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Telefonieren statt tagen, videokonferieren statt reisen, dokumentieren statt debattieren: Teams, deren Mitglieder in aller Welt arbeiten, brauchen eine spezielle Führungskultur.

Hamburg, Kerpen, Frankfurt, München: In ganz Deutschland verteilt, rekrutieren neun Mitarbeiter für den IT-Dienstleister Computacenter neue Kollegen. Die Team-Chefin sitzt in der Zentrale in Kerpen. Routiniert wird kommuniziert: über E-Mails, Telefonkonferenzen, Instant Messenger, Videokonferenzen – und, ganz klassisch, einmal im Quartal im Sitzungsraum. Das funktioniert, weil alle Beteiligten ergebnisorientiert, vertrauensvoll sowie selbstständig zusammenarbeiten und die Aufgaben klar verteilt sind.

Mehr als jede dritte Führungskraft in virtuellem Team

So weit die Erfolgsfaktoren, die Forscher nennen: Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und die Bertelsmann Stiftung haben 2015 bei Computacenter und in neun weiteren Firmen flexible Arbeitsweisen untersucht und 2.400 Führungskräfte befragt. Das Ergebnis: 36 Prozent davon arbeiteten bereits in virtuellen Teams. Und treffen ihre Kollegen viel häufiger auf dem Bildschirm oder am Telefon an als beim gemeinsamen Kaffee. Statt ständig mit dem Auto, der Bahn oder dem Flieger unterwegs zu Sitzungen zu sein, gehen sie nur über den Flur in technisch aufgepeppte Konferenzräume oder bleiben für Web- und Telefonkonferenzen sogar am Arbeitsplatz. Das spart den Unternehmen Geld – und allen Beteiligten wertvolle Zeit.

Ob virtuelle Arbeitsweisen wirtschaftlich sind, hängt von der Zahl der Standorte, von der Arbeitsteilung zwischen ihnen sowie von ihrer Entfernung zueinander ab – erst recht bei internationalen Mittelständlern. Deshalb wird vor allem dort mit diversen Kanälen experimentiert. Die Dortmunder Dula-Werke Dustmann & Co. zum Beispiel produzieren in Deutschland, Spanien und Russland. Als Designbüro gegründet, richten sie europaweit ganze Geschäfte und Bürolandschaften ein – darunter die BMW-Niederlassung in Berlin, den Store der Modemarke Tom Tailor in Sankt Petersburg und das ZDF-Traumschiff. Prokurist Martin Reckers kam schon kurz nach der Lochkartenzeit zu dem Ladenausstatter. Heute treibt er die globale Team-Arbeit mit voran – und die ist virtuell: „Wir stellen gerade standortübergreifend unsere IT um“, skizziert der 58-Jährige das größte virtuelle Dula-Projekt. „Mit interner Telefonsoftware und Intranet bringen wir uns alle 14 Tage auf den gleichen Informationsstand.“

Das Virtuelle Team: Mit Gewohnheiten brechen

Damit die Fernsitzung funktioniert, bedarf es äußerst präziser Vorbereitung: Die Agenda liegt allen acht IT-Spezialisten und Kaufleuten aus den deutschen und russischen Standorten vor, der Moderator wird vor dem virtuellen Treffen bestimmt. „Wir sind es gewohnt, persönlich zusammenzusitzen und miteinander zu reden“, sagt Reckers und spricht damit das Problem an, das entsteht, wenn nicht alle Sinne angesprochen werden. „Manchmal weiß man nicht, wer gerade spricht, wer als Nächstes etwas sagen möchte, und bekommt Zwischentöne schlechter mit.“ Der Manager vermisst Mimik, Gestik und Augenkontakt: „Die Schwingungen, die man sonst sieht, muss man nun hören. Das kostet Konzentration.“

„Die Kosten eines ersten persönlichen Treffens holen Unternehmen schnell wieder rein.“ Sonja App, Managementberaterin

Außerdem: Wenn Menschen miteinander arbeiten, die viele Kilometer voneinander entfernt sind und auch nicht die gleiche Muttersprache haben, erfordert das eine andere Struktur und Organisation. Sich darüber rechtzeitig vor dem Start Gedanken zu machen, verhindert ein böses Erwachen. Sonja App rät daher zum Kick-Off-Meeting, und zwar live: „Die Kosten eines ersten persönlichen Treffens der Team-Mitglieder zum Projektstart holen Unternehmen schnell wieder rein“, sagt die Münchner Managementberaterin.

Kennt sich das Team, arbeitet es effizienter

Teams, die sich kennen, arbeiten effizienter zusammen. Das gilt für langfristig angelegte Gruppen, die an einem Medikament forschen, ein Auto entwickeln oder wie bei Computacenter auf der Suche nach neuen Kollegen sind. Aber es gilt auch für Projekt-Teams, die nur einen Monat oder ein Jahr zusammengespannt werden. „Missverständnisse kosten“, hat App beobachtet. Bei Kunden mit internationalen Teams können Sprachprobleme ein Projekt ebenso zum Erliegen bringen wie mangelnde Anerkennung. „Oft ist nicht die Technik das Problem“, so App: Der Faktor Mensch entscheidet über den Erfolg eines globalen Projekts.

Da sind die Führungskräfte gefordert. Wird das Webbild weggeklickt, ist der Chef aus den Augen – und muss dafür sorgen, dass er nicht auch aus dem Sinn gerät. Naturtalente in Sachen Virtualität sind jedoch selten, weswegen sich für diese Pionieraufgabe Schulungen lohnen. Das finden auch 60 Prozent der Befragten in der oben genannten Bertelsmann-Studie. Mehr als 20 Prozent der Manager halten Trainings sogar für „absolut erfolgskritisch“. Ein Seminar, in dem sie lernen, Aufgaben eindeutig zu formulieren und über die Kommunikationskanäle zu delegieren, wird umso wichtiger, je seltener sich Team-Mitglieder sehen. Chefs müssen ihre fernen Mitarbeiter aufmerksam einbeziehen und ihre eigene Zeit gut managen – nicht nur während der Webkonferenz.

Ständige Verbesserungen der Konferenzen

Martin Reckers setzt sich bei Dula gerade für eine verbesserte Videokonferenztechnik ein: „Wenn wir Dokumente an die Wand werfen, können wir effektiver daran arbeiten und auch an der Tonqualität lässt sich noch schrauben.“ Das würde auch die Zusammenarbeit mit externen Partnern erleichtern – und die sind wie der Kunde Apple anspruchsvoll.

Der Dortmunder Mittelständler beweist damit zweierlei: Wer mit der Zusammenarbeit über die digitalen Drähte begonnen hat, kriegt Lust auf perfektere Technik. Und: Die virtuellen Kanäle ersetzen nicht jede Reise. Die Dula-Projekt-Teams treffen sich etwa alle acht Wochen – und schaffen es so, dass auch weiterhin persönliche Worte gewechselt werden. Das schweißt das Team zusammen.

 

So gelingt die virtuelle Team-Arbeit

Egal wie häufig und mit welchen Tools sich Teams zusammenschalten: Den Anfang macht ein persönliches Auftaktmeeting. Unternehmensberaterin Sonja App verteilt im Vorfeld die folgenden Aufgaben:

• Der Team-Leiter prüft mit jedem Mitglied, ob das technische Equipment an dessen Standort ausreicht. Mit der Geschäftsführung spricht der Team-Leiter das Reisekostenbudget für ein Kick-Off-Meeting und weitere Treffen ab.

• Alle Team-Mitglieder stellen ihr Profil mit beruflichen Eckpunkten, aber ruhig auch mit privaten Hobbys, in ein Forum im Intranet. Auch Xing oder Facebook sind möglich, da sind aber andere Datenschutzaspekte zu beachten.

• Der Team-Chef fragt in Einzelgesprächen die Qualifikationen ab – fachlich wie in der Kommunikationstechnik und der Sprachkompetenz. Nachschulungen erfolgen sofort.

• Jedes Team-Mitglied kennt seine Ziele und weiß, welchen Beitrag es zum Projektziel leisten soll. Die tägliche Arbeit wird jeder relativ autonom organisieren, denn es sind die Ergebnisse, die virtuell abgeglichen werden.

• Ein Mitarbeiter strukturiert die Projektdokumentation und arbeitet sie transparent für alle auf.

• Das Team vereinbart die Form und die Abstände von Teammeetings per Telefonkonferenz, Mail, Chat oder Videokonferenz.

• Der Team-Chef versendet die Einladung zum Kick-Off.