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Was Weltkonzerne nicht schafften, ist zwei Physikern aus Würzburg gelungen: Sie haben sogenannte Vakuumisolationspaneele entwickelt, die heute in der Pharmaindustrie, bei Hausgeräteherstellern und auch in Gebäuden anspruchsvolle Dämmaufgaben übernehmen. Binnen 15 Jahren ist ihr Start-up, die va-Q-tec AG, zum Mittelständler gewachsen.

Im Interview spricht Mitgründer und CEO Joachim Kuhn über technische und strategische Erfolgsfaktoren, wirtschaftliche Rückschläge und darüber, warum auch Museumsdirektoren beim Schutz ihrer kostbaren Rembrandts und Picassos auf va-Q-tec setzen.

Herr Kuhn, sind technische Revolutionen eigentlich planbar?
Zu einem gewissen Grad schon. Es gehört schon etwas Glück dazu, aber vor allem Fleiß und Hartnäckigkeit.

Sie selbst bescheinigen der Dämmtechnik Ihres Unternehmens „revolutionäre Wirkung“. Wie kamen Sie und Ihr Mitgründer Roland Caps auf die Idee?
Wir haben an der Universität Würzburg gemeinsam an der Physik der Dämmstoffe geforscht. Unser Institut war die technologische Speerspitze auf diesem Gebiet. Das Grundprinzip ist lange bekannt: Auch Thermoskannen nutzen ein Vakuum, um beispielsweise Kaffee warm zu halten. Wir haben diese Art der Dämmung auf Paneele übertragen.

Ihre Vakuumisolationspaneele, Kurzform: VIP, dämmen Kühlschränke oder halten Pharmawirkstoffe in speziellen Boxen während des Transports auf Temperatur. Wie funktioniert das?
VIPs dämmen etwa zehnmal besser als konventionelle Dämmstoffe – zwei Zentimeter VIP dämmen so gut wie 20 Zentimeter Schaum. Werden sie mit gutem Engineering in Boxen oder Kühlschränken verbaut, so entstehen sehr energieeffiziente Systeme.

Wann beschlossen Sie, die Ergebnisse selbst zu vermarkten?
Wir hatten im Institut auch die Aufgabe, Unternehmen zu inspirieren. Da sind Weltfirmen ein- und ausgegangen. Die Großen haben es versucht – aber den Durchbruch nicht geschafft. Im Jahr 2000 haben wir es dann selbst gewagt.

Sie brauchten Investoren. Waren die nicht misstrauisch?
Sie fragten schon: „Da ziehen sich jetzt fünf Weltfirmen aus diesem Feld zurück und ihr beiden wollt genau das machen – wie wollt ihr das hinbekommen?“ Natürlich mussten wir das erklären.

Ihre Antwort?
Die etablierten Firmen haben alle versucht, genau mit den Materialien zu arbeiten, die sie schon selbst produzierten – etwa Schäume. Wir haben einen neuen Weg gewählt: Wir sind materialoffen, bis heute. So können wir ohne solche Beschränkungen darauf eingehen, was Kunden wollen: bei Lebensdauer oder Gewicht.

Das Unternehmen

Die va-Q-tec AG erwirtschaftete 2015 einen Umsatz von rund 23 Millionen Euro – im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre wuchs sie um jährlich 30 Prozent. Zahlreiche renommierte Auszeichnungen spiegeln den Erfolg. So zählt va-Q-tec zu den 100 innovativsten Umwelttechnikfirmen weltweit. Zudem erhielt das Unternehmen 2015 den Technologiepreis „STEP Award“.

Der Start von va-Q-tec fällt genau in die Zeit, als die New-Economy-Blase platzte. War überhaupt noch Kapital für Gründer da?
Wir haben in gewisser Weise von dem Crash profitiert. Als wir unser Projekt vorstellten, mussten wir uns noch fast dafür entschuldigen, dass wir nur Hardware herstellen wollten – und nicht im Internet- oder Biotechsektor unterwegs waren. Wir haben die Finanzierungsrunden abgeschlossen, als der New-Economy-Hype zu Ende ging. Da fanden die Leute Hardware plötzlich gar nicht mehr so schlecht. Wir haben auch keine zig Millionen, sondern nur zwei Millionen an Kapital für den Start gebraucht.

Heute haben Sie mehr als 250 Beschäftigte und mehrere Auslandstöchter. Wann wurde aus dem Start-up ein Mittelständler?
Der Übergang ist fließend – und wir haben noch immer reichlich Start-up-Spirit. Wir brauchen schnelle Entscheidungen, um technologisch vorne zu bleiben. Ein Wendepunkt war, als wir 2009 anfingen, die Hersteller von Kühlschränken zu beliefern. Wenn bei denen mal ein Band stillzustehen drohte, hatten wir sie alle sofort am Telefon. Das hat uns gehärtet.

Sie vermarkten Ihre Paneele heute an eine Vielzahl von Branchen: Warmwasserspeicher- und Hausgerätehersteller, aber auch Bauunternehmen. Darüber hinaus stellen Sie thermische Verpackungen wie Container und Boxen selbst her und bieten diese zwischenzeitlich auch zur Vermietung an. Wie schafft es ein doch recht kleines Unternehmen, das gleichzeitig zu bewältigen?
Am Anfang floss das in den zwei Köpfen des Gründerteams zusammen. Über die Jahre haben wir Teams für einzelne Branchen aufgebaut. Das können zwei oder drei, aber auch 15 Leute sein. Wir haben ein innovatives Produkt, das wir erklären müssen, wir müssen auch manchmal Ängste nehmen. Deshalb schicken wir immer einen Vertriebler mit einem Techniker zum Kunden.

Wie reagieren etablierte Anbieter von Dämmtechnik?
Wir verdrängen ja niemanden, sondern ergänzen herkömmliche Dämmstoffe. Bei Kühlschränken kommen vor allem Polyurethan-Schäume großer Anbieter zum Einsatz. Wir schließen dann thermische Schwachstellen in der Tür oder in Seitenwänden, ersetzen dabei ein wenig Schaum, haben aber eine große Wirkung auf die Energieeffizienz des Gerätes.

In Kühlschränken, Transportboxen für Pharmawirkstoffe und beim Verschicken von Kunstwerken kommen die Isolationspaneele aus Würzburg zum Einsatz. Seit 2011 vermietet va-Q-tec auch VIP-isolierte Container. © V-Q-tec.com

In Kühlschränken, Transportboxen für Pharmawirkstoffe und beim Verschicken von Kunstwerken kommen die Isolationspaneele aus Würzburg zum Einsatz. Seit 2011 vermietet va-Q-tec auch VIP-isolierte Container. © V-Q-tec.com

Was tun Sie selbst, um Wettbewerber auf Distanz zu halten?
Wir haben weltweit etwa ein bis zwei Dutzend Konkurrenten, das schwankt noch. In China probieren viele Firmen etwas aus, aber ein Jahr später findet man sie oft nicht mehr. Wir schätzen es, dass sich ein echter Markt ausbildet – nur der macht neue Technologien glaubhaft.

Sie internationalisieren rasch – auch in die USA und nach Korea. Hilft das Siegel „Made in Germany“ dort auch im Umwelttechnikgeschäft?
Wir sind Mitglied der Exportinitiative Energieeffizienz des Bundesministeriums für Wirtschaft und erleben, dass Hightech aus Deutschland gut ankommt – genauso wie der Begriff German Mittelstand. Den habe ich schon in Korea und Japan gehört.

Sie sind mit einer Tochter in Rochester ansässig – bleibt das auch nach dem Brexit so?
Das war nur ein Bruchteil von einem Brexit, weil die Briten ja nie so richtig drin waren in der EU. Ich denke, das ändert nicht viel. Ob es am Ende einen kleinen Nachteil oder sogar Vorteil bedeutet, hängt vom Detail ab – etwa steuerlichen Regelungen. Aber bedauerlich ist der Schritt dennoch.

Für den Geschäftsmann oder den Bürger Joachim Kuhn?
Vor allem für den Bürger. Die europäische Einigung ist eine gute Sache.

Wie schätzen Sie als Unternehmer den Standort Deutschland ein?
Die Bedingungen sind relativ gut – auch dank der Infrastruktur. Es gibt auch eine lebhafte Gründerszene, aber da muss noch an den Rahmenbedingungen gefeilt werden. Auch im Vergleich zu England oder Frankreich wird hier viel zu wenig in Hightech-Start-ups investiert. Das ist gefährlich für den Standort und kann uns vor die Füße fallen. Man wird schon neidisch, wenn man sieht, dass in den USA Pensionsfonds verpflichtet werden, in junge Firmen zu investieren. Da kann eine ganz andere Szene erblühen.

Was hat Sie bewogen, 2009 im ostdeutschen Kölleda zu investieren – mehr als 200 Kilometer entfernt vom Hauptsitz Würzburg?
Wir konnten dort günstiger Land erwerben als in Würzburg. Es gab Subventionen, die uns gutgetan haben und Teil des Finanzierungskonzepts waren. Auch Arbeitskräfte konnten wir leichter gewinnen. Damals lag die Arbeitslosenquote in Würzburg bei 3,5 Prozent, in der Region um Kölleda hingegen waren es 15 bis 20 Prozent. Die Entfernung ist nicht dramatisch – die Fahrt dauert nicht länger als eine Besprechung.

Ihr Kompagnon Roland Caps ist Entwicklungschef, Sie selbst arbeiten als CEO. Wie funktioniert die Zusammenarbeit in der Praxis – klar abgegrenzt zwischen Forschung und Tagesgeschäft?
Das ist die Aufteilung, die sich entwickelt hat. 2013 haben wir uns mit einem Finanzvorstand verstärkt.

Sie mussten also keine Lose ziehen, als es darum ging, wer den stark nach außen wirkenden Chefposten übernimmt?
Nein, das ist so charakterlich ganz gut abgebildet.

Das Management

Die beiden Firmengründer und heutigen Vorstände Joachim Kuhn (CEO) und Roland Caps (Entwicklung) sind promovierte Physiker. 2013 kam Christopher Hoffmann als Finanzvorstand dazu. Zusammen halten Kuhn und Caps knapp die Hälfte an der Firma, es folgt der Finanzinvestor Zouk mit einem Drittel. Weiterhin beteiligt sind unter anderem die KfW und die BayBG.

Was ist Ihr Ziel für die Zukunft – vor allem Wachstum?
va-Q-tec soll das Synonym sein für hocheffiziente thermische Lösungen in allen Bereichen. Und diese Lösungen wollen wir selbst entwickeln, produzieren und verbauen.

Sie werden also neue Produktfelder erschließen?
Wir werden die Vakuumdämmstoffe nicht verlassen, aber weiterentwickeln. Das haben wir auch schon früher gemacht. Wir haben einen guten Namen in der Pharmaindustrie. Nach drei, vier Jahren am Markt haben wir unseren Businessplan angeschaut. Da stand drin: Paneele verkaufen – einzeln. Wir haben sie dann in eine Box montiert und als Gesamtprodukt an Pharmafirmen verkauft. Das funktionierte noch besser. Im Jahr 2011 gingen wir dann sogar noch einen Schritt weiter: Wir fingen damit an, unsere VIP-isolierten Container zu vermieten und in einem globalen Partnernetzwerk für temperaturgeführte Luftfrachttransporte anzubieten.

Einen guten Namen hat va-Q-tec auch im Kunstsektor …
Wir stellen Boxen für den Transport von Gemälden her. Das Bild nimmt quasi die Luft aus dem Museum mit, wenn es verliehen wird und auf Reisen geht.

Bekommen Sie Anrufe von Museumsdirektoren, die sich Sorgen um ihre Picassos und Rembrandts machen?
Das Verfahren ist tausendfach bewährt – es ist noch nie etwas schiefgegangen, der Transport wird permanent überwacht. Unsere Technik ist heute Standard.

Wie sehen Sie Ihre Rolle in zehn Jahren?
Ich erwarte noch spannende Jahre. Unser Markt ist mühsam erarbeitet, es gibt noch viele offene Felder. Das ist jeden Tag aufregend.

Haben Sie als promovierter Physiker nie Sehnsucht nach einem ruhigen Labor?
Nein. Und wenn ich mal Lust auf Technik habe, gehe ich einfach ein Stockwerk tiefer in die Entwicklung und gebe dort Input. Ich bin da immer noch nah dran.