Zu spät gekommen, zu früh gegangen, zu viel privat gesurft und telefoniert, die Pflichten vernachlässigt: Wenn Mitarbeiter immer nachlässiger werden, muss der Chef die Notbremse ziehen. Eine gute Gelegenheit bietet das jährliche Personalgespräch.
Chuzpe hatte der Mitarbeiter allemal. Mehr als 17.000 private Dateien hatte er auf seinen Dienstrechner geladen, darunter zahlreiche Musikstücke und Filme. Während der Arbeitszeit war er zudem ausgiebig bei Facebook, Twitter und Instagram unterwegs – ebenso in Chatforen. Damit nicht genug. Den Firmen-PC nutzte der Angestellte auch noch, um seine private Fotosammlung zu verwalten. Erst als sich die Datenverarbeitungsprozesse im Betrieb massiv verlangsamten, fiel der Missbrauch durch die exzessive private Nutzung auf. Das Unternehmen zog Konsequenzen: Der Mann wurde fristlos entlassen.
Mitarbeiter auf Schritt und Tritt überwachen – das will kaum eine Führungskraft. Ganz im Gegenteil: Der Trend geht zu mehr Freiräumen. Laut einer Studie des Digitalverbands Bitkom bieten bereits
30 Prozent der Unternehmen ihren Mitarbeitern regelmäßig die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Und 43 Prozent erwarten, dass der Anteil derer, die auch mal zu Hause am Laptop arbeiten, in den kommenden fünf bis zehn Jahren weiter steigen wird. Dementsprechend werben Firmen bei Bewerbern verstärkt mit Vertrauensarbeitszeit. Gerade jüngeren Mitarbeitern ist das wichtig. 81 Prozent der 25- bis 34-Jährigen und 73 Prozent der 35- bis 44-Jährigen legen großen Wert darauf, auch während der Arbeitszeit gelegentlich private Angelegenheiten erledigen zu können. Auf der anderen Seite sind die meisten bereit, für derlei Privilegien auch mal länger oder mehr zu arbeiten.
„Sammeln Sie Fakten. Man sollte niemals Vorwürfe aufgrund von Hörensagen machen.“
Ursula Vranken, IPA Institut für Personalentwicklung und Arbeitsorganisation
Die Frage ist nur: Wie reagieren Vorgesetzte richtig, wenn sie feststellen, dass es nicht funktioniert und Vertrauen missbraucht wird? Egal ob privates Surfen, Faulenzen im Homeoffice, Unpünktlichkeit oder schlechte Arbeitsqualität – das Jahresgespräch ist ein guter Anlass, Mitarbeiter wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Und nicht nur das. Mit einer guten Vorbereitung, einer wertschätzenden Ansprache, überzeugenden Argumenten und realistischen Zielvorgaben verlassen sie die Unterredung motivierter als zuvor.
Fakten statt Flurfunk
Experten wie die Arbeitswissenschaftlerin Ursula Vranken raten: Führungskräfte sollten exzellent vorbereitet in solche Gespräche gehen, den Dialog suchen und so dem Mitarbeiter mit einem hohen Maß an Respekt begegnen. „Im Vorfeld steht das Sammeln von eindeutigen Fakten. Man sollte niemals Vorwürfe aufgrund von Hörensagen machen und schon gar nicht den Anlass für eine Generalabrechnung missbrauchen“, sagt die Geschäftsführerin des Kölner IPA Instituts für Personalentwicklung und Arbeitsorganisation.
Astrid Wirges hat gute Erfahrungen damit gemacht, zum Auftakt einige positive Eindrücke zu vermitteln und zu betonen, was in jüngster Zeit sehr gut gelaufen ist. „So schafft man eine freundliche Atmosphäre“, sagt Wirges, die in der Geschäftsleitung beim DIN Deutsches Institut für Normung die Ressorts Personal und Recht verantwortet.
Hat man das Fehlverhalten offen und klar definiert, geht es nach Ansicht Vrankens darum, gemeinsam die Ursachen zu analysieren. Zum Beispiel für den Fall, dass Aufgaben häufig unpünktlich oder mangelhaft erledigt werden. „Oftmals sind im Vorfeld die Spielregeln nicht klar definiert worden, ihr Sinn leuchtet nicht oder nicht mehr ein.“ Last but not least fehle es Mitarbeitern manchmal schlicht an der Fähigkeit, eine Aufgabe erfüllen zu können.
Mit Argumenten überzeugen
Besonders schwierig gestalten sich Gespräche über ein Fehlverhalten, wenn der Vorgesetzte keinerlei arbeitsrechtliche Handhabe hat und ausschließlich auf seine Überzeugungskraft angewiesen ist. Zum Beispiel, wenn eine Mitarbeiterin im Sommer luftig bekleidet in Shorts und Hemdchen mit Spaghettiträgern im Büro erscheint und keine offizielle Kleiderordnung existiert.
In solchen Fällen würde Astrid Wirges versuchen, mit Argumenten zu überzeugen, die die Betroffene vielleicht gar nicht bedacht hat, etwa dass ein Kunde das Unternehmen als nicht seriös genug wahrnehmen und deshalb keinen Auftrag erteilen könnte. Aber selbst wenn arbeitsrechtliche Maßnahmen möglich sind, würde die Personalerin immer zuerst eine Einigung im Gespräch suchen und Unterstützung anbieten. „Man sollte eine gewisse Toleranz gegenüber dem Mitarbeiter üben und ihm stets Wertschätzung entgegenbringen.“
Am Ende des Gesprächs müsse eine klare Vereinbarung stehen, die der Mitarbeiter auch bestätigt. Von Sätzen wie „Ich fände es super, wenn du nicht mehr in der Arbeitszeit surfst“ hält Vranken folglich gar nichts. Klar und eindeutig seien Ziele wie „Es wird nur außerhalb der Dienstzeit gesurft“, „Ist eine Deadline absehbar nicht einzuhalten, wird der Chef sofort informiert“, aber auch: „Stellt der Vorgesetzte fest, dass sich Prioritäten bei Projekten verschieben, informiert er sein Team und passt Abgabefristen an“.
Was tun bei Unzufriedenheit?
Andrea Stellwag, Geschäftsführerin Finanzen & Personal bei der Münchner Consol Consulting & Solutions Software GmbH, setzt bei der Zielformulierung auf die SMART-Formel. „Ziele sollten immer spezifisch, messbar, aktiv durch den Mitarbeiter beeinflussbar, realistisch und terminiert sein.“ Für sie ist es wichtig, mit Argumenten zu überzeugen. Jeder solle einsehen und nachvollziehen können, warum er ein vereinbartes Ziel erreichen soll.
Ein Konflikt könnte etwa entstehen, weil ein Kollege der Meinung ist, dass er zu viel mit dem Tagesgeschäft und zu wenig mit den „heißen Technologien“ beschäftigt sei und deshalb seine Zielvorgaben vernachlässigt. Ihm würde die Personalchefin konkret aufzeigen, dass tatsächlich das Gros der Arbeit aus dem Standardgeschäft besteht. „Um einen unzufriedenen Mitarbeiter zu motivieren, würde ich dann zum Beispiel eine Zusatzaufgabe in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung vergeben, sodass sich der Kollege als Vorreiter für ein technologisches Fachthema weiterentwickelt und so eine Botschafterfunktion dafür übernimmt.“
Und was passiert, wenn sich beide Seiten partout auf keine Lösung einigen können? In solchen Fällen sollte man erst einmal Distanz schaffen, rät Eva Nöll. „Dann empfiehlt sich, ein zweites Gespräch zu vereinbaren, in dem alle Punkte reflektierter erneut besprochen werden“, sagt die Personalverantwortliche der Mister Spex GmbH. Bei dem Online-Optiker, der über seine Website und in eigenen Läden verkauft, kommen die 450 Mitarbeiter alle sieben oder 14 Tage in einem Jour fixe mit ihren Vorgesetzten zusammen. „Gibt es Probleme, können diese sofort angesprochen werden, sodass es im Jahresgespräch nicht zu großen Überraschungen kommt.“
Feedback im Speed-Dating-Format
Damit ist Mister Spex bereits deutlich weiter als viele andere Firmen. Die Unternehmensberatung Towers Watson etwa hat 2015 in einer Studie ermittelt, dass es in gut zwei Dritteln der deutschen Unternehmen am regelmäßigen Kontakt zwischen Mitarbeitern und Management mangelt. Keine vier Stunden nehme sich ein Vorgesetzter im Jahr Zeit für seine Mitarbeiter sowie deren Interessen und Entwicklungsmöglichkeiten, so die Berater.
Anders beim Online-Optiker. Ein offener Umgang mit Kritik und Fehlern ist ein wichtiger Teil der Unternehmenskultur des 2007 gegründeten Mittelständlers. Aktuell probt die Belegschaft ein sogenanntes Peer-Feedback im Speed-Dating-Format. Nach abteilungsübergreifenden Projekten kommen die Teilnehmer zusammen und geben sich gegenseitig 15 Minuten lang Feedback. „Das schult die Fähigkeit der Mitarbeiter, sich respektvoll über Positives und Negatives auszutauschen und Hemmschwellen abzubauen.“
„Ziele sollten immer spezifisch, messbar, aktiv beeinflussbar und realistisch sein.“
Andrea Stellwag, Consol Consulting & Solutions Software GmbH
Viele Vorgesetzte, beobachtet Michael Tippmann, würden Konflikte grundsätzlich scheuen, diese erst gar nicht austragen oder gleich an die Personalabteilung weiterreichen. „Konstruktiv zu tadeln, ist schwierig“, sagt der Geschäftsführer der Below Tippmann & Compagnie Personalberatung GmbH. Für ihn sind Jahresgespräche zudem das Instrument, das am häufigsten missbraucht und am wenigsten genutzt wird. „Zentrale Aufgabe sollte neben der aktuellen Beurteilung auch die Personalentwicklung sein“, sagt sie. Ein Vorgesetzter, der ständig mit seinem Team zusammen sei, könne viel besser als die Personalabteilung beurteilen, welches Potenzial in einem Kollegen steckt.
Gerade im Falle talentierter und erfolgreicher Mitarbeiter hätten viele Chefs jedoch Angst, diese von sich wegzuentwickeln und in der Folge zu verlieren. „Führungskräfte sollten es aber vielmehr als Gewinn und auch als ihren Verdienst betrachten, wenn Mitglieder ihrer Teams befördert werden.“ Ursula Vranken empfiehlt, das Entwicklungs- vom Beurteilungsgespräch zu trennen, um den beiden Themenfeldern die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. „Vor allem die Generation Y fordert viel Feedback. Ein einziges Jahresgespräch ist da zu wenig.“
Ziele entwickeln – so geht’s
Wie Führungskräfte motivierende und realistische Zielvorgaben machen, erklärt Personalberater Michael Tippmann. Aktuelle Entwicklungen berücksichtigen. Die neuen Ziele sollten sich nicht an den Vorgaben des Vorjahres orientieren, sondern zur aktuellen Situation des Unternehmens und der Person passen sowie zur von beiden Seiten angestrebten Personalentwicklung.
Realistische quantitative Ziele entwickeln. Vorgesetzter und Mitarbeiter legen die quantitativen Ziele gemeinsam fest. Diese sollen transparent und nachvollziehbar sein: Einerseits ehrgeizig, um einen Anreiz zu schaffen. Andererseits nicht so überzogen, dass der Mitarbeiter diese als demotivierend empfindet oder gar nicht ernst nimmt.
Flexibel bleiben. Sind diese Ziele durch bereits absehbare externe Einflüsse gegebenenfalls nicht erreichbar, können sich beide Seiten für diesen Fall schon im Jahresverlauf auf eine angepasste Vorgabe einigen.
Messbare qualitative Ziele vereinbaren. Bei den qualitativen Zielen werden genaue Definitionen festgelegt, wann diese erreicht sind. Es heißt dann nicht: Der Mitarbeiter verbessert sein Business-Englisch, sondern: Der Mitarbeiter besucht einen Kurs und erwirbt bis Jahresende ein bestimmtes Zertifikat.
Aktiv unterstützen. Ein guter Chef bietet seine Unterstützung an, sei es durch Hardware wie einen besseren Rechner, ein smarteres Handy, oder durch eine Anpassung von Pflichten wie Abgaberhythmen von Reports oder der Häufigkeit persönlicher Treffen.
Cooler Artikel. +1