Beratung vor Ort, Bestellung im günstigsten Online-Shop – das Internet macht stationären Händlern, Handwerkern und regionalen Dienstleistern viele Kunden abspenstig. Experten warnen: Wer sich nicht neu erfindet und das World Wide Web zu seinem Showroom macht, verschwindet. Was jetzt zu tun ist.
Buchhändlerin Dorothee Junck litt jahrelang unter Beratungsklau: Immer öfter zückten nach Verkaufsgesprächen die Kunden ihre Smartphones und bestellten die von ihr mit Herzblut empfohlenen Schmöker anschließend bei Amazon. Um nicht kampflos dem Internetgiganten das Feld zu überlassen, beschloss die umtriebige Unternehmerin, ihr Geschäftsmodell zu überdenken. Heute hat Junck eine feste Fangemeinde auf Facebook. Sie twittert und postet persönliche Erlebnisse rund ums Buch.
Ihre Kulturveranstaltungen mit Prominenten wie Roger Willemsen sind bei ihr im Viertel Köln-Nippes beliebt und gut besucht. Ihre Kunden wissen auch den Spätdienst an Kiosken und in Kneipen zu schätzen, wo sie Bestellungen bis weit nach 24 Uhr abholen können. Und auch Juncks Engagement bei Stadtteilfesten, in Schulen und im Karneval haben ihr den Ruf der regional verwurzelten Kulturtreibenden eingebracht. Das lohnt sich auch geschäftlich: Obwohl vor drei Jahren nur 400 Meter von ihr entfernt auch noch eine bundesweite Buchladenkette eine Filiale aufgemacht hat, gibt es ihren Acht-Mann-Betrieb immer noch. Die Umsatzeinbußen hielten sich in Grenzen.
Nur die Flexiblen überleben
So wie Junck ergeht es derzeit vielen traditionellen Händlern, aber auch Handwerkern und regional tätigen Dienstleistern. Angesichts des Siegeszugs von Amazon, My Hammer, Zalando und Co. spüren viele von ihnen schon heute die Vorboten des digitalen Tsunamis, der sich in den nächsten Jahren erst noch voll entfalten wird. „Bis zum Jahr 2020 werden 30 Prozent aller stationären Händler, das heißt bis zu 78.000 Geschäfte, aus dem Markt ausscheiden“, lautet die düstere Prognose von Eva Stüber, Senior-Projektmanagerin am E-Commerce-Center Köln (ECC). „Weitere 40 Prozent werden nur überleben, wenn es ihnen gelingt, ihr Geschäftsmodell grundlegend zu verändern – und sie den online-getriebenen Anforderungen der Kunden gerecht werden.“
Wohin die Reise geht, zeigt ein Blick in die Jeans-Stores der Marke Hointer in Seattle. Dort hängen nur noch Einzelstücke zur Ansicht. Bei Gefallen zücken die Kunden ihr Smartphone, laden sich mithilfe der QR-Codes vor Ort im Shop die Hointer-App runter. Darüber bestellen sie die gewünschte Hose in der passenden Größe und Farbe, die anschließend ein Roboter in die Ankleide legt. Was nicht passt, wandert in den Rückgabeschacht. Die neue Größe kann direkt über das Bestelldisplay geordert werden. Der Kunde muss sich nicht wieder anziehen, um sich weitere Kleidungsstücke aus dem Laden zu holen. Bezahlt wird ebenfalls übers Handy – via Paypal und App.
Wie rasant das Smartphone das Einkaufen auch hierzulande verändert, zeigt eine neue App der Schuhhandelskette Deichmann. Wer sich für einen bestimmten Schuh interessiert, kann mithilfe der App im Laden selbsttätig den Barcode auf dem Schuhkarton in das Handy einlesen. Das Gerät verrät ihm dann, ob das Paar in der Filiale noch in einer anderen Größe vorrätig ist, er die Schuhe in der passenden Größe in einer anderen Filiale bekommen kann oder ob sie im Online-Shop bestellen müssen.
Der Laden als Showroom
„Barrieren zwischen On- und Offline-Welt akzeptieren die Kunden beim Kauferlebnis immer weniger“, so ECC-Expertin Stüber. Durch die zunehmende Vernetzung der On- und Offline-Vertriebskanäle verwandeln sich stationäre Ladenlokale immer mehr in Showrooms. Ein Trend, auf den der Hamburger Leuchtenhändler Prediger reagiert hat. In seinen stationären Ladenlokalen in Hamburg und Berlin hält das Traditionsunternehmen nur noch zwischen 1.500 und 3.500 Lampen vor. Dafür können die Kunden auf mehreren mit Großbildschirmen ausgestatteten Beratungsinseln gemeinsam mit den Fachverkäufern aus einem mehrere Zehntausend Artikel umfassenden Onlinesortiment das richtige Lichtkonzept oder die passende Einzelleuchte für sich auswählen.
Nicht jeder traditionelle Händler kann jedoch derart aufrüsten. Was ihnen bleibt: Sie können mit den klassischen Vorteilen des Einzelhändlers vor Ort punkten. „Wer seinen Kunden überragenden Service bietet, das Einkaufen für ihn zum Erlebnis macht und es obendrein noch schafft, die Brücke zwischen Offline- und Onlinehandel zu schlagen, kann einiges erreichen“, so Stephan Tromp, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland.
Auf besonders empathisches, qualifiziertes Personal, überragende Beratung und Events mit Models setzt zum Beispiel Danielle Declercq. Die Französin verkauft in den Kölner Stadtteilen Weidenpesch und Lindenthal Dessous. „Jede Frau wird bei uns deshalb genau vermessen, auch wenn die Beratung eine Stunde dauert“, sagt die Einzelhändlerin, deren wichtigstes Marketinginstrument die Mundpropaganda ist. Vor 13 Jahren eröffnete Declercq ihren eigenen Online-Shop. Doch die Kosten für Retouren erwiesen sich für die Dessous- Händlerin als zu hoch. „Unsere Online-Präsenz ist und bleibt trotzdem für den Geschäftserfolg unserer stationären Läden wichtig“, so Declercq. „Wir informieren unsere Kundinnen regelmäßig auf unserer Homepage und per Newsletter über Produktneuheiten.“
Jeder dritte Käufer geht zuerst ins Internet
Ein guter Schritt, denn rund ein Drittel der Käufer bereitet seine Einkäufe in den Läden mittlerweile durch intensive Internetrecherchen zu Produkten und Dienstleistungen, aber auch zu regionalen Anbietern vor. „Nicht für jeden lohnt die Investition eines eigenen Online-Shops“, so Anton Kless, E-Commerce-Experte aus Düsseldorf. „Eine ansprechende Website, über die sich die Kunden über die aktuell verfügbaren Produkte informieren können, gezielte Kommunikation über soziale Medien wie Facebook, Google+ und Suchmaschinenoptimierung mit dem Ziel, als lokaler Anbieter gefunden zu werden, lohnt sich auf jeden Fall.“
SO GEHEN LOKALE UNTERNEHMER INS INTERNET
Anton Klees, Spezialist für Suchmaschinenoptimierung und Mitentwickler des SEO-Analyse-Tools Seitwert.de, verrät, wie lokal tätige Unternehmen die Ortsnähe zum Kunden auch im Internet zu ihrem Vorteil einsetzen:
1. Suchmaschinen nutzen. Auf der Suche nach lokalen Anbietern schauen sich Kunden immer vorab im Internet um. Wer unter diesen Suchanfragen landen will, muss seine Internetpräsenz lokal optimieren.
2. In Verzeichnisse eintragen. Suchmaschinen sammeln Infos aus allen möglichen Kanälen, deshalb gilt es in den wichtigsten lokalen und regionalen Verzeichnissen sowie in den Branchenlistings vertreten zu sein – von Meinestadt. de über Cylex bis zu Klicktel und Yelp.
3. Empfehlungen im Internet. Für jedes Unternehmen, das im Handelsregister oder in den Gelben Seiten eingetragen ist, erstellt Google automatisch einen Eintrag bei Google+. Wie bei Facebook können Unternehmen dies nutzen, um sich und ihr Angebot bekannt zu machen – per Fotos, Videos, Textbeiträge inklusive Produktvorstellungen und Kundenempfehlungen.
4. Konkurrenz beobachten. Firmen sollten versuchen, möglichst unter die Top-Anbieter bei lokalen Suchergebnissen im Web zu kommen.
5. M-Commerce einsetzen. Immer mehr Smartphone-Besitzer lassen sich „das nächste Restaurant“ oder „den nächsten Bäcker“ auf ihrem Handy anzeigen. Um gefunden zu werden, sollte die Internetpräsenz nicht nur für Recherchen auf Desktop-Rechnern geeignet sein, sondern auch für mobile Geräte wie iPads, Tablets oder Smartphones.