Mal ehrlich: Wissen Sie genau, wie das Internet Ihr Firmenimage beeinflusst? Oder wie Sie im Web als Arbeitgeber rüberkommen? Unternehmen, die die Chancen der Digitalisierung nutzen wollen, greifen immer häufiger auf den Erfahrungsschatz ihrer Auszubildenden zurück.
Mal ehrlich: Wissen Sie genau, wie das Internet Ihr Firmenimage beeinflusst? Oder wie Sie im Web als Arbeitgeber rüberkommen? Unternehmen, die die Chancen der Digitalisierung nutzen wollen, greifen immer häufiger auf den Erfahrungsschatz ihrer Auszubildenden zurück. Text: Julia Leendertse
Andreas Neyen ist das, was man gemeinhin als waschechte Berliner Schnauze bezeichnet. Hinter dem schroffen Humor und der rauen Schale des Ingenieurs für Gebäudetechnik versteckt sich ein herzlicher und geselliger Kern. Er weiß: „Der Alltag verändert sich durch die Digitalisierung exponentiell rasant.“ Der 55-jährige Geschäftsführer der ST Gebäudetechnik ist sich sicher: „Die heutigen Azubis bestimmen das digitale Niveau. Sie sind schließlich die künftigen Entscheider. Aber die Alten müssen dranbleiben. Auf diejenigen, die nicht mitmachen, kann keine Rücksicht genommen werden, sonst verpassen wir den Anschluss.“
Neyen redet nicht nur Klartext, er handelt auch entsprechend: Alle paar Monate holt der Potsdamer seine 20 Auszubildenden zum Brainstorming über die Zukunft in der Klima-, Heiz- und Kältetechnik zusammen. Er lässt sie selbstständig Videos über ihren Arbeitsalltag fürs Personalrecruiting via Facebook und Youtube drehen und auf Karrieremessen als Azubi-Botschafter fürs Unternehmen werben. Neyen: „In den sozialen Medien und auf Ausbildungsmessen können unsere Nachwuchskräfte mit ihrer eigenen Sprache die Zielgruppe viel authentischer ansprechen, als wir Erfahreneren es je könnten.“
Azubis coachen Vorgesetzte
Vor kurzem hat der Firmenchef ein erstes Tandem aus Jung und Alt zusammengestellt, das jetzt gemeinsam im Geschäftsalltag konkrete digitale Innovationen und Prozessoptimierungen rund um das Thema Wärmepumpen vorantreiben soll. „Wir werfen den digitalen Erfahrungsschatz unseres frisch ausgelernten Azubis und das geballte Know-how unseres Leiters des Geschäftsbereichs zusammen, um möglichst schnell Innovationen hervorzubringen“, so Neyen. „Gleichzeitig wollen wir aber auch mit dem Modell herausfinden, wie sich das digitale Know-how unserer jungen Talente noch systematischer für unseren Betrieb nutzbar machen lässt.“
Ein ungewohntes Bild: Die Jungen coachen ihre Vorgesetzten im Umgang mit digitalen Kommunikationsmedien und anderen neuen Technologien. Und die wiederum coachen den Nachwuchs bei allen beruflich-fachlichen Fragen. „Was sich anhört wie die Umkehr des klassischen Ausbildungsverhältnisses, könnte schon bald wichtiger Baustein für die erfolgreiche digitale Transformation von Unternehmen werden“, prognostiziert Alexandra Horn, Leiterin des Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrums Berlin. „Immer mehr Firmenchefs spüren, dass es an der Zeit ist, für ihr Unternehmen eine Digitalisierungsstrategie zu entwickeln und neue Wege zu finden, wie sie sich selbst und ihre erfahreneren Mitarbeiter digital fit machen können“, sagt denn auch Ulrike Friedrich, Ausbildungsexpertin beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Dabei gelange der ganz eigene Erfahrungsschatz der Digital Natives immer stärker in den Fokus, so die DIHK-Fachfrau.
Ein Auge fürs Digitale
Auch Digitalisierungsexperte Christoph Krause, der das Kompetenzzentrum Digitales Handwerk West an der Handwerkskammer Koblenz leitet, bestätigt: „Die Generation Z ist mit digitalen Geräten großgeworden. Damit sind Azubis zwar noch lange keine Chefstrategen, aber sie wissen, wie man sich untereinander vernetzt, sind häufig schneller in der Lage, die Chancen der Digitalisierung zu erkennen, und bringen – wenn ein Unternehmen ihnen den entsprechenden Freiraum gibt – genau die richtige Experimentierfreude mit, die es braucht, um neue Lösungen zu entwickeln.“
Diese Neigung nutzt auch der Schaltanlagenhersteller Richter R&W Steuerungstechnik aus Ahorntal bei Bayreuth. Jedes Jahr, wenn wieder einmal die neueste Version der CAD-Software auf den Markt kommt, schickt der 45-jährige Geschäftsführer Bernd Zeilmann seine Azubis quasi als Vorhut in die Schulung und setzt sie anschließend als Multiplikatoren für das neue Wissen ein. „Früher absolvierten wir alle gemeinsam das CAD-Update-Seminar“, erinnert sich Zeilmann. „Doch irgendwann merkte ich, dass die Azubis die neuesten Computerbefehle sehr viel schneller draufhatten als ich – und das, obwohl ich mich anders als sie mit Notizblock und Stift bewaffnet hatte.“
Statt sich zu grämen, erkannte er, dass sich das unterschiedliche Lerntempo sogar positiv für seinen Betrieb einsetzen ließ. „Heute können wir alten Hasen uns ganz auf unsere Kundenprojekte konzentrieren und werden anschließend im Tagesgeschäft von unseren Azubis praxisnah Schritt für Schritt in die neuen Anwendungen eingeführt“, so der Elektroinstallationsmeister.
Googeln statt wissen
Er selbst – so sagt er – gehöre einer Generation an, die noch davon ausgegangen war, sich all das Wissen aneignen zu müssen, das sie fürs Berufsleben braucht: „Die Jungen sind mit der Gewissheit groß geworden, eben nicht alles selbst wissen zu müssen, sondern dass es völlig ausreicht, zu wissen, wie sie an Informationen herankommen“, so Zeilmann. „Wenn unseren Azubis ein Computerbefehl gerade einmal nicht einfällt, ergoogeln sie die Lösung für ihr Problem.“ Seine Beobachtung: Gerade der unbekümmerte Umgang mit Wissenslücken erleichtere es denn auch enorm, offen und unbelastet an neue Dinge heranzugehen.
Die Folge: Der rasante technologische Fortschritt krempelt unabhängig vom Berufsbild die Art und Weise um, wie in Unternehmen gelehrt und gelernt wird. Im Trend liegen zum Beispiel Weiterbildungskonzepte, die nahtlos in den Berufsalltag integriert sind. „Der Arbeitsplatz wird künftig zum Trainingsort und der Kollege zum Trainer“, prognostiziert Frank Riemensperger, Deutschlandchef der Technologie- und Managementberatung Accenture. Zudem lautet die Marschroute nicht zuletzt in gewerblich-technischen Berufen: weg von der reinen Wissensvermittlung hin zu Lehr- und Lernarrangements, die stärker abzielen auf die Entwicklung von Schlüsselkompetenzen wie Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit, Beurteilungsvermögen, schöpferische Fähigkeit, Eigenverantwortung, Selbstkompetenz und Selbststeuerung.
Neue Wege einschlagen
„Das traditionelle Lehr- und Lernarrangement bestand früher aus vier Stufen: Erst zeigte der Ausbilder seinem Auszubildenden, was bei einem bestimmten Sachverhalt zu tun war, dann demonstrierte er ihm die einzelnen Schritte. Danach versuchte der Azubi, das Gezeigte so gut wie möglich nachzuahmen, und der Meister prüfte, wie gut dies seinem Zögling gelungen war, und erklärte ihm, wo er noch Verbesserungspotenzial sah“, sagt Steffi Michailowa, Projektleiterin beim ABB Ausbildungszentrum Berlin. Im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung entwickeln Michailowa und ihre Kollegen derzeit ein Konzept, wie das Lehr- und Ausbildungspersonal auf ihre Rolle als Lernbegleiter am besten vorbereitet werden kann.
Michailowa: „Durch die Digitalisierung verändert sich die Arbeitswelt so rasant, dass jeder im Unternehmen ständig neue Aufgabenstellungen auf den Tisch bekommt, für die es zumindest auf den ersten Blick noch keine Blaupausen gibt.“ Deshalb müssen künftig alle Mitarbeiter – vom Azubi bis zum Vorgesetzten – in die Lage versetzt werden, selbst beurteilen zu können, welches neue Wissen, welche neuen Tools und Techniken im konkreten Fall nötig sind, und entscheiden können, ob und wie sie sich das fehlende Know-how verschaffen können. Gleichzeitig müssen sie fit für interdisziplinär besetzte Teams sein.
Und genau das trainiert Dirk Borkenhagen. Der Leiter Ausbildung beim Industrieparkdienstleister und Spezialisten für Anlagenplanung und -bau Infraserv Knapsack in Hürth brachte vor gut einem Jahr eine von seinen Nachwuchskräften komplett selbst gesteuerte Social-Media-Projektgruppe auf die Schiene. „Das Azubi-Team kann sich das Thema, an dem es arbeiten will, selbst aussuchen. Wir als Unternehmen stellen lediglich den Raum, die Hard- und Software sowie ein Budget zur Verfügung und sind ansprechbar, wenn Fragen auftauchen“, so Borkenhagen.
Heraus kam ein Firmen-Facebook-Auftritt (www.facebook.com/iskazubis/) mit viel Esprit, auf dem die Azubis Gleichaltrigen über sich und ihren Arbeitsalltag berichten. „Wir waren erstaunt und stolz, als wir merkten, wie die Azubis zum Teil hochprofessionell gedrehte und geschnittene Videos hochluden, und haben uns für den eigenen ‚offiziellen‘ Firmen-Facebook-Auftritt schon so manches von ihnen abgeguckt“, sagt Borkenhagen.
Zu den Highlights unter #iskazubis zählt zum Beispiel ein im Stil des viralen Video-Trends „Mannequin Challenge“ gedrehter Kurzfilm, in dem die Azubis aus dem gewerblich-technischen Feld erstarrt wie Schaufensterpuppen an den Drehbänken in ihrer Lehrwerkstatt stehen und zu elektronischen Klängen von einer Kamera umkreist werden.
Auch bei der Berliner Filmproduktionsfirma Visavis haben die zehn Auszubildenden ein gehöriges Stück dabei mitzureden, welche neue Technik angeschafft wird. Die Firmenchefs Stephan Horst und Marcel Neumann sind beide studierte Kameramänner und drehen mit ihrem 30-köpfigen Team und Filmrobotertechnik seit mehr als 20 Jahren Werbe- und Imagefilme für Unternehmen wie Miele, Bilfinger oder BASF, die filmtechnisch wie dramaturgisch an Hollywoodstreifen erinnern.
Immer auf dem neuesten Stand
„Von der Bildsprache über die Schnittfolge bis hin zur Colorierung – unser Ziel ist es immer, die Zuschauer mitten ins Herz zu treffen“, sagt Horst. „Deshalb ist es für uns wichtig, ständig am Puls der Zeit zu bleiben – bei Highspeed-Kameras, Filmrobotern und Bildbearbeitungs-Software, aber auch bei der Kenntnis darüber, was gerade als zeitgemäßes oder besonders innovatives filmerisches Erzählen gilt.“
Wie alle Menschen, sagt Horst, würden auch Filmschaffende geschmacklich vor allem in ihren Zwanzigern sozialisiert – weshalb er und sein Kompagnon großen Wert auf die Einschätzungen und den Erfahrungsschatz ihrer Nachwuchskräfte legten. Bei Visavis bestimmt denn auch die gesamte Belegschaft in einer basisdemokratischen Vollversammlung, welcher neue Mitarbeiter mit an Bord kommen darf. Jede Stimme zählt gleich – auch die der Azubis.
So zapfen Sie die Generation Z an
Digitalisierungsexperte Christian Krause nennt Tipps und Tools, mit denen sich das Digital-Know-how junger Mitarbeiter systematisch erschließen lässt:
Digitalisierung fokussieren. Firmenchefs sollten jetzt den digitalen Wandel für die nächsten zwei Jahre zum Leitprojekt erklären und alle Mitarbeiter unabhängig von Hierarchie und Alter auf den digitalen Selbstfindungsprozess einschwören.
Reversed Mentoring einführen. Ein Weg, den Erfahrungsschatz der Generation Z für das Unternehmen nutzbar zu machen: Die Jungen coachen ihre Vorgesetzten, zum Beispiel bei der Frage, was moderne Kommunikationskanäle wie soziale Medien oder Messenger-Dienste der Firma bringen können. Und die wiederum coachen die Jungen bei allen beruflich-fachlichen Fragen.
Hackathon veranstalten. Ein gutes Werkzeug, um am Ideenreichtum und Wissen des digitalen Nachwuchses zu partizipieren: Die Wortschöpfung aus „Hack“ und „Marathon“ meint die gemeinsame Lösung von gestellten Herausforderungen. Hierbei arbeiten verschiedene Teams in wechselnder Zusammenstellung an je einer Fragestellung. Wie lassen sich Produkte mit einem digitalen Kundenservice erweitern? Wie sieht die Zukunft der Branche aus? Welche digitalen Lösungen werden unsere Kunden lieben?
Digitale Eingreiftruppe rekrutieren. In Unternehmen gibt es unter den Azubis oder auch Werkstudenten oft Querdenker und Treiber, die als Digital Natives einen offenen Blick für die Chancen der Digitalisierung haben. Betriebsinhaber sollten ihre „digitalen Wilden“ identifizieren und aus ihnen eine Projektgruppe schmieden.
Lernthemen festlegen. Der Einsatz neuer digitaler Werkzeuge oder auch Medien will gelernt sein. Dafür kann die digitale Eingreiftruppe abteilungsübergreifend Ideen zusammentragen und ein erstes Konzept entwickeln, das der Firmenchef absegnet. Die Verantwortung bleibt in den Händen der Digital Natives. Wer glaubt, sich als Chef an die Spitze der Bewegung stellen zu müssen, unterschätzt den Vorteil der Jungen – und behindert deren Experimentierfreude.
Fixe Zeiten bestimmen. Damit sich der Betrieb aus sich selbst heraus digitalisieren kann, sollten die Vorzüge der Digitalisierung für alle Mitarbeiter und Führungskräfte erlebbar gemacht werden. Vor allem dem Nachwuchs müssen feste Lernzeiten eingeräumt werden – etwa jede Woche vier bis sechs Stunden – zum freien Experimentieren. Zudem muss der Betrieb das nötige Equipment stellen, zum Beispiel Smartphones, Tablets oder Programme.
Pilotprojekte eng takten. Je schneller konkrete Ergebnisse vorliegen, umso besser. Clevere Chefs lassen ihre jungen Wilden kurzfristig Pilotprojekte umsetzen, etwa die Gestaltung eines Social-Media-Konzepts inklusive Scharfschalten innerhalb von nur ein oder zwei Monaten.