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Tobias und Achim Beuckes

© TTL Network

Erst mit 42 hat Achim Beuckes den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Zwei Jahrzehnte später ist sein Unternehmen TTL Network branchenübergreifend etabliert als Lieferant von industriellen Standardkabeln. Sohn Tobias Beuckes führt den Hidden Champion nun in zweiter Generation in die Zukunft – der traditionell zurückhaltende Auftritt weicht dabei einer stärkeren Markenpräsenz.

 

Die ersten Geschäftsreisen ins Ausland – für Achim Beuckes waren sie pures Abenteuer. In den frühen 1990er Jahren flog er für seinen damaligen Arbeitgeber, einen ostwestfälischen Kabelhersteller, mehrfach nach China. Shenzhen hieß das Ziel. „Es ging damals richtig los mit den Sonderwirtschaftszonen“, erinnert sich Beuckes.

Mit günstigen Rahmenbedingungen sollten sie Investoren aus den Industriestaaten anlocken. Doch wer es ernst damit meinte, dem machte die Volksrepublik das Leben überraschend schwer. „Ich flog nach Hongkong und fuhr dann mit dem Zug bis zur Brücke am Grenzfluss“, sagt Beuckes.

Die Einreiseformalitäten: reine Schikane. „Ich musste stundenlang warten, bis ich die scheinbar notwendigen Stempel beisammenhatte. Der letzte Beamte warf das Formular dann in den Müll.“

Noch acht Jahre lang machte Beuckes den Job und war weiter regelmäßig in Fernost unterwegs, etwa um Produktionsstätten zu besuchen. „Mal ging es Samstag hin und Dienstag zurück, mal war ich 14 Tage vor Ort“, sagt er. Im Jahr 2000 dann zog er den Schlussstrich und wagte den Schritt in die Selbstständigkeit – gemeinsam mit Andreas Riedenklau, der im selben Unternehmen tätig war.

Dem Geschäftsaufbau in China für den Kabelproduzenten folgte Pionierarbeit in eigener Sache: TTL Network heißt die Firma, die Beuckes und Riedenklau im westfälischen Halle binnen zwei Jahrzehnten zu einem Hidden Champion formten.

 

Lebensadern der Digitalisierung

2.000 Standardkabel umfasst das Sortiment heute, zudem teils selbst entwickelte und patentierte Verbindungsbauteile. Sie finden sich in einer Vielzahl von Produkten, die prominente Logos aus der Industrie tragen – vom Auto bis zum Zahnarztstuhl. Kaum ein Fahrer oder Patient weiß, dass TTL die Lebensadern liefert.

TTL Network ist ein Gewinner der Digitalisierung. „Man muss sich nur anschauen, was im TV-Bereich passiert ist“, sagt Beuckes. „Jahrzehntelang haben wir mit Röhrenfernsehern gelebt.“ Der 63-Jährige zählt auf: Plasma, LCD, 16K-Auflösung, das alles kam binnen weniger Jahre auf den Markt.

„Kabel zu entwickeln und zu fertigen, die so etwas unterstützen können, das ist nicht mehr so einfach wie vor 25 Jahren.“ Im zweistelligen Millionenbereich bewegt sich der TTL-Umsatz heute – um durchschnittlich 12,6 Prozent legte das Unternehmen seit der Gründung jährlich zu.

Die früheren Auslandserfahrungen haben Beuckes viel genutzt: TTL lässt in China produzieren, zudem in Osteuropa. Rund 20 Menschen sind am Hauptsitz in Halle und beim 2016 gegründeten Tochterunternehmen TTL Süd in Ginsheim-Gustavsburg tätig. Weltweit fertigen mehr als 1.000 Menschen Produkte für TTL.

TTL Süd agiert als verlängerter Vertriebsarm für die Kabel und Verbindungsprodukte in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz. „Die Kollegen können die Kunden dank der räumlichen Nähe intensiver betreuen“, sagt Beuckes. Auch in Haushalten finden sich TTL-Produkte.

Ein Netzwerkspezialist etwa kauft bei TTL sogenannte Patchkabel für seine Router – bis zu 200.000 Stück pro Jahr. „Wir sind völlig branchenunabhängig“, sagt Beuckes.

 

Zuverlässig, aber im Hintergrund

Lange pflegte Achim Beuckes für den Auftritt seines Unternehmens Zurückhaltung. Doch künftig will er mehr Aufmerksamkeit. „Das ist wichtig, weil wir eine Reihe von Eigenprodukten haben“, sagt er. „Wir wollen sie nicht nur über andere Firmen vermarkten lassen, die dann auf unseren Preis ihre Prozente draufschlagen.“

Näher am Kunden sein – und mit Qualität im Vergleich zum Wettbewerb überzeugen, der oft auf Lowcost setzt – das ist nun das Ziel. Eine Strategie, die der neue Juniorchef schärfen wird: Tobias Beuckes, der Sohn des Gründers.

Im Frühjahr hat der 32-Jährige seinen Job als Berater bei Horváth & Partners an den Nagel gehängt und ist in die Geschäftsführung gerückt, wo er Riedenklau ersetzt. Der Mitgründer hat sich in den Ruhestand verabschiedet. Innerfamiliäre Konkurrenz gab es nicht: Tobias Beuckes’ Bruder ist Sozialarbeiter, die Schwester wird Lehrerin.

Die strategische Wende ist alles andere als Selbstzweck. „Wir haben Handlungsbedarf in puncto Digitalisierung und gehen das Thema derzeit an – auch um neue Vertriebskanäle, etwa für den Export, zu erschließen“, sagt der Juniorchef.

Das ERP-System für die Unternehmenssteuerung werde komplett auf SAP-Software umgestellt. Wo Listen noch per Hand geführt werden, kommen künftig Scanner zum Einsatz, die an die Firmen-IT angebunden sind. „Wir wollen effizienter werden.“

Auch für Umsatzsteigerungen seien höhere Anstrengungen nötig: „Wir haben nun eine Größe erreicht, bei der Wachstum schwerer fällt – ein Plateau, auf dem wir mehr leisten müssen“, sagt Tobias Beuckes. Der Inlandsmarkt für TTL-Produkte wachse eher langsam.

„Wir wollen jetzt neue Märkte erschließen.“ Das ursprüngliche Logo, eine Weltkugel mit rotem Schriftzug, ist schon ersetzt. Weiß auf Blau zeigt sich der TTL-Schriftzug heute. Nun wird der gesamte Außenauftritt umgebaut – mit neuer Homepage und Webshop.

„Wir werden stärker mit Referenzen arbeiten“, sagt der Juniorchef. „Und wir werden auch über den Webshop Ad-hoc-Anfragen bearbeiten, bei denen es per Mail zu lange dauert.“ Als Beispiel nennt er etwa den Festivalveranstalter, der noch dringend ein Kabel benötigt.

 

Klare Rollenverteilung bei TTL Network

Die gemeinsame Arbeit von Vater und Sohn funktioniere gut, sagt Tobias Beuckes. „Wir haben ein klares Onboarding definiert. Dazu zählt auch die Frage: Was ist die geschäftliche, was die private Rolle.“ Schon mehrfach habe er bei Freunden, die elterliche Betriebe übernehmen, erlebt, dass die Väter sich weiter stark einmischen.

„Mein Vater ist deutlich besser in der Lage, loszulassen. Er lässt mich machen.“ Der Juniorchef hat sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt: 100 Prozent Wachstum binnen zehn Jahren. Solche Vorgaben und den damit verbundenen Umbau des Betriebs zu vermitteln, dazu sei gemeinsame Arbeit wichtig.

„Wir sind bislang immer meinungskonform“, sagt Tobias Beuckes. „Wir müssen aber auch gucken, dass die Leute im Unternehmen sich nicht alleingelassen fühlen“, sagt er – ein enger und stetiger Austausch mit den Beschäftigten soll das verhindern.

Selbstbewusst geht Eishockey-Fan Tobias Beuckes die Arbeit an. „Ich will nicht nur deshalb auf meinem Stuhl sitzen, weil ich der Sohn vom Seniorchef bin“, sagt er. „Und ich will nicht nur nett dasitzen und nicken. Ich gehe meinen eigenen Weg und will Mehrwert liefern.“

Auf das Vertrauen seines Vaters kann er zählen. Der sagt: „Nach 20 Jahren stellt sich eine gewisse Betriebsblindheit ein. Tobias kennt durch die Praxis in der Unternehmensberatung die Hebel, an denen man ansetzen muss. Er entdeckt Schwachstellen und Dinge, die nicht so rund laufen.“

 

Wie der Vater, so der Sohn – dann doch

Schon der Berufsstart von Vater und Sohn zeigt Parallelen: Beide absolvierten nach der Schule eine kaufmännische Ausbildung. Achim Beuckes machte sie in einer Gummersbacher Schraubenfabrik, nicht weit entfernt vom heimischen Meinerzhagen.

Überraschend fand er sich in der Werkhalle wieder. „Wir mussten erst mal lernen, wie eine Schraube hergestellt wird.“ Sohn Tobias zog es zur Sparkasse. „Mein Vater und ich waren in der Schule beide keine Leistungsträger“, sagt er. Dafür blühten sie im Beruf auf.

Achim Beuckes wurde zunächst Einkaufsleiter bei einem Maschinenbauer in Kierspe. Nach knapp acht Jahren verließ Beuckes das heimische Sauerland und zog nach Ostwestfalen, in die Heimat seiner Ehefrau. Dort wurde er zum Fan von Arminia Bielefeld und zum Dauerkarteninhaber.

„Das zeigt meine hohe Leidensfähigkeit“, sagt er. Beim neuen Arbeitgeber, einem Spezialisten für Netzwerktechnik in Bielefeld, ging es das erste Mal beruflich um Kabel. Beuckes startete als Einkaufsleiter. „Aber der Chef hat schnell gemerkt, dass ich mehr draufhabe.“ So erhielt er den Auftrag, Kontakte nach Asien aufzubauen.

Tobias Beuckes zog nach der Lehre nach Köln und studierte VWL. Nach dem Abschluss arbeitete er zunächst bei Ernst & Young und wechselte dann zu Horváth. „Sie suchten Leute für die Prozessautomatisierung, das war mein Schwerpunkt“, sagt er – Know-how, das perfekt zu TTL Network passt.

Im gemeinsamen Urlaub habe er mit den Eltern im vergangenen Jahr intensiv über die Frage der Nachfolge gesprochen – oder einen Verkauf der Firma als Alternative. „Ich bin zum Schluss gekommen: Wenn ich es nicht ausprobiere, werde ich es bereuen“, sagt er.

Im April dieses Jahres nahm Tobias Beuckes die Arbeit als Geschäftsführer in der Heimat auf. Der Wohnsitz ist Köln geblieben: Vier Tage die Woche ist er in Ostwestfalen. Auch vor Ort bleibt etwas Distanz: Statt seines Jugendzimmers hat Tobias Beuckes eine kleine Wohnung in der Nähe des Betriebs bezogen.

Die Kosten der Krise

Die direkten Folgen der Corona-Krise – TTL Network steckte sie gut weg. 2020 hätten viele Kunden zwar auf Kurzarbeit umgestellt und Aufträge gestoppt, berichtet Achim Beuckes. „Das hat uns zunächst einiges an Umsatz gekostet.“ Doch die Nachfrage zog rasch wieder an. Auf gerade einmal einen mittleren fünfstelligen Betrag veranschlagt der Seniorchef die Einbußen im gesamten vergangenen Jahr. Stark aufwärts gehe es seit dem Sommer wieder.

Die mittelbaren Wirkungen der Krise dagegen bereiten mehr Kopfzerbrechen. Auch TTL spüre Engpässe bei der Lieferung von Komponenten. „Teils fehlen schlicht die Container, um unsere Waren aus China zu bekommen“, sagt Beuckes. Statt 30 bis 34 Tage dauere der Transport derzeit 55 bis 67 Tage. „Wir müssen unsere Mindestbestände erhöhen.“ Zudem schießen die Kosten durch die Decke: Statt bis zu 1.800 Dollar verlangten Reeder für den Standardcontainer inzwischen 9.800 Dollar. „Bei Luftfracht und Express-Sendungen ist die Lage ähnlich dramatisch.“