Was macht gute Führung aus? Wie entwickeln sich die Mitarbeiter so, dass sie den größten Wertbeitrag für das Unternehmen erbringen? Fest steht: Zwischen Schein und Sein klafft meist eine große Lücke. Führungskräfte schätzen ihren Stil viel positiver ein, als es die Fachkräfte wahrnehmen, ergab eine Studie. Wie Chefs das Dilemma lösen.
An Offenheit und unternehmerischem Mut mangelt es Gunther Wobser wahrlich nicht. „Wir liefen Gefahr, vom Markt überholt zu werden“, räumt der Geschäftsführer der Lauda Dr. R. Wobser GmbH & Co. KG ein. An der Westküste der USA übernahm der mittelständische Spezialist für Temperiergeräte und -systeme deshalb ein Unternehmen mit 20 Mitarbeitern, das genau die Technologie entwickelt, die Lauda fehlte. Dem Kauf folgte ein radikaler Schnitt. Wobser, der das Familienunternehmen mit 440 Beschäftigten und 80 Millionen Euro Umsatz im fränkischen Lauda-Königshofen führt, packte die Koffer und zog für ein Jahr ins Silicon Valley. Nach seiner Rückkehr im Herbst 2018 fällt die Bilanz des 48-Jährigen rundum positiv aus. In Kalifornien hatte Wobser die neue US-Tochter ins Unternehmen integriert, ein Innovationslab gegründet, viel über sich und sein Führungsverhalten gelernt und last but not least eine richtig gute Zeit mit seiner Frau und dem 15-jährigen Sohn verbracht. Fest steht für den promovierten Wirtschaftswissenschaftler aber auch: „Wenn ich nicht frühzeitig meinen Führungsstil geändert hätte, wäre dieses Projekt gar nicht möglich gewesen.“
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2010 hatte Gunther Wobser vom Vater die alleinige Verantwortung für das Unternehmen übernommen und zunächst auf einen eher direktiven, also patriarchalischen, Stil gesetzt. Aufgaben delegierte er mit dem Ziel, dass Mitarbeiter sie den Vorgaben entsprechend ausführen sollten. Was nach „alte Schule“ klingt, trifft immer noch auf die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland zu. Bei einer Befragung von rund 13.500 Fach- und Führungskräften durch die Personalberatung Kienbaum und die Online-Jobplattform Stepstone Anfang 2018 zur „Kunst des Führens in der Digitalen Revolution“ kam heraus: Mit 54 Prozent gab die Mehrheit der Fachkräfte an, dass sie direktiv geführt würden. Und genau das wollen sie nicht. Sie wünschen sich vielmehr einen Chef, der charismatisch ist, als Vorbild fungiert, eine Vision vermittelt und motiviert. 94 Prozent votierten für diesen transformationalen Stil, der Selbstbestimmung fördert und Vertrauen in die Leistungsstärke beinhaltet. Einen Geschäftsführer, der konkrete Ziele formuliert und sich konstruktiv gibt (strategisch) oder einen wertorientierten Chef, der transparent handelt und Selbstständigkeit fördert (ethisch), schätzen sie ebenfalls. Permanent kontrolliert und dann je nach Erfolg/Misserfolg belohnt oder bestraft werden (transaktional), möchten hingegen nur 20 Prozent. Und unter Vorgesetzten, die mit allem einverstanden sind (laissez faire), genießen Mitarbeiter zwar die größten Freiräume, vermissen aber auch Teamwork und Feedback.
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Was die Belegschaft wünscht und was Chefs glauben zu bieten, das weicht stark voneinander ab. „Führungskräfte schätzen sich bei allen Fragen zu ihrem Verhalten deutlich günstiger ein, als es Fachkräfte wahrnehmen“, so die Studie. „Vorgesetzte sollten deshalb regelmäßig bei ihren Mitarbeitern Feedback einholen, um zu erfahren, wie ihr Stil wahrgenommen wird“, rät Angela Westdorf, Managing Partner bei der internationalen Personalberatung Signium.
Auch Gunther Wobser hat erfahren müssen, dass er beim Wandel seines Führungsstils von der direktiven Art hin zum transformationalen und strategischen Stil noch nicht so weit gekommen war, wie er geglaubt und gehofft hatte. An der Stanford Graduate School of Business belegte er mehrere Kurse zu Führung und Innovation. Wie seine Führungskräfte im gut 9.000 Kilometer entfernten Lauda-Königshofen seine Art zu managen wahrnehmen, eruierte die Business School anhand von anonymisierten Fragebögen, die sieben seiner Manager per Mail erhielten. Das Ergebnis versetzte dem CEO einen ordentlichen Dämpfer. „Meinen Stil nahmen meine Mitarbeiter als viel direktiver wahr, als ich es eingeschätzt hatte“, gibt Wobser zu. Doch er ließ sich nicht entmutigen und nutzte die Kurse, um über sich und von anderen zu lernen. Ihm wurde schnell gespiegelt, ob das gelang. 2016 hatte der Chef bei Lauda im Rahmen eines neuen Prämiensystems ein 360-Grad-Feedback eingeführt. Dabei geben nicht nur Vorgesetzte ihren Mitarbeitern eine Rückmeldung, sondern auch Mitarbeiter, Kunden und Kollegen bewerten den Chef.
In die 2017er-Bewertung floss bereits das erste Halbjahr in den USA und damit die Führung aus der Ferne ein. „Die Beurteilung fiel besser aus als die vorherige. Als besonders positiv haben die Kollegen bewertet, wie ich Innovationen aktiv vorantreibe.“
Freiheit für Freigeister
Anders als Wobser hat Miriam Wohlfarth 15 Jahre lang auf der anderen Seite des Schreibtisches gesessen, als Angestellte in Startups und bei Konzernen. Vor knapp zehn Jahren gründete sie schließlich als eine der ersten Frauen in Deutschland ein Fintech, die Ratepay GmbH, die sich auf Online-Payment-Lösungen spezialisiert hat. Eine der wichtigsten Erfahrungen aus den Anfängen ihrer Karriere hat sie in ihrem Führungsstil fest verankert. „Ich bin ein freiheitsliebender Mensch und hätte auch schon das ein oder andere Mal Grenzen überschritten, wenn mein Chef mich nicht gebremst hätte.“ Freiraum und Selbstbestimmung sind für sie unerlässlich, wenn Teams Ziele erreichen wollen. Bei ihren heute 200 Beschäftigten dürfte sie damit einen Nerv treffen. Denn die sind im Schnitt Anfang 30, gehören damit zur Generation Y. Angebote wie Gleitzeit und Homeoffice gehören neben Weiterbildung und moderner Arbeitsplatzausstattung für sie laut GenY-Barometer der Jobbörse Absolventa zu den wichtigsten immateriellen Benefits eines Unternehmens.
Doch der Führungsstil Wohlfarths hat auch Konsequenzen. „Jeder Einzelne soll lösungsorientiert denken und Verantwortung übernehmen. Wenn ich immer ein ,Ja, aber …‘ höre, ist er gegebenenfalls nicht der Richtige für unser Team“, sagt die Geschäftsführerin. Sie sieht eine ihrer wichtigsten Aufgaben darin, als Talentscout Teams zusammenzustellen, deren Mitglieder sich ideal ergänzen. Ihr Credo „Machen lassen“ setzt allerdings auch Verantwortungsbereitschaft der Kollegen voraus. Wie ein guter Dirigent sollte ein erfolgreicher Chef das Orchester dirigieren, um aus der Summe der Einzelleistungen das perfekte Stück zu formen, beschreibt Beraterin Westdorf.
Wie gut ihr Stil bei den jungen Mitarbeitern ankommt, wird auch Wohlfarth bald genau wissen. Denn das Berliner Unternehmen führt ebenfalls sukzessive ein 360-Grad-Feedback ein. Die Resonanz fürchtet die 47-Jährige nicht. „Ich schätze es, wenn Mitarbeiter widersprechen. Man muss sich auch reiben können, dadurch entstehen oftmals gute Ideen.“ Die Kollegen dürften den Schritt gleichermaßen schätzen. So ergab eine Umfrage der Karriere- und Outplacement-Beratung von Rundstedt, dass gut 58 Prozent der Mitarbeiter kündigen, weil ihnen eine konstruktive Feedback-Kultur fehlt.
Wofür schlägt das Herz?
Für Sophia von Rundstedt, Geschäftsführerin der Düsseldorfer Beratung, bleibt es nicht bei dieser theoretischen Erkenntnis. Die heute 46-Jährige, die das Unternehmen von ihrem Vater vor sieben Jahren mit rund 200 Mitarbeitern übernommen hat, sieht als eine ihrer wichtigsten Führungsaufgaben, „die Menschen in ihr Element zu bringen. Wofür schlägt ihr Herz? Wofür empfinden sie Leidenschaft? Nur dann bringen sie den größten Wertbeitrag für das Unternehmen“, sagt die Juristin. Damit verbunden sei Wertschätzung für die Leistung, die inspirierend und motivierend wirke. Jüngst hat von Rundstedt einen Feedback-Bogen entwickelt, den Mitarbeiter Vorgesetzten oder Kollegen geben können, um sich bei Bedarf zügig und unkompliziert Rückmeldungen einzuholen. Gleichzeitig denkt von Rundstedt über das Andocken an eine digitale Plattform für kontinuierliches Feedback nach.
Auch der Chefin selbst hat nach dem Stabwechsel der enge Austausch mit einer langjährigen Führungskraft ebenso wie mit einem Coach geholfen. Auf Sparringspartner war sie allemal angewiesen. Der Vater, der das Unternehmen 1985 gegründet und zum Branchenführer gemacht hatte, pflegte eher einen Laissez-faire-Stil, behielt aber in entscheidenden Situationen das Ruder gern selbst in der Hand. Die Tochter will stärker auf Teams setzen und dadurch das Potenzial der Organisation besser nutzen. Ein erstes Signal setzte sie mit dem Umzug in Großraumbüros. Sie krempelte zudem das Bonussystem um. Seitdem orientiert sich die Prämie nur noch am Erfolg des Unternehmens, aber nicht mehr an individuellen Zielvorgaben. „Jetzt nutzen die Teams viel mehr ihre gemeinsamen Stärken“, sagt von Rundstedt.
Digital Leader gesucht
Herausforderungen meistern müssen Chefs nicht nur beim Stabwechsel vom Senior zum Junior oder beim Managen junger Teams mit veränderten Ansprüchen. Auch die Digitalisierung sollte auf der Agenda weit oben stehen. Doch laut einer Studie des Digitalverbands Bitkom von Juni 2018 tun sich vor allem Mittelständler mit dem Umsetzen einer Digitalstrategie schwer. Nur jedes vierte Unternehmen mit 100 bis 499 Mitarbeitern gab an, dass es investieren will. Unabhängig von der Firmengröße beklagt jeder dritte Manager fehlende Zeit im Alltagsgeschäft. Doch das könnte sich mittelfristig rächen. Für Sebastian Dettmers und Stefan Diestel, Autoren der Kienbaum/Stepstone-Studie, steht fest: „Führungskräfte leisten einen erheblichen Beitrag zum Erfolg oder Misserfolg der digitalen Transformation eines Unternehmens.“ Dabei stellt digitale Führungskompetenz aus ihrer Sicht keinen separaten Führungsstil dar, sondern beschreibt die Kompetenz, Menschen, Teams und Projekte im digitalen Zeitalter effektiv leiten zu können. „Sie verfolgen eine Vision für die digitale Transformation, leiten Teams und Projekte aus der Distanz und sind Vorreiter in der Nutzung digitaler Medien.“
Um das umzusetzen, war Wobsers US-Aufenthalt perfekt. Per Videokonferenz hat der Lauda-Chef aus den USA drei Stunden pro Tag das Geschäft in der Heimat gesteuert und dabei auch gelernt, Verantwortung abzugeben. Zurück in Deutschland verwandelte er sein Büro in einen Coworking Space, den er sich heute mit anderen teilen möchte. Komplett digital unterwegs, arbeitet er jetzt auch mal im Großraum, rückt so dichter an die Mitarbeiter heran. Mit einem neuen Innovationsprozess bindet er zudem die gesamte Belegschaft auf dem Weg in die digitale Zukunft ein und ein firmeneigener Chatbot nimmt Ideen entgegen und ordnet sie nach Machbarkeit verschiedenen Stellen im Unternehmen zu, bevor zum Beispiel das Innovationlab in den USA diese weiterentwickelt.
Ein zweites Jahr wäre Wobser trotz seiner positiven Bilanz allerdings nicht im Silicon Valley geblieben. „In den USA habe ich zwar gelernt, ein Team virtuell zu führen und Verantwortung zu übertragen. Vor Ort habe ich aber auch gemerkt, wie wichtig persönliche Kommunikation und Präsenz für gute Führung sind.“ Alle zwei Monate hat er deshalb eine Reise von Kalifornien nach Tauberfranken gern in Kauf genommen.
Eigenwahrnehmung trifft Fremdwahrnehmung
Was Chefs tun können, wenn das Mitarbeiter-Feedback schlechter als erwartet ausfällt, rät Angela Westdorf, Managing Partner bei der internationalen Personalberatung Signium.
✪ Ein 360-Grad-Feedback, mit dem Vorgesetzte, gleichgestellte Kollegen und Mitarbeiter die Kompetenzen beurteilen, liefert genaue Anhaltspunkte für fachliche und/oder persönliche Schwächen.
✪ Den Austausch mit einem Sparringspartner suchen, idealerweise mit einem Kollegen aus einem anderen Land und einer anderen Sparte, der die Firma kennt und weiß, wie
sie tickt.
✪ Eine externe Vertrauensperson aus dem eigenen Netzwerk, die ähnliche Herausforderungen in einem anderen Unternehmen bewältigen muss, kann Impulse aus einer neutralen Perspektive geben.
✪ Bei persönlichen Defiziten den Rat eines Coaches suchen, der hilft, die Schwächen zu analysieren, und Wege aufzeigt, den Führungsstil zum Wohle der Mitarbeiter und damit meist auch des Geschäftserfolgs zu verbessern.
✪ Mit einem regelmäßigen 360-Grad-Feedback können Führungskräfte die aktuelle Wahrnehmung ihrer Mitarbeiter überprüfen. Nur wenn sich etwas zum Positiven ändert, wirken die Befragungen motivierend.