Kaum ein Thema hat in den letzten Jahren die Justiz so viel beschäftigt wie der Erholungsurlaub. Der Europäische Gerichtshof hat 2009 einen grundlegenden Wandel in der Urlaubsrechtsprechung eingeleitet, dessen Folgen bis in das Jahr 2015 nachwirken. Was der Arbeitgeber bei der Umsetzung beachten muss, erklärt der folgende Beitrag.
Grundsätzlich beträgt der Mindesturlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz (BurlG) 24 Arbeitstage bei einer 6-Tage-Woche. Bei einer 5-Tage-Woche führt dies zu 20 Arbeitstagen pro Kalenderjahr. Schwerbehinderte Mitarbeiter haben einen gesetzlichen Zusatzurlaub von fünf Arbeitstagen pro Jahr. Weitere Urlaubstage über diese gesetzlichen Mindestansprüche können sich aus dem Arbeits- oder Tarifvertrag ergeben.
Urlaub mit Verfalldatum
Ein Arbeitnehmer muss seinen Urlaub während des laufenden Kalenderjahres nehmen. Nur aus dringenden betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen, wie vermehrte Arbeit durch eine Betriebsumstrukturierung oder eine Krankheit, kann er seinen Urlaub auf das Folgejahr übertragen. Wenn vertraglich kein abweichender Übertragungszeitraum geregelt ist, muss der Angestellte seinen Urlaub bis zum 31. März des Folgejahres nehmen – sonst verfällt er.
Dies gilt jedoch nicht bei Langzeitkranken. Seit der sogenannten Schultz-Hoff-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Jahre 2009 ist der Urlaub über den Übertragungszeitraum hinaus gegen Verfall geschützt, wenn der Arbeitnehmer ihn infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bis dahin nicht nehmen konnte. Der Europäische Gerichtshof und das Bundesarbeitsgericht (BAG) haben drei Jahre später eingegrenzt, dass der gesetzliche Mindesturlaub in diesem Fall 15 Monate nach dem Entstehungsjahr verfällt.
Kann der Angestellte etwa seinen Urlaub im Kalenderjahr 2015 und bis zum Ende des Übertragungszeitraums am 31. März 2016 krankheitsbedingt nicht nehmen, verfällt er erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres am 31. März 2017. Dies gilt auch, wenn das Arbeitsverhältnis wegen des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente ruht. Hat der Arbeitnehmer seine Beschäftigung wieder aufgenommen, greifen die gesetzlichen Regelungen. So muss er den angesammelten Urlaub bis zum Ablauf des Kalenderjahres 2017 beantragen.
Die genannte Rechtsprechung gilt nur für den gesetzlichen Mindesturlaub. Vertraglicher Zusatzurlaub bei Langzeitkranken kann jedoch dann analog verfallen, wenn dafür keine klare abweichende Verfallfrist geregelt wird. Der Arbeitgeber sollte im Arbeitsvertrag daher deutlich zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und vertraglichem Zusatzurlaub differenzieren und kürzere Verfallfristen vereinbaren.
Geld statt Urlaub
Der Arbeitnehmer kann Urlaubsabgeltung in Geld verlangen, wenn er den Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht nehmen kann. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht diese Rechtsprechung 2012 geändert: Der Abgeltungsanspruch ist nicht mehr der Ersatz des Urlaubsanspruchs, sondern ein reiner Geldanspruch des Arbeitnehmers mit folgenden Konsequenzen:
- Finanzielle Verpflichtung bei andauernder Arbeitsunfähigkeit
Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist auch bei dauernder Arbeitsunfähigkeit – selbst über das Ende des Übertragungszeitraums (31.3.) – eine reine Geldforderung, die mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht und fällig wird.
- Geldanspruch verfällt nach Ausschlussfrist
Der Geldanspruch wird von arbeits- oder tarifvertraglichen Ausschlussfristen erfasst und verfällt, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht rechtzeitig geltend macht. Arbeitgeber sollten daher arbeitsvertragliche Ausschlussfristen vereinbaren.
- Arbeitnehmer können auf Geld für Urlaub verzichten
Seit 2013 kann ein Arbeitnehmer auf die Abgeltung (auch des) gesetzlichen Mindesturlaubs verzichten. Beide Vertragsparteien können über die Urlaubsabgeltung in einem – gerichtlichen oder außergerichtlichen – Vergleich verfügen. Einzige Voraussetzung: Die Vereinbarung muss nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen. Ein Verzicht im laufenden Arbeitsverhältnis ist abweichend zu beurteilen: Der Arbeitnehmer kann nicht auf einen Abgeltungsanspruch verzichten, der erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht. Dies verstößt gegen das Bundesurlaubsgesetz.
- Aufrechnung, Abrechnung und Verpfändung möglich
Früher war der Abgeltungsanspruch gegen Aufrechnung, Abtretung und Verpfändung geschützt. Heute kann der Arbeitnehmer den Urlaubsabgeltungsanspruch abtreten. Ebenso ist es unter Beachtung der Pfändungsgrenzen möglich, mit oder gegen den Abgeltungsanspruch aufzurechnen. Zudem können Gläubiger auf den Abgeltungsanspruch auch im Wege der Pfändung zugreifen, wenn sie die zwangsvollstreckungsrechtlichen Grenzen beachten.
- Vererbung bei Tod des Arbeitnehmers
Stirbt der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und vor Abgeltung des Urlaubs durch den Arbeitgeber, fällt der Abgeltungsanspruch in den Nachlass des Erblassers. Hat der Angestellte bezüglich des Anspruchs geklagt, können die Erben den Rechtsstreit aufnehmen und Zahlung an sich verlangen.
- Urlaubskürzung während der Elternzeit
Dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) zufolge darf der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen. Früher konnte diese Kürzung auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen. Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 2015 stellt nunmehr klar, dass der Arbeitgeber den Urlaub nur noch innerhalb des bestehenden Arbeitsverhältnisses kürzen kann. Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses wandelt sich der Urlaubsanspruch in einen reinen Geldanspruch um, den der Arbeitgeber nicht mehr kürzen kann. Er sollte daher darauf achten, den Urlaub noch während des laufenden Arbeitsverhältnisses zu kürzen. Sonst muss er den gesamten Urlaub abgelten, der während der Elternzeit entstanden ist.
Wie man sieht, hat sich in der Urlaubsrechtsprechung in den letzten Jahren viel getan. Um den Anforderungen gerecht zu werden, sollte der Arbeitgeber die rechtlichen Grundsätze bei Beendigung und Gestaltung von Arbeitsverhältnissen beachten und sich im Zweifel anwaltlichen Rat einholen.