Immer mehr Verbraucher entscheiden sich beim Einkauf für Produkte, die über ein Gütesiegel für nachhaltiges Wirtschaften verfügen. Doch welche Vorteile bringen die Auszeichnungen tatsächlich? Ein Marktüberblick.
Als der Hamburger Oliver Errichiello vor einigen Jahren nach Indonesien reiste, entdeckte er auf einer Messe in der Hauptstadt Jakarta ein ungewöhnliches Ausstellungsstück: Auf einem kleinen Regal stand ein handgebautes Radio vor ihm, ganz aus Holz gefertigt. In Gesprächen mit dem einheimischen Designer Singgih Kartono entstand die Idee, den Vertrieb des „Wooden Radio“ von Hamburg aus zu steuern. Errichiello hatte dort mit einem Kompagnon das „Büro für Markenentwicklung“ gegründet, um Firmen bei ihrer nachhaltigen Positionierung und Unternehmensführung zu unterstützen.
Der Markenexperte hatte den richtigen Riecher: Das hölzerne Empfangsgerät entwickelte sich zur Erfolgsgeschichte und gewann internationale Designpreise. „Das Besondere ist, dass sich durch die Fertigung der Produkte ein ganzes Dorf wirtschaftlich selbst trägt und ökologisch handelt“, berichtet er. So wird das genutzte Holz lokaler Plantagen systematisch durch junge Bäume ersetzt. Viele Dorfbewohner profitieren nun von einer soliden handwerklichen Ausbildung, einer beruflichen Perspektive sowie fairen sozialen Standards.
Hohe Kosten für Gütesiegel
Mit einem internationalen Holzprüfsiegel, da ist sich Errichiello sicher, wäre der Erfolg des „Wooden Radios“ noch größer ausgefallen. Jedoch: „Das Dorf kann das Kapital zur Finanzierung des Gütesie- gels nicht aufbringen.“ Aber ohne einen unabhängigen Nachweis in Sachen Nachhaltigkeit hat das „Wooden Radio“ keine Chance, auf die Listen vieler Organisationen wie dem WWF oder Greenpeace zu kommen. Schade, denn damit würde der Apparat unweigerlich stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rücken.
Schließlich sollen Öko-Label wie FSC und andere bei den Verbrauchern, die bei ihrer Kaufentscheidung auf nachhaltige Produkte achten, Vertrauen schaffen. Doch der finanzielle Aufwand beim Erwerb einer solchen Auszeichnung schrecke viele mittelständische Unternehmen ab, vermutet Markenexperte Errichiello. Allein für die Erstprüfung mit mehreren Audits für das „Wooden Radio“ wären seiner Einschätzung nach wohl 15.000 US-Dollar fällig – zuzüglich Reisekosten für die Prüfer. „Außerdem muss mit kostenpflichtigen Nachprüfungen und einer jährlichen Kontrolle für rund 5.000 US-Dollar gerechnet werden.“
Mehr Aufmerksamkeit
Dem Eindruck, dass nur große Unternehmen sich eine glaubwürdige Bescheinigung für Holz aus verantwortungsvoller Forstwirtschaft leisten können, tritt Daniel Müsgens, WWF-Referent für Zertifizierungen, entgegen: „Das entspricht nicht der Realität. Die Kosten, die ein unabhängiger, von FSC akkreditierter Prüfer einem Betrieb in Rechnung stellt, richten sich nach dem Umsatzvolumen der Warengruppen, die für die Zertifizierung relevant sind. Für kleine und mittlere Betriebe gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, sich zu einem Gruppenzertifikat zusammenzuschließen.“ Auf diesem Wege könnten auch weniger finanzkräftige Unternehmen ein Gütesiegel erhalten.
Eine solche Gruppenzertifizierung bietet etwa der Gesamtverband Deutscher Holzhandel seinen rund 900 Mitgliedern an: Firmen, die bis zu 15 Mitarbeiter haben, können sich einer FSC-zertifizierten Service GmbH anschließen und so selbst das Gütesiegel als Marketinginstrument einsetzen.
Insgesamt gibt es mehr als 28.000 Betriebe, die dieses Label verwenden. Darunter laut WWF zahlreiche Kleinunternehmer aus aller Welt. Müsgens fällt auf: „In vielen Marktsegmenten sind es häufig die Betriebe mittlerer Größe oder kleinere innovative Unternehmen, die sich nach FSC zertifizieren lassen. Große Unternehmen folgen dem Trend zur Zertifizierung oftmals erst, wenn sie durch den Markt dazu gedrängt werden.“
Frosta setzt auf MSC
Auch die Frosta Tiefkühlkost GmbH setzt auf zertifizierte Nachhaltigkeit: Seit 2011 werden ausschließlich Fische und Meeresfrüchte verarbeitet, die nach den Vorgaben des Umweltstandards MSC gefangen wurden. „Fisch ist eine unserer wichtigsten Rohwaren und wir sehen uns in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die weltweiten Fischbestände erhalten bleiben“, sagt Produktmanagerin Marike Paulsen. Für MSC habe man sich entschieden, weil es „das führende unabhängige Siegel für nachhaltige Fischerei“ ist.
Um ausgezeichnet zu werden, musste Frosta seine Produktionsprozesse genau unter die Lupe nehmen lassen. So war nachzuweisen, welche Fischarten, wann, in welchen Mengen und auf welche Art verwendet werden. Zudem wurde geprüft, ob Tiere aus MSC-zertifiziertem Fang tatsächlich nicht mit herkömmlich gefischten Tieren in Berührung kommen, und ein effizientes System zur Rückverfolgung der gelieferten und verarbeiteten Ware vorliegt. Kein Problem für die Hanseaten, die jeweils für drei Jahre mit dem Prüfstempel ausgezeichnet werden – vorausgesetzt, die jährliche Kontrolle verläuft zur Zufriedenheit der unabhängigen Prüfer.
Damit der Kunde im Supermarkt diese Bemühungen in puncto Nachhaltigkeit wahrnimmt, hat Frosta das Siegel gut sichtbar auf der Vorderseite jeder Verpackung mit Fisch oder Meeresfrüchten platziert. Doch damit nicht genug: „In der Zutatenliste weisen wir mit einem kleinen Extratext auf die MSC-Zertifizierung hin und verlinken zur offiziellen MSC-Seite“, so Paulsen. Und auch auf seiner Website hat Frosta ausführliche Erläuterungen veröffentlicht.
Die Nutzung ihres Gütesiegels auf den Verpackungen oder den Produkten selbst lassen sich die Zertifizierungs- stellen übrigens zusätzlich bezahlen. So entsteht für das MSC- Logo eine Pauschalgebühr zwischen 250 und 2.000 US-Dollar, die sich nach dem Nettoverkaufsvolumen richtet, zuzüglich 0,5 Prozent des Umsatzes, falls direkt an Restaurants oder den Einzelhandel geliefert wird.
Hoher Aufwand, hoher Nutzen
Fische sind auch das Metier von Diana Rehbohm. Ihr Betrieb aus Zarrentin, die Schaalseefischerei, ist seit Mai 2014 die erste Binnenfischerei Deutschlands, die das Siegel „Wildfisch“ des Ökologieverbands Naturland trägt. „Bei der Nachhaltigkeitszertifizierung nach den Naturland-Wild- fisch-Richtlinien geht es aber um weit mehr als nur um das Abhaken einiger allgemeiner Kontrollpunkte“, betont Naturland-Fischereiexperte Stefan Bergleiter, der das Projekt „Nachhaltige Fischerei im Schaalsee“ fachlich betreut hat. „Es ist vielmehr ein umfassender Prozess, der unter Leitung von Naturland alle Beteiligten – Fischer, Naturschützer, staatliche Stellen – an einen Tisch bringt, um gemeinsam die Regeln zu entwickeln, die in der jeweiligen Region am besten geeignet sind, den Schutz von Beständen und Ökosystem mit den Interessen der Fischer zu verbinden.“
So verpflichtete sich Rehbohm gemeinsam mit zwei weiteren Berufsfischern dazu, ausschließlich Fanggeräte zu nutzen, die die Umwelt nicht schädigen und eine Übernutzung der Fischbestände verhindern. Nun kommen meist nur noch Reusen und Stellnetze zum Einsatz. Damit nicht genug: Festgelegt wurde auch, dass die im Schaalsee gefangenen Tiere in zwei regionalen Gastronomiebetrieben verarbeitet und auf die Speisekarte genommen werden.
„Die Nutzung des Wildfisch-Siegels bringt mir nur Vorteile“, sagt Fischerin Rehbohm. Dank der Auszeichnung hat sie nun die Chance, überregional bekannter zu werden. „Selbstverständlich bringen die Auflagen auch mehr Aufwand mit sich.“ Aber das sei es ihr wert, um den Kunden gegenüber ein Zeichen zu setzen. „Im Eingangsbereich unserer Fischerei steht eine Tafel mit dem Siegel, darauf werden wir immer häufiger angesprochen.“ Und was die finanzielle Belastung durch die Zertifizierung betrifft: Das Land Mecklenburg-Vorpommern übernahm per Förderprogramm einen Großteil der Kosten.
SECHSMAL NACHHALTIGKEIT MIT BRIEF UND SIEGEL
Hier noch einmal eine Zusammenstellung von Auszeichnungen, die Unternehmen für ihre nachhaltigen Produktionsprozesse erhalten können:
Blauer Engel
Der Blaue Engel ist das offizielle Umweltzeichen Deutschlands zum Schutz von Mensch und Umwelt. Es kennzeichnet rund 12.000 umweltfreundliche Produkte und Dienstleistungen von etwa 1.500 Unternehmen. Für jede Produktgruppe werden Kriterien erarbeitet, die alle drei bis vier Jahre auf Aktualität überprüft werden. www.blauer-engel.de
FSC
FSC steht für „Forest Stewardship Council“. Ziel ist es, eine umweltfreundliche, sozialförderliche und ökonomisch tragfähige Bewirtschaftung von Wäldern zu unterstützen. Das Siegel bezieht sich nur auf die Produkt- oder Verpackungsbestandteile, die aus dem Wald stammen. www.fsc-deutschland.de
MSC
MSC steht für „Marine Stewardship Council“. Mehr als 200 Experten aus Wissenschaft, Fischerei und Umweltschutz haben für diesen Umweltstandard Nachhaltigkeitskriterien aufgestellt. Mithilfe des MSC-Umweltstandards lassen sich Wildfischereien weltweit bewerten. www.msc.org
Naturland Wildfisch
Zentrales Element des Zertifizierungsverfahrens ist ein Bewirtschaftungsplan. Darin werden zum Beispiel die erlaubten Fanggeräte vorgeschrieben und die Dokumentationspflichten für die Fischer festgelegt. Ein regelmäßiges Monitoring verhindert die Überfischung der einzelnen Arten. Zudem beteiligen sich die zertifizierten Fischer an Naturschutzmaßnahmen. Hinzu kommt der Schutz des Ökosystems insgesamt. www.naturland.de/wildfisch.html
PEFC
Das „Programme for the Endorsement of Forest Certification“ soll eine vorbildliche Waldbewirtschaftung durch ein unabhängiges Zertifizierungssystem sicherstellen und vermarkten. Holz und Holzprodukte mit dem PEFC-Siegel stammen nachweislich aus ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltiger Forstwirtschaft. www.pefc.de
UTZ Certified
„Utz“ bedeutet in der Maya-Sprache „gut“. Das Siegel erhalten ausschließlich Kaffee-, Kakao- und Teeprodukte. Bei den Anforderungen für zertifizierte Farmen und Betriebe geht es um die Qualität von Anbaumethoden und Management in der Landwirtschaft, wozu sichere und gesunde Arbeitsbedingungen gehören. Außerdem lässt sich der Weg der Produkte bis zum Ladenregal jederzeit verfolgen. www.utzcertified.org