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Zwei junge Frauen filmen sich mit dem Handy

© Getty Images

Authentisch, einzigartig, anders – so beschreibt die Generation Z die Nutzung der Videoplattform Tiktok. Der Algorithmus belohnt statt der Reichweite von Akteuren vor allem eines: die Qualität der Inhalte. Für Unternehmen ist das Chance und Herausforderung zugleich.

 

Zerwühlte Haare, verschlafener Blick, lässig zu Musik wippend – das Video, mit dem sich der 19-jährige Charles Bahr präsentiert, ist weit entfernt von einem herkömmlichen Vorstellungsvideo. „Hi, ich bin Charles“, sagt der Strategic Partner Manager bei Tiktok in die Kamera.

„Ob ich studiert habe? Don’t got it. Immerhin Abitur? Don’t got it. Fünf Jahre Berufserfahrung, einen Führerschein? Don’t got it. Einen Job bei Tiktok, der mir Spaß macht? I actually got that one!“

Bahrs Video soll vor allem eins sein: authentisch. Denn genau hier liegt das Erfolgsgeheimnis von Tiktok, das in Europa über 100 Millionen monatlich aktive Nutzer hat und sich selbst als „Entertainment-Plattform“ versteht.

Einer Studie zufolge, die Nielsen in Zusammenarbeit mit Tiktok erstellt hat, schätzten Nutzer diese Authentizität: Weltweit hätten durchschnittlich 64 Prozent der Tiktok-Nutzer das Gefühl, sie selbst zu sein. 56 Prozent gaben an, Videos auf Tiktok zu posten, die sie nirgends sonst veröffentlichen würden.

Mehr noch – und da liege der Vorteil für Unternehmen und Marken –, andere werden als authentisch wahrgenommen. 68 Prozent der Tiktok-Nutzer nehmen Werbecontent als einzigartig wahr oder anders als bei Wettbewerbern.

 

Auf Tiktok zählt der Content

Auch der Algorithmus unterscheidet Tiktok von sozialen Medien wie Facebook, wo ein sogenannter Socialgraph darüber entscheidet, wie oft und in wessen Newsfeeds gepostete Inhalte auftauchen.

Bei Tiktok hingegen entscheidet ein Contentgraph. „Er bewertet Clips unabhängig von bestehender Reichweite“, sagt Bahr. „Das bedeutet: Sie werden nicht nur Freunden und Followern gezeigt.“ So habe jedes Thema – und auch jedes Unternehmen – die Chance, eine eigene Community zu finden.

Laut Bahr gibt es drei Möglichkeiten für Unternehmen, um auf Tiktok aktiv zu werden: organische Reichweite mit eigenen Inhalten erzielen, bezahlte Partnerschaften mit Influencern eingehen oder kostenpflichtige Werbemöglichkeiten nutzen. Bei Letzterem sorgt eine Partnerschaft mit Shopify dafür, dass direkt Produkte verkauft werden können.

Für den Versuch, organische Reichweite zu erzielen, bedeutet Tiktoks Algorithmus: Jeder kann ein Video produzieren, das viral geht, also schnell eine große Popularität erlangt. Denn je länger und häufiger ein Video angesehen wird, desto mehr Nutzern wird es gezeigt.

Diese treiben Häufigkeit und Dauer der Ansichten ihrerseits nach oben und das Video wird noch öfter angezeigt. Laut Sebastian Clauss braucht das nur etwas Übung. „Sobald man den Dreh raus hat, kann man damit rechnen, dass zehn bis 20 Prozent der eigenen Videos überdurchschnittlich gut performen“, sagt der Social-Media-Berater.

Die Videos müssten am Anfang Lust wecken auf mehr und so gestaltet sein, dass keine Langeweile aufkomme. „Mit 15-Sekunden-Videos lässt sich die Spannung am besten halten. Sie generieren die meisten Likes, werden häufiger geteilt und gespeichert und verschaffen dem Absender-Kanal neue Abonnenten, was auch die Reichweite auch erhöht.“

 

Budget auch für Tiktok notwendig

Leichter gesagt als getan, findet Benjamin Koch, Gründer und Geschäftsführer von Capanova, einem Hersteller für Naturkosmetik für Männer. Für ihn unterscheidet sich Tiktok zwar in der Machart des Contents von anderen Plattformen, nicht aber in Komplexität und Aufwand.

„Zwei Dinge braucht man auch hier“, sagt der Unternehmer. „Budget für Kooperationen und Anzeigen sowie einen Mitarbeiter oder eine Agentur, die sich um geeigneten Content kümmert.“ Koch ist überzeugt, Menschen funktionieren besser als Absender von Content als Marken.

Bis vor kurzem hatte er einen Mitarbeiter, der das Potenzial zum hauseigenen Influencer hatte. Der habe aber das Unternehmen verlassen, um sich seinem Studium und anderen Dingen zu widmen. Seitdem liegen seine Kanäle brach – als junges Unternehmen hat Capanova keine mehrköpfige Marketing-abteilung, die in die Bresche springt.

Seinen Glauben an Tiktok aber hat der Gründer nicht verloren. „Präsenz zeigen von Tag eins an war uns wichtig.“ Zwar seien die Nutzer oft noch zu jung für nachhaltige Herrenkosmetik. Trotzdem wolle er unbedingt weiter daran arbeiten.

Denn: „Die Jungs und Mädels auf Tiktok werden älter. Ich sehe in der Plattform erhebliches Zukunftspotenzial.“ Und: Erste Verkäufe über Tiktok hat er auch schon getätigt.

Tiktok, ja oder nein?

Drei Fragen an Philip Papendieck, CEO der Influencer-Marketing-Agentur Intermate mit Kunden wie Volkswagen, McDonald‘s und Beiersdorf.

 

Eignet sich Tiktok nur fürs B2C?

Nein! Im War for Talents spielt Tiktok eine entscheidende Rolle. Wir selbst rekrutieren Mitarbeiter über die Plattform. Außerdem bietet sie spannende Werbeformate und Instrumente zur Leadgenerierung, die sich auch für Unternehmen im B2B eignen: zum Beispiel ein integriertes Formular, mit dem sich Nutzer in wenigen Schritten für einen Newsletter anmelden können.

 

Tiktok gilt als die Plattform der Generation Z. Welche Altersgruppen erreiche ich dort?

Die Altersgruppe der Nutzer „35 plus“ wuchs im vergangenen Jahr am stärksten. Die Plattform akquiriert immer mehr ältere Nutzer und hat 2021 die Fußballeuropameisterschaft sowie die IAA gesponsert. Sie ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

 

Wie aufwendig ist es, auf Tiktok präsent zu sein?

Sie müssen Leuten das Zepter in die Hand geben, die das Medium verstehen. Wir selbst lassen Schüler und Studenten Content produzieren, weil sie das nativ tun. Dann braucht es nicht viel. Wir können am Tag mit einem dreiköpfigen Team 30 bis 50 Tiktok-Clips drehen und unser Kunde hat Content für zwei Monate. Wer ohne eigenes Profil und eigene Videos dabei sein will, beauftragt vier oder fünf Creator ab einem Werbebudget von wenigen Tausend Euro monatlich.