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Creditreform

Wenig Resonanz auf Stellenanzeigen und kaum qualifizierte Bewerber: Der Fachkräftemangel macht sich immer stärker bemerkbar. Je spezieller das Anforderungsprofil, desto länger bleiben Positionen unbesetzt. Viele Projekte müssen zurückgestellt werden oder können gar nicht erst starten. Gerade für mittelständische Unternehmen wird es zunehmend schwer, geeignetes Personal zu finden. Es kommt deshalb darauf an, alle verfügbaren Potenziale bei der Personalsuche zu mobilisieren. Grenzüberschreitendes Recruiting wird zu einer Chance, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Mit der richtigen Strategie haben Mittelständler im Ringen um internationale Fachkräfte gute Karten. Viele Kandidaten erleben, dass Unternehmen ihre beruflichen Erfahrungen im Ausland nur unzureichend würdigen. Sie suchen nach Wertschätzung für ihre bisherige Laufbahn und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten. Mittelständler die kommunizieren und vorleben, dass sie internationale Erfahrung als Mehrwert schätzen, haben selbst im Wettbewerb mit großen Konzernen die Nase vorn.

Nicht nur in Wachstumsbranchen wie Chemie, Pharma oder Biotechnologie sind Fachkräfte rar. Es fehlt an Qualifikationen, die in allen Unternehmen gebraucht werden. Vor allem Ingenieure und IT-Kräfte werden händeringend gesucht. SAP-Experten etwa sind kaum zu bekommen. Sie erhalten jede Woche eine Handvoll neuer Jobangebote. Obendrein ist branchenübergreifend internationales Know-how gefragt, um Positionen in Einkauf und Vertrieb zu bekleiden oder Auslandsfilialen aufzubauen. Schließlich agieren viele Unternehmen längst über Ländergrenzen hinweg und stellen sich dem internationalen Wettbewerb. Nur mit multinationalen Teams können Firmen ausländische Kunden adäquat betreuen.

Für wen Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt

Ohne Einwanderer sieht es für den Wirtschaftsstandort Deutschland düster aus. Das Arbeitskräftepotenzial wird bis 2025 um rund 6,5 Millionen Personen schrumpfen, so die Bundesagentur für Arbeit. Während die Baby-Boom Generation aus dem Berufsleben ausscheidet, rücken zu wenige Nachwuchskräfte nach. Schon in diesem Jahr gehen 351.000 Menschen mehr in Rente als junge Menschen ins Arbeitsleben eintreten, Tendenz steigend. Diese Entwicklung wird besonders Mittelständler treffen, die im Ringen um die besten Talente gegenüber Großunternehmen schnell ins Hintertreffen geraten.

Noch steckt das internationale Recruiting in den Kinderschuhen. Doch früher oder später müssen alle Unternehmen länderübergreifend auf Personalsuche gehen, um ihren Personalbedarf zu stillen. Für viele Jobs stehen in EU-Staaten und anderen Ländern Spitzenkräfte bereit.

Für Bürger der EU, Mitgliedsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (Island, Liechtenstein, Norwegen) und der Schweiz gilt die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Sie dürfen in der gesamten EU arbeiten. Berufstätige und ihre direkten Familienangehörigen benötigen keine spezielle Aufenthaltsgenehmigung. Seit Jahresbeginn 2014 haben auch rumänische und bulgarische Staatsangehörige die gleichen Rechte wie alle anderen EU-Bürger. Dies eröffnet Arbeitgebern ein großes Reservoir von potenziellen Mitarbeitern.

Auch Fachkräfte aus Russland, Asien oder Südamerika sind eine interessante Option. Die im August 2012 eingeführte „Blue Card“ erleichtert es Bewerbern aus Drittstaaten, in EU-Ländern eine Arbeit aufzunehmen. Sie erhalten eine Blue Card, wenn sie über einen Hochschulabschluss verfügen und einen unterschriebenen Arbeitsvertrag mit einem Bruttogehalt von mindestens 46.400 Euro pro Jahr nachweisen können. In Berufen mit einem besonders hohen Fachkräftebedarf wie Ingenieure und IT-Kräfte beträgt die Verdienstgrenze nur 36.192 Euro brutto im Jahr.

Laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zogen allein im 1. Halbjahr 2013 über eine halbe Million Ausländer nach Deutschland. Während rund 334.000 Einwanderer aus EU-Staaten kommen, stammen etwa 167.000 Menschen aus Drittländern. Die Angst vor einem Sozialtourismus ist unbegründet. Nach Erhebung der EU-Kommission gehen zwei Drittel der EU-Einwanderer einem Job nach. Zum weiteren Drittel zählen überwiegend Studenten und Rentner, die am Mittelmeer ihren Ruhestand genießen. Viele Einwanderer sind hochqualifiziert, teilweise sogar besser als die einheimische Bevölkerung. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat ermittelt: Während 19 Prozent der Gesamtbevölkerung hierzulande einen akademischen Abschluss besitzen, sind unter den Einwanderern 29 Prozent Akademiker.

Wie rekrutieren Mittelständler internationales Personal? Unternehmen stehen eine Vielzahl von Rekrutierungswegen offen, die je nach Jobprofil sinnvoll sind. Neben der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit, stehen zahlreiche Online-Jobbörsen, Jobsuchmaschinen und Business-Netzwerke zur Wahl. Wer gezielt und systematisch vorgehen möchte, schaltet am besten einen spezialisierten Personalvermittler ein. Die Experten steuern den gesamten Rekrutierungsprozess und kombinieren passende Maßnahmen. Sie selektieren geeignete Kandidaten, koordinieren auf Wunsch alle Formalitäten und unterstützen bei der laufenden Personalbetreuung.

Bisweilen stellen Unternehmen an ausländische Mitarbeiter überhöhte Erwartungen. Arbeitgeber sollten nicht nur in Idealprofilen denken, sondern auch alternativen Bewerberprofilen eine Chance geben. Die fachliche Qualifikation muss stimmen, aber entscheidend ist das Potenzial. Bringen Jobaspiranten viel Engagement und gute Soft Skills mit, lassen sich sprachliche oder fachliche Lücken häufig schnell mit Schulungsmaßnahmen schließen.

Kulturelle Unterschiede nicht unterschätzen

Daneben sollten Unternehmen die kulturellen Unterschiede, die selbst in Europa existieren, nicht unterschätzen. Interkulturelle Zusammenarbeit bietet viele Gelegenheiten für Fettnäpfchen. Schon eine unterschiedliche Kommunikationskultur kann Konflikte heraufbeschwören. Während wir hierzulande im Gespräch schnell zur Sache kommen, schaffen andere Kulturen zunächst eine positive Atmosphäre. Erst dann sind sie zu einer effizienten Informationsaufnahme bereit. Nur wer diese und andere kulturelle Besonderheiten berücksichtigt, erzeugt Teamgeist in internationalen Arbeitsgruppen.

Culture Coaching erhöht die Chance, ausländische Top-Kräfte zu gewinnen und an das Unternehmen zu binden. Gerade Hochqualifizierte sind hochmotiviert und leiden, wenn sie in den Anfangsmonaten nicht so effizient arbeiten wie gewohnt. Im Extremfall brechen sie den Einsatz ab. Culture Coaching wirkt dieser Gefahr entgegen. Ein Coach unterstützt internationale Fachkräfte bei der Umstellung auf die deutsche Business-Kultur und die neuen Lebensumstände. So fühlen sich Fachkräfte rundum wohl und können ihr volles Potenzial entfalten.

Mittelständische Unternehmen sollten sich frühzeitig auf den Fachkräftemangel einstellen und ihre Bewerbungsaktivitäten überdenken. Denn bald bewerben sich Arbeitgeber bei gefragten Fachkräften, nicht mehr umgekehrt. Dies gilt in besonderem Maß im Ringen um hochqualifizierte Kandidaten. Natürlich sollte die Bezahlung stimmen. Aber wer allein mit Geld wirbt, bekommt Mitarbeiter denen es vorrangig um die Lohntüte geht. Auch vermeintliche Kleinigkeiten erfahren eine hohe Wertschätzung bei Mitarbeitern. So können Mittelständler als Arbeitgeber hervorstechen und Jobkandidaten signalisieren, dass sie hier bestens aufgehoben sind.

Sie sehen: Internationales Recruiting ist eine neue Herausforderung, bietet aber auch attraktive Chancen. Weitsichtige Arbeitgeber handeln jetzt und suchen länderübergreifend nach den besten Talenten. Damit gewinnen Firmen neue Impulse für die eigene Personalpolitik und können sich im umkämpften Arbeitsmarkt als attraktiver Arbeitgeber positionieren.

Chris Pyak ist Geschäftsführer der Düsseldorfer Personalberatung Immigrant Spirit GmbH.