Das Unternehmermagazin aus der Handelsblatt Media Group

Creditreform

Bescheidenheit ist das Gebot der Stunde: Angesichts der aktuellen „Schwächephase der deutschen Wirtschaft“ (Zitat aus der Postbank), ihrer „konjunkturellen Bewährungsprobe“ (KfW) und einem Jahresausklang 2012, der aus Sicht der IKB „enttäuschend“ war, traut kaum eines der von „Crediteform“ befragten Bankinstitute dem deutschen BIP in diesem Jahr ein Wachstum von mehr als einem Prozent zu. Im Gegenteil: Deutschland dürfte zunächst im ersten Quartal an einer Rezession nur knapp vorbeischrammen, warnt Dr. Marco Bargel, Chefvolkswirt der Postbank. Seine BIP-Wachstumsprognose von 0,6 Prozent ist allerdings auch eine der pessimistischeren Schätzungen bei unserer Umfrage, die wir schon zum 13. Mal in Folge traditionell zum Jahreswechsel durchgeführt haben. Die meisten befragten Volkswirte halten immerhin ein Plus von einem Prozent für möglich (siehe Tabelle auf Seite 28). Die zuversichtlichste Prognose kommt vom Verband öffentlicher Banken (VÖB): 1,2 Prozent. Nur Stefan Schneider von Deutsche Bank Research und Dr. Ulrike Rondorf von der Commerzbank trauen dem neuen Jahr noch weniger zu als Dr. Bargel: Magere 0,25 Prozent Wachstum (Deutsche Bank) und immerhin noch 0,5 Prozent (Commerzbank) sind für die beiden Ökonomen 2013 das höchste der Gefühle.

Belastend wirken laut Postbank „vor allem die rückläufigen Exporte in andere EWU-Staaten, die sich teilweise in einer scharfen und lang anhaltenden Rezession befinden“. Die Eurokrise dauere zu lange, beklagt auch Prof. Frank Wallau vom Institut für Mittelstandsforschung in Bonn. Es müssten „endlich erste Erfolgsmeldungen aus den Krisenstaaten kommen“, hofft der Wirtschaftswissenschaftler, der unter anderem zu Familienunternehmen und auch für das BDI-Mittelstandspanel forscht. So aber hinterlasse die Eurokrise „deutliche Spuren“. Kaum verwunderlich, dass da „die harten Wirtschaftsdaten um die Jahreswende erst einmal noch schwach ausfallen“, wie Lutz Diederichs, Vorstandsmitglied der HypoVereinsbank (HVB), befürchtet: Die Unsicherheit für die Weltwirtschaft und damit auch für Deutschland sei derzeit „ungewöhnlich hoch“. Das sieht auch die KfW Bankengruppe so: „Zu Beginn 2013 dürfte die Schwächephase anhalten und das BIP kaum über Stagnation hinauskommen“, lautet ihre Schlussfolgerung – auch mit Blick auf das „zuletzt schwächelnde“ Wachstum in China.

Erholung im Jahresverlauf

Nur zu Jahresbeginn? In der Tat erwarten unsere Umfrage-Teilnehmer zum Sommer hin eine erneute wirtschaftliche Belebung – vor allem, weil sich unsere Exportchancen wieder verbessern. Der VÖB etwa rechnet mit einer „wieder zunehmenden Wirtschaftsleistung in den Entwicklungsländern“ und somit einer Belebung des Welthandels, was auch der hiesigen Instustrieproduktion helfen dürfte. Auch Deutsche Bank Research traut der Weltwirtschaft in diesem Jahr 3,25 Prozent Wachstum zu – leicht mehr als 2012 (3 Prozent). „Wir erwarten eine zunehmende Kompensation der Nachfrageschwäche innerhalb der Eurozone durch die USA und die Schwellenländer“, schreibt Deutschbanker Stefan Schneider. Selbst BIP-Skeptiker Dr. Marco Bargel von der Postbank sieht „im weiteren Jahresverlauf gute Chancen für ein beschleunigtes Wachstum“ – getragen von „einem sich verbessernden globalen Konjunkturumfeld, wobei Deutschland vor allem von einer wieder anziehenden Nachfrage in den großen Schwellenländern profitieren sollte“. Selbst im krisengeschüttelten Europa sieht die HVB erstes Licht am Ende des Tunnels: In der Mehrzahl der EWU-Krisenländer dürften die fiskalischen Sparmaßnahmen 2013 allmählich gelockert werden, „da bereits spürbare Fortschritte beim Abbau der Defizite gemacht wurden“. Der VÖB sieht das ähnlich: Die jüngste Verringerung der Leistungsbilanzdefizite könnte bald auch in Italien, Portugal, Spanien und selbst in Griechenland erste Wachstumsimpulse setzen. Dann sei auch im Euroraum wieder Wachstum möglich (0,4 Prozent). Da passt es gut, dass der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras für dieses Jahr wieder erste Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung in Aussicht stellte: „2013 ist ein Wendepunkt“, sagte der Staatschef kurz vor Redaktionsschluss Anfang Dezember.

Arbeitsmarkt stützt

Weitere Nahrung könnte der zarte Aufschwung in Deutschland derweil von der Binnennachfrage erhalten. Sie hält HypoVereinsbanker Diederichs für „weiterhin insgesamt robust“, sowohl die privaten Konsumausgaben als auch der Wohnungsbau dürften weiter zulegen. Hilfreich dabei: der robuste Arbeitsmarkt. „Wir erwarten, dass das historische Spitzenniveau der Erwerbstätigkeit in etwa gehalten werden kann“, schreiben die Volkswirte der KfW Bankengruppe. Zusammen mit dem „18-Quartalshoch“ bei den Tariflohnsteigerungen sei dies „eine gute Voraussetzung für ein spürbares Wachstum des Konsums“ in diesem Jahr. Auch IKB-Volkswirtin Dr. Carolin Vogt begrüßt die „realen Einkommenssteigerungen“ und deren Impulse für das Konsumverhalten der Bundesbürger. Und die Unternehmen? „Herausforderung bleibt, deren Wachstumskräfte und insbesondere deren Investititionstätigkeiten zu stärken“, mahnt Dr. Holger Schulz vom Sparkassenverband in Berlin. „Sollten zudem erwartungsgemäß die Unsicherheiten rund um die Schuldenkrise sukzessive nachlassen, dürften auch die binnenwirtschaftlichen Auftriebskräfte an Bedeutung gewinnen“, ergänzt Alexander Wüerst, Chef der Kreissparkasse Köln. Insbesondere könnten dann „die für Investoren in Deutschland derzeit extrem günstigen Finanzierungsbedingungen“ vermehrt „ihre expansive Wirkung“ entfalten. Dr. Ulrike Rondorf von der Commerzbank stellt gar eine Fortsetzung des „Aufschwungs XXL der Jahre 2010/11“ in Aussicht, sollte die Unsicherheit nicht nur an den Finanzmärkten, sondern auch aus den Köpfen der Unternehmer verschwinden: „2014 erwarten wir ein Wachstum von 2,5 Prozent.“

Das klingt gut – doch auch das Miniwachstum in diesem Jahr wäre für Dr. Andreas Bley „kein Beinbruch“: Wir sollten uns ohnehin an solche „eher bescheidenen Zuwächse gewöhnen“, fordert der Leiter der Abteilung Volkswirtschaft und Mittelstandspolitik beim Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) in Berlin. Mehr Wachstum wäre nur über eine stärkere Zuwanderung oder mehr Produktivität zu erreichen – „aber auch dann wachsen die Bäume nicht in den Himmel“.

Apropos wachsen: Angesichts der expansiven Geldpolitik zur Bekämpfung der Schuldenkrise und der erwähnten höheren Lohnabschlüsse sorgen sich viele unserer Leser vor ausufernden Inflationsraten in den nächsten Jahren. Die meisten befragten Banken teilen diese Sorge vorerst nicht, im Gegenteil: „Die insgesamt weiterhin verhaltene Weltkonjunktur mit zum Teil erheblichen Output-Lücken sollte bei nahezu unveränderten Ölpreisen zu einer leichten Verlangsamung der deutsche Inflationsrate führen“, heißt es bei Deutsche Bank Research, wo für dieses Jahr eine Inflationsrate von 1,75 Prozent im Jahresdurchschnitt erwartet wird (2012: 2 Prozent). Die Sparkassen-Organisation will sogar Deflationstendenzen nicht ganz ausschließen – „für den Fall, dass die Krise anhält und es ein andauerndes Deleveraging in den Krisenländern gibt“.

„Kurzfristig“ hält auch Postbank-Chefvolkswirt Bargel die Inflationsrisiken „wegen der schlechten Konjunktursituation für gering“. Mittelfristig jedoch teilt der Postbanker die Sorgen unserer Leser: „Auf Sicht der kommenden drei bis fünf Jahre bestehen wegen der ultraexpansiven Geldpolitik immense Inflationsgefahren.“ Auf mittlere Sicht müssten die Notenbanken daher „trotz tendenziell stärker werdendem Widerstand der Regierungen“ die „überschüssige Liquidität“ rasch abschöpfen, fordert auch Deutschbanker Stefan Schneider. Dazu scheint ihm die Bereitschaft in der EZB „immer noch deutlich ausgeprägter als bei der Fed“ zu sein.

Doch auch vom Immobilienmarkt droht Gefahr: „Aufmerksam beobachten“ müsse der in Deutschland neu geschaffene Ausschau für Finanzmarktstabilität die Immobilienpreisentwicklung in Ballungsräumen wie Berlin, Hamburg oder München, mahnt BVR-Experte Bley an. Letztlich werde die „Gefahr von Preisübertreibungen nämlich durch Geldpolitik betrieben“ – und deren Ausrichtung halten die Genossenschaftsbanker für „momentan viel zu expansiv“, als dass sie der deutschen Wirtschaft Rechnung trage.

Auch bei einer weiteren großen Sorge mittelständischer Unternehmer – der vor einer Kreditklemme – winken die befragten Volkswirte ab: „In Deutschland ist keine in Sicht“, beteuert Stefan Schneider von Deutsche Bank Research. Die Institute seien mit Liquidität „gut ausgestattet“. Zudem herrsche großer Wettbewerb unter den Banken um das Kreditkundengeschäft im Mittelstand: „Der Mittelstand könnte hiervon profitieren.“ Das sieht HVB-Vorstand Diederichs ähnlich: Während Rezession und Schuldenkrise in Südeuropa die Kreditvergabe der dortigen Banken stark einschränke, sorge hierzulade ein „mehr als ausreichendes Angebot an Kapital“ für „sehr hohe Liquidität am Markt“. Hinzu komme der „sehr breit aufgestellte Bankenmarkt mit einem hohen Anteil der öffentlichen Förderinstitute an der Kreditvergabe“. Infolge von Euro- und Finanzmarktkrise hätten deutsche Banken ihr Geschäftsinteresse auf den Heimatmarkt verlagert, heißt es bestätigend aus der KfW.

Kreditverengung voraus?

Als „aktuell äußerst attraktiv“ bezeichnet daher auch der BVR die Finanzierungsmöglichkeiten für den deutschen Mittelstand. „Hierfür sind sowohl die extrem lockere Geldpolitik als auch die verlässliche Kreditbereitstellung durch regional verankerte Mittelstandsfinanzierer verantwortlich“, schreiben die Genossenschaftsbanker mit Blick auf die eigenen Institute, aber auch die Sparkassen. „Die Kreditvergabe an Unternehmen ist 2012 im Vergleich zum Vorjahr sogar gestiegen“, sekundiert der VÖB: „Im dritten Quartal hat sie laut Bundesbank zum ersten Mal die Marke von 1.000 Milliarden Euro überschritten. Es scheint in der Gesamtbetrachtung zumindest weder ein Nachfragenoch ein Angebotsproblem zu geben. Auch die von der EZB durchgeführte SAFE-Study sowie die vom Ifo Institut errechnete Kredithürde geben unseren Umfrage-Teilnehmern Recht: Firmenkredite in Deutschland sind derzeit im historischen Vergleich leicht zu bekommen. Zudem bleibt der Selbstfinanzierungsspielraum vieler Mittelständler trotz rückläufiger Erträge „weiterhin recht groß“, ist IKB-Expertin Dr. Vogt überzeugt – „zumal viele Firmen über reichlich Liquidität verfügen“.

Dennoch: „Eine gewisse Unsicherheit besteht mit Blick auf die weiteren regulatorischen Änderungen für die Banken“, räumt Postbank-Chefvolkswirt Bargel mit Blick auf das Regelwerk von Basel III ein. Eine „Kreditverengung“ sei nicht auszuschließen, so Lutz Diederichs von der HVB. Kreditsuchende Unternehmen müssten sich auf eine „engere Korsage“ einstellen, wenn so manche Bank ihre Kreditvergabe über „eine stärkere Berücksichtigung der Bonitäten“ steuern und – mehr als bislang – „kürzere und damit liquiditätsschonendere Kreditlaufzeiten“ vereinbaren wolle.

„Die verschärften Regeln werden nicht

ohne Rückwirkungen auf das Kreditangebot bleiben“, befürchtet auch IKB-Volkswirtin Vogt. Es bestehe die Gefahr, dass Kredite sich verteuern und vor allem die langfristige Kreditgewährung eingeschränkt werde, stimmt sie den HVB-Kollegen zu. Und nicht nur sie: „Höhere Eigenkapitalkosten für Banken haben logisch eine Erhöhung der Finanzierungskosten für die Gesamtwirtschaft zur Folge“, schreibt Deutsche-Bank-Experte Schneider nüchtern. Allerdings: „Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Effekt in Deutschland materiell sein wird.“ Zum einen werde es der erwähnte Wettbewerb im deutschen Fremdkapital-Markt den Banken nicht erlauben, höhere Margen durchzusetzen, zum anderen seien die durch Basel III erhöhten Eigenkapitalkosten ohnehin nur ein kleiner Teil der Refinanzierungskosten einer Bank. Und schließlich profitieren diese derzeit noch vom Status Deutschlands als sicherer Hafen in Europa. Auch wenn -das ergab unsere Umfrage auch – dieser Sonderstatus der Bundesrepublik im neuen Jahr nach und nach aufweichen dürfte, was sich auch in steigenden Renditen für Bundesanleihen niederschlagen dürfte (siehe Tabelle). Noch wird um die Feinheiten von Basel III gerungen, vor allem um das Risikogewicht von Mittelstandskrediten (siehe Leserservice auf Seite 26). „Gewissheit gibt es erst, wenn die Verhandlungen zwischen Parlament, Kommission und Europäischem Rat abgeschlossen sind“, so BVR-Experte Bley.

Wie es auch kommt: „Der Mittelstand wird es verkraften“, ist Wissenschaftler Prof. Wallau überzeugt. Die Betriebe bauten derzeit mehr Eigenkapital absolut auf – und auch die Eigenkapitalquote steige. „Der Mittelstand macht sich unabhängiger.“ Und auch wenn der Forscher die Rolle alternativer Finanzierungsinstrumente derzeit als noch nicht allzu bedeutend einschätzt: Sich diesen zu öffnen, lautet eine dringende Empfehlung aus den Banken. „Unternehmen könnten sich Kapitalmarktinstrumenten wie Schuldscheindarlehen, Private Placements oder Unternehmensanleihen öffnen“, schlägt Diederichs vor. Auch der Einsatz von Fremdkapital anderer Unternehmen sollte stärker in Betracht gezogen werden. Und natürlich sollte bei jeder Kreditentscheidung die Einbindung öffentlicher Fördermittel geprüft werden. Auch „intelligente Instrumente zur Verbesserung des Working Capital“ stünden bereit.

„Unternehmen, die eine längerfristige Finanzierung benötigen, sollten darüber nachdenken, sich das aktuell sehr günstige Zinsniveau zu sichern“, rät Postbank-Chefvolkswirt Dr. Bargel. Denn: „Auf Sicht von drei bis fünf Jahren ist ein signifikanter Anstieg des Zinsniveaus im Euroraum nicht unwahrscheinlich, da einige Euro-Länder die Krise dann überwunden haben sollten.“ Und das ist für verunsicherte Unternehmer doch die eigentlich gute Nachricht.

Ingo Schenk

„Mittelstandsfinanzierung ist wieder in Mode“, behauptet Dr. Holger Schulz vom Sparkassenverband DSGV. Das vollständige Interview schicken wir Ihnen nach einer Mail an creditreformservice@fachverlag.de (Betreff: Basel III) gern zu – oder besuchen Sie uns unter creditreform-magazin.de/heft