Die Branche ist optimistisch – die Situation in vielen Bereichen des Handwerks hat sich zuletzt weiter verbessert. Die Auftragsbücher sind voll, die Ertragskraft ist gestiegen und es wird kräftig investiert. Doch es gibt ein Problem: Der Nachwuchs fehlt.
Im vorangegangenen Jahrgang waren die Jungs sogar ganz unter sich. Die junge Frau mit dem blonden Pferdeschwanz ist Mechatronikerin für Kältetechnik. „Das ist nun mal ein Männerberuf“, sagt sie fröhlich lachend. Dann erzählt sie, wie viel Spaß es ihr macht, an Kältemaschinen zu arbeiten. „Das Beste ist: Ich sehe sofort, was ich geschaffen habe.“ Anna Wackernagel ist eine von zwölf jungen Leuten aus verschiedenen Handwerksbranchen, die derzeit in Imagefilmen des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) die Vorzüge ihres Jobs schildern. Die Botschaft lautet: Liebe Schulabgänger, wenn ihr auch so coole Sachen machen wollt, dann kommt in meinen Job!
Immense Nachwuchsprobleme
Ob Mechatroniker, Dachdecker, Friseure oder Bäcker – sie alle müssen sich mächtig anstrengen, um Nachwuchs zu finden. Nach Angaben des Bundesinstituts für Berufsbildung bleibt etwa jeder vierte Ausbildungsplatz mangels Nachfrage unbesetzt. Ein großer Teil der Jugendlichen entscheidet sich nach Abschluss der schulischen Ausbildung für ein Studium oder strebt einen der sogenannten Weiße-Kragen-Berufe in der Wirtschaft an. Der ehemalige Kulturstaatsminister und Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin beklagt bereits einen „Akademisierungswahn“. Viele Mädchen und Jungen sowie deren Eltern seien der Meinung, wer nicht studiere, habe keine Zukunft. „Dabei haben im Augenblick eher viele Bachelor-Absolventen Probleme, eine Stelle zu finden. Wer dagegen eine Gesellenprüfung und einen Meisterabschluss hat, ist meist besser qualifiziert“, beobachtet Nida-Rümelin.
Schulabgänger streben keine Ausbildung an
Das Handwerk, so meinen viele, habe ein Imageproblem. Zwar seien handwerkliche Berufe zumeist hoch angesehen, aber wenige Leute wollten selbst Handwerker werden. Dazu kommen die Folgen der demografischen Entwicklung: Weil die Zahl der Schulabgänger deutlich sinkt, müssen sich alle Branchen mehr anstrengen, um Nachwuchs für sich zu begeistern. Der Wettbewerb um leistungsstarke Bewerber ist größer geworden. Der ZDH versucht, mit millionenschweren Werbekampagnen die bisweilen schiefen Vorstellungen vom Handwerk („schmutzige Hände, frühes Aufstehen“) zu korrigieren.
Früher hieß es: Handwerk hat goldenen Boden. Daran denkt heute kaum noch jemand. Dabei war diese Aussage selten so aktuell wie heute: Zwei Drittel der Handwerksbetriebe, die die Creditreform Wirtschaftsforschung zum Ausgang des Winterhalbjahrs 2015/16 zu ihrer Situation befragt hat, berichten von einer sehr guten oder zumindest guten Geschäftslage. Bestnoten kommen meist aus dem Ausbau-, Bauhaupt- und Metallgewerbe.

In den meisten handwerklichen Bereichen hat sich der Umsatz 2015 gut entwickelt (zum Vergrößern klicken). © Creditreform-Magazin 04/2016
Insgesamt sind die Umsätze zuletzt bei drei von zehn Befragten gestiegen. Die Ertragssituation ist in vielen Fällen gut – abzulesen unter anderem an der vielfach deutlich verbesserten Ausstattung mit Eigenkapital. Der Analyse von Creditreform zufolge verfügt mittlerweile nahezu jeder vierte Handwerksbetrieb über eine Eigenkapitalquote von mehr als 30 Prozent. Gleichzeitig verringerte sich die Zahl der Betriebe, die als eigenkapitalschwach anzusehen sind, bei denen also der Anteil der eigenen Mittel an der Bilanzsumme weniger als zehn Prozent ausmacht. Ins Bild passt auch, dass Insolvenzen im Handwerk erneut seltener geworden sind. Im vergangenen Jahr mussten lediglich 4.820 Betriebe aus wirtschaftlichen Gründen aufgeben – ein Minus von 3,6 Prozent gegenüber 2014.
Vielen Handwerksbetrieben ginge es sogar noch besser, wenn sie all die Aufträge, die ihnen angeboten werden, auch zügig ausführen könnten. Aber das geht häufig nicht, weil sie an der Kapazitätsgrenze arbeiten und Fachkräfte fehlen. Immerhin hat knapp ein Viertel der von Creditreform befragten Betriebe seine Belegschaft zuletzt aufgestockt. So war 2015 das sechste Jahr in Folge, in dem die Beschäftigung im Handwerk gestiegen ist. Diese Serie fortzusetzen, wird zu einer Herausforderung: „Da mittlerweile mehr junge Menschen ein Studium als eine duale Ausbildung beginnen, dürfte sich die Fachkräftesituation im Handwerk eher noch verschärfen“, heißt es in der Untersuchung der Creditreform Wirtschaftsforschung.
Ausbildung: Flüchtlinge im Fokus
Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie der Bundesagentur für Arbeit hat der ZDH vor kurzem eine Qualifizierungsoffensive für junge Flüchtlinge gestartet. Das Ziel: Durch ein umfassendes Qualifizierungssystem und eine intensive fachliche Berufsorientierung sollen Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge sowie Asylbewerber oder Geduldete mit Arbeitsmarktzugang an eine Ausbildung im Handwerk herangeführt werden. Bis zu 10.000 junge Menschen, so sagt Frank-Jürgen Weise, der Chef der Bundesagentur für Arbeit, sollen durch die Initiatoren dabei unterstützt werden, Berufskenntnisse im handwerklichen Bereich zu erwerben. Wenn das gelingt, könnte manche freie Stelle besetzt werden.
Handwerk bleibt optimistisch
Die Arbeit, so scheint es, wird den meisten Handwerksbetrieben so rasch nicht ausgehen. Die Auftragsbücher sind in vielen Fällen prall gefüllt und die meisten Betriebe schauen der Befragung von Creditreform zufolge zuversichtlich in die Zukunft. Nur einmal in den vergangenen zehn Jahren sei ein noch größerer Optimismus registriert worden, heißt es in der Untersuchung. Als wesentlicher Konjunkturmotor wirkt dabei offensichtlich die in weiten Kreisen der Bevölkerung verbreitete Unsicherheit über die Zukunft: Deshalb setzen viele Menschen auf Sachwerte wie Immobilien und andere hochwertige Anschaffungen – mit positiven Folgen für das Handwerk.
Im Vertrauen auf anhaltend gute Geschäfte investiert die Branche kräftig: Sechs von zehn Betrieben, die Creditreform befragt hat, wollen ihre Kapazitäten erweitern, ersetzen oder rationalisieren. „Das ist ein deutlich höherer Anteil als im Vorjahr und gleichzeitig der Rekordwert der vergangenen zehn Jahre“, heißt es in der Creditreform-Studie. Nie zuvor waren allerdings auch die Finanzierungsbedingungen günstiger.
Zur guten Stimmung bei den Betrieben trägt bei, dass sich die Zahlungsmoral der Kunden verbessert hat. Fast 90 Prozent der von Creditreform Befragten erhält von Privatkunden innerhalb von 30 Tagen das Geld für eine erbrachte Leistung. Auch die öffentliche Hand zahlt ihre Rechnungen zügiger. Drei Viertel der Betriebe verbuchen den Zahlungseingang innerhalb eines Monats. Hohe Forderungsausfälle sind selten geworden. Nur noch gut ein Zehntel der befragten Handwerker berichtete von Forderungsverlusten in Höhe von mehr als einem Prozent des Umsatzes. Fazit: Alle Zeichen im Handwerk stehen auf Grün – wenn nur der Fachkräftemangel nicht wäre.