Die neueste Creditreform-Umfrage zeigt: Dem Handwerk geht es gut. Aber der Personalmangel droht zu einem Problem zu werden.
Uwe Wenzel betreibt eine Schreinerei in einem kleinen Ort am Niederrhein. Die Auftragslage ist gut. Der Chef und seine vier Mitarbeiter haben mächtig zu tun. Ein ums andere Mal sind sie auch am Samstag im Einsatz, um besonders dringende Kundenwünsche zu erfüllen. Wenzel, der in Wirklichkeit anders heißt, würde gerne einen weiteren Mitarbeiter einstellen. Aber kaum ein Bewerber ist so, wie er sich ihn wünscht: qualifiziert, engagiert und mit einer guten Sozialkompetenz ausgestattet. „Der Arbeitsmarkt in diesem Bereich ist infolge der guten Konjunktur leer gefegt“, klagt der Schreinermeister. Bei Auszubildenden zeigt sich das gleiche Bild: „Die wenigen Schulabgänger, die sich für eine Azubistelle interessieren, verfügen über erhebliche Defizite, meist im schulischen oder sozialen Bereich.“
So wie Wenzel geht es vielen Handwerksbetrieben in Deutschland. Nach einer Untersuchung der Creditreform Wirtschaftsforschung zur Wirtschaftslage im Handwerk im Frühjahr 2015 stellt der Fachkräftemangel für knapp die Hälfte (47,3 Prozent) der befragten gut 3.000 Handwerksbetriebe schon jetzt ein Problem dar, insbesondere im Dienstleistungshandwerk sowie im Ausbauhandwerk. Und ein weiteres Drittel der Befragten fürchtet, dass die vergebliche Suche nach guten Mitarbeitern für sie in Zukunft ein Problem werden könnte. Überdurchschnittlich betroffen vom Fachkräftemangel sind der Untersuchung zufolge Betriebe des Ausbauhandwerks (52,9 Prozent) und des Bauhauptgewerbes (49,3 Prozent). Lediglich jeder fünfte Betrieb verneint einen Fachkräftemangel.
Handwerk nicht mehr in?
Früher haben sich Handwerksbetriebe selbst mit Fachkräften versorgt – indem sie Lehrlinge ausbildeten und übernahmen. Doch inzwischen funktioniert dieses Modell immer weniger. Grund dafür ist zum einen die demografische Entwicklung. Die Zahl der Schulabgänger sinkt in vielen Regionen. Zum anderen spürt das Handwerk immer stärker die Konkurrenz anderer Berufe. Ein großer Teil der jungen Leute entscheidet sich nach Abschluss der schulischen Ausbildung für ein Studium oder strebt einen der sogenannten Weiße-Kragen-Berufe in der Wirtschaft an.
Die Befragung von Creditreform hat allerdings auch ergeben, dass viele Betriebe die Lust verloren haben auszubilden. Die Gründe sind oft die gleichen, die auch Schreinermeister Wenzel nennt: Viele Bewerber sind zu wenig qualifiziert, entweder schulisch oder sozial. Zudem hat mancher Betrieb schlechte Erfahrungen mit Lehrlingen gemacht und scheut nun Neueinstellungen.
Nach Einschätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln werden die Handwerksbetriebe nicht umhin können, bei der Suche nach jungen Mitarbeitern neue Wege zu gehen. Etwa indem sie verstärkt An- und Ungelernte anwerben und qualifizieren. Oder indem sie häufiger versuchen, Jugendliche aus dem Ausland, insbesondere aus den süd- und osteuropäischen Ländern, für sich zu gewinnen. Der Creditreform- Studie zufolge sehen viele Betriebe Potenzial auch in Quereinsteigern, die etwa ein Studium abgebrochen haben. Das sei auch einer der Gründe, weshalb das Durchschnittsalter von Lehrlingen bei Ausbildungsbeginn in den vergangenen Jahren gestiegen sei.
Das Handwerk kann zusätzliche Kräfte gut gebrauchen, denn die Auftragsbücher sind meist gut gefüllt. Mancher Kunde klagt, dass ihn Schreiner, Elektriker oder Installateur Wochen vertrösten, weil sie zunächst andere Baustellen abzuarbeiten haben. Im Rahmen der Befragung von Creditreform beurteilten 61,8 Prozent der Betriebe ihre Geschäftslage mit „sehr gut“ oder „gut“. Das ist zwar ein geringfügig niedrigerer Wert als zwölf Monate zuvor. Aber immerhin der zweithöchste Wert in den vergangenen zehn Jahren. Spitzennoten verteilte zuletzt vor allem das Ausbaugewerbe. Der Aufschwung im Handwerk, der nach dem Ende der Wirtschaftskrise 2008/09 begann, hält somit weiter an. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Die Branche profitiert von der guten Binnenkonjunktur in Deutschland und es kommt ihr zugute, dass viele Verbraucher – entnervt von niedrigen Sparzinsen – in langlebige Sachwerte und die eigenen vier Wände investieren.
Metallhandwerk mit trüben Aussichten
So verzeichneten knapp 30 Prozent der von Creditreform befragten Betriebe eine Umsatzsteigerung. Das klingt gut. Bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Zahl der Positivmeldungen im Bauhauptgewerbe sowie im Nahrungsmittelhandwerk zuletzt zurückgegangen ist. Gleichzeitig erhöhte sich auch der Anteil der Betriebe, die von Umsatzrückgängen berichteten. Im Kfz-Gewerbe beispielsweise verzeichnete jeder fünfte Befragte ein Minus. Doch das ist Klagen auf hohem Niveau. Insgesamt ist die Umsatzsituation nach wie vor gut. Auch mit Blick auf die weitere Entwicklung der Erlöse gibt sich die Mehrzahl der Betriebe zuversichtlich, aber nicht euphorisch. Pessimistischer als vor einem Jahr sind die Umsatzerwartungen insbesondere im Metallhandwerk sowie im Handwerk für personenbezogene Dienstleistungen.
Zu der unterm Strich guten Umsatzsituation passt, dass die Firmen ihre Belegschaft aufstocken. Immerhin meldeten 23,1 Prozent der Betriebe eine höhere Mitarbeiterzahl als im vergangenen Jahr. Aber: Jeder siebte Betrieb musste Personal abbauen. Insbesondere das Nahrungsmittelhandwerk sowie das Kfz-Gewerbe verzeichneten deutlichere Einschnitte beim Personal.
Die Investitionsbereitschaft im Handwerk bleibt hoch, hat sich zuletzt aber nicht weiter gesteigert. Zur Finanzierung setzen die Betriebe verstärkt Fremdkapital ein – eine Folge der aktuellen Niedrigzinsen. Die Liquidität der meisten Firmen ist gut, was auch damit zusammenhängt, dass die Kunden weitgehend pünktlich bezahlen. Immerhin 88,8 Prozent der befragten Betriebe gaben an, dass ihre Rechnungen meist nach spätestens 30 Tagen beglichen würden. Größere Forderungsausfälle, die ein Prozent des Jahresumsatzes übersteigen, hatten zuletzt 13,2 Prozent der Handwerker zu beklagen. Das war ein ähnlich hoher Anteil wie im Jahr zuvor. Besonders betroffen war das Bauhauptgewerbe.
Die Eigenkapitalsituation im Handwerk verbessert sich weiter. Der Anteil der schwach kapitalisierten Betriebe, bei denen die eigenen Mittel weniger als zehn Prozent der Bilanzsumme ausmachen, ist leicht zurückgegangen. Überdurchschnittlich viele kapitalschwache Betriebe finden sich nach wie vor im Baugewerbe. Das könnte im Hinblick auf eine mögliche Konjunkturabschwächung zu einem Problem werden, wenn die Betriebe nicht eigenkapitalstärkende Maßnahmen ergreifen. Bereits 2014 entfiel die Mehrzahl der Insolvenzen im Handwerk auf das Ausbau- und das Bauhauptgewerbe. Insgesamt hat sich die Zahl der Insolvenzen jedoch weiter um knapp zehn Prozent auf 4.930 Fälle verringert.
Von dem seit 2015 geltenden gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ist die Mehrzahl der Handwerksbetriebe nicht betroffen. In vielen Bereichen werden bereits seit längerer Zeit Branchenmindestlöhne gezahlt, die teilweise deutlich über diesem Niveau liegen.