Getrieben von den Problemen etwa sozialer Netzwerke, aber auch insgesamt von den neuen Anforderungen durch das Internet und die Medienvielfalt hat die EU eine neue Datenschutz-Grundverordnung auf den Weg gebracht. Wie so manches aber, was das Europäische Parlament und der Rat überlegen und beschließen, nimmt der Bürger in den einzelnen Staaten der Union gar nicht wahr, welche Auswirkungen dies haben kann. Das gilt auch für die Planungen im Hinblick auf die Datenschutzverordnung, welche die Rahmenbedingungen für die Tätigkeit von Wirtschaftsauskunfteien massiv einschnüren könnte.
Im Namen des Gläubigers
Auskunfteien arbeiten im Drittinteresse, nämlich beauftragt und für die Zwecke von Bonitätsprüfungen von Unternehmen. Nach geltendem Datenschutz galt es abzuwägen, ob die Interessen des Unternehmens als Lieferant und Kreditgeber die Interessen desjenigen, über den Daten gesammelt, bewertet und weitergegeben wurden, überwogen. Die Auskunftei ist befugt, diese Daten an den Empfänger weiterzugeben, wenn sein berechtigtes Interesse – eben der Schutz seines Lieferantenkredites – das des Beauskunfteten im Hinblick auf seine Datenschutzanliegen überwog. Eine solche Abwägung der Interessen nimmt die neue EU-Grundverordnung nicht mehr vor. Sie hebt ab auf die verantwortliche Stelle der Datensammlung, also der Wirtschaftsauskunftei, sieht für diesen intermediären Informationsdienst keine ausreichende Rechtsgrundlage. Entscheidend ist: Ganz außer Acht gelassen wird das Drittinteresse des Auskunftsempfängers, der ohne die durch die Auskunftei bereitgestellten Informationen sein Risiko der Lieferung und Leistung nicht bestimmen kann.
Auskunfteien zielen bei ihren Bewertungen sowohl auf positive wie negative Informationen zur Zahlungsweise oder zu Zahlungsausfällen ab. Diese Daten erhalten sie von den angeschlossenen Unternehmen, aus den Meldungen von Inkassounternehmen sowie aus öffentlichen Registern, wie sie Schuldnerverzeichnisse oder die Insolvenzbekanntmachungen darstellen. Für die Zukunft nun sieht die EU-Datenschutzverordnung eine so enge Zweckbindung dieser Informationen vor, dass die Versorgung der Auskunfteien mit Zahlungsinformationen nicht mehr sichergestellt sein kann. Diese Daten aber stehen im Mittelpunkt des Interesses des Auskunftsbeziehers. Dabei geht es bei der Beauskunftung natürlicher Personen ja nicht nur um Konsumenten, sondern auch um unternehmerisch tätige Freiberufler sowie eine Vielzahl kleiner und mittlerer Unternehmen in der Rechtsform des handelsregisterlich eingetragenen Einzelkaufmanns oder von nicht handelsregisterlich eingetragenen Gewerbetreibenden, die in jeder Volkswirtschaft den größten Teil der selbstständigen, unternehmerischen Tätigkeit bilden. Ohne eine Darstellung der Zahlungsweise sind Auskünfte für die Bezieher wertlos.
Insolvenzmerkmale löschen?
Auch bisher hat der Beauskunftete das Recht und die Möglichkeit, unrichtige Daten korrigieren oder sperren zu lassen. Unbeachtlich ist aus gutem Grund das Verlangen nach Löschung der Daten, wenn der Betroffene keine Gründe für diese Löschung vortragen kann. Nunmehr wird den Betroffenen ein sehr viel weitergehendes Widerspruchs- und Löschungsrecht zuerkannt. Man begründet dies aus dem vielfach diskutierten „Recht auf vergessen werden“ im Netz. Dieser Anspruch macht im Zusammenhang mit der Publizierung privater Daten etwa in sozialen Netzwerken durchaus Sinn – im Zusammenhang mit der fundierten Auskunftserteilung ist er sinnlos. Mit diesem falsch verstandenen Anspruch könnte etwa ein insolventer Unternehmer verlangen, dass die über ihn gespeicherten Insolvenzmerkmale gelöscht werden. Die Folge: Es hat den Anschein, dass seine Kreditwürdigkeit unantastbar ist – und er wird so weitere Gläubiger neuen Kreditschäden aussetzen.
Auskunfteien sind ein Begleiter der Volkswirtschaft seit fast 150 Jahren. Mit der geplanten EU-Datenschutz-Grundverordnung würde ihre Tätigkeit fast unmöglich gemacht. Dies hat massive Auswirkungen nicht nur für diesen Wirtschaftszweig, sondern vor allem für die von ihm betreuten Unternehmen, ja für die gesamte Volkswirtschaft.
Opfer der neuen Datenschutzrichtlinien würden vor allem kleine und mittlere Unternehmen – und dies als Bezieher von Auskünften und als Beauskunftete gleichermaßen. Mit dem Abschneiden der für diese Unternehmen wichtigen Kreditinformationen zur Bonität ihrer Abnehmer wird der Lieferantenkredit an sich infrage gestellt. Dabei gilt es, sich die Dimensionen der Unternehmen als (Lieferanten-) Kreditgeber vor Augen zu halten. Die Deutsche Bundesbank veröffentlicht allmonatlich Berichte zum Kreditvolumen in Deutschland. Dabei wird deutlich, welche Dimensionen die über feste Zahlungsziele laufenden, ausgereichten Lieferantenkredite haben: Mit 365 Milliarden Euro liegen sie rund 50 Prozent über dem Volumen sämtlicher kurzfristiger Bankkredite. Die Lieferung auf Rechnung ist also ein wichtiges Finanzierungsinstrument, das aber nur eingesetzt werden kann, wenn es auf verlässlichen Bonitätsinformationen beruht. Eine Lieferung auf Vorkasse oder „Zug um Zug“ wird aus gutem Grund als Misstrauensbeweis bewertet. Um aber Zahlungsziele einräumen zu können, bedarf es der Daten, wie sie Wirtschaftsauskunfteien liefern. Ohne die Bonitätsauskunft, wie sie ein unbeteiligter und neutraler Dritter als Auskunftei liefert, würde der wirtschaftliche Kreislauf, der aus ständig revolvierenden, vorfinanzierten Lieferungen und Leistungen besteht, wohl zusammenbrechen. Insbesondere kleinere Unternehmen hätten auf der einen Seite nicht mehr die Möglichkeit, sich über ihre Abnehmer zu informieren, stehen auf der anderen dann aber auch ohne Belieferung da, weil ihre Bonität nicht mehr sachgerecht dargestellt werden würde.
Verbraucher nicht beliefert
Fatale Folgen hat die Planung für den Datenschutz in Europa aber nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für den Verbraucher. Es ist wohl überflüssig, den Erfolg von E-Commerce, die Verlagerung des Einkaufs vom Ladenlokal ins Netz weiter darzustellen. Auch Verbraucher müssen ihre Einkäufe nicht mehr sofort bezahlen, sondern werden auf Rechnung beliefert. Sie haben den Vorteil, die bestellten Waren ins Haus zu bekommen, sie in Ruhe zu prüfen und möglicherweise zurückschicken zu können. Der Kauf auf Rechnung hilft ihnen, betrügerischen Anbietern nicht aufzusitzen oder sich mit den Unbequemlichkeiten der Vorkasse oder Nachnahme auseinandersetzen zu müssen.
Aber auch im B2C-Geschäft gilt: Beliefert wird nur, wer eine gute Bonität vorzuweisen hat. Der E-Commerce ist von weitgehender Anonymität geprägt. Die Kunden nutzen die breite Angebotspalette, die der E-Commerce-Bereich bereithält und sind entsprechend schwieriger zu Stammkunden zu machen, über die dem Händler genügend eignen Zahlungsdaten vorlägen. Die EU-Datenschutz-Grundverordnung würde dazu führen, dass der Kauf auf Rechnung im Internet nicht mehr stattfindet. Damit verlieren der Verbraucher eine komfortable Möglichkeit und der E-Commerce-Händler eine Vielzahl von Kunden, die er nun mit Sicherheit nicht mehr beliefern kann.
Zahlungsausfälle wachsen
Angesichts der Aushöhlung des Kreditschutzes ist es einmal mehr wichtig, sich vor Augen zu halten, welche Schäden durch Zahlungsausfälle alljährlich entstehen. Creditreform geht für das Jahr 2012 von einem Schadenvolumen durch Insolvenzen von rund 26 Milliarden Euro aus. Den Löwenanteil dieser Summe müssen die Lieferantenkreditgeber ausbuchen. Sie können sich den Ausfall ihrer Forderungen nicht auch nur in Teilen, etwa über Sicherheiten des Kreditnehmers oder – wie bei den Ausfällen der Sozialversicherungsträger und Finanzämter – vom Steuerzahler zurückholen. Aber nicht nur die Insolvenz führt ja zum Zahlungsausfall – offene Rechnungen werden im Geschäftsalltag immer wieder nicht beglichen. Zehn Prozent der Unternehmen erleiden Forderungsausfälle von mehr als einem Prozent ihres Jahresumsatzes. Doch bei allem Gewicht, das in diesen Zahlen zum Ausdruck kommt, heißt es, sich vor Augen zu halten, was passiert, wenn die Auskunfteien nicht mehr warnen können. Alleine in Deutschland erteilen die Auskunfteien jährlich rund 250 bis 300 Millionen Bonitätsauskünfte. Sollten diese Bonitätsinformationen über Konsumenten oder nicht als juristische Person organisierte Unternehmen nicht mehr möglich sein, so werden sich die Ausfallschäden vervielfachen und damit zu einer ernsten volkswirtschaftlichen Bedrohung auswachsen.
Wir können die Zeit nicht zurückdrehen. Der Konsument will seine Ware nicht an der Ladentheke bezahlen, und Unternehmen erwarten ihre Lieferungen ohne Vorkasse. Moderne Volkswirtschaften sind geprägt von elektronischer Kommunikation, von bargeldlosem Zahlungsverkehr und zunehmender Anonymität. Die Bedeutung von Auskunfteien ist in diesem Umfeld gewachsen. Sie helfen, dass der Waren- und Lieferantenkredit auch im neuen Umfeld weiterhin reibungslos funktioniert, dass die Ausfälle gering bleiben und das Vertrauen zwischen Gläubiger und Schuldner erhalten wird.
Im Zusammenhang mit der Finanzkrise war viel von der Kreditklemme die Rede. Sie ist nicht eingetreten – doch mit der Umsetzung der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung würde es zu einer Lieferantenkreditklemme kommen, deren Auswirkungen noch sehr viel massiver wären.