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Creditreform

Der Ausbildungsmarkt hat sich gedreht: Gute Kandidaten können sich ihren Arbeitgeber aussuchen. Firmen dagegen geraten in die Bewerberrolle. 

Was haben das Dentallabor und die Druckerei, der Optiker und der Polsterer, der Telefonladen und der Zimmerer gemeinsam? Sie suchen händeringend Auszubildende, die handwerklich geschickt oder kaufmännisch gewieft sind, Neugierde auf die betriebliche Praxis mitbringen und Durchhaltevermögen zeigen, wenn es im Ausbildungsalltag mal schwierig wird. Zwar interessierten sich im Jahr 2017 erstmals seit 2011 wieder mehr junge Menschen für einen Ausbildungsplatz, aber zum 30. September blieben mit 48.900 Stellen so viele unbesetzt wie seit 1995 nicht. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl um 5.500 – vor allem Handwerksbetriebe gingen leer aus. Um das zu ändern, sind gute Ideen gefragt.

Theorie trifft Praxis

So wie im Münsterland in und um Telgte. Dort kooperieren mehr als 100 Arbeitgeber mit allen weiterführenden Schulen und sogar mit Grundschulen. Vom Förderschüler bis zum Abiturienten lernen die jungen Leute die Arbeitswelt ganz praktisch kennen. Ausbilder in den Firmen bieten kurze Betriebsbegehungen und Praktika. Auszubildende bringen ihren Altersgenossen Berufsbilder nahe. Lehrer initiieren Projekte, in denen Berufspraxis Platz findet. Denn der Satz des Pythagoras wirkt gleich spannender, wenn im Metallbetrieb mit den ausgerechneten Werten eine Welle gefräst wird. Oder aber Schüler durchstreifen für das Fach Kunst Werkshallen nach Motiven für Ölgemälde. Und mit den Spenden mehrerer Firmen gründete ein Physiklehrer eine Fischertechnik AG, in der vom Riesenrad bis zum Roboter bewegte Maschinen gebaut werden.

Die Beispiele zeigen: Viel mehr als Geld brauchen Konzepte wie das sogenannte Telgter Modell vor allem Zeit und engagierte Netzwerker. Der große Sprung besteht aus tausend kleinen Schritten, sind die Macher im Münsterland überzeugt. Wenn Anfang eines Jahres in einer Schule 13 Jugendliche keine Ausbildungsstelle haben, aber Ende des Schuljahres alle versorgt sind, haben örtliche Arbeitgeber vom Fleischermeister und Floristen bis zum Fertigbau-Unternehmen mitgemischt. Initiatorin Magdalena Münstermann, Mitglied der Geschäftsleitung im gleichnamigen Maschinenbaubetrieb in Westbevern, schildert zehn erfolgreiche Jahre Telgter Modell: „Schüler, die mit ihrem Zeugnis erst einmal keine Chance hatten, sind solide Facharbeiter geworden. Und Gymnasiasten haben erlebt, dass es neben theoretisch Erlerntem in der Arbeitswelt zukunftsgestaltende Berufe gibt – in Handwerk und Industrie.“

Die Unternehmen gehen mit der Zeit. Digitalisierung ist bei ihnen ein Riesenthema. „Als kürzlich Lehrer in Kleingruppen an einem Tag je zwei Arbeitgeber unterschiedlicher Branchen besucht haben, kam die Diskussion automatisch auf die Nutzung digitaler Medien, weil Schüler dort meist weiter sind als mancher Lehrer“, so Münstermann. Ein Unternehmer regte an, einen IT-Kompetenzraum zu bauen – der wird nun im Schulzentrum entstehen. So bleiben die Arbeitgeber aktiv und bei Schülern und Lehrern im Gespräch.

Nähe nützt

Wie stark Persönliches wirkt, zeigt die Studie „Azubi-Recruiting Trends 2017“. Über 60 Prozent der befragten Schüler und Azubis erhalten mehr als ein Ausbildungsangebot. Den Ausbildungsvertrag aber unterschrieben die Kandidaten, weil die Atmosphäre stimmte (54 Prozent), das Gespräch sympathisch verlief (47 Prozent) und weil die Zusage schnell kam (41 Prozent). „Unternehmen fangen junge Leute online ein, aber sie überzeugen sie offline“, kommentiert Christoph Beck, Professor an der Hochschule Koblenz, der die Trends seit fünf Jahren ermittelt. Das spricht für Nähe, also für regionale Ausbildungsbörsen wie die der IHK-Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz. Denn Bewerber für die Ausbildung sind jünger als Hochschulabsolventen und das Azubi-Entgelt erlaubt keine großen Sprünge. Also wollen nur die wenigsten unter ihnen ihre Heimat verlassen.

» Unternehmen fangen junge Leute online ein, aber sie überzeugen sie offline. « Christoph Beck, Hochschule Koblenz

Weil aber Arbeitgeber noch nicht überall erkannt haben, dass sie um beruflichen Nachwuchs werben und sich sogar bei den jungen Menschen bewerben müssen; weil nicht überall Unternehmer Schüler als geeignete Auszubildende weiterempfehlen, wenn diese im Spritzguss besser aufgehoben sind als beim Dachdecker. Und weil kleinen Betrieben meist die Zeit und das Personal fehlen, um sich intensiv um die Akquise von Azubis zu kümmern, verfolgt Jana Pulwer-Simmat die Idee, regionale Praktikanten- und Ausbildungs-Plattformen als Dienstleistung im Franchise-System anzubieten.

In Dresden und Umgebung ist die Unternehmerin bereits erfolgreich: Ihre Ausbildungskampagne „Onkel Sax“ hat von den Wirtschaftsjunioren Deutschland die Auszeichnung „Ausbildungs-Ass 2017 in Gold“ erhalten. Das Prinzip: Ein Webportal bringt Betriebe und Schüler zusammen. Es informiert Eltern, Schulleiter, Lehrer, Ausbildungsbetriebe und vor allem Jugendliche darüber, was es in der Region Neues rund um die Ausbildung gibt: „Wie bewerbe ich mich richtig?“ ist ebenso ein Dauerbrenner wie der „Beruf des Monats“. Firmen hinterlegen Praktikums- und Ausbildungsangebote. In Kontakt kommen ist das zentrale Ziel.

Gerade weil Pulwer-Simmat mit ihrer Firma Intersyst aus der IT kommt, setzt sie auf persönliche Kontakte: „Sich nur auf einer Plattform zu präsentieren, das reicht nicht, denn die Jugendlichen wollen die Ausbilder zu Gesicht bekommen.“ Kleine Firmen werden im Web nicht gefunden, eigene Karriereseiten lohnen nur für prominente Unternehmen. Deshalb organisiert Jana Pulwer-Simmat regionale Ausbildungsbörsen und kleine Messen in einzelnen Schulen, vermittelt Berufsvorbereitungstage und Schülerpraktika – und nimmt sich einzelne Unternehmer vor: „Statt Logos auf Schulhefte zu drucken, sollte ein Arbeitgeber lieber mehr Praktikantenstellen einrichten.“

Digital da sein
Was lockt Azubis im Netz?
Neben Jobportalen wie Monster und Stepstone sowie dem Service der Arbeitsagentur können folgende Maßnahmen helfen:

Firmen-Website:
Ein Button „Ausbildungsbetrieb“ oder ein Azubi-Hinweis in der Themenleiste der Startseite führt die Nutzer zu Stellenangeboten, Statements von Ausbildern und Auszubildenden, Videos von Mitarbeitern und Arbeitsplatzbeschreibungen.

Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer:
Die Kammern unterstützen unter­schiedlich intensiv bei der Suche nach Auszubildenden. Unzufriedene Mitglieder sollten Aktivitäten fordern. Vorbildlich: „Starthelfende Ausbildungsmanagement“ der HWK zu Köln berät und vermittelt Ausbildungsplätze (hwk-koeln.de), die IHK Koblenz organisiert eine Ausbildungsbörse (durchstarter.de).

Gemeinsame Initiativen:
Firmen organisieren gemeinsam die Auswahl von Azubis – in Ostfriesland gehen IT-Unternehmen ein Bündnis ein (software-leer.de), in Telgte agieren Arbeitgeber branchenübergreifend (telgter-modell.de).

Dienstleister beauftragen:
Wem das Know-how fehlt und wer keine Zeit investieren will, kann Dienstleister beauftragen wie die Intersyst in Dresden mit ihrem Portal onkel-sax.de.