Mit ihrem Unternehmen Windbeutel Reisen behaupten sich zwei Kölner Windsurflehrer seit 25 Jahren gegen die großen Touristikkonzerne. Basis für den Erfolg ist der Fokus auf Segeltörns – mit fein ausdifferenzierten Angeboten für Familien, Singles oder Bildungsreisende.
Vier Quadratmeter, kein Fenster. In diesem winzigen Kellerraum fingen Anfang der 1990er-Jahre drei Kölner Windsurflehrer damit an, den Traum von Freiheit zu verkaufen. Bei künstlichem Licht organisierten sie für Studenten Reisen an die dänische und die französische Küste. Das Marketing war so schlicht wie das Büro: kopierte Flyer, mal ein kleiner Stand im Unigebäude. Die Werbezettel, die ausdrücklich „viel Spaß“ versprachen, verteilten die drei selbst. Wenn es losging, übernahmen sie auch die Reiseleitung.
Ein Nebenjob, um die Ausbildung zu finanzieren – mehr sollte das alles zu Anfang gar nicht sein. Doch das Angebot traf einen Nerv. „Als auf einen Schlag 100 Leute mit uns nach Dänemark fahren wollten, sind wir ans Nachdenken gekommen“, erinnert sich Dirk Richelmann. „Wir sprachen darüber, ob wir uns das auch als Beruf vorstellen können.“ Und es blieb nicht beim Gedankenspiel. 1991 machte Richelmann mit seinen beiden Freunden Burkhard Gieseler und Olaf Kramer Ernst: Ganz offiziell ging Windbeutel Reisen zunächst als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) an den Start. Gerade einmal acht Wochen umfasste das erste offizielle Reiseprogramm.
Lange arbeiteten die Gründer in Eigenregie. „Freitagabends haben wir das Büro abgeschlossen und sind dann direkt mit dem Neunsitzer-Bus losgefahren“, erinnert sich Richelmann. „Das war schon stressig.“ Erst 1999 stellte Windbeutel den ersten Mitarbeiter ein. Da hatte das Unternehmen den Gründungskeller längst verlassen und ein Büro im Stadtteil Braunsfeld bezogen. Olaf Kramer hatte sich drei Jahre zuvor nach Hannover verabschiedet, wo er heute als Personal Trainer tätig ist. „Der Liebe wegen ist er gegangen“, sagt Richelmann. „Wir sind immer noch Freunde.“
Windbeutel hatte sich inzwischen, geführt von den beiden verbliebenen Gründern, zum breiter aufgestellten Reiseveranstalter entwickelt: Skitrips in die Tiroler Alpen wurden ebenso Teil des Angebots wie Familiensportcamps in der Provence. Zudem schickte das Unternehmen segelfreudige Kunden zu Törns auf das Mittelmeer. Im Windschatten von Branchenriesen wie Tui und Thomas Cook, die mehrere Milliarden Euro pro Jahr umsetzen und 2015 jeweils über sechs Millionen Reisen verkauften, haben sich die Kölner als Spezialist behauptet. In diesem Jahr feiert Windbeutel das 25-jährige Bestehen.
Rund 27,3 Milliarden Euro betrug der Umsatz der hiesigen rund 2.500 Veranstalter laut Deutschem Reiseverband im vergangenen Jahr. Windbeutel steuerte dazu überschaubare 2,5 Millionen Euro bei. Ihr Beispiel aber zeigt: Gerade als kleiner Anbieter ist es wichtig, eine klare Strategie zu verfolgen. „Wir mussten die Nische finden, in der wir erfolgreich agieren können“, sagt Richelmann. Ein jahrelanger Prozess, der wohl nie abgeschlossen sein wird. „Wir müssen immer noch kämpfen.“

Spaß und Pflicht zugleich: Zum Segeln gehört auch die gemeinsame Planung der Tagestouren. © Windbeutel Reisen
Versuch macht klug
Viel haben die Windbeutel-Chefs ausprobiert – und vieles wieder verworfen. Paragliding im Gebirge? Nur kurz im Programm. „Das interessierte wirklich keinen“, sagt Richelmann. Schon 2003 startete ein größeres Experiment: Der befreundete Reiseveranstalter Bruno Peters stieg als Gesellschafter ein. Seine Stärke: Abenteuer- und Landreisen, etwa für Familien. „Der Bereich entwickelte sich aber nicht so gut wie erhofft“, erinnert sich Richelmann. 2012 habe man sich wieder getrennt. Und auch das Marketing hat einen klaren Schnitt erlebt: Vor drei Jahren schaffte Windbeutel seinen gedruckten Katalog ab – seitdem müssen Kunden online klicken, statt zu blättern.
Derweil beschlossen Gieseler und Richelmann, sich ganz auf das Kerngeschäft zu konzentrieren: das Segelprogramm. Die Balearen, Italien, Kroatien, Griechenland, Türkei – im Mittelmeer finden sich heute die Hauptziele. Doch nicht nur die geografische Reichweite zählt. Fein ausdifferenziert ist das Segelangebot inzwischen: Törns für Familien sind genauso dabei wie Reisen für Frauen oder junge Leute. Einige Bootstrips sind Singles vorbehalten – ganz offenbar eine gute Alternative zur Partnervermittlung. „Wir haben schon einige Dankesbriefe von Paaren bekommen, die sich auf unseren Reisen kennengelernt haben“, sagt Richelmann. Derzeit liege es im Trend, dass Gruppen ganze Yachten buchen. Eine weitere vielversprechende Zielgruppe: der Silver Sailor – Segelbegeisterte ab 50 Jahren. „Sie wollen nicht unbedingt in einer Crew allein mit Jugendlichen unterwegs sein.“

Auch Wandern und Biken hat Windbeutel im Programm – etwa auf Teneriffa. © RossHelen / iStock / Thinkstock
Das harmonische Miteinander bedeutet viel auf hoher See. Ob Einkaufen, Kochen oder Segelsetzen, alles erledigt die Urlauber- Mannschaft gemeinsam. Eine Woche auf engstem Raum mit sechs bis neun teils fremden Menschen leben – das kann Konflikte bergen. Ob sie tatsächlich ausbrechen, hängt besonders vom Skipper ab. „Er ist Reiseleiter, Schiffsführer und Segelcoach zugleich – und auch Mediator bei Streitigkeiten“, so Richelmann. Die Ansprüche an ihn sind enorm: Eine Mischung aus Entertainer und Diplomat muss er sein. Stets motiviert und mit hohem fachlichen Know-how. Entsprechend sorgfältig wählen die Windbeutel- Manager ihre Skipper aus. Tatsächlich gebe es bei tausend Buchungen im Schnitt vielleicht eine Beschwerde.
Wichtig ist auch ein regelmäßiger Wechsel am Steuerrad. „Sonst drohen Verschleißerscheinungen, der Skipper bringt sich dann nicht mehr so in die Gruppe ein, wie es nötig ist.“ Die Schiffe chartert Windbeutel. Keine Edelyachten, kein Superkomfort lautet dabei die Vorgabe. Es zählt das Selbermachen, das Erlebnis. „Wir suchen kein elitäres Publikum, wollen eher für den mittleren Geldbeutel anbieten“, sagt Richelmann. Um die 500 Euro kostet ein einwöchiger Törn im Mittelmeer – plus Anreise und Verpflegung.
„Von echten Rückschlägen sind wir verschont geblieben.“ Burkhard Gieseler, Geschäftsführer
Mehr als 2.000 Buchungen für über 4.000 Reisende erwartet Windbeutel in diesem Jahr. Inzwischen kümmern sich neben der Geschäftsführung sechs Festangestellte darum, dass alles glattläuft. „Wir kalkulieren knapp – aber auskömmlich“, so Co-Geschäftsführer Gieseler. Während Richelmann die Verkaufsleitung innehat, ist er für IT und den Jahresabschluss verantwortlich. Gieseler berichtet von einem zunehmenden wirtschaftlichen Druck: die Charterpreise steigen, hinzu kommen wachsende Abgaben etwa in den Häfen: „Es bleibt wenig Spielraum.“ Bislang sei die Rechnung für Windbeutel aufgegangen. Auch schwierige Zeiten nach der Jahrtausendwende habe man weggesteckt – im Gegensatz zu ähnlich positionierten Veranstaltern, die pleitegingen. „Von echten Rückschlägen sind wir verschont geblieben.“
Big Player im Spezialmarkt
Kaufmännische Tugenden haben sich dabei bewährt – von Beginn an. „Die ersten fünf Jahre floss das Geld, das reinkam, ganz in den Aufbau unserer Organisation und den Kauf von Material“, sagt Gieseler. Heute beansprucht Windbeutel dank Spezialisierung die Marktführerschaft. „Wir sind die Nummer eins bei Mitsegelreisen.“ 90 Prozent betrage die Auslastung der bis zu 25 Yachten, die der Veranstalter gleichzeitig in der Hochsaison chartert. Auch Standardisierung hilft. Alle Reisen folgen einem Grundkonzept: Von den Törnausschreibungen über Reiseunterlagen bis hin zu den klar definierten Aufgaben des Skippers ist alles genau festgelegt. Gieseler: „Der Kunde weiß, was ihn erwartet.“
Das Unternehmen im Zeitraffer
1991 Die drei Surflehrer Burkhard Gieseler, Olaf Kramer und Dirk Richelmann gründen in Köln den Reiseveranstalter Windbeutel
1992 Der erste Segeltörn kommt ins Programm, Ausgangspunkt ist Korsika
1996 Ausstieg des Gesellschafters Olaf Kramer
2001 Während Surfreisen stagnieren, bringen Segelangebote weiteres Wachstum
2003 Reiseorganisator Bruno Peters wird Mitgesellschafter – der Bereich Familienreisen wird ausgebaut
2005 Umzug in die heutigen Büros in Köln-Braunsfeld
Ab 2007 Zunehmende Konzentration auf das Kerngeschäft Segeln
2013 Bruno Peters steigt aus und gründet Elan-Sportreisen
2016 Windbeutel ist Marktführer hierzulande für Mitsegel-/Kojencharter-Reisen
Dabei treiben die Kölner auch eigene Innovationen voran. Sie sind Mitglied im Forum Anders Reisen, einem Verband kleinerer Veranstalter mit Schwerpunkt auf ökologischem Tourismus. Im Herbst steht die nächste Nachhaltigkeitszertifizierung an. Doch dabei soll es nicht bleiben: In Kroatien startet Windbeutel im Herbst einen Törn, bei dem die Segler besonders umweltschonend unterwegs sein sollen. „Wir ermitteln den gesamten ökologischen Fußabdruck der Reise“, sagt Richelmann. Nur mit dem Schiffsmotor fahren, wenn es unbedingt nötig ist, den Frischwasserverbrauch minimieren und Plastikmüll vermeiden – selbst auf biologisch abbaubare Sonnencreme werde geachtet. „Der Törn kann ein Best Practice für künftige Angebote sein“, sagt Richelmann. Wichtig: „Wir wollen nicht als Oberlehrer agieren, sondern sind weiter dem Urlaubsgedanken verpflichtet.“
Das Unternehmen verfolgt eine „erlebnispädagogische Zielsetzung“. Auch Segelreisen mit Schwerpunkten wie antike Kultur oder Sprache und Literatur sind im Programm. „Wir wollen dabei Raum lassen für Eigeninitiative“, sagt Richelmann. Die zeigt er auch im eigenen Urlaub. So segelte er im Oktober 2015 vor Kos – das Ziel vieler syrischer Flüchtlinge. Vor Reisebeginn fragte Richelmann vor Ort nach, welche Hilfe er leisten könne – und brachte Kleidung, Medikamente und Hygieneartikel mit. Er besuchte auch das Flüchtlingscamp am Hafen. „Das drückt natürlich die Stimmung. Aber diese Menschen brauchen schließlich unsere Hilfe.“ Eine Abkehr von den türkischen oder griechischen Destinationen schließt Richelmann in Zeiten der Flüchtlingskrise aus. „Wir haben vor Ort Partner mit langjähriger Geschäftsbeziehung – auch für sie muss es weitergehen.“
Aktiv Sport betreiben, Auseinandersetzung mit der Natur, Miteinander erleben – das haben die Windbeutel- Chefs als Kernwerte ihres Unternehmens festgeschrieben. Es gilt für sie auch im Beruf. Dirk Richelmann wohnt heute zwölf Kilometer entfernt vom Firmensitz in Pulheim. Bevorzugt legt der durchtrainierte 55-Jährige die Strecke mit dem Rad zurück – auch wenn die Bedingungen widrig sind. „Im Verlauf des Tages dreht fast immer der Wind“, sagt er. „Ich fahre meist dagegen.“
Burkhard Gieseler lebt auch mit 61 Jahren noch im selben Reihenhaus im Kölner Stadtteil Lövenich, das einst die Wohngemeinschaft der Gründer beherbergte. Der schummrige Vier-Quadratmeter-Keller erfüllt längst wieder seinen ursprünglichen Zweck: „Das ist heute ein ganz normaler Abstellraum.“