
© ORION Versand
Lange bevor Anbieter wie Amorelie und Eis den Erotikhandel aufmischten, lernte sich das Flensburger Familienunternehmen Orion durchzusetzen – und ließ dabei seinen einst größten Rivalen, Beate Uhse, hinter sich. Das Erfolgsrezept von Geschäftsführerin Maike Rotermund: Die Nähe zum Kunden gepaart mit Sinn für Innovationen.
ls der „Waver“ von Orion 2008 auf den Markt kam, schlug er wortwörtlich Wellen. Der Vibrator mit „Wellen-Massage-Technik“ war eine Weltneuheit und so ungewöhnlich wie seine Entstehungsgeschichte.
Das Liebesspielzeug basiert auf der Idee eines Studenten, der einen neuen Antrieb für Fahrzeuge entwickeln wollte. Während sein ursprüngliches Vorhaben scheiterte, bemerkte er, dass die von ihm entwickelte Technologie in einem anderen Bereich von Nutzen sein könnte.
So kam er zu Orion. „Der Prototyp war ein etwa 50 Zentimeter langer Bohrer, auf den der Student ein gelbes Gummi gestülpt hatte“, erinnert sich Chefin Maike Rotermund und lacht.
Die Idee wirkte auf den ersten Blick bizarr, aber sie hatte Potenzial – das Orion erkannte. Der Waver wurde zum Verkaufsschlager.
„Ein Vorurteil, das ich nicht mehr hören kann, gibt es nicht. Wenn eins geäußert wird, gibt mir das die Gelegenheit, es aufzuklären.“
Maike Rotermund
Nachfolge mit Bedenkzeit
„Die Geschichte sagt viel über das Unternehmen aus. Wobei Maike Rotermund den Orion Versand erst seit 2014 leitet. Dass es irgendwann soweit kommen würde, war lange nicht ihr Plan.
Sie ging nach England, studierte International Business und arbeitete als Wirtschaftsprüferin, bevor sie – um die Zeit zwischen zwei Jobs zu überbrücken – für ein Praktikum zu Orion kam.
Eine Entwicklung im Sinne ihres Vaters Dirk Rotermund, der sie immer wieder dazu anhielt, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, bevor sie sein Unternehmen nicht richtig kennengelernt hatte.
Erst während ihres Praktikums reifte der Entschluss, das Familienunternehmen mitgestalten zu wollen. Also blieb die heute 44-Jährige, heuerte zunächst als Assistentin der Geschäftsführung an, bis sie vor sieben Jahren ihren Vater an der Unternehmensspitze ablöste.
Turbulente Firmengeschichte
Die anfänglichen Vorbehalte gegen die Unternehmensnachfolge haben auch mit der Geschichte von Orion zu tun, die in den Anfangsjahren von Streit und Konkurrenz geprägt war.
Sie beginnt mit Maike Rotermunds Stiefgroßmutter Beate Rotermund-Uhse, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Flensburg den ersten Sexshop der Welt eröffnete und zur „Mutter Courage des Tabubruchs“ wurde.
Im Jahr 1981, da war Maike Rotermund fünf Jahre alt, teilte Beate Rotermund-Uhse ihren Betrieb auf. Sie selbst und ihr Sohn Ulrich behielten die Läden, die Filmproduktion und die Erotikkinos, die unter dem Namen „Beate Uhse“ liefen.
Ihr Sohn Klaus und ihr Stiefsohn Dirk bekamen den Versandhandel, der später in Orion umbenannt wurde. Die Unternehmen wurden zu Rivalen, die Inhaberfamilien zerstritten sich.
Orion: 40 Jahre Erotik aus Flensburg
- 1981 Beate Uhse entscheidet sich, ihr Unternehmen aufzuteilen. Sie behält mit ihrem Sohn Ulrich Rotermund Läden und Kinos, Dirk Rotermund und Klaus Uhse bekommen den Verlag und das Versandhaus Beate Uhse.
- 1984 Die Geschäftsleitung verkauft den Namen „Versandhaus Beate Uhse” und beginnt mit der Umfirmierung zu „Orion“.
- 1985 Die Tochterfirmen Orion Österreich und Orion Schweiz werden gegründet. Der Orion Großhandel startet als Zwei-Personen-Abteilung, um die Auslandsniederlassungen der Unternehmensgruppe mit Ware zu versorgen.
- 1986 Für den Aufbau einer Ladenkette wird 1986 Werner Susemichel als Partner gewonnen.
- 1995 Der Orion Versand startet einen Onlineshop.
- 2003 Die Internetseite des Orion Großhandels geht online.
- 2008 Der „Waver“ kommt auf den Markt.
- 2014 Dirk Rotermund übergibt die Geschäftsführung an seine Tochter Maike.
- 2021 Orion ist einer der größten Erotik-Händler in Deutschland und verkauft seine Produkte nicht nur an Kunden in Europa, sondern ist mit seinem Großhandel in rund 50 Ländern auf der Welt aktiv.
Konzentration auf eigene Projekte
Der Zwist fand ein Ende, als Beate Uhse erst Umsatz, dann Marktanteile verlor und schließlich Insolvenz anmelden musste. Statt auf Teile der Insolvenzmasse mitzubieten, konzentrierte sich Orion weiter auf die eigenen Projekte.
Der Name eint heute zwei separate Unternehmen. Zum einen die Orion Versand GmbH mit Zentrale und Logistikzentrum in Flensburg. Zum anderen die Orion Erotik Fachgeschäfte GmbH & Co. KG mit Sitz im hessischen Biebertal.
Letztere wird seit 1986 von der Unternehmerfamilie Susemichel verantwortet und betreibt aktuell rund 150 Orion-Fachgeschäfte in Deutschland. Knapp die Hälfte der Anteile am Ladengeschäft hält die Familie Rotermund.
Warum Orion ein Schicksal wie das von Beate Uhse erspart geblieben ist? Das Management hatte stets ein Gespür für die richtigen Trends und setzte früh darauf.
Schon Mitte der 1990er Jahre etwa richtete Orion einen eigenen Onlineshop ein – als eines der ersten Unternehmen in der Branche. Heute laufen knapp 90 Prozent der Umsätze über den Onlineversand.
Da im Versandhandel beim Verkauf von Filmen immer schon die Altersvorgabe FSK 16 galt, blieben die Verluste entsprechend überschaubar, als kostenloses Streaming im Internet Videokassetten und DVDs weitgehend ersetzte.
Stattdessen konzentrierte sich Orion auf den Verkauf von Liebesspielzeug, Dessous und Kosmetikartikeln – die drei Bereiche, mit denen das Unternehmen nach wie vor erfolgreich ist.
Kunden sind Männer und Frauen gleichermaßen
Rund 12.000 verschiedene Artikel hat der Versand derzeit auf Lager, bei zwei Dritteln handelt es sich um eigene Produkte. Wie viele Artikel tatsächlich pro Tag das Logistikzentrum verlassen, sei schwer zu sagen. Nur so viel: Die Zahl liege im „höheren fünfstelligen Bereich“.
Während das Unternehmen im B2C-E-Commerce hauptsächlich in Deutschland und den angrenzenden Ländern vertreten ist, sei der Großhandel inzwischen in über 50 Ländern auf der ganzen Welt aktiv, sagt Orion-Sprecherin Susanne Gahr.
Zum Kundenstamm zählen unter anderem Bekleidungshändler, Drogerieketten, und Onlineversandhändler wie Amazon. „Auch einige unserer Marktbegleiter kaufen Handelsmarken von Orion ein, um ihr Sortiment zu erweitern.“
Unter den privaten Käufern sind Frauen und Männer gleichermaßen vertreten. Viele Produkte werden von Paaren gekauft, etwa Vibratoren mit Fernsteuerung.
Der am besten verkaufte Artikel ist jedoch seit Jahren ein Produkt für Frauen: Der „Womanizer“, ein Sextoy, das Frauen mit Druckwellentechnik zum Höhepunkt bringen soll und für das Orion in Europa und Russland über mehrere Jahre exklusiv die Vertriebsrechte hatte.
Der Preis von 189 Euro gibt Aufschluss darüber, wie sich der Markt für Erotik-Artikel in den letzten Jahren entwickelt hat. Sexspielzeuge seien heutzutage Liefestyleprodukte, für die Kunden gerne Geld ausgeben.
Selbst inmitten der Corona-Pandemie. So sind die Umsätze in den vergangenen Monaten – vor allem während des Lockdowns – steil nach oben gegangen.
Das schmuddelige Image hat die Erotik-Branche weitestgehend hinter sich gelassen – auch dank Orions Herausforderern wie Amorelie aus Berlin und Eis aus Bielefeld. „Von ihrer Werbung für Erotikartikel hat die ganze Branche profitiert“, sagt Gahr.
Innovationen aus dem 3D-Drucker
Darauf ausruhen will sich das Unternehmen allerdings nicht. Um nicht eines Tages von der Konkurrenz überholt zu werden, investiert Orion seit Jahren in Forschung und die Entwicklung neuer Produkte.
Jedes Jahr kommen etwa 200 neue Serienprodukte zustande, darunter viele optimierte Produkte. Ein eigenes Team ist ausschließlich für Produktinnovationen verantwortlich und feilt – unter anderem mithilfe von 3D-Druck – an Prototypen für neue Liebesspielzeuge.
Produziert wird die Ware größtenteils in Asien, allerdings nach EU-Standards. Bevor sie auf den Markt gebracht kommen, werden die Sextoys von Mitarbeitern aus dem Qualitätsmanagement, aber auch von externen Prüfstellen wie TÜV Rheinland und Bureau Veritas getestet.
Nur Artikel aus hautfreundlichen Materialien, frei von Weichmachern wie Phthalaten, Schwermetallen und zinnorganischen Verbindungen, bestehen den Test.
Orion habe sich freiwillig eine Richtlinie auferlegt, die sich an den Qualitätsmaßstäben für Kinderspielzeug orientiert, betont Sprecherin Susanne Gahr.
Sie einzuhalten ist nicht immer einfach, lohnt sich aber allein schon für den guten Ruf, den sich das Unternehmen damit weltweit erarbeitet hat.
So bestellen inzwischen auch einige Kunden aus China und Russland beim Orion Versand, weil sie sichergehen wollen, dass die Sexspielzeuge auch wirklich unbedenklich sind. Noch beliebter sind Hygieneartikel wie Gleitmittel und Kondome. Diese werden, anders als Toys und Wäsche, ausschließlich in Deutschland gefertigt.
Omnichannel als Erfolgsrezept
Was Orion in Deutschland als Erotikhändler einzigartig macht, ist das Omnichannel-Konzept des Unternehmens. Der Kunde kann den Einkaufskanal wählen, der ihm am meisten entgegenkommt.
Sei es der Onlineshop, der stationäre Erotik-Fachhandel oder die Shops anderer Anbieter, die Orion-Produkte vertreiben. Den klassischen Katalog gibt es ebenfalls noch, wenn auch in deutlich kleinerer Auflage als früher.
Auf Facebook, Instagram, und Co. ist Orion ebenfalls aktiv. Seine viel bespielten Social-Media-Kanäle nutzt das Unternehmen aber nicht nur, um Produkte zu bewerben.
Die Macher betreiben auch Aufklärung und beantworten alle Fragen rund um das Thema Sex. Dadurch entsteht Nähe. Die Community dankt es Orion mit Rückmeldung zu alten, und Ideen zu neuen Produkten.
Impulse bekommt Orion aber auch aus den eigenen Reihen. Die rund 300 Mitarbeiter so weit wie möglich in die Unternehmensentscheidungen einzubeziehen, ist Teil der Kultur.
Ein Großteil ist schon seit vielen Jahren im Unternehmen, die Atmosphäre ist familiär. Rund 70 Prozent der Menschen, die für Orion arbeiten, sind Frauen.
Dass ihr Unternehme damit ein Klischee wiederlegt – nämlich, dass Frauen Erotik gegenüber weniger aufgeschlossen sind – passt zu Maike Rotermunds Einstellung zu Vorurteilen: „Ein Vorurteil, das ich nicht mehr hören kann, gibt es nicht“, sagt sie. „Wenn eins geäußert wird, gibt mir das die Gelegenheit, es aufzuklären.“