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Mitten in der mecklenburgischen Seenplatte blüht Europas größtes Schallplatten-Presswerk. Optimal Media setzt auf die Kraft des Schönen und Analogen – und kombiniert modernste Produktionsmethoden mit Handwerkskunst. Ein Muster für Digitalisierung mit Augenmaß. Text: Stefan Merx

Diese Maschinenhalle ist ein Traum für Nostalgiker. Nicht nur wegen der industriegrünen Pressen, die sich alle 25 Sekunden heben und senken, begleitet von seltsamem Saugen und Zischen der Hydraulik und ewigem Tuckern der mechanischen Antriebe. Es ist das delikate Produkt, das die „Toolex Alpha“ bei 140 Grad kurz presst und noch handwarm auf eine Spindel stapelt: Vinyl-Schallplatten. Hier, bei Optimal Media im mecklenburgischen Röbel an der Müritz, werden noch ganz klassisch Töne in Rillen verewigt. Analog – und klanglich unübertroffen, sagen Musikliebhaber. „Toolex Alpha“, unter Eingeweihten sorgt allein der Name der ehrenwerten Maschine schon für leuchtende Augen. Ingenieure aus dem schwedischen Sundbyberg bei Stockholm haben sie entwickelt und gebaut. Bis zum Jahr 1984. Danach war Schluss. Die noch funktionierenden Vintage-Maschinen, die hier und da auf der Welt existieren, seien für die Presswerke „echter Goldstaub“, sagt Unternehmenssprecherin Petra Funk. „Wir haben manche Exemplare aus Russland und Finnland zurückgekauft und eine Maschine aus dem Berliner Technikmuseum reaktiviert.“ Das Wissen, wie man die Pressen repariert, wird bei Optimal Media von älteren Mitarbeitern an die jüngeren weitergegeben.

» Ein feines Buch oder eine Schallplatte wird geschätzt – wie ein altes Möbelstück. « Jörg Hahn, Optimal Media

» Ein feines Buch
oder eine Schallplatte wird geschätzt – wie ein altes Möbelstück. «
Jörg Hahn, Optimal Media

Wer eine Presse hat, gibt sie nie wieder her – denn sie allein definiert die Produktionskapazität. 37 Maschinen hat sich Optimal Media gesichert. Genug, um täglich 60.000 bis 70.000 Scheiben zu fertigen, erklärt Funk. Damit sei man der größte Schallplattenhersteller Europas. Überhaupt besitzt nur noch ein Dutzend der rund 60 Fertigungswerke in Europa die Fähigkeit, Schallplatten herzustellen. Die anderen produzieren nur digitale Formate. Die Geschichte von Optimal Media ist bemerkenswert in vielerlei Hinsicht. Das Unternehmen sitzt rund anderthalb Autostunden nördlich von Berlin. Tolle Seenlandschaft, aber eine Lage fernab des Musik- und Medienbusiness. Hier ist man mit rund 700 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber, die Politik kommt gerne zu Besuch. In schöner Regelmäßigkeit weiht der Mediendienstleister neue Betriebsteile ein. Optimal Media schreibt Haptik, Optik und eine High-End-Verarbeitung groß. Schließlich produziert man für Genießer.

Neben Ton- und Datenträgern zählen hochwertige Druckerzeugnisse und individuelle Verpackungen zum Portfolio. Dass ausgerechnet die Kleinstadt Röbel stolz sein darf auf diesen Vorzeigebetrieb, ist nicht zuletzt dem Geschäftsführer zu verdanken: Jörg Hahn stammt aus dem benachbarten Waren. Und er gehörte 1990 zum Gründungsteam, als es losging mit T-Shirt-Druck und einer kleinen CD-Fertigung. „Wir hatten damals diesen Standort gewählt, auch weil wir Marktchancen in Osteuropa sahen“, erklärt Hahn und lächelt. „Ein guter Ansatz, er ging aber nie auf.“ In Polen oder Tschechien war das Problem der Urheberrechtsverletzungen und Schwarzpressungen nicht in den Griff zu bekommen. Heute profitiert man immerhin von der Nähe zu Skandinavien, einem „interessanten Absatzmarkt“. Nach Dänemark liefert Optimal Media die fertigen Bücher, Ton- und Datenträger ebenso schnell wie nach München.

Hoher Qualitätsstandard: Jede einzelne Vinyl Schallplatte wird einem sorgfältigen Check unterzogen.

Hoher Qualitätsstandard: Jede einzelne Vinyl Schallplatte wird einem sorgfältigen Check unterzogen.

Trotz der Randlage laufen die Geschäfte rund. 2016 werde ein weiteres Rekordjahr, sagt Hahn. Bei Erlösen von rund 108 Millionen Euro und einer Umsatzrendite im knappen zweistelligen Bereich kommt auch der Chef ins Schwärmen: „Wir haben einen super Lauf.“ Hahns Büro ist randvoll mit exklusiven Dingen, die hier gefertigt wurden: Porsche-Design-Magazine, der Fotowälzer „One Night in Rio“, der im Schmuckschuber mit Goldschnitt den WM-Titelgewinn der deutschen Fußballer dokumentiert. Oder die gesuchte LP-Sammlung „The Beatles in Mono“. Made in Röbel – samt Booklet, allen Plattencovern und Box. Und Ehrensache: Jede Schallplatte wird von Hand in die Hülle gelegt, ein letzter prüfender Blick inbegriffen. „Wir legen Wert darauf, immer alles aus einer Hand anzubieten“, sagt Hahn. Bei den Schallplatten heißt das: Erfahrene Toningenieure im hauseigenen Studio stehen parat, um auf alten Maschinen die kostbare Masterplatte zu schneiden, von deren Ableitungen später die Kopien gepresst werden. Bei den Druckerzeugnissen legt man gerade nach in Sachen Fertigungstiefe: Auf dem angrenzenden Acker wird ein Erweiterungsbau hochgezogen – für 24 Millionen Euro entsteht eine komplette Buchstraße. „Wir holen uns so auch die Kompetenz des Buchbindens ins eigene Haus“, erklärt Hahn.

Analog liegt im Trend

Es wirkt seltsam: Alle Welt spricht von Digitalisierung, E-Books und Flatrate-Streaming. Und Optimal Media investiert in das Binden von Büchern und preist museale Analogtechnik. Hinter dem vermeintlichen Anachronismus steckt eine feste Überzeugung: „Es existiert eine Sehnsucht nach Entschleunigung, bei manchen vielleicht auch nur unterbewusst“, sagt Hahn. „Man schätzt ein feines Buch oder eine Schallplatte ganz anders – wie ein altes Möbelstück.“ Der 52-Jährige vertraut auf die Kraft des Analogen. „Hochwertige Produkte, limitierte Auflagen – davon wird man noch eine Weile leben können“, sagt Hahn. Bei der Schallplatte zahlt es sich aus, dass Optimal Media antizyklisch gehandelt hat: 1995 stieg man in die Vinyl-Produktion ein, zu einem Zeitpunkt also, als überall das Sterben dieser Technik prophezeit wurde. CDs waren angesagt – und der Download erschien vielen Analysten als Killerapplikation. „Die gute alte LP macht heute bei uns mehr als 30 Prozent des Gesamtumsatzes aus“, sagt Hahn. Viele Hörer schätzen inzwischen die clevere Kombination: das physische Produkt für echte Mußestunden, aber der Download-Code liegt auch mit bei.

Neben analogen und digitalen Datenträgern gehören auch Bücher zum Kerngeschäft des Unternehmens. © Marc Wiegelmann, optimal media, Michael Lange/ optimal media

Neben analogen und digitalen Datenträgern gehören auch Bücher zum Kerngeschäft des Unternehmens. © Marc Wiegelmann, optimal media, Michael Lange/ optimal media

Die Marktzahlen des Bundesverbands Musikindustrie spiegeln die Trendwende: 2006 war hierzulande die Talsohle erreicht, mit nur noch 300.000 abgesetzten Schallplatten. Doch dann begann das Comeback. 2016 waren es schon wieder 2,1 Millionen schwarze Scheiben, bei den Herstellern stapeln sich die Aufträge. Die Vinyl-Pressen laufen bei Optimal Media im Vierschichtbetrieb. Nur Weihnachten und Ostern dürfen sie kurz verschnaufen. Von den 20 Top-Titeln der Vinyl-Charts des Sommers und des Herbstes wurden 16 im mecklenburgischen Großseenland gepresst – und ausgeliefert. Darunter Alben von Radiohead, Eric Clapton, Red Hot Chili Peppers und Pink Floyd – einer Band, mit der Hahn persönliche Erinnerungen verbindet. „Ich bin mit der Schallplatte aufgewachsen, in der DDR konnte man „The Wall“ aber nicht einfach kaufen. Damals war Musik Lebensinhalt, man hat das nicht nebenher konsumiert.“

Jörg Hahn ist nicht so vermessen, zu behaupten, er habe den Boom exakt vorausgesehen, als man die Vinyl-Fertigung ausbaute. „Es war vielleicht das Glück des Tüchtigen“, sagt er bescheiden. „Je mehr man probiert, desto mehr geht auf.“ Mitte der 1990er-Jahre waren es oft die kleinen, unabhängigen Plattenfirmen, die weiterhin auf Vinyl veröffentlichten. Hahn legt Wert darauf, in Zeiten knapper Kapazitäten diese „Indie-Labels“ weiterhin treu zu bedienen – neben den großen Plattenfirmen, die nun wieder in höheren Stückzahlen ordern. „Eine Konsolidierung wird auch bei der Schallplatte wieder einsetzen“, ist der studierte Automatisierungstechniker sicher. Der gegenwärtige Vinyl-Boom werde nicht nur getragen von zahlreichen Neuauflagen alter Klassiker und einer wachsenden Schar audiophiler Freaks, sondern es sei unter Käufern auch eine Portion Mitläufertum im Spiel. Freilich schwimmt Optimal Media nicht nur gegen den Strom. Das Kerngeschäft ist nach wie vor der digitale Datenträger mit einer Jahreskapazität von 150 Millionen Stück. „Bei der CD gibt es eine relativ konstante Nachfrage“, sagt Firmensprecherin Funk. Bei den Filmdatenträgern hingegen, DVD und Blu-Ray, mache sich die Konkurrenz der Streaming-Dienste deutlich bemerkbar. Die nachgefragten Mengen sinken – eine Folge der veränderten Konsumgewohnheiten.

Codenamen für die Stars

Das Kribbeln bleibt: Wenn ein Topstar per abgesicherter Datenleitung die noch geheimen Titel nach Röbel überspielt, ist das auch für die Mitarbeiter eine besondere Angelegenheit. Petra Funk erinnert an das Adele-Album, das Ende letzten Jahres passend zum Weihnachtsgeschäft herauskam. „Wir waren schon stolz: Über fünf Millionen CDs für den internationalen Markt waren zu pressen, dazu die LPs – unser bis heute größter Einzelauftrag.“ Zwei bis drei Monate dauerte es, diese Mengen zu fertigen und sie dann weltweit auszuliefern.

Solche Projekte laufen intern unter einem Codenamen, jeder eingeweihte Mitarbeiter ist angehalten, auch im Bekanntenkreis kein Wort darüber zu verlieren. „Da spielt man schließlich mit dem Ruf der Firma und letztlich seinem Job“, sagt Funk. Dass Optimal Media einer der erfolgreichsten ostdeutschen Produktionsbetriebe ist, stimmt auf der einen Seite glücklich – doch gerade die Mitarbeitersuche wird angesichts des schwächelnden Umlandes immer schwerer. „Als wir nach der Wende hier anfingen, meldeten sich auf die ersten Stellenanzeigen 800 Bewerber“, sagt Jörg Hahn. „Die demografische Entwicklung und Abwanderung ist inzwischen schmerzhaft zu spüren. Heute reißen sich die Unternehmer in der Region um die guten Azubis und Fachkräfte.“ Einen Pluspunkt hat sein Unternehmen: Wer einmal dabei ist, bleibt in der Regel gerne. „Wir haben eine sehr treue Mitarbeiterschaft, die auch emotional am Unternehmen hängt.“ Hahn nennt sie „die Optimalisten“. Kein Wunder, bei den Produkten.

 

Das 98.000 Quadratmeter große Betriebsgelände in Röbel beherbergt unter anderem ein Hochregallager sowie ein Druck- und Medienzentrum.

Das 98.000 Quadratmeter große Betriebsgelände in Röbel beherbergt unter anderem ein Hochregallager sowie ein Druck- und Medienzentrum.

Vom Nebengeschäft zur Cash Cow
Die Geschichte der Optimal Media GmbH wäre nicht denkbar ohne den Medienunternehmer Michael Haentjes:
Haentjes ist Gründer, Hauptaktionär und Vorstandsvorsitzender der Hamburger Edel AG, deren 100-prozentige Tochter Optimal Media seit 1990 ist. Jörg Hahn, der heutige Geschäftsführer, war Mann der ersten Stunde. Ursprünglich war der ostdeutsche Standort als Produktionsarm für das Edel-Portfolio gedacht. 1991 nahmen zwei CD-Linien den Betrieb auf. 1993 kam die Fertigung der Musikkassette hinzu – die Maschinen wurden 2014 eingemottet. 1995 stieg man in die Vinyl-Produktion ein, 1998 kam die erste Druckerei hinzu, 1999 die DVD-Produktion, 2005 die Blu-Ray-Fertigung, 2008 folgte die Inbetriebnahme des Druck- und Mediencenters, der Einstieg in die Buchproduktion und in das Verlagsgeschäft. Der Grundgedanke: Aus einer Hand und formatübergreifend Medienprodukte auf den Kundenwunsch zuschneiden. Mit dieser Maxime gewann Optimal Media höhere Eigenständigkeit. Heute stammen nur noch 15 Prozent der Aufträge aus dem Edel Verbund, der Rest wird am Markt frei akquiriert, auch mit Büros in London und Stockholm. Während die Muttergesellschaft um die Jahrtausendwende Höhenflug und Absturz des Börsensegments Neuer Markt durchlebte, blieb Optimal Media stabil und verdient für Edel einen Großteil des Geldes.