Im Interview mit dem Creditreform-Magazin spricht Dr. Athanassios Kelemis, Geschäftsführer und Vorstandsmitglied der Deutsch-Griechischen Industrie- und Handelskammer, über die Chancen des deutschen Mittelstands in Griechenland, über die Gründe der schleppenden Privatisierung und den Politik-Stil der Syriza-Regierung.
Creditreform-Magazin: Herr Kelemis, der Deutsche Bundestag hat vergangenen Freitag mit überwältigender Mehrheit der Verlängerung des Griechenland-Pakets zugestimmt. Wie bewertet man in Griechenland mit einigen Tagen Abstand die Abstimmung?
Kelemis: Die Bewilligung der viermonatigen Verlängerung des Programms ist der praktische Beweis dafür, dass Berlin die Bemühungen Griechenlands, sich aus der Krise zu befreien, ein weiteres Mal unterstützt. Deutschland steht Griechenland als Partner bei und ist anlässlich des jüngsten Abkommens auch zu einem Technologietransfer bereit – insbesondere in Bezug auf die Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Obwohl vor allem in der Presse Berichte über ein Zerwürfnis zwischen den beiden Ländern kursieren, halte ich dies jedoch für übertrieben und an den Haaren herbeigezogen.
Das Verhältnis ist also okay?
Es gibt durchaus Differenzen, denn jeder Mitgliedstaat hat natürlich seine eigenen Sorgen. Wie es sich jedoch gezeigt hat, sind die Kommunikationskanäle offen und Kooperationsbereitschaft vorhanden.
Griechenland gewinnt damit vier Monate Zeit. Was muss in dieser recht kurzen Zeit passieren?
Wir haben in all den Jahren von Anfang an wiederholt darauf hingewiesen, dass das Land im Hinblick auf den Staat, den Aufbau des Steuerwesens und den Betrieb der Märkte für Produkte und Dienstleistungen tiefe Einschnitte vornehmen muss. Die Bemühungen müssen sich meines Erachtens hierauf konzentrieren und vor allem auf eine gerechte Verteilung der steuerlichen Belastungen. Vor diesem Hintergrund muss sich die Regierung – wie auch in dem Abkommen vereinbart – auf die steuerliche Gerechtigkeit konzentrieren.
Welche Maßnahmen fordert die griechische Wirtschaft als erstes von der neuen Regierung?
Die Produktionswelt wünscht sich einfache und klare Verfahren, gerechte Rahmenbedingungen und insbesondere eine flexible Arbeitsweise der öffentlichen Verwaltung. Wir hoffen daher, dass die Ankündigungen des Finanzministeriums in Bezug auf die Schaffung von Servicezentren für Unternehmen in die Tat umgesetzt werden. Aber auch die Verfahren zur Vereinfachung für die Einholung von Genehmigungen müssen weiter fortgesetzt werden. Die Regierung muss in der Praxis zeigen, dass sie das Unternehmertum und insbesondere kleine und mittlere Unternehmen unterstützen kann. Es gibt keinen anderen Weg, um der Wirtschaft wieder zu neuem Aufschwung zu verhelfen.
Warum geht es mit der geforderten Privatisierung in Griechenland nur so schleppend voran?
Ich glaube, dafür gibt es drei Gründe. Zunächst wird das Land seit fünf Jahren mit einer andauernden politischen Instabilität und wirtschaftlicher Rezession konfrontiert. Unter solchen Umständen lassen sich nicht viele finden, die ihr Geld in Investitionen anlegen. Zweitens kann der gesamte fiskale und administrative Rahmen nicht als sehr investorenfreundlich betrachtet werden. Drittens gilt es auch die Art und Weise, mit der Ausschreibungen durchgeführt werden, neu zu überprüfen, damit Investoren einem möglichen Zugang zum griechischen Markt positiv gegenüberstehen.
Was bedeutet das konkret?
Das heißt, dass klare und vor allem feste Regeln gewährleistet werden müssen. Der Staat muss gleichzeitig die Art des gesamten Entwicklungskonzepts festlegen, um auch die zu privatisierenden Unternehmen entsprechend zu integrieren.
In welchen Bereichen der Wirtschaft, neben dem starken Tourismus, sehen Sie Potenzial für Griechenland?
Das Land verfügt in einer Reihe von Bereichen über hervorragendes Arbeitspotenzial. Der Pharmabereich, die Schifffahrt, das Bauwesen, das verarbeitende Gewerbe und die Landwirtschaft gehören zu den Bereichen, auf die sich die Wiederbelebung der Wirtschaft stützen kann. Wie dies unter anderem auch in Studien aufgezeigt wurde, bedarf es eines neuen Entwicklungsmodells, das Beschäftigungsmöglichkeiten bietet. Mit anderen Worten sind ein neuer strategischer Rahmen und eine erneute Festlegung der Ausrichtung des Landes erforderlich.
Warum existiert in Griechenland kein starker Mittelstand?
Griechenland ist ein kleiner Markt und das Hauptproblem ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Der Eintritt in die Eurozone gestattete es nur wenigen, der Herausforderung ins Auge zu blicken und diese zu meistern. Die Unternehmensgrößen sind in Griechenland ohnehin nur äußerst gering. Ich erinnere an dieser Stelle daran, dass die überwiegende Mehrheit der Unternehmen jeweils unter 100 Mitarbeiter beschäftigt.
Ist das der einzige Grund?
In einem kleinen Land ist es bei fehlenden Innovationen und einem äußerst kleinen Binnenmarkt ohnehin nicht nur schwierig Spitzenunternehmer hervorzubringen, sondern auch Größen aufzubauen, insbesondere in der heutigen Zeit, in der der Bankensektor zu einem hohen Anteil nicht in der Lage ist, neue Chancen zu finanzieren.
Zudem leidet die Wirtschaft unter hoher Korruption. Was schlagen Sie vor, um die Korruption einzudämmen?
Einen klaren Rechtsrahmen und vor allem Willen. Vor diesem Hintergrund wäre auch die Vertiefung von Kooperationsmodalitäten auf internationaler Ebene zweckvoll. Ferner gilt es „Raum“ zu gewähren und Instrumente zur Bekämpfung der Korruption zur Verfügung zu stellen. Weiterhin muss auf niedrigerer Ebene die Werteskala der griechischen Gesellschaft auf eine neue Grundlage gestellt werden, wobei sich die Rolle der Bildung als entscheidend erweisen wird.
Immer wieder ist die Rede von einem Schuldenschnitt. Ist das auch eine Forderung der griechischen Wirtschaft?
Die ständige Diskussion um einen Schuldenschnitt hilft niemandem. Seit 2012 besteht bereits ein Abkommen mit den Partnern, das angewandt werden muss – sofern Griechenland das praktisch umsetzt, zu dem es sich verpflichtet hat. Wichtig ist es meines Erachtens zu sehen, wie sich Griechenland entwickeln kann, um das Bruttoinlandsprodukt zu steigern, weil dadurch auch das Verhältnis der Schulden zum BIP wesentlich beeinflusst wird. Notwendig ist daher eine aktive Politik und keinesfalls ein Gebettel wegen der Schulden.
Wie können deutsche kleine und mittelständische Unternehmen Griechenland helfen?
Mit Investitionen und Technologietransfer. Ich denke, dass die griechische Wirtschaft genau das braucht und die Rolle der deutschen Unternehmen dabei wichtig ist. Es geht darum unternehmerische Initiativen zu unterstützen, Synergien mit griechischen Partnern zu schaffen, Erfahrungen und Know-How zu transferieren und die zahlreichen Chancen innerhalb des Landes richtig zu nutzen. Sollten sie sich dazu entscheiden, dann können griechische und deutsche Unternehmer Anteile an Mehrwerten schaffen.
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Gibt es genug Kooperationen zwischen griechischen und deutschen Unternehmen?
Es gibt bereits viele und umfangreiche Kooperationen. Vergessen Sie nicht, dass Deutschland einer der Haupthandelspartner Griechenlands ist. Synergien mit deutschen Unternehmen findet man in den Bereichen der maschinellen Ausstattung sowie der Rohstoffe, im Bereich der Pharmaindustrie, im Einzelhandel, in der Verarbeitung, in der Hochtechnologie und im Bereich der Privatversicherung.
Wie bewertet die griechische Wirtschaft insgesamt die ersten Wochen unter Tsipras, Varoufakis und Co.?
Anlässlich dieser Frage möchte ich vor allem darauf hinweisen, dass die neue Regierung begreifen muss, dass keine Zeit mehr bleibt. Ich kann durchaus verstehen, dass die Angelegenheit durch ein neues Brückenabkommen zum Abschluss gebracht werden soll. Die griechische Wirtschaft kann jedoch nicht mehr warten. Vergessen Sie nicht, dass sie im Rahmen der Rezession bereits unermesslich gelitten hat. Lassen wir die vielen Worten, die ohnehin nur Schaden anrichten, hinter uns und konzentrieren wir uns auf die Probleme, die die Unternehmen zu lähmen drohen. Das heißt: Taten und keine Worte…wie es auch im Volksmund heißt…„Wo Verstand ist, da braucht es wenig Worte.“
Wie bewerten Sie den neuen Politik-Stil unter Syriza?
Die Zukunft wird es zeigen. Es ist noch recht früh. Ich würde der neuen Regierung noch ein bisschen Zeit geben. Abgesehen von der Verhandlung haben die Ministerien im Wesentlichen noch keine Möglichkeit gehabt, ihre Programme umzusetzen. Bisher gibt es nur Ankündigungen. Schauen wir mal…