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Ralf Bos hat mit Bos Food einen führenden Feinkostversand aufgebaut. In Firmenvideos zeigt sich der 58-Jährige schon mal als headbangender Techno-Fan. Den Erfolg schreibt der gelernte Koch auch seinem unkonventionellen Führungsstil zu: Er will das humorvolle und faire Miteinander fördern und lehnt bloßes Gewinnstreben ab.

 

© Bos Food

Die Schule war für Ralf Bos nicht mehr als Zeit totschlagen. Der Einsatz gleich null. Im Klassenzimmer habe er „die letzten zwei, drei Jahre damit verbracht, aus dem Fenster zu schauen“, erinnert sich Bos.

„Ich habe auch nie Hausaufgaben gemacht.“ Die Versetzung und den Abschluss schaffte er dennoch. „Wenn es gefordert war, habe ich abgeliefert – und den Lehrkörper in Erstaunen versetzt.“

Nur wenig später staunte Bos über sich selbst. Nach der Hauptschule in Büderich, einem Stadtteil von Meerbusch, begann er 1975 eine Kochlehre im nahen Düsseldorf: Ramada Hotel – eine der Top-Adressen der Stadt. Und er erkannte sich selbst kaum wieder.

„Ich habe mich um 180 Grad gedreht, als ich in die Hotelwelt geworfen wurde“, sagt Bos. „Ich fand dort alles super spannend.“ Auch wenn er nachmittags nach der Berufsschule eigentlich frei hatte, ging er zur Arbeit. „Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, angekommen zu sein.“ Zugleich entstand eine äußerst geschäftige Unruhe: „Ich war immer auf der Suche nach etwas Neuem.“

Ralf Bos war stellvertretender Restaurantdirektor in Hagen, er kochte auf Sylt, war Sommelier in Davos und mixte als Barkeeper Cocktails auf der Düsseldorfer Kö. „Ich liebe die Gastronomie immer noch“, sagt er heute. Bos hat sich mit seinen Büchern über Feinkost einen Namen als „Trüffelpapst“ gemacht.

Sein Lebenswerk aber ist das Unternehmen Bos Food, 1990 mit seinen Geschäftspartner an einem gemieteten Schreibtisch in den Räumen einer Fremdfirma in Düsseldorf gegründet.

Der Delikatessenversand mit seinen 200 Beschäftigten setzt heute 33 Millionen Euro um. Neben tiefer Branchenkenntnis ist ein unkonventioneller Führungsstil das Erfolgsrezept: Management by Spaß.

„Jeder hat seine Aufgabe“, sagt Bos. „Meine ist: Botschafter für Genuss und Belohnung zu sein. Genuss ist die höchste Form der Belohnung.“ Vanilletrüffel, Kaviar, Jahrgangschampagner – das Beste vom Besten lagert bei Bos Food auf 7.000 Quadratmeter Fläche.

Auf gerade einmal sechs Quadratmeter findet sich Frischware – Bos hält sich davon weitgehend fern und überlässt das Feld den beiden größeren Konkurrenten: der Metro-Tochter Rungis Express in Meckenheim und der früheren Rewe-Tochter Transgourmet im hessischen Riedstadt. „Frischeversand ist kompliziert und fragwürdig“, sagt Bos.

Konflikte über die Qualität der Produkte seien vorprogrammiert: Wie soll man beispielsweise umgehen mit Fisch- oder Fleisch-Retouren? „Das muss man vor Ort kaufen, ebenso wie Gemüse“, sagt Bos.

 

Bos Food: auch Blattgold im Sortiment

Wein, Öl, Pasta, Gewürze, Gebäck – aber auch Messer und anderes Kochzubehör: Das sind die Kernprodukte von Bos Food. Ebenso Blattgold. „Als Deko auf Pralinen ist das sexy, wir haben das schon immer im Programm“, sagt Bos.

Als Rundumverpackung eines Steaks wie jüngst in Dubai für Bayern-Fußballer Franck Ribéry sei es dagegen fragwürdig. Immerhin: „Dank Ribéry ist unser Blattgoldumsatz um zehn bis 15 Prozent gestiegen.“

Jeden Tag außer montags komme frische Ware, besonders Trüffel. Über vier Millionen Euro an Waren lagern dann in Büderich. Angst vor Dieben hat Bos nicht: „Das Ding ist sicher wie Fort Knox.“

Es gibt Bewegungsmelder, Glasbruchsensoren, Kameras. Einmal nur sei ein Einbruch gelungen – offenbar ein mit dem Betrieb vertrauter Mensch, der die Sicherheitstechnik überwinden konnte. Sein Problem: Er ließ Trüffel mitgehen – Bos informierte rasch mögliche Abnehmer, der Markt war blockiert. „Besser hätte er Champagner geklaut“, sagt er.

Haltbar soll die Ware überwiegend sein. Das verhindert auch, dass der Vertrieb unter Druck gerät: „Wir wollen nicht die Köche abtelefonieren, um zwei Kisten Lammlachse loszuwerden, solange sie noch frisch sind“, sagt Bos.

Das Dogma seines Unternehmens: „Wir rufen nie Kunden an.“ 95 Prozent des Geschäfts laufen B2B – 80 Prozent der Kunden kommen aus der Gastronomie und Hotellerie. Der 58-jährige Bos kennt den stressigen Küchenalltag aus eigener Erfahrung: „Das Telefon nervt immer.“ Also müsse der Koch „den ersten Schritt machen“.

Auch bei der Akquise lehnt sich Bos zurück: „Die Neukundengewinnung läuft von selbst“, sagt er. Sein Unternehmen profitiere von der hohen Fluktuation in der Gastronomie. „Wenn ein Koch den Betrieb wechselt, dann nimmt er uns mit – und sein Hotel oder Restaurant behält uns.“

Der Bestellprozess dort sei oft wenig strukturiert, so Bos. Bestellt werden könne nicht nur online. „Wir sind die Letzten, die ihr Faxgerät abschaffen werden. Und was wir viel schöner finden, ist das gute alte Telefon.

Wir glauben an so was Ähnliches wie Beratung.“ In Zeiten der wachsenden Dominanz von Internetplattformen sieht er Bos Food eher als Offline-Firma. „Wir wollen den Kunden nicht unsere Arbeit aufbürden.“

Eine gesunde Skepsis gegenüber den schnellen Trends, Gleichgültigkeit für Konventionen – so macht Bos den Unterschied in der Welt der Unternehmer. Das Hauptquartier von Bos Food, noch immer in Büderich gelegen, wo Ralf Bos aufgewachsen ist.

Den 1990 angemieteten Keller hat seine Firma nach nur einem halben Jahr verlassen – der zunehmende Lieferverkehr nervte die Hausbewohner. Seit fast zwei Jahrzehnten werden Verwaltung und Versand vom firmeneigenen Gebäude aus in einem kleinen Gewerbegebiet gesteuert. Besucher stehen direkt mitten im Geschehen.

In Dreiergruppen sind die Schreibtische angeordnet, umringt von Regalen mit Büchern oder Ordnern und Schaukästen mit Messersets. Ralf Bos sitzt mittendrin, links neben ihm seine Tochter Saskia, die für den Verkauf verantwortlich ist.

„Ich hatte auch mal ein eigenes Büro“, sagt Bos. „In vier Jahren war ich zwei Mal da.“ Es sei viel zu spannend, „mitzukriegen, was in der Firma passiert“. Zehn Stunden verbringt Bos im Schnitt pro Tag im Betrieb.

Er legt Wert auf ein echtes Miteinander: „Wir müssen hier den Tag teilen, da sollten alle zufrieden sein.“ Zugehen solle es „charmant und nett“: „Aber nicht nett, wie Haustiere nett sind.“

Schon mit seinem Äußeren demonstriert Bos Unangepasstheit: Er trägt einen Spitzbart und Schnauzer, das lockige Haar schulterlang. Dazu ein schwarz-weiß kariertes Hemd sowie Jeans und Adidas-Schuhe in Schwarz.

„Köche waren schon immer ein wilder Haufen – man sieht es heute bei den jungen Kollegen im Fernsehen, die sind dicht tätowiert.“ Freies Denken, das sei „bei uns in der Genetik“: „Wir unterstützen die Verrücktheit der Leute eher, als sie zu reglementieren.“

 

Arbeiten bei Bos Food: Ein bisschen Spaß muss sein

In einem Firmenvideo legt Bos seine Führungsphilosophie dar: Er schreitet durch sein Unternehmen und erwägt Gründe für das Geheimnis des Erfolgs: Ist es das Wissen, wie manche sagen?

Oder die Riesenmenge an Top-Artikeln, über 10.000 an der Zahl? Oder ist es die Liefergeschwindigkeit? Am Ende öffnet er eine Tür, hinter der die Mitarbeiter stehen. „Es sind die Menschen“, löst der Chef auf – und betont noch einmal, wie wichtig auch der Humor sei.

Den beweist er auch in einem zweiten Clip. „Das wahre Geheimnis von Bos Food“ lautet der Titel: Die Arbeit läuft scheinbar normal – doch jemand im Bärenkostüm tanzt zu wüster Technomusik.

Ein Schnitt – und die ganze Firma tobt. Ein Dutzend Leute in Fantasieverkleidungen werfen Konfetti, rocken durch das Lager. Ralf Bos hält sich in der oberen Etage mit beiden Händen am Metallgeländer fest und hüpft wild auf der Stelle, dabei schüttelt er den Kopf wie ein Heavy-Metal-Fan. „Ein bisschen Spaß muss sein“, heißt es im Abspann.

Einen Beweis dafür, wie sehr er sich auf seine Leute verlassen kann, bekam Bos im vergangenen Dezember. Kurz vor Weihnachten brannte eine 400 Quadratmeter große Lagerhalle ab, in der auch Tiefkühlprodukte und Wein gelagert waren – ein technischer Defekt.

„Das war eine nie dagewesene Aufgabe“, sagt Bos. „Die Mitarbeiter haben alles gegeben.“ Weil auch die Lieferanten mitspielten, wurden alle Bestellungen für die Festtage pünktlich verschickt.

Das Unternehmen ist durch und durch Familienbetrieb. Bos Ehefrau Susanne ist für die Buchhaltung zuständig, die beiden weiteren Töchter Talia und Vivian für Wine & Bar sowie den Einkauf. Den Gewinn zu maximieren – für Ralf Bos ist das dabei unwichtig. „Am Jahresende gibt es keine großen Ebit-Zahlen“, sagt er.

Das Ziel sei eine „Summe über der schwarzen null.“ Damit soll die Firma robust werden gegen mögliche schwere Zeiten wie die Finanzkrise 2007. „Wir haben darunter gelitten“, sagt Bos – der Umsatz ging um zwei Millionen Euro zurück. Heute betrage die Eigenkapitalquote 40 Prozent.

„Wir haben eine supersupersolide Basis, die wir jedes Jahr ein bisschen verstärken. Das befähigt uns inzwischen, ein bis zwei Jahre lang Verluste im sechsstelligen Bereich zu verkraften.“

Für sich selbst beanspruche er wenig, sagt Bos. „Ich habe keine Liebe zu Geld. Ich liebe es eher, Geld auszugeben für die Firma. Leute sagen, dass viele meiner Mitarbeiter schönere Häuser haben als ich. Das stimmt. Weil es mich nicht interessiert.“ Inspiration allerdings holt er sich gerne von großen Wirtschaftslenkern.

Etwa von Max Grundig, der Wert auf die Arbeitstrennung von Unternehmer, Manager und Facharbeiter legte. „Man muss delegieren“, sagt Bos. Das Problem dabei: „Delegieren heißt, dass etwas anders gemacht wird. Wenn man damit leben kann, kann man delegieren.“

Bei Bos Food werde „sehr, sehr viel“ Arbeit verteilt. Mit „unfassbar hoher Erfolgsquote“, sagt der Chef. Wichtig sei, dass die Leute keine negativen Konsequenzen zu fürchten hätten: „Die höchste Form der Bestrafung ist mein trauriges Gesicht.“

 

Koch, Manager, Unternehmer und Autor: die Talente des Ralf Bos

Der Koch: Nach der Kochlehre machte Ralf Bos noch eine zweite Ausbildung zum Restaurantkaufmann. Sieben Jahre arbeitete er in verschiedenen Hotels – um schließlich in einem Restaurant auf Sylt anzuheuern: „Ich hatte mal wieder Bock zu kochen.“ Seit knapp einem Jahr ist Bos Vegetarier: „Die Ethik ist heute eine andere als 1970: Es ist nicht vertretbar, Tiere nur wegen des Essens zu quälen.“

 

Der Manager: Auf Sylt lernte Bos den Musiker Ala Heiler kennen. Der gemeinsame Plan, in München eine Saxophon- und Gesangsschule aufzumachen, wurde verworfen, als sich Heilers Band „Wind“ für den Grand Prix qualifizierte – heute Eurovision Song Contest – und Bos wurde für einen Sommer Tourmanager der Gruppe wurde.

 

Der Unternehmer: Nach absolvierter „Wind“-Tour kehrte Bos zurück in seine Heimatstadt Meerbusch. Er gründete die Bos TTV, eine Import-Firma für Kommunikationselektronik und startete mit fünf auf Kommission erworbenen Anrufbeantwortern. Am Ende ließ er selbst in China fertigen. Bis 1989 brachte es die Firma auf 28 Angestellte und einen Jahresumsatz von umgerechnet rund 7,5 Millionen Euro. Doch Bos verkaufte und wandte sich mit dem Start von Bos Food wieder seiner Leidenschaft für die Gastronomie zu. Als Unternehmer zeigt er auch soziales Engagement: Bos hat den Bau von sechs Schulen in Äthiopien unterstützt.

 

Der Autor: Ein Raum ohne Telefon und ohne Störungen. Ralf Bos braucht die totale Ruhe, wenn er schreibt. Unter anderem hat er mehrere Bücher über Trüffel verfasst, was ihm den Spitznamen „Trüffelpapst“ eingebracht hat. Er ist in den Medien ein gefragter kulinarischer Experte. Auch gibt er Ratschläge für Feinschmecker auf seinem Youtube-Kanal „Ralf’s Tipps“.