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Wer die Seite und zum Beispiel aus der Wissenschaft in die Wirtschaft wechselt, kann immer noch auf sein Know-how und seine Kontakte bauen. Diese Erfahrung machte auch Philipp Rohde, als er 2012 Niederlassungsleiter der Datenlotsen Informationssysteme GmbH in Aachen wurde. „Als wir im Unternehmen dringend Leute suchten, habe ich mich an ‚Switch‘ erinnert“, schildert Rohde, der zuvor Geschäftsführer des E-Learning-Zentrums an der RWTH Aachen war. Mit Erfolg: Das IT-Unternehmen bildet nun drei Studienabbrecher zu Fachinformatikern aus – dank des Projekts „Switch“. Damit ermöglicht die Wirtschaftsförderung der Region Aachen jungen Leuten, die nicht mehr weiter an einer Universität eingeschrieben sein wollen, eine verkürzte duale Lehre. Die neuen Kollegen bringen im Unterschied zu anderen Auszubildenden einen großen Vorteil mit: „Die Studienabbrecher sind reifer“, sagt Rohde, „sie haben schon eine Krise überstanden und gelernt, für welche Tätigkeiten sie geeignet sind und für welche nicht.“

Sebastian Korte ist einer von ihnen: Er hatte mit dem Fachabitur den Titel „Informationstechnischer Assistent“ erworben – und schnell feststellen müssen, dass diese Qualifikation in der Wirtschaft kaum akzeptiert wird. An der Fachhochschule Aachen studierte er Informatik. „Ich blieb fachlich am Ball, machte auch alle Praktika – aber Mathe war nicht mein Ding“, erklärt der 25-Jährige. Als er wieder einmal frustriert eine Klausur hinter sich gebracht hatte, entdeckte er zufällig einen „Switch“-Flyer im Foyer und konnte sich gleich bei mehreren potenziellen Lehrbetrieben vorstellen. Seine Bewerbungstour war sehr lehrreich – auch für Mittelständler, die sich um Studienabbrecher bemühen wollen. Denn mit seinem Urteil steht Korte sicherlich nicht allein: „Die Firmen lockten mit Dienstreisen und Firmenhandys für Auszubildende, aber entscheidender sind für mich das gute Weiterbildungsklima, die netten Kollegen und die interessanten Produkte.“ Nun steht er kurz vor dem Abschluss seiner Ausbildung zum Fachinformatiker mit Schwerpunkt Systemintegration.

Die Uni als Zwischenstation

Das Beispiel von Korte steht exemplarisch für die begehrte junge Generation angehender Fach- und Führungskräfte. Diese will spannende Jobs und Entwicklungspotenzial in einem freundlichen betrieblichen Umfeld. Und sie will etwas leisten, auch wenn Einzelne einen Umweg über die Hochschule brauchen, um auf ihren Traumjob zu stoßen. Immerhin rund 30 Prozent aller Studierenden geben auf, bei den Ingenieuren sind es sogar 40 Prozent. Diese seit Jahren beinahe konstanten Zahlen veröffentlicht das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) in Hannover. Das DZHW hat auch untersucht, was mit den Gescheiterten passiert – und das klingt ausgesprochen engagiert: Schon ein halbes Jahr nach Abbruch des Studiums haben 41 Prozent einen Job angetreten und 18 Prozent einen Praktikumsplatz ergattert. Immerhin 31 Prozent begannen eine Lehre.

Mit ihrem Projekt „Switch“ gehört die Wirtschaftsförderung der Stadt Aachen, seit 2013 mit bisher insgesamt 100 Turbo-Azubis, zu den Pionieren. Die Lehrlinge sind auf verschiedene Regionen verteilt und in der Regel in die regulären kaufmännischen und Fachinformatiker- oder Mechatronikerklassen der Berufskollegs eingegliedert. Ihr Schnelldurchlauf beginnt entweder im zweiten Lehrjahr oder endet mit einer vorgezogenen Prüfung. Die NRW-Landesregierung unterstützt „Switch“ im Rahmen der Fachkräfteinitiative – vor allem auch, weil gerade Firmen in ländlichen Regionen den Nachwuchsmangel spüren. Mehr als 100 Unternehmen versorgt Thomas Hissel, stellvertretender Fachbereichsleiter der Aachener Wirtschaftsförderung, derzeit mit Bewerberprofilen. Dabei kann er aus dem Vollen schöpfen: Rund 3.000 Studienabbrecher pro Jahr verzeichnen die Aachener Hochschulen. Die meisten, so Hissel „schockt der hohe Theorieanteil bereits am Anfang“. Hinzu kommen Kandidaten aus Karlsruhe und Berlin, die im Web auf „Switch“ gestoßen sind und für eine verkürzte Ausbildung ins Dreiländereck ziehen. Dass es sich dabei um motivierte angehende Fach- und Führungskräfte handelt, zeigt sich zum Beispiel an der Durchschnittsnote des ersten Fachinformatiker-Jahrgangs: Die lag bei 1,6 und keiner hatte eine Note unter zwei. Mehrere Firmen stellen daher nicht von ungefähr im dritten Jahr in Folge „Switch“-Azubis ein. „Wir arbeiten nicht darauf hin, dass die Leute ihr Studium abbrechen“, betont Hissel, „aber wenn sie abbrechen, sollen sie gerne zu uns kommen.“

Schneller Ausbildungserfolg

Ein ähnliches Modell funktioniert auch in Berlin. Dort treibt die Industrie- und Handelskammer (IHK) die verkürzte Ausbildung für Studienabbrecher voran. Im Rahmen des Projekts „Your Turn“ werden sie an mittelständische Unternehmen vermittelt. Ihr größter Pluspunkt: Die Auszubildenden sind schneller als herkömmliche Lehrlinge als vollwertige Mitarbeiter einsetzbar, da sie Vorkenntnisse aus dem Studium mitbringen. Im Februar 2013 starteten elf Immobilienkaufleute und 13 Fachinformatiker für Systemintegration ihre Lehre, 2014 sollen Groß- und Außenhandelskaufleute hinzukommen. Einige Ausbildungsfirmen haben bereits erneut Lehrstellen in der Firmendatenbank hinterlegt, in der IHK-Ansprechpartner Jakob Schmachtel passgenau Bewerber und Unternehmen zusammenbringt: „Unsere Ausbildungsberater führen viele Gespräche, denn die Betriebe wollen und sollen genau wissen, wen sie erwarten können.“

Manchmal steht auch der Zufall Pate, wenn Unternehmen ehemalige Studenten für sich entdecken. So schnitt bei der Wickert Maschinenbau GmbH 2009 ausgerechnet jener Bewerber für einen Job als Fachmonteur am besten ab, der zuvor sein Ingenieurstudium geschmissen hatte. Er bewährte sich im Job. „Seitdem ist der Abbruch für uns kein Ausschlusskriterium mehr“, sagt Thomas Klimpl, der

als Leiter Marketing den Außenauftritt des Landauer Unternehmens in Sachen Karrierethemen verantwortet. Nun sucht die mittelständische Firma für seine freien Stellen, etwa als Vertriebsingenieur, und für die Ausbildung gezielt auch nach ehemaligen Hochschülern. „Denn“, so Klimpl, „bei uns kann man ohne Studienabschluss Karriere machen.“

Unternehmer, die von sich aus nach Umsteigern suchen wollen, finden inzwischen sogar Hilfe im Internet. Dort gibt es eine Website, die sich das Zusammenbringen von Firmen und Studienabbrechern auf die Fahne geschrieben hat: studienabbrecher.com, betrieben von der ECS Unternehmens- und Personalberatung in Idstein. Auch die Handwerkskammern sind der anstudierten Klientel auf der Spur: In Unterfranken läuft bis 2015 das von der Europäischen Union und dem bayerischen Arbeitsministerium geförderte Karriereprogramm „Handwerk: Studienanschluss statt Studienabbruch“.

Die Aachener Firma Datenlotsen schwört jedenfalls auf die ehemaligen Hochschüler als Lehrlinge. „Wir würden gerne mehr Fachinformatiker in der Niederlassung Aachen ausbilden, aber das wäre nicht verantwortungsvoll, weil wir die notwendige Betreuung nicht mehr gewährleisten könnten“, sagt Rohde, der den Ausbilderschein 2010 gemacht hat. Der ist die Voraussetzung dafür, überhaupt Azubi-Verträge abschließen zu dürfen. „Es ist schade, dass so viele Abiturienten ihr Talent vergeuden, weil sie zunächst nur die Hochschule als Karrieremöglichkeit sehen“, meint Informatiker Rohde und ist sich sicher, dass Programme wie „Switch“ für „viele eine interessante Alternative eröffnen“. Ruth Lemmer

1. Bedarfsanalyse: Überprüfen Sie, wie hoch der Bedarf an Fachkräften in den nächsten fünf Jahren im Unternehmen ist. Schreiben Sie Stellen für Auszubildende aus, zum Beispiel in Jobbörsen, aber auch bei Hochschulmessen oder am Schwarzen Brett in der Uni – und nennen Sie (ehemalige) Studenten explizit als mögliche Kandidaten.

2. Recherche: Fragen Sie bei der IHK oder der Handwerkskammer vor Ort nach, ob sie verkürzte Ausbildungen anbieten.

3. Konzept: Entwerfen Sie Ihr individuelles verkürztes Ausbildungskonzept in Absprache mit der IHK oder der Handwerkskammer.

4. Kooperation: Sprechen Sie mit den regionalen Wirtschaftsförderungsgesellschaften, welche Unterstützung Ihr Unternehmen in Sachen Turboausbildung erhalten kann.

5. Interesse: Bleiben Sie in Kontakt mit Berufskollegs und Hochschulen, um künftige Abbrecher für Ihr Unternehmen einzunehmen.