Kreativität und Flexibilität – diesen beiden Anforderungen können sich Firmen nicht mehr entziehen, wenn sie auch langfristig am Markt bestehen wollen. Beides fällt nicht vom Himmel. Doch es gibt Methoden und Hilfsmittel für gelungene Denkprozesse.
Der will doch nur spielen. Was Kleinkinder und Hunde gemeinsam haben, treibt Ingenieur Bert Miecznik ebenfalls an: Der Innovationsmanager von Wittenstein, einem mittelständischen Unternehmen für Antriebstechnik, will spielen. Der 48-Jährige ist nämlich überzeugt, dass spielerisches Arbeiten zu guten Ideen und zu noch besseren Produkten führt. Immerhin steckt die Antriebstechnik der baden-württembergischen Firma in Flugsimulatoren und in Flaschenfüllanlagen, in Implantaten und in fahrerlosen Transportsystemen.
In engem Austausch mit Kunden und Lieferanten, Verkäufern und IT-Fachleuten schaffen die Produktentwickler von Wittenstein immer neue Lösungen und Einsatzmöglichkeiten. Und jetzt auch in einer besonderen Umgebung: Im Juli 2017 wurde in der Igersheimer Zentrale eine neue Kreativzone im Innovation Lab eröffnet. „Kreativitätsmethoden gibt es eher zu viele als zu wenige“, meint Miecznik und ergänzt: „Was in den meisten Unternehmen fehlt, ist ein ausgewiesenes Kreativumfeld in Form eines Raumes – kein virtueller, sondern ein physikalischer.“ Die neue Umgebung ist für Überraschungen gut: Ein quietschbuntes Regal, in dem zum Beispiel Fimoknete, Legosteine oder Perücken mit langen Haaren auf Teams warten, eigens konstruierte Stehtische mit eingebauten Plätzen für Vorräte an Stiften, Pappe und Papier, außerdem eine Stereoanlage mit CDs von Rock bis Klassik. „Ich kann Kreativität nicht verordnen, wenn jemand nicht will“, sagt der Lab-Manager, „aber ich kann ein Mindestmaß an Wohlfühlatmosphäre schaffen.“
Digitalisierung braucht neue Denkprozesse
Was Miecznik vormacht, wird in der zunehmend digitalisierten Wirtschaft immer wichtiger werden. Es ist inzwischen unbestritten, dass in der Geschäftswelt 4.0 das Tempo der Produktentwicklung steigt, die globale Konkurrenz noch weniger schläft als bisher und die Kooperation zwischen Entwicklern und Anwendern über Fachbereiche hinweg enger werden muss. Dem sind die Arbeitsweisen anzupassen. Und da spielen Kreativitätstechniken und Innovationsmanagement eine entscheidende Rolle. So müssen in Workshops, in Teamevents und in agilen Einheiten die Persönlichkeiten der Beteiligten angesprochen werden. „Zur Wittenstein-Kultur passt es, die Denkmuster von Triz anzuwenden“, beschreibt Miecznik. Hinter Triz verbirgt sich gleich eine ganze Sammlung von Innovationsprinzipien, die der russische Wissenschaftler Genrich S. Altschuller vor mehr als 50 Jahren zusammengestellt hat, als er die Lösungsprinzipien erfolgreicher Erfinder analysierte: Die Strategien Verschachteln, Zerlegen, Gegenaktionen starten, Vereinen sowie Wiederverwenden gehören beispielsweise dazu, aber auch das Zerstören von Denkblockaden.
Es geht auch eine Nummer kleiner – für Betriebe und Mitarbeiter mit weniger Übung in puncto Team- und Gruppenarbeit. Die IHK Akademie München und Oberbayern hat zum Beispiel ein Seminar zu Kreativtechniken im Angebot, ebenso Institute wie die TAW Technische Akademie Wuppertal. Handwerkskammern und IHKs halten Merkblätter zum Thema vor, Netzwerke an Universitäten und Praxisbeispiele in den sozialen Medien laden zum Anschauen, Ableiten und Mitdiskutieren ein. Brainstorming, die Sammlung von vielen Ideen auf Zuruf, ist mit 70 Jahren der Senior unter den vielen Kreativitätsstrategien. Auch das Hütchenspiel von de Bono, bei dem die Gesprächspartner mit der Farbe ihres Huts auch die Perspektive innerhalb der Diskussionsrunde wechseln sollen, hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Wandzeitungen und Staffeleiblöcke, Flipcharts und Whiteboards, bunte Pappen als Quadrat oder Wölkchen, Haftnotizzettel und Knetgummi, Arbeitsblätter oder Anweisungen gehören zu den Standardmaterialien kreativer Workshops. Kritzeln, Malen, Schreiben, aber auch Bewegung und Berührung helfen, die Aufgaben zu lösen.
Damit negative Strömungen wie Unwillen, Wichtigtuerei und Machtspielchen Ergebnisse nicht beeinflussen oder gar verhindern, brauchen Denkprozesse Struktur, guten Willen und ein klares Ziel, auf das das Team hinarbeitet. Benno van Aerssen, Trainer und Coach mit einem Atelier für Ideen im niederrheinischen Weeze, rät dazu, am Anfang einer Kreativphase erst einmal gemeinsames Basiswissen zu tanken. „Grob geschätzt gibt es 350 Kreativtechniken und weitere 350 Bewertungs- und Innovationstechniken“, sagt der Berater, der beobachtet hat: „Unwillen und Widerstand entstehen oft, weil das Wissen fehlt.“ Ein Beispiel aus seiner Praxis: Eine Firma will sich bewegen und die Arbeitsprozesse optimieren – weiß aber nicht, wie. Stuhlkreis ist ein Schimpfwort und erinnert an den Kindergarten. Um herauszufinden, was die Beteiligten anspricht, lässt van Aerssen die Teilnehmer seiner Workshops mehrere Methoden testen – mal dreimal, mal 15-mal am Tag. Sein Mantra: „Man muss Methoden ausprobieren und verändern.“
Der Berater warnt vor Trainern, die den Unternehmen nur ihre Methode als allein seligmachend anpreisen: „Bewertet wird der Output, starten muss man ergebnisoffen.“ Zur Basisarbeit gehört für den Ideentrainer vor allem die klassische Reflexion: „Glück, Weisheit und Gefühl kommen erst einmal weder beim Gabelstaplerfahrer noch beim Geschäftsführer vor.“
Eine Kombination unterschiedlicher Methoden, aber vor allem das Zusammenbringen verschiedener Disziplinen kulminiert in Design Thinking. Hierbei treffen Top-Experten aus Technikressorts auf Techniklaien aus dem Marketing oder dem Rechnungswesen. Es wird eine kreativitätsfördernde Umgebung geschaffen – sei es ein Raum oder draußen. Ebenfalls wichtig ist, dass sich Menschen begegnen, die in Alter, Geschlecht, Nationalität und Kultur unterschiedlich sind. In diesem geschützten Rahmen werden Ideen generiert und zu Lösungen verdichtet. Es fallen Entscheidungen wie zum Beispiel die, noch einmal einen Schritt zurückzugehen oder mit einem Zwischenergebnis in die nächste Runde zu wechseln. Nicht nur Produktentwicklung kann so zum Thema werden, auch bei der Arbeitgeberattraktivität oder der Marktausdehnung funktioniert es, miteinander zu denken.
Klare Vorgaben definieren
Immer vorausgesetzt, die Planung stimmt. Innovationscoach Christian Wiele, der in seiner Beratung Gezeitenraum in Sankt Peter-Ording Kreativitätscamps organisiert, betont: „Aufgabe und Teilnehmerkreis müssen klar definiert sein.“ Er hält es für „extrem effizient und effektiv“, wenn zum Auftakt jeder seine eigene Sichtweise berücksichtigt findet, zum Beispiel auf Haftklebezetteln an der Wand. „Wenn jemand eine Idee im Kopf hat, muss sie raus – auch wenn sie erst später passt“, sagt er, warnt aber übereifrige Kreativfreaks vor Alleingängen: „Es gibt keinen Fortschritt ohne Rückkoppelung mit den Entscheidern.“
Doch nicht nur die Ideenfindung an sich ist eine Hürde im Kreativprozess. Eine zweite Klippe ist häufig die fehlende Bereitschaft, ausreichend Platz für neue Themen zu schaffen. Denn ganz gleich, welcher Einzelmethode oder welchem Methodenmix eine Gruppe den Vorzug gibt, der Alltag muss draußen bleiben, sonst wird es nichts mit der Innovation. Brainstormen, während das Handy in der Hosentasche brummt, oder zuhören, während man noch mit dem Kopf bei seiner Routinearbeit ist, klappt nicht. Das gesamte Team muss auf Neustart schalten. Wie in der ZDF-Krimireihe „Nord Nord Mord“: Dort wächst mit der Zahl der Erkenntnisse während der Ermittlungen die Zahl der Bilder und Zettel, Linien, Frage- und Ausrufezeichen. Jedes Detail ist für das Team gut sichtbar an einer Wand im Büro von Kommissar Theo Clüver aufgemalt und aufgeklebt. Doch nach jedem aufgeklärten Mord wird abgeräumt und die Wand frisch gestrichen – der neue Fall kann kommen.
Ideen finden mit System
Mit diesen fünf Kreativitätsstrategien können Unternehmen Prozesse optimieren, Produktinnovationen entdecken oder neue Märkte erobern:
Brainstorming. Die Teilnehmer formulieren spontan und schnell möglichst viele Ideen zu einem Schwerpunkt, die unsortiert und vor allem ohne Selbstkritik oder Kritik von anderen gesammelt und erst in der Nachbereitung sortiert und diskutiert werden. Als Auftakt für ein neues Thema geeignet.
Flip-Flop-Methode. Hier wird das Denken auf den Kopf gestellt: Die Aufgabe wird formuliert und in ihr Gegenteil verkehrt, dann werden wie beim Brainstorming spontan und unbewertet Ideen gesammelt. Passt besonders gut zu notorischen Schwarzsehern.
Assoziation und Bisoziation. Worte oder alternativ Bilder führen zu spontanen Ideen, die jeder für sich notiert oder ausspricht. Die Gruppe sammelt die Ergebnisse und diskutiert sie. Gibt als Stillarbeit Schüchternen eine Chance, lockert in der Zurufvariante auf.
Mindmapping. Auf unliniertem Papier wird in die Mitte das präzise Thema oder die konkrete Aufgabe notiert – und fett oder farbig eingekreist. Unterbegriffe werden mit Linien – oft verschiedenfarbig – von der Mitte aus zugeordnet. Es entsteht ein Baum mit dicken Ästen und dünneren Zweigen. Jeder Begriff dieser vernetzten Struktur kann ein neues Zentrum werden, wenn er sich als wichtig herausstellt. Die Kreativität des Einzelnen wird geweckt.
Die sechs Hüte Edward de Bonos. Mitte der 1980er entwarf der Kognitionswissenschaftler de Bono das Modell, in dem jeder Hut für eine Denkweise steht: blau ordnet, weiß ist analytisch, rot emotional, schwarz zeigt Skepsis, gelb Optimismus und grün ist assoziativ. Die Denkhüte sollen den Perspektivenwechsel anregen. Geeignet für Themen, die konfliktträchtig sind. 6-3-5-Methode. Sechs Teilnehmer brüten über einem Thema. Sechs Notizblätter werden verteilt. Jeder hat fünf Minuten Zeit drei Ideen zu notieren. Dann gibt jeder sein Blatt weiter an den Nächsten, der die Ideen des Vorgängers weiterentwickelt – drei Ideen in fünf Minuten. Diese Variante der Stillen Post produziert viele Ideen, die erst später bewertet werden. Gut für Ungeübte, die sich in der Gruppe nicht trauen.