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Wer seine Abhängigkeit von volatilen Rohstoffpreisen reduzieren möchte, überarbeitet seine Produkte, seine Fertigungsprozesse oder beides. Die folgenden drei Unternehmen haben mit viel Erfindergeist ihren Materialeinsatz reduziert und ihre Recyclingquote erhöht – ein Vorbild auch über ihre jeweilige Branche hinaus?

Immer wenn die Kurve der Rohstoffpreise nach oben geht, schlägt die Stunde des Zauberworts „Materialeffizienz“. Doch was sich banal anhört, ist große Unternehmerkunst: Während Personalkosten seit 50 Jahren konstant sinken, bewegt sich die Kurve der Materialkosten nur langsam nach unten. „Sie liegt im Verarbeitenden Gewerbe zwischen 35 und 55 Prozent des Bruttoproduktionswerts“, sagt Prof. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft.

Laut Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft liegt der Materialkostenanteil in der Metallverarbeitung und im Baugewerbe knapp unter 40 Prozent. Beim Maschinen- und Anlagenbau sowie in der Kunststoff- und Elektrotechnik sogar bei etwa 45 Prozent. Allein die deutschen metallverarbeitenden Betriebe könnten jährlich bis zu 2,3 Milliarden Euro Materialkosten und 600 Millionen Euro Energiekosten einsparen, schätzt das Zentrum Ressourceneffizienz beim VDI. Wie so etwas in der Praxis gelingen kann, zeigen die folgenden drei Unternehmen, die bestehende Produkte und Fertigungsprozesse hinterfragt und entscheidend optimiert haben:

Herstellung auf dem Prüfstand

Im Fall von Meiko Haertel, dem Geschäftsführer der Maija Frästechnik GmbH, dauerte der Entwicklungsprozess sogar 16 Jahre. Das Unternehmen aus dem nordrhein-westfälischen Ennepetal stellt Fräsringe aus Hartmetall mit einer speziellen Verzahnung her. Sie sind eine Alternative für metallverarbeitende Betriebe, in denen der Winkelschleifer das Standardwerkzeug ist. Denn wer fräst statt zu schleifen, spare Zeit, Energie und Material, sagt Meiko Haertel: „So können Sie etwa Aluminium bis zu 70 Prozent schneller verarbeiten.“ Mit der herkömmlichen Handschleifmaschine werden zum Beispiel Metalle für eine Schweißnaht vorbereitet. Dabei entsteht viel Staub, es ist extrem laut, das Material wird heiß und die Schleifscheiben haben eine kurze Lebensdauer.

Haertel war viele Kilometer in ganz Europa unterwegs und sah sich diese Arbeitsgänge unter anderem in Werften und bei Herstellern von Schienenfahrzeugen an. Um sie zu verbessern, entwickelte er Fräsringe für Handschleifgeräte. Der Vorteil: Das Metall lässt sich staubfrei und kühl bearbeiten – und die Fräsringe sind extrem langlebig. „Wir können sie sieben- bis achtmal nachschleifen und mit dieser Lebensdauer in der Aluminiumverarbeitung 5.000 Fächerschleifscheiben ersetzen“, sagt Haertel. Am Ende seines Lebens geht der Fräsring ins Altmetallrecycling. Übrigens zusammen mit den Spänen, die beim Fräsen zu Boden fallen. Während der Staub die Gesundheit der Mitarbeiter belastet, lassen sich die Metallreste zusammenfegen und der Wiederverwertung zuführen. Zudem ist die Gefahr von Staubexplosionen gebannt.

Die Maija-Fräsringe überzeugen vor allem durch Langlebigkeit. © Maija-Frästechnik

Die Maija-Fräsringe überzeugen vor allem durch Langlebigkeit. © Maija-Frästechnik

Bei Siemens kommen die Fräsringe von Maija Frästechnik bei der Produktion von Eisenbahnwaggons zum Einsatz, die Abeking & Rasmussen SE nutzt sie im Schiffsbau. „Im nächsten Schritt wollen wir auch den Stahlbereich bedienen“, sagt Haertel. Zurzeit lassen sich mit den Fräsringen Aluminium, Kupfer, Messing, Bronze sowie Kunststoffe und Holz bearbeiten. Ganz zur Freude der weiblichen Mitarbeiter: „Die Damen kommen auf uns zu und sagen, das sei ein ganz tolles Arbeiten“, freut sich der Erfinder. Es geht nämlich schlicht und einfach leichter. Wer schon einmal einen professionellen Winkelschleifer in der Hand hatte, kennt das Gewicht und auch den Kraftaufwand, den es beim Schleifen braucht. „Wenn Sie Ihr Handwerk verstehen, dann können sie besser werden“, sagt Haertel. „Wir haben das Vertrauen in diese Frästechnik entscheidend gestärkt.“ Der Beweis: Seine Produkte sind in die Massenproduktion gegangen – und das Bundeswirtschaftsministerium hat Maija Frästechnik im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Rohstoffeffizienz-Preis ausgezeichnet.

Tipps zum Nachahmen: Werkstoffe

Benutzt Ihr Unternehmen die richtigen Werkstoffe für seine Prozesse? Die Entwicklung neuer Materialien kann ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein, sagt Fraunhofer-Präsident Neugebauer. Prüfen Sie, ob Sie Werkstoffe oder Bauteile mit einer längeren Lebensdauer finden. Lassen sich diese Werkstoffe sogar leichter verarbeiten und haben sie weitere bessere Eigenschaften? Vernetzen Sie sich mit anderen Unternehmen und Forschungseinrichtungen, um Entwicklungszeiten zu verkürzen.

Produkte optimieren

Während die Maija Frästechnik Verarbeitungsprozesse infrage stellte, hat das Hamburger Unternehmen Rewatec die Form seiner Produkte überdacht: Der Betrieb stellt Regen- und Abwassertanks aus dem Kunststoff Polyethylen her. Kleinere Erdtanks für den privaten Haushalt und große Flachtanks für den gewerblichen und öffentlichen Bereich, wo diese in einigen Fällen sogar gesetzlich vorgeschrieben sind. Zum Beispiel, wenn Lösch- oder Kühlwasser in einem Tank zur Verfügung stehen muss. Rewatec entwickelte ein völlig neuartiges Flachtankkonzept mit erstaunlichen Eigenschaften. „Wir wollten Material einsparen und gleichzeitig die Stabilität verbessern“, erklärt Geschäftsführer Marco Rumberg. „Daran haben wir lange getüftelt.“

Die neuen Wassertanks von Rewatec wurden sogar mit einem renommierten Designpreis ausgezeichnet. © Rewatec

Die neuen Wassertanks von Rewatec wurden sogar mit einem renommierten Designpreis ausgezeichnet. © Rewatec

Das Vorhaben gelang, weil sich die Rewatec-Konstrukteure an Formen aus der Natur orientierten. Die torusförmige Geometrie ihrer Erzeugnisse erinnert an eine Muschel oder einen Kürbis. Zuvor hatte Rewatec die Tanks mit Verrippungen stabilisiert – das war sehr materialintensiv. Jetzt folgen die kugelförmigen Segmente einem mathematischen Muster. Das Ergebnis: Bei deutlich besseren statischen Eigenschaften spart das Unternehmen inzwischen bei der Produktion bis zu 35 Prozent Rohstoffmaterial ein. Für das Produktdesign wurde das Hamburger Unternehmen im vergangenen Jahr mit dem Red Dot Award ausgezeichnet. „Man fragt sich, wieso da noch niemand zuvor drauf gekommen ist“, wundert sich Rumberg.

Tipps zum Nachahmen: Design

Die Kernfrage ist: Wie lässt sich das Produktdesign verändern, damit Sie mit weniger Rohstoffen auskommen? Stellen Sie die Geometrie und zum Beispiel Wandstärken infrage. Beziehen Sie die Erfahrung Ihrer Mitarbeiter aus der Produktion mit ein und befragen Sie auch Ihre Kunden, wie sich die Form des Produkts optimieren ließe. Hinterfragen Sie außerdem Ihre Veredelungspraxis.

Seine Kunden profitieren von diesen Vorteilen. Durch die Materialersparnis wird auch das Gewicht um ein Drittel reduziert – das macht sowohl Einbau als auch Transport einfacher und kostengünstiger. Da nur eine flache Baugrube erforderlich ist, lässt sich der Tank auf bestehenden Grundstücken nachträglich einbauen. Durch die hohe Stabilität sind die Tanks mit entsprechender Abdeckung auch von Lkws befahrbar. Funktionalität sei immer der Maßstab für die Produktentwicklung gewesen, sagt Marco Rumberg.

Reste recyclen

Vor einem ähnlich großen Schritt für die Firmengeschichte steht Loser Chemie. Das Zwickauer Unternehmen hat ein neuartiges Verfahren zum Recycling von Dünnschicht- Photovoltaik-Modulen entwickelt. Damit lassen sich nahezu alle verwendeten Rohstoffe zurückgewinnen. Ein Thema, das in den kommenden Jahren rasant an Bedeutung gewinnen wird, wenn Tausende Photovoltaikanlagen das Ende ihrer jeweiligen Lebensdauer erreichen. Ende der 1990er-Jahre hatte die Bundesregierung mit dem 100.000-Dächer-Solarstrom-Programm einen ersten Boom ausgelöst. Es folgte das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit weiteren Förderanreizen, sodass heute rund eine Million Solaranlagen auf deutschen Dächern installiert sind. Die Entsorgung der Module ist aber problematisch. Die Solarbranche hat schon 2007 ein freiwilliges Rücknahmeprogramm gegründet, seit 2015 sind die Hersteller auch gesetzlich dazu verpflichtet.

Was das Recycling bisher so teuer und aufwendig macht: Für Dünnschicht-Photovoltaik- Module ist weltweit nur ein Verfahren in der Anwendung, bei dem die Platten geschreddert und anschließend mit Schwefelsäure ausgelaugt werden. „So ein Modul ist ein zerbrechliches Material“, erklärt Wolfram Palitzsch, der Forschungs- und Entwicklungsleiter bei Loser Chemie. „Mit der Schreddertechnologie macht man aus einem großen Sandwich viele Millionen kleine Krümel. Aber das eigentliche Problem ist damit nicht gelöst.“ Palitzsch wählt bewusst den Vergleich mit dem Sandwich, denn genau so ist das Modul aufgebaut. Zwischen den Gläsern sind eine Halbleiter- und eine Kunststoffschicht. „Die Herausforderung für uns war, die Platten so zu öffnen, dass wir mit Flüssigkeiten an die Halbleitermetalle kommen.“

Recycling von Photovoltaikmodulen gehört zum Kerngeschäft der Loser Chemie. © Loser Chemie

Recycling von Photovoltaikmodulen gehört zum Kerngeschäft der Loser Chemie. © Loser Chemie

Die Lösung: Ein Laserstrahl transportiert Energie in die Halbleiterschichten und lässt eine Sollbruchstelle entstehen. Front- und Rückglas lassen sich so zerstörungsfrei voneinander trennen. Im zweiten Schritt werden alle Halbleiterschichten chemisch gelöst. Es entsteht eine polymetallische Lösung, aus der man die einzelnen Metalle Cadmium, Selen, Tellur, Gallium, Molybdän und Indium isolieren kann. Das wichtigste Ergebnis: Es bleibt sauberes und hochwertiges Glas übrig – es macht 95 Prozent an der Gesamtmasse der Module aus. Dies lässt sich sortenrein für die Produktion von Fensterglas, Flachglas oder neue Photovoltaikanlagen recyceln. „Damit ist auch die Finanzierung des Verfahrens gesichert“, sagt Palitzsch. In diesem Jahr will Loser Chemie eine komplette Demonstrationsanlage für die neue Technologie fertigstellen.

Tipps zum Nachahmen: Recycling

Recycling ist nicht nur Abfallentsorgung oder -verwertung: Verstehen Sie Rohstoffrückgewinnung strategisch. Laut Deutscher Rohstoffagentur stammen hierzulande nur knapp 20 Prozent der Rohmaterialien aus Recycling. Analysieren Sie Ihre Produkte noch vor Produktionsstart auf ihre Wiederverwertbarkeit. Entwickeln Sie Prozesse, um die Güter energiesparend und damit kostengünstig zu recyceln. Im besten Fall können Sie Ihre eigenen Produktabfälle selbst wiederverwerten.

Vor wenigen Wochen ist das Unternehmen mit dem IQ Innovationspreis Mitteldeutschland ausgezeichnet worden. 2015 war Loser Chemie für den Rohstoffeffizienzpreis nominiert. Der Lohn für aufwendige Entwicklungsarbeiten im Labor. „Wir Chemiker haben eben eine besondere Beziehung zu Stoffen“, sagt Forschungsleiter Palitzsch. „Auf der Welt kommen keine Stoffe hinzu. Es wird nur umgewandelt.“