Autonomes Fahren, alternative Antriebe, mehr Sicherheit, bessere Vernetzung und höhere Effizienz: Der Mobilitätswandel zwingt die Logistik- und Nutzfahrzeugbranche zur Innovation. Löst der Roboter den Trucker ab? Über Risiken und Nebenwirkungen informiert ab dem 20. September die IAA Nutzfahrzeuge.
Wer die mobile Zukunft erleben möchte, fährt nach Mainz – und steigt am dortigen Winterhafen in „Emma“ ein. So heißt der Elektrokleinbus, den die „Mainzer Mobilität“ als erstes kommunales Verkehrsunternehmen Deutschlands im öffentlichen Raum testet. Der Bus fährt autonom, wird dabei allerdings permanent von einem Operator überwacht. Zunächst vier Wochen lang pendelt Emma mit maximal acht Passagieren auf einer Kurzstrecke. Wissenschaftler begleiten das Projekt. Sie wollen herausfinden, wie Fußgänger, Radfahrer und andere Verkehrsteilnehmer reagieren, welche Eindrücke und Gefühle Passagiere haben und welche Aufgaben auf Mitarbeiter des Nahverkehrs zukommen.
Emma soll Schule machen. Denn der öffentliche Nahverkehr nimmt zu, während gleichzeitig dank der guten Konjunktur auch Lieferverkehr und Kurierfahrten auf neue Rekordzahlen zusteuern. Von der Politik wiederum kommen strengere Emissionsgrenzen: So sollen nach Vorstellung der EU-Kommission die CO2-Emissionen ab 2019 um weitere 15 Prozent bis 2025 und um insgesamt 30 Prozent bis 2030 sinken. Die derzeit strengste Abgasnorm 6d-Temp müssen Nutzfahrzeuge ab dem 1. September 2019 sowieso erfüllen.
Auf der anderen Seite bemüht sich die Politik, auch Anreize für die teuren Investitionsgüter zu schaffen, etwa mit Zuschüssen von bis zu 40.000 Euro und einer Mautbefreiung für E-Laster ab dem 1. Januar 2019. Zehn Millionen Euro stehen dafür 2018 noch zur Verfügung, das Programm ist bis Ende 2020 befristet.
Auf der Suche nach Alternativen zum Diesel
Die Hersteller von Bussen, Transportern und Lkw sind also gefordert – und suchen nach Alternativen zum Diesel, dem Fahrverbote und Durchfahrtsbeschränkungen in vielen europäischen Metropolen drohen. Zu sehen sind diese vom 20. bis 27. September auf der IAA in Hannover. Auf der 67. Ausgabe der Nutzfahrzeugmesse stehen bei fast allen Herstellern und durch alle Fahrzeugklassen batterieelektrische Antriebe und neue Gas- sowie Hybridmotoren im Fokus. MAN zeigt einen neuen Stadtbus mit wahlweise Gas- oder Elektroantrieb. Einen Brennstoffzellen-Bus, aus dessen Auspuff nur Wasserdampf entweicht, hat der Hersteller Solaris in Arbeit. Und auch Mercedes-Benz Vans setzt beim neuen Sprinter auf Brennstoffzellentechnologie. Noch bevor er als eSprinter rein elektrisch vorfährt, wird auf der IAA Nutzfahrzeuge als Konzept schon seine Weiterentwicklung namens Sprinter F-Cell vorgestellt.
Schwere Nutzfahrzeuge hinken hinterher
Die große Auswahl an elektrischen Modellen für den mittleren bis schweren Güterverkehr lässt allerdings noch auf sich warten, während im Transporter-Segment schon zahlreiche alternative Modelle unterwegs sind. Weitere Impulse in puncto Vernetzung, Digitalisierung und automatisiertes Fahren wollen Veranstalter und Hersteller in Hannover mit der Plattform „New Mobility World“ schaffen, in der sich Besucher über die Zukunftsthemen der Branche informieren können.
So hat die Pkw-Branche in jüngster Zeit bemerkenswerte Fortschritte in Richtung autonomes Fahren gemacht, doch der Lkw-Bereich hinkt dieser Entwicklung hinterher. Aktuell sind Nutzfahrzeuge auf der Fünf-Stufen-Skala der Automatisierung auf Level 1. Das bedeutet, sie fahren mit automatischen Abstandhaltern, mit aktiven Notbremssystemen, die Fußgänger und Radfahrer erkennen, oder mit der Predictive Powertrain Control (PPC). Bei diesem System kennt der Lkw die Topografie seiner Strecke und bremst oder beschleunigt vorausschauend.
Vollautomatisierte Nutzfahrzeuge sind bislang auf geschlossene Areale wie Flugplätze, Häfen, Container-Terminals und Speditionshöfe beschränkt. Der Innovation Truck von ZF etwa nimmt auf dem Betriebshof dem Trucker das Rangieren und Einparken des Trailers ab und erledigt das autonom. Während GPS-Systeme, Vehicle-to-Vehicle-Kommunikation, Kameras, Software, Sensoren sowie Redundanz- und Radarsysteme das Steuer übernehmen, beginnt für den Fahrer schon die Ruhezeit.
Technisch machbar ist vieles. Doch bevor der Roboter dem Trucker das Steuer endgültig aus der Hand nimmt, muss der Gesetzgeber den entsprechenden Rahmen abstecken – und es braucht die Akzeptanz der Öffentlichkeit. Ein sensibles Thema, bei dem die kleine Emma aus Mainz schon wieder die Nase vorne hat. Bei ihr fährt man kostenlos mit.
Übersicht: Das sind die großen und kleinen Stars der IAA Nutzfahrzeuge
Sensor gegen Überladung
Peugeot Partner
Auf der IAA in Hannover ist er schon zu sehen, im November bringt Peugeot die Neuauflage seines Hochdachkombis auf den Markt. Der Partner ist in zwei Längen (4,40 und 4,75 Meter) erhältlich und kann, wie seine beiden Schwestermodelle Opel Combo und Citroën Berlingo, mit bis zu 1.000 Kilo beladen werden. Die wichtigste Frage: Passt eine Euro-Palette rein? Nein, sogar zwei! Seitliche Schiebetüren und eine Dachluke gibt es optional. Die Franzosen werten das Nutzfahrzeug außerdem mit dem Cockpit aus den Pkw-Baureihen auf. Aus denen übernimmt der Partner gegen Aufpreis auch diverse Assistenzsysteme. Praktisch und sicher: Eine neue, sensorgesteuerte Überladungsanzeige warnt vor zu viel Gewicht an Bord. Die Motoren erfüllen die Euro-6d-Temp-Norm. Neben einem Benziner in zwei Leistungsstufen werden vier Dieselvarianten von 55 bis 96 kW angeboten, mit Sechsgang-Handschaltung oder AchtgangAutomatikgetriebe.
Wasserdampf aus dem Auspuff: Mercedes-Benz Sprinter F-Cell
Der für 2019 angekündigte eSprinter ist noch nicht auf dem Markt, da zeigt Mercedes-Benz Vans schon die nächste Evolutionsstufe: ein Fahrzeug mit Wasserstoffantrieb. Denn dieses verbindet die Vorteile rein elektrischer Kraftquellen mit denen konventioneller Verbrenner: lokal emissionsfreies Fahren und hohe Reichweiten. Das erste Konzeptfahrzeug kommt auf eine Leistung von 147 kW. Eine Brennstoffzelle produziert den für die Fahrt benötigten Strom, getankt wird Wasserstoff. Dank dreier Tanks, die 4,5 Kilogramm Wasserstoff aufnehmen können, kommt der Sprinter rund 300 Kilometer weit. Optional vergrößert ein weiterer Tank die Reichweite auf 500 Kilometer. Zusätzlich kann die Batterie des Sprinter wie bei einem normalen Elektroauto an der Steckdose geladen werden, was weitere 30 Kilometer beisteuert. Neben dem Einsatz als Reisemobilbasis soll der Sprinter F-Cell seine Qualitäten besonders bei längeren Kuriereinsätzen oder im interurbanen Personenverkehr ausspielen. Allerdings gibt es noch ein Manko: das sehr dünne Wasserstoff-Tankstellennetz.
Lange Leitung: Renault Master Z.E.
Seit April ist er bei einigen Renault-Großkunden im Einsatz, der Master Z.E., der in der Klasse für elektrische Transporter bis zu 5,5 Tonnen hauptsächlich für innerstädtische und emissionsfreie Auslieferfahrten gedacht ist. Im Herbst startet der reguläre Verkauf ab 71.300 Euro, wobei die Batterien inklusive sind. Den Antrieb übernimmt ein 57 kW starker Elektromotor. Das ist im Vergleich zur Konkurrenz (VW eCrafter und Mercedes eSprinter kommen auf 100 kW) eher wenig. Bei Tempo 100 ist Schluss, im Eco-Modus sind es 80 km/h. Theoretisch schafft der Master Z.E. bis zu 200 Kilometer, ehe er wieder an die Steckdose muss. Eine Schnellladeoption wird noch nicht angeboten. An der Wallbox dauert es bis zu neun Stunden, bis der Master-Akku wieder voll ist. Beim Kasten, der in drei Längen, zwei Höhen und drei Radständen erhältlich ist, beträgt das zulässige Gesamtgewicht 3,1 Tonnen, die Zuladung zwischen 975 und 1.128 Kilogramm. Damit liegt der Master Z.E. ebenfalls unter den Werten der Konkurrenz, für typische KEP-Dienste dürfte die Zuladung aber reichen.
Erst Zu Lidl, dann in den Wald: Einride T-Pod/T-Log
Das schwedische Startup Einride hat bereits seinen zweiten rein elektrisch angetriebenen und autonom fahrenden Elektro-Lkw entwickelt. Während der T-Pod noch im Jahr 2018 für die Supermarktkette Lidl in Schweden in einem Pilotprojekt praxiserprobt werden soll, kommt der T-Log beim Transport von Baumstämmen zum Einsatz. Besonders auffällig: Die jeweils sieben Meter langen Prototypen mit drei Achsen verzichten auf die Fahrerkanzel. Das spart Produktionskosten und schafft mehr Platz für Ladung. Stattdessen haben die elektrisch angetriebenen Laster die Selbstfahr-Plattform Drive des Tech-Unternehmens Nvidia an Bord: Eine Kombination aus Kameras, Lidar (Laser) und Radar soll eine 360-Grad-
Wahrnehmung der Umgebung sicherstellen. Zusätzlich kann der Lkw ferngesteuert werden. Der Fahrer sitzt also nicht mehr im Fahrzeug, sondern, wenn überhaupt, in einer Leitstelle. Einride setzt darauf, dass vollautomatisierte oder autonome Nutzfahrzeuge für Logistiker besonders interessant sind, weil sich die Nutzungsdauer des teuren Investitionsguts mit zunehmender Automatisierung verlängern lässt. Mit zunehmend besseren Sicherheitssystemen sollen sich außerdem Ausfallzeiten aufgrund von Unfällen verringern.
Crafter-Schwester unter Strom: MAN TGE
MAN bringt eine elektrisch angetriebene Variante des Transporters TGE auf den Markt. Das Schwestermodell des VW eCrafter wird von einem 100 kW starken Elektromotor angetrieben, der von einer 36 kWh-Batterie mit Strom versorgt wird. Die Reichweite pro Akkuladung soll 160 Kilometer betragen, das Aufladen an einer Haushaltssteckdose cirka neun Stunden benötigen. Die Zuladung des Kastenwagens liegt je nach Ausführung zwischen 950 und 1.700 Kilogramm. Als Preis für den Wettbewerber von Iveco Daily Electric und Renault Master Z.E. ruft die VW-Tochter 69.500 Euro auf.