliffen werden.
1923: Franz Güde, der Sohn des Gründers übernimmt den Betrieb. Er führt das Bild der drei Palmen als Logo des Unternehmens ein.
1931: Franz Güde entwickelt die sogenannte hintersetzte Zahnung – der neue Maßstab für Brotschneidemaschinen. Zehn Jahre später erfindet er den Wellenschliff für Brotmesser.
1933: Umzug in die Katternberger Straße in Solingen – bis heute Sitz der Firma.
1954: Mit Franz D. Güde übernimmt die dritte Generation die Leitung der Manufaktur.
1983: Der studierte Maschinenbauer Karl Peter Born, Enkel von Franz Güde und Neffe von Franz D. Güde tritt an die Spitze des Unternehmens.
1999: Das Damast-Kochmesser von Güde erhält den renommierten Red-Dot-Design-Award. Drei Jahre gewinnt das Chai-Dao-Kochmesser diese Auszeichnung ebenfalls. 2007 folgt das Kräutermesser „Shark“.
2006: Karl Peter Born wird alleiniger Gesellschafter von Güde – er leitet das Unternehmen bis heute.