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Transparenz

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In Krisensituationen können Unternehmer die Mitarbeiter auf ihre Seite ziehen, wenn sie schlechte wie gute Entwicklungen anhand der neuesten Kennzahlen transparent machen. Wie viel Offenheit stärkt das Vertrauen, den Teamgeist und die Leistungsbereitschaft?

Die Pandemie hat UpReach zunächst hart getroffen. „Unser Umsatz brach im Frühjahr um 90 Prozent ein“, sagt Geschäftsführer Marius Hepp.

Das Unternehmen gründete er 2016. Es beschäftigt inzwischen 25 Mitarbeiter. „Wir bieten anspruchsvolle digitale Marketing-Tools an, die Markenhersteller für Messen oder Events buchen. Da hier im vergangenen Jahr wenig gelaufen ist, bekamen wir als Startup diese Entwicklung deutlich zu spüren“, erklärt Hepp.

Die Situation war zeitweise so problematisch, dass er Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken musste. Mittlerweile hat die Firma aus der Not eine unternehmerische Tugend gemacht und konzentriert sich auf virtuelle Kundenerlebnisse mithilfe von Augmented Reality – ein neues Konzept, welches aktuell auf große Nachfrage stößt.

 

Unternehmensphilosophie: Kennzahlen offen legen

Über die aktuelle Situation waren die Beschäftigten stets detailliert informiert. „Als Teil unserer Unternehmensphilosophie legen wir die Kennzahlen zur Planung, zum Umsatz und auch zur Rendite permanent offen. Jeder im Team kann sie in unterschiedlichen Berechtigungsstufen abrufen“, sagt Hepp.

Regelmäßig setzen sich alle zusammen, um die Entwicklung zu diskutieren. „Wir handhaben das so bereits seit unserer Gründung. Unsere Erfahrungen damit sind gut.“

Die Mitarbeiter identifizieren sich stärker mit ihrem Unternehmen und ihrem Arbeitgeber. Sie engagieren sich, wenn sie sehen, wie es der Firma aktuell geht. Auch gingen sie bereitwilliger mit Restrukturierungsmaßnahmen aufgrund der Pandemie konform.

„Weil jeder verstanden hat, worum es ging“, sagt Hepp. Im Gegenzug sehen sie es als Erfolg ihrer eigenen Arbeit an, wenn es wieder besser wird. „Diesen Effekt konnten wir schon zweimal in besonderen Krisensituationen beobachten“, erklärt Hepp.

Dies ist das Ziel, wenn Firmen die Mitarbeiter ins Controlling mit einbeziehen. Die Beschäftigten sollen das Große und Ganze ihrer Arbeit erkennen und sich entsprechend in die Geschehnisse einbringen.

 

Wenn Mitarbeiter Transparenz einfordern

In jungen Unternehmen haben die Beschäftigten häufiger Einblick in das Zahlenwerk, weil hier in der Regel Jüngere zwischen 20 und 40 Jahren arbeiten. Diese fordern die Transparenz oft ein.

„Auch Großunternehmen legen zumindest ihren Führungskräften Umsatz, Kosten oder sogar die jeweilige Ertragssituation offen“, sagt Günter Lubos, Unternehmensberater und Mitglied der Geschäftsleitung von Dr. Wieselhuber und Partner in München. Das geht weit über das hinaus, was Unternehmen ohnehin veröffentlichen müssen. „

Zunehmend entscheiden sich auch kleine und mittlere Firmen dafür, zumindest Kennzahlen zum Umsatz oder zu Kostenstrukturen preiszugeben“, sagt Lubos. Einen Trend erkennt er hier zwar nicht, „aber durchaus eine Tendenz“.

Ähnlich sieht das Andreas Blum, Wirtschaftsprüfer der Kanzleigruppe DHPG in Gummersbach. „Vor allem Gründer wollen sowohl ihren Mitarbeitern als auch den Kapitalgebern zeigen, wohin sie sich bewegen“, so der Experte.

Allerdings beobachtet er auch, dass die Transparenz Grenzen hat. Bei den Gehältern endet in der Regel die Dokumentation. „Nur Kenngrößen, auf die der einzelne Mitarbeiter selbst Einfluss nehmen kann, sind für ihn wichtig und interessant“, meint Blum. Entsprechend sollten Firmenchefs genau überlegen, welche Ziele sie verfolgen, und darauf abgestimmt, welche Daten sie publik machen wollen.

 

Erklärungsbedürftige Kennzahlen aus dem Controlling

Denn: „Wenn Unternehmer die Mitarbeiter in ihr Controlling einmal einbezogen haben, können sie diesen Schritt schlecht rückgängig machen“, warnt Ralf Presber, geschäftsführender Gesellschafter der Pericon Unternehmensberatung und Vorstandsmitglied des Fachverbands Unternehmensführung und Marketing im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU).

In jedem Fall ist das Projekt erklärungsbedürftig. Der Unternehmer sollte gegenüber den Mitarbeitern nicht nur seine Beweggründe erläutern. Er sollte  auch darlegen, was die Kenngrößen bedeuten und wie sie zusammenhängen.

Unternehmer Frank Freund, Geschäftsführer der Raisin GmbH in Berlin, diskutiert einmal im Monat mit seinem Führungsteam und rund 300 Mitarbeitern das Zahlenwerk. Das Unternehmen Raisin wurde vor acht Jahren gegründet und bietet Geldanlageprodukte für Verbraucher. Zahlentransparenz gegenüber dem Team gehört schon von Beginn an zum Konzept.

Mitarbeiter, die sich als Mitunternehmer verstehen

„Ein Grund, warum sich unsere Mitarbeiter als Mitunternehmer verstehen“, sagt Freund. Jeder hat Zugriff zum Beispiel auf die Unternehmensentwicklung.

Die Mitarbeiter wissen, wie viel die Akquise eines Neukunden kostet. Sie haben Kenntnis davon, welche Planzahlen mit welchem Produkt erreicht werden sollen. Die Daten werden in eine übersichtliche Form gebracht, damit sich die Aussage schnell erfassen lässt.

Wirtschaftsprüfer Blum warnt vor Datenfriedhöfen: „Im Idealfall sind die Auswertungen individuell auf den Einzelnen und dessen Position zugeschnitten.“ Moderne EDV und Software macht das möglich.

Fortschrittliche Unternehmer entwickeln eine App, welche die Kennzahlen grafisch visualisiert auf dem Smartphone darstellt. Und das alles möglichst kommentiert: „Wenn in der Pandemie zum Beispiel der Umsatz unter Plan liegt, sollten die Ursachen erläutert werden“, so Blum.

Die Mitarbeiter werden wissen wollen, wann es wohl wieder besser wird oder welche Maßnahmen jetzt ergriffen werden. Genau so handhabt das auch Marius Hepp bei UpReach. Er hält mit den Problemen nicht hinterm Berg, sondern motiviert – indem er die Mitarbeiter einbezieht.

 

Mit System einführen

Eine einheitliche Vorgehensweise für mehr Transparenz in Unternehmen kann es nicht geben. Prinzipiell aber können sich Firmenchefs hieran orientieren:

  1. Projekt planen: Was soll erreicht werden? Was soll es bringen? Das sollte kommuniziert werden.
  2. Weniger selbst vorgeben: Unternehmer können die Mitarbeiter fragen, was für sie interessant und wichtig wäre. Weniger vorzugeben, kann hier mehr sein.
  3. Transparenz als Chefsache: Der Unternehmer muss hinter dem Projekt stehen. Er selbst oder direkte Führungskräfte müssen bereit sein, bei Fragen Rede und Antwort zu stehen.
  4. Wissen vermitteln: Mitarbeiter sollten vorab in die Materie eingeführt werden – also eine Lehrstunde zur Interpretation erhalten sowie Gründe für veränderte Kennzahlen kennen.
  5. Am Ball bleiben: Diskussionen über neue Entwicklungen sind erwünscht. Sie sollten aber nicht zum Dauerthema, sondern besser einmal konsequent besprochen werden.

„Zu viel Transparenz kann auch schaden“

Ralf Presber ist Vorstandsmitglied des Fachverbands Unternehmensführung und Marketing im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater. Offen über Zahlen zu sprechen, findet er gut. Er warnt aber vor Risiken.

 

Herr Presber, der Lockdown hat die Situation in einigen Unternehmen nochmals verschärft. Ist es da wirklich sinnvoll, das Drama in Zahlen noch zu dokumentieren?

Wenn Arbeitnehmer in Kurzarbeit müssen, wissen sie um die schwierige Lage. Sie sind natürlich verunsichert.

 

Wenn Unternehmer sensibel damit umgehen, auf Chancen und Möglichkeiten eingehen, wirkt sich Transparenz auch in schwierigen Situationen positiv aus. Problematisch aber ist es, wenn Ziele unerreichbar und zu hochgesteckt formuliert werden. Das demotiviert.

 

Wie sollten Unternehmer kommunizieren?

Im ersten Schritt sollten sie für sich klären, was sie mit der Transparenz erreichen wollen. Konkret formulieren sie den Nutzen. Darauf abgestimmt, legen sie fest, welche Kennzahlen sie publizieren wollen und welche lieber nicht.

 

Man muss ja auch immer bedenken, dass die Daten nicht zwingend im eigenen Haus bleiben. Mitarbeiter können zum Beispiel später den Arbeitgeber wechseln oder zu Hause darüber reden. Das Risiko besteht.

 

Wie viel Transparenz darf es also sein?

In Unternehmen mit zehn oder 20 Mitarbeitern sollten die Fixkosten grob dargelegt werden. Die Personalkosten dürfen nicht öffentlich werden, auch nicht als Block. Das ließe zu tiefgehende Rückschlüsse zu. Ein Fliesenleger kann aber wissen, wie ein Auftrag mit Blick auf seine Arbeitsleistung kalkuliert ist – also, wie viel Quadratmeter er als Sollgröße in einer Stunde zu verlegen hat.

 

Genauso kann die Krankheitsquote im Betrieb für alle interessant sein. Der Unternehmer zeigt so auf, wie viel den Betrieb die Ausfälle kosten. Im Team können dann Gesundheitsmaßnahmen erarbeitet werden.