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Creditreform

Die ökosoziale Textilunternehmerin Sina Trinkwalder beschäftigt Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben. Als Chefin von Manomama verdient sie so viel wie ihre Schneiderinnen und interessiert sich nicht für Gewinnmaximierung. Die Überzeugungstäterin verfolgt andere Ziele.

Bei Kilometer 65 hat der Großteil der rund 1.000 Läufer längst das Ziel aus den Augen verloren. Sina Trinkwalder macht nur eine Pause, pflegt die wunden Füße und setzt den „Mega-Marsch“ genannten Ultramarathon von München nach Mittenwald fort. „Reine Willenssache. Ich wusste die ganze Zeit, dass ich ankommen werde.“ Auf den Zielfotos des 100-Kilometer-Laufs präsentiert die Unternehmerin ihre neue Sportkollektion aus Schurwolle und schickt die Bilder der Augsburger Stadtpresse. „Es waren eigentlich sogar 109 Kilometer, denn ich habe mich verlaufen.“ Trinkwalder geht immer noch die Extrameile.

Das kleine Büro der 40-Jährigen in der Augsburger Textilfabrik Manomama liegt im ersten Stock am Ende eines Ganges, gleich neben einer schweren Tür. Dahinter eröffnet eine Empore den Blick in die Fabrikhalle auf Dutzende Reihen von Nähmaschinen. Trinkwalder beschäftigt hier 150 Menschen in unbefristeten Arbeitsverhältnissen, die Mode, Accessoires und Einkaufstaschen herstellen. Die Arbeiter verdienen alle mindestens so viel wie die Chefin: zehn Euro pro Stunde. Es sind vor allem ältere oder alleinerziehende Frauen, zudem Ungelernte, Menschen mit Handicaps, mangelnden Sprachkenntnissen oder mit – im Jobcenter-Jargon – multiplen Vermittlungshemmnissen, für die auch die gute Arbeitsmarktsituation kaum Chancen birgt. Bei Manomama können sie ihre Arbeitszeiten flexibel vereinbaren und zwischen sechs und 22 Uhr kommen, wann sie wollen.

» Ein großer Teil der Heimdeko wird von Kindern in China hergestellt. Wir wollen diese Kinder arbeitslos machen. «
Sina Trinkwalder, Manomama

„Effizient ist das natürlich überhaupt nicht“, räumt Trinkwalder ein. Dafür seien ihre „Ladys“ tiefenentspannt, das schlage sich in der hohen Qualität der Produkte nieder. Ein Gang durch die Hallen gleicht einer Reise in die textilindustrielle Vergangenheit, die gerade in Augsburg glorreich war. Die von ihr verhasste Automatisierung, die immer mehr Menschen um eine ihnen entsprechende würdige Beschäftigung und damit um gesellschaftliche Teilhabe bringe, hat in Sina Trinkwalders Welt kaum Platz. Und solange am Ende des Geschäftsjahres unter dem Strich eine schwarze Null steht, gerät diese auch nicht aus den Fugen.

Eine Sozialromantikerin ist die resolute Bayerin deshalb nicht. „Es gibt immer wieder Angestellte, die mit der Freiheit nicht umgehen können. Die mahne ich ab oder schmeiße sie raus, denn ein fauler Apfel macht den ganzen Korb madig.“ Nahezu alle verarbeiteten Rohstoffe, wie Schurwolle, Hanf, Leder und Viskose, stammen aus der Region. Nur die Biobaumwolle hat eine längere Anlieferungsreise, denn die wächst nicht in bayrischen Breitengraden. Ökosiegel betrachtet Trinkwalder skeptisch als „kleinsten gemeinsamen Nenner der globalisierten Textilindustrie“. Auch Biotextilien für bewusste Konsumenten würden in vielen Herstellerländern unter Bedingungen gefertigt, die in Deutschland niemand akzeptieren würde.

Alles findet im Umkreis von 300 Kilometern statt

Manomama ist die Zertifizierung etwa durch den Global Organic Textile Standard oder den Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft darum zu wenig. Erdölbasierte Stretchgewebe kommen Trinkwalder nicht in die Fabrik. Pflanzenfarben lehnt sie ab, denn der Anbau der Färberpflanzen erfordere viel urbar gemachtes Land und zur Extraktion der Pigmente kämen schädliche Chemikalien zum Einsatz. Die gesamte wertgeschöpfte Produktion von Manomama erfolgt möglichst im Umkreis von 300 Kilometern und ausschließlich in Deutschland. Trinkwalder trägt Turnschuhe und eine Laufhose, denn sie ist wie immer zehn Kilometer von ihrer Wohnung zur Arbeit gejoggt. Ihr Schreibtisch gleicht einer Müllhalde, und sie kann offenbar Gedanken lesen. „Das ist kein Müll, sondern kreatives Chaos“, sagt sie lächelnd. Die Mutter eines 13-jährigen Sohnes ist eine elegante Erscheinung, doch merkt man ihr die Freude an, mit Konventionen zu brechen. Ein Typ für falsche Bescheidenheit ist sie nicht.

„Ich investiere mein Geld lieber in Menschen und nicht in Media. Ich bin selbst die beste Werbung“, beschreibt sie die Marketingstrategie ihrer Firma. Es sind Stoffabfälle aus ihrer Fabrik, die sich auf Trinkwalders Schreibtisch häufen. Sie will die Schurwollfilzstreifen aus heimischer Schafwolle nicht einfach wegwerfen. Also setzt sie sich mit ein paar Handarbeitslehrerinnen zusammen und entwickelt Bastelideen für Dekoartikel. Stoff, Garn, Nadeln und Anleitungen packen Menschen einer Augsburger Caritas-Behindertenwerkstatt in ein hübsches Kästchen. Fabyoulos nennt Trinkwalder die dem Upcycling verpflichtete Geschäftsidee, die im Oktober an den Start gehen soll. Text, Fotos und Illustrationen im Begleitheft: von Sina Trinkwalder. „Ein großer Teil der Heimdeko wird von Kindern in China hergestellt. Wir wollen diese Kinder arbeitslos machen“, sagt sie dazu einen typischen Trinkwalder-Satz.

Mensch im Mittelpunkt

Dafür hat Thomas Hinzen demnächst alle Hände voll zu tun. Mit dem Herrenschneidermeister vom Büro nebenan will Trinkwalder aus Makulaturstoffen der Textilindustrie Anzüge in Kleinserie herstellen. In der Massenproduktion lohnt es sich nicht, die Fehler aus ein paar Hundert Metern Stoff herauszuschneiden. Hinzen und die Manomama-Schneiderinnen machen das per Hand. „Same seam but different“ lautet der Slogan der neuen Unternehmung sameseam.de, die jüngst die Prelaunchphase begonnen hat. Interessenten können sich online auf einer Warteliste registrieren. „500 Leute in der ersten Stunde nach Onlinestellung“ hätten von dem Angebot Gebrauch gemacht, sagt Trinkwalder und lässt durchblicken: Den Ansturm gab’s natürlich wegen ihr.

Mit 15 verlässt Trinkwalder ihr Elternhaus und zieht allein nach Augsburg. Sie finanziert sich den Lebensunterhalt als Lokaljournalistin und macht Abitur. Mit 19 gründet sie eine Werbeagentur, kurz darauf lernt sie ihren späteren Ehemann kennen. Der ist Programmierer und tut sich mit der Texterin und selbst geschulten Grafikerin auch beruflich zusammen. Die gemeinsame Agentur konzentriert sich früh aufs Internet und wächst schnell. Vorwerk gehört zu den namhaften Ankerkunden. Trinkwalder bricht ihr BWL- und Politikstudium ab und sammelt als Beraterin für Marketingstrategie und Corporate Design international Flugmeilen. Großes Auto, teure Uhren, Luxusleben.

2009, an einem kalten Novemberabend im Wuppertaler Hauptbahnhof, hat Trinkwalder einen „Klarheitsmoment“. Ein verwahrloster alter Mann sieht, wie sie ein paar Belegzeitschriften wegwirft – und fischt sich die Hochglanzmagazine anschließend aus dem Eimer. „Ich habe ihn gefragt, was er damit will“, sagt Trinkwalder. „Meine Frau und ich machen daraus Weihnachtsschmuck.“ „Da hat es Wumm gemacht“, sagt Trinkwalder. „Was mache ich hier eigentlich? Und warum mache ich nicht etwas Sinnvolleres?“ Ein Jahr später gründet die Mutter und Macherin Manomama („Aus der Hand der Mama“), zunächst als kleine Manufaktur.

Rucksäcke für Obdachlose

2012 zieht das Unternehmen in eine Fabrikhalle und startet die Großproduktion. Eine Million Euro aus dem Privatvermögen steckt das Ehepaar in das Unterfangen. Anfang dieses Jahres hat sie sich von ihrem Mann Stefan scheiden lassen. Der Platz an ihrer Schattenseite sei auf Dauer sicher nicht einfach gewesen, räumt sie ein. Geschäftsführende Gesellschafterin der gemeinsamen mittelständischen Werbeagentur ist sie geblieben. Die vielfach ausgezeichnete Öko-Unternehmerin (Bundesverdienstkreuz, Nachhaltigkeitspreis, Deutscher Fairness-Preis) und Hochschulrätin der Hochschule Augsburg ist Gast in zahlreichen Fernsehsendungen, hält bundesweit Vorträge über unternehmerische Verantwortung und arbeitet gerade an ihrem vierten erzählenden Sachbuch zum Thema „Faire Gesellschaft“. Einen Großteil ihrer Zeit verwendet Trinkwalder auch auf das 2017 gegründete Sozialprojekt BrichBag. Aus Stoffresten der Sonnenschutzindustrie fertigen ihre Schneiderinnen Rucksäcke für Obdachlose, die Sponsoren mit Hygieneartikeln befüllen. Dass sie nur vier Stunden Schlaf braucht, glaubt man ihr gern.

2016 erwirtschaftete Manomama rund neun Millionen Euro Umsatz und einen kleinen Gewinn von 80.000 Euro. Dafür, dass die schwarze Null steht, sorgen vor allem Edeka Nord und Südwest, Tegut und dm, die rund 200.000 Taschen pro Design von Manomama beziehen. Viele der älteren Schneiderinnen, die in den nächsten Jahren in Rente gehen, wird Manomama nicht ersetzen. „Wir wollen auf 100 Mitarbeiter schrumpfen und unsere familiären Strukturen bewahren“, kündigt Trinkwalder an. Den Hauptumsatz im Modebereich erzielt das Unternehmen mit dem Onlineshop; es gibt nur einen 37 Quadratmeter großen Laden mitten in Augsburg. Für die stationäre Expansion fehlt das Geld. Faire Wirtschaft, made in Germany – das ist kein einfaches Geschäft. Aber auch hier schreitet Öko-Unternehmerin Trinkwalder unbeirrt voran: Ende des Jahres werden zehn neue Einzelhändler Manomama listen.

Manomama – nachhaltige Mode als Geschäftsmodell

2010 gründet Sina Trinkwalder das Augsburger Textilunternehmen Manomama und kauft die ersten Maschinen mit einem Startkapital von 200.000 Euro.

2012 kommt mit der Drogeriemarktkette dm der erste Großkunde, für den Manomama bis heute Stofftaschen näht. Trinkwalder investiert erneut – diesmal sind es eine Million Euro, die sie zusammen mit ihrem damaligen Ehemann in die Firma steckt.

2017 startet ein neues Projekt der Manomama GmbH:
BrichBag – wasserfeste Rucksäcke für Obdachlose, gefertigt
aus Stoffresten und befüllt mit Hilfe von Sponsoren.