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Creditreform

So richtig Fortune hatte die deutsche Politik in Bildungsfragen schon länger nicht. Jetzt ist eine Säule des Wohlstands dieses Landes und gleichzeitig ein tragendes Element des deutschen Exports in Gefahr geraten: das duale Ausbildungssystem, das heißt die beruflich qualifizierte Ausbildung gleichermaßen in Schule und Betrieb.

Noch vor wenigen Monaten fuhren Minister ins Ausland, so beispielsweise nach Spanien, Portugal oder in die USA, um dort – angesichts der extrem hohen Jugendarbeitslosigkeit – das deutsche duale Ausbildungssystem vorzustellen. Die Reaktionen waren freundlich bis begeistert. Es gibt Anstrengungen, dieses System zu kopieren. Und zum gleichen Zeitpunkt gerät diese Ausbildungsform in ihrem Mutterland in Gefahr.

Dass hierzulande die Zahl der Auszubildenden in den letzten zehn Jahren um rund 15 Prozent zurückgegangen ist, lässt sich nicht bestreiten. Im selben Zeitraum ist die Zahl der Hochschulanfänger drastisch gestiegen. Das liegt nicht allein an den Auswirkungen von G8, dem verkürzten Abiturzugang, sondern auch an der Einführung des Bologna-Systems an den Hochschulen. Nur verhalten sich die Studenten anders als von den Bildungsplanern vorausgesehen. Sie messen dem Bachelor-Abschluss wenig Bedeutung bei und legen großen Wert auf die weitergehende Ausbildung zum Master. Auch die Wirtschaft reagiert zwiegespalten.

Natürlich ist eine großzügige Hochschullandschaft wünschenswert, aber woher bekommen wir die notwendigen hochqualifizierten Facharbeiter, Handwerker und Dienstleister? Zumal neben der Überakademisierung auch die umstrittene Rente mit 63 die Zahlen weiter verknappt. Studieren ist auch ein Stück Selbstverwirklichung. Doch die Fallstricke sind groß: 28 Prozent der Bachelor-Studenten scheitern. Das untere Drittel der Hochschulabsolventen verdient weniger als ein Facharbeiter. Die Zahl der sich selbst ausbeutenden Selbstständigen steigt weiter. Die beruflichen Chancen für Absolventen von Orchideenfächern oder „Ich mach irgendwas mit Medien“ sind begrenzt.

Wo bleiben die zielführenden bundesweiten Aktivitäten gegen den derzeitigen Bestand bei jungen Leuten in Übergangssystemen – immerhin rund 250.000 Personen? Rund 18 Prozent der 15- bis 30-Jährigen haben keinen Berufsabschluss. Was tun wir ernsthaft dagegen? Zudem ist der Ausbildungsstand in der zweiten und dritten Generation der jungen Leute mit Migrationshintergrund mehr als beklagenswert. Die verschämte Hoffnung, dass die demografische Entwicklung diese Probleme lösen wird, trügt. Und mehr noch: Wir leben derzeit in einer Hochkonjunktur. Was passiert eigentlich, wenn die nächste große Delle kommt? Ein Ausbluten der Industriestruktur des Landes wäre überaus verhängnisvoll, wie die Beispiele Frankreich, Spanien oder Italien zeigen. Und solange wir ausgebildeten Zuzüglern das Leben bürokratisch schwer machen, werden sich dauerhaft keine Lücken schließen können.

In der Tat eine vertrackte Situation. Umso dringender sind zukunftsweisende, integrierte und länderübergreifende Aktionen notwendig. Die Vergangenheit lässt sich bekanntlich schwer gestalten – auch für eine Große Koalition. Zukunftssicherung mag den Bürgern lästig sein. Ohne sie gehen wir aber finsteren Zeiten entgegen.

Uwe Hoch stand 24 Jahre als Verlagsdirektor und Geschäftsführer an der Spitze der Verlagsgruppe Handelsblatt.