
© Jim Rakete
Unternehmerin, BWL-Professorin und Vorkämpferin für die Frauen: Ulrike Detmers hat die ostwestfälische Bäckerei Mestemacher gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrem Schwager zu einem Global Player in Sachen Vollkornbrot gemacht. Im Familienbetrieb lebt sie Chancengleichheit vor – und legt sich ins Zeug für die Quote.
So aufregend hatte sich Ulrike Detmers ihren Auftakt als Chefin nicht vorgestellt. Im Februar rückte sie an die Spitze der Großbäckerei Mestemacher. Kaum im Amt, fand sich die 64-Jährige in der turbulentesten Phase wieder, die das Gütersloher Unternehmen seit langem erlebt hatte: die Corona-Krise.
Doch während der Lockdown von Mitte März bis Anfang Mai viele Unternehmen in Existenznot brachte, wirkte Corona für Mestemacher als Boomfaktor: „Wir waren kaum in der Lage, die gestiegene Nachfrage zu bedienen“, sagt Detmers, die das Ressort Marketing verantwortet.
Pumpernickel und Vollkornbrot in Dosen zählen zum Kerngeschäft der Großbäckerei, die die Marktführerschaft bei langhaltbaren Broten beansprucht. „Unsere Kapazitäten waren schon vor der Krise voll ausgelastet“, sagt Detmers.
Nun feuerten die Öfen auch nachts, sonntags und an Feiertagen. „Wir haben Sonderschichten gefahren und ununterbrochen gebacken.“ Dennoch reichte die Produktion nicht, um die leer gehamsterten Supermarktregale vollständig zu füllen. „Wir mussten zuteilen“, sagt Detmers.
Es wäre ein Leichtes gewesen, Kasse zu machen. „Manche Kunden waren abhängig von unserer Lieferung“, sagt Detmers. Doch die Abnehmer unter Druck setzen und gegeneinander ausspielen, um höhere Preise durchzudrücken – für Detmers undenkbar.
„Wir haben keinen Sonderprofit daraus gezogen und unsere Linie durchgehalten“, sagt sie. Verlässlichkeit und Vertrauen nennt sie als Werte für Mestemacher. Auch sei klar: „Unfaires Verhalten hätten wir irgendwann zurückgezahlt bekommen.“
Fairness als Prinzip
Nicht nur in der Corona-Krise zeigte sich das Führungsteam prinzipienfest. Es geht um mehr als ökonomischen Erfolg und Profit. Ulrike Detmers will als treibende Kraft auch gesellschaftlich etwas bewegen. Lange Jahre hatten ihr Ehemann Albert und ihr Schwager Fritz eine Doppelspitze gebildet.
Mit Ulrike Detmers zieht nun eine Frau in die Geschäftsleitung ein, die schon als BWL-Professorin an der Fachhochschule (FH) Bielefeld ihren wissenschaftlichen Schwerpunkt auf Gleichstellung von Frauen in der Berufswelt gelegt hatte.
Bei Mestemacher setzt sie das Thema in die Praxis um: „Meine langjährige Management-Sozialisation hat mir klargemacht: Frauen können das genauso gut“, sagt sie. Drei Frauen, drei Männer – das sechsköpfige Mestemacher-Management, zu dem heute auch drei Externe zählen, ist paritätisch besetzt.
„Worten müssen Taten folgen“, sagt Detmers. Allzu oft stelle sie jedoch das Gegenteil fest. „Von der Regierung Schröder wurde uns das Blaue vom Himmel versprochen“, erinnert sie sich.
1998 hatte Gerhard Schröder vor seiner Wahl zum Bundeskanzler einen „neuen Aufbruch für die Frauenpolitik“ angekündigt. Es blieb allerdings bei Empfehlungen für die Wirtschaft. „Freiwillig ist nichts passiert“, sagt Detmers.
Sie fordert deshalb eine Quote – für börsennotierte Konzerne wie für Familienunternehmen gleichermaßen. „Ich würde diese Quote von der Größe abhängig machen“, erklärt sie. „Ab einem Umsatz von etwa 200 Millionen Euro sind 30 Prozent Frauen in der ersten Leitungsebene realisierbar.“
Wirtschaftseinheit Ehepaar
Bei der Rekonstruktion der Firmengeschichte hatte sie mehrere Schlüsselerlebnisse: „Es zeigte sich, dass Frauen immer wieder eine maßgebliche Rolle gespielt haben“, sagt Detmers.
Sie hatten Bäckereien während der Weltkriege allein gelenkt oder in der Nachkriegszeit Seite an Seite mit ihren Männern wieder auf Kurs gebracht. „Aber es war nicht schicklich, dass das groß nach außen drang.“
Detmers Erkenntnis: „Unternehmer-Ehepaare sind eine hoch effiziente Wirtschaftseinheit, wenn beide an einem Strang ziehen. Das wollte ich sichtbar machen.“ Heute ist es in der Chronik nachzulesen.
Brot-Expertin und BWL-Professorin – bei Ulrike Detmers war das nie ein Widerspruch. Schon mit 15 Jahren lernte Ulrike Detmers ihren heutigen Mann Albert kennen, half bald in der Bielefelder Bäckerei aus, die er mit seinem Bruder führte. Vier Jahre später heirateten sie.
Das war 1975. Über den zweiten Bildungsweg erwarb sie die Fachhochschulreife, studierte Ökonomie, Geschichte und Pädagogik, wurde Handelslehrerin und promovierte neben der Arbeit zudem in Philosophie zum Thema „Identitätskonzepte von Managern“. Die Arbeit öffnete ihr die Augen über das Denken in deutschen Chefetagen.
In Fallstudien und Tiefeninterviews identifizierte Detmers drei „Moral-Typen“. Der erste: präkonventionell: „Auge um Auge. Das ist Mittelalter, aber weit verbreitet. Und der Mann hat das Sagen.“
Der zweite: konventionell in gegebenen Bahnen; der dritte: post-konventionell mit ethisch-moralischen Ambitionen – und damit eine Ausnahme: „Ich bin post-konventionell“, sagt Detmers. „Ich strebe nach der Weiterentwicklung gesellschaftlicher Werte und Normen und will dazu meinen Einfluss nutzen.“
Mit Blick auf ihre Rolle als Firmenlenkerin, Professorin und zweifache Mutter sagt die Vorreiterin: „Ich wollte schon immer das werden, was ich heute bin.“ Dabei betont Detmers die Rolle der Männer. „Ich wusste meinen Mann immer als Förderer hinter mir“, sagt sie. „Alleine hätte ich das nicht stemmen können.“
„Wir haben aus der Corona-Krise keinen Sonderprofit gezogen. Unfaires Verhalten hätten wir zurückgezahlt bekommen.“
Ulrike Detmers
Neustart mit Schwarzbrot
Der Bäckereibetrieb nahm 1985 richtig Fahrt auf – mit dem Kauf des Betriebs Mestemacher, einer Spezialbäckerei für Pumpernickel. Sie war in schwieriges Fahrwasser geraten und suchte nach einem Nachfolger.
Die Detmers-Familien nahmen die Herausforderung an: Sie verabschiedeten sich aus dem Geschäft mit frischem Brot und investierten einen Teil der Erlöse in Mestemacher, um fortan mit haltbaren Backwaren zu wachsen.
Ihre eigenen 27 Lieferfahrzeuge samt Kundenstamm gaben sie ab – an einen Vorgänger der heutigen Lieken-Großbäckerei.
In über 80 Ländern ist Mestemacher heute aktiv. „Made in Germany hat einen hohen Stellenwert, die Leute essen gerne deutsches Brot“, so Detmers.
Dabei gelte es, nationale Präferenzen auch optisch zu bedienen. „In Japan muss das Design softiger sein, es werden auch Vorschläge erwartet, wie Pumpernickel konsumiert werden kann.“
Auch Israel zählt zu den Exportmärkten. Ein Rabbi überwacht, dass das Brot koscher gebacken wird.
Mestemacher wächst stetig und erreichte 2019 einen Rekordumsatz von 166 Millionen Euro. Für 2020 soll es weiter aufwärts gehen.
Den besonderen Einsatz für die Gleichstellung von Frau und Mann kommuniziert Mestemacher auch auf den Verpackungen. „Frauen sind unsere primäre Zielgruppe“, sagt Detmers.
Ihre Idee war es, der Großbäckerei ein moderneres Image zu verpassen. „The lifestyle bakery“ heißt der Slogan, der seit dem Jahr 2000 die Produkte begleitet.
Ein verliebtes Pärchen soll in der Werbung zum Brotkauf animieren. „Eine Studentin von mir sagte damals: Pumpernickel ist altbacken“, erinnert sich Detmers. Das neue Design war ihre Antwort.
Gegen den Karriereknick
Auch außerhalb des eigenen Betriebs setzt sich das Unternehmer-Ehepaar Detmers für Gleichberechtigung und Familienförderung ein. 2002 rief Mestemacher den Preis „Managerin des Jahres“ ins Leben.
Die frühere Bahn-Vorständin Margret Suckale sowie die frühere BMW-Vorständin Milagros Caiña Carreiro-Andree zählen zu den Preisträgerinnen. „Das war nie ein Werbegag, sondern immer eine ernsthafte Aktivität, den Wandel in die Gesellschaft hineinzutragen“, erläutert Detmers.
Noch immer drohe Frauen der Karriereknick, wenn sie in Elternzeit gehen. „Ich kämpfe dafür, dass es kein Handicap bleibt und Männer sich stärker einbinden und mehr mithelfen.“
Seit einigen Jahren vergibt Mestemacher zudem die Auszeichnung „Spitzenvater“ und kürt damit „partnerschaftliche Ehe- und Familienmodelle“.
Die Weichen für die Nachfolge sieht Ulrike Detmers gestellt. Wenn sich die aktuelle Führungsriege eines Tages zurückzieht, wird vermutlich erstmals kein Familienmitglied das Unternehmen führen.
„Unsere Kids haben andere Ziele“, sagt Ulrike Detmers. „Wir haben hier eine super Truppe aufgebaut mit jungen Leuten.“ Zunächst aber erfordert das operative Geschäft in Corona-Zeiten alle Aufmerksamkeit.
Ulrike Detmers und das Mestemacher-Management wissen, wem sie verdanken, dass es weiterlaufen konnte. „Wenn sich alles beruhigt hat und klar ist, wie es weitergeht, werden wir uns erkenntlich zeigen.“ Die Mitarbeiter dürfen sich auf eine steuerfreie Sonderzahlung freuen.
Mestemacher: 149 Jahre Schwarzbrot aus Gütersloh
1871
Der 20-jährige Bäckermeister Wilhelm Mestemacher eröffnet eine Bäckerei in Gütersloh.
1910
Wilhelm Mestemacher gründet nach 35 Jahren als Stadtbäcker eine Spezialbäckerei für Pumpernickel – nach seinem Tod im Jahr darauf führt seine Frau Sofie das Unternehmen weiter.
1945
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs übernimmt Sofie Mestemachers Enkelin Lore mit ihrem späteren Mann, Willy Schittenhelm, die Firmenleitung.
1985
Verkauf von Mestemacher an die Familien der Brüder Albert und Fritz Detmers. Die überlassen zur Finanzierung den Vertrieb und Kundenstamm ihres eigenen, 1904 gegründeten Backbetriebs in Bielefeld-Jöllenbeck einem Konkurrenten – und starten in den nun leer stehenden Räumen parallel eine Biomüsli-Produktion.
1994
Ulrike Detmers übernimmt als dritte geschäftsführende Gesellschafterin die Verantwortung für das Markenmanagement.
2000
Mit dem Claim „The lifestyle bakery“ treibt Ulrike Detmers einen Imagewandel voran.
2002
Das Unternehmen startet die jährliche Verleihung des Preises „Mestemacher Managerin des Jahres“.
2020
Mestemacher exportiert als Weltmarktführer für verpackte Brotspezialitäten in über 80 Länder.
Hut ab vor solch einer Dame. Sie hat einen interessante Aspekt angesprochen, den der „Unternehmer-Ehepaare“. Meine Vorgängergeneration, also meine Eltern, haben auch als Ehepaar, mit Mutter im Büro und dem Vater, der sich um die Baustellen kümmerte, erfolgreich unser Unternehmen nach dem Krieg erweitert.
Großartiger Artikel über eine großartige erfolgreiche Frau. Vielen Dank!
Chancengleichheit immer!! Quote niemals!! Wieso soll eine „Dumme“ Frau Führungskraft werden? Nur weil Frau? Oder Ein/e Flüchtlingsfrau/Asylanten, ungebildet solll auf Grund Quote jetzt eine Firma/Konzern leiten? Da kann man Quote nur ablehnen und unter Strafe stellen!!! Quote = firmenschädigend, menschenfeindlich!